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Befunde zur formalen Gestalt von Ausstellungsbesuchen:

Ausstellungen: Zum Stand der empirischen Forschung

5.3 Befunde ausgewählter Studien

5.3.1 Befunde zur formalen Gestalt von Ausstellungsbesuchen:

Bewegungs- und Aufmerksamkeitsmuster im Raum

Eine Möglichkeit, zu generalisierenden Aussagen über Besuchende zu gelangen, stellt die Identifizierung von Typen von Besuchenden dar. Manche Studien unter-scheiden Typen nach den spezifischen Interessenlagen,716 kombiniert mit der unterschiedlichen Art und Weise, wie Besuchende sich durch die Ausstellungs-räumlichkeiten bewegen. So habe Robert L. Wolf, so rezipiert bei Annette Nosch-ka-Roos, «[j]e nach Ausprägungsgrad des Interesses» vier Arten von Besuchen-den identifiziert,

«den ‹Pendler›, der rasch durch die Ausstellung eilt, sie mehr als Durchgang nutzend, den ‹Nomaden›, der ohne spezielles Interesse eine Ausstellung be-tritt, in der er sich dann durch das eine oder andere Exponat aufhalten lässt, den ‹Cafeteria-Typ›, einen allgemein interessierten Besucher, der sich selektiv verschiedenen Bereichen der Ausstellung zuwendet, die hoch interessierte Person (very interested person = ‹VIP›), die sich langsamer, sorgfältiger und kritischer durch die Ausstellung bewegt».717

716 So Wolf 1980, zit. n. Noschka-Roos 1994, S. 154 f.

717 Noschka-Roos 1994, S. 155; Kursivsetzung analog zum Original. Noschka-Roos bezieht sich in dieser Textstelle in indirekter Zitation auf vier Besuchertypen bei Wolf (Wolf 1980, zit. n. Noschka-Roos 1994, S. 155).

Susie Wise unterscheidet ähnlich drei Formen des Fortbewegens, «Doing the mu-seum with linear exploration», «Deep viewing and re-viewing for further under-standing» und «Camping out in topical zones», die sie personalisiert einzelnen Besuchenden zuweist.718 Sharon Macdonald warnt umgekehrt, «dass man […]

Stile nicht personalisieren, sondern als Bewegungstypen begreifen sollte», weil Besuchende während eines Besuchsverlaufs zwischen den Stilen wechseln.719

Die vorgestellten Bewegungstypen deuten bereits an, dass sich viele Besuchen-de selektiv durch die Ausstellung bewegen und dabei nur einen Bruchteil Besuchen-der ausgestellten Elemente näher betrachten. Eine Metaanalyse von über hundert Be-sucherstudien ergab, dass «visitors typically stop at between 20 percent and 40 percent of an exhibition»,720 einige Jahre später ergänzt um eine Folgestudie zu weiteren 50 Ausstellungen.721 In Letzterer stellt Beverly Serrell einen gewissen Zusammenhang zwischen Besucherverhalten und Museumstypen fest. Den

«Sweep rate index» und den Prozentsatz an «Diligent visitors» betrachtend und auf dieser Basis vier Quadranten bestimmend,722 kommt sie zu dem Befund, dass die «least-thoroughly used exhibitions were found in natural history and general museums as well as in living collections; three-quarters of those were in science museums/centers».723 Hingegen scheint der Typus der «exceptionally thorough-ly used»724 Ausstellungen weniger eindeutig bestimmbar. Zwar zeigte sich Serrell zufolge, dass diese Gruppe «proportionately fewer science museum exhibitions»725 beinhalte, aber abgesehen davon

718 Wise 2011, S. 67 ff.

719 Macdonald 2011, S. 251 f.

720 Serrell 1998, S. 21, zit. n. Rounds 2004, S. 391; Studie rezipiert bei Rounds 2004, S. 391, und ausserdem beschrieben bei Serrell 2010.

721 Serrell 2010, S. 1, S. 5 f.

722 Serrell 2010, S. 5 f.; «Sweep rate index (SRI) is calculated by dividing the exhibition’s square footage by the average total time spent there for a tracked sample of casual visitors.

A lower sweep rate means that visitors spent more time in the exhibition and were engaged in more learning-related behaviors. Diligent visitors (%DV) is the percentage of visitors in the tracked sample who stopped at more than one-half of the exhibit elements in the ex-hibition. Higher percentages of diligent visitors mean that more people were paying atten-tion to more exhibits, and fewer exhibit elements were being ignored, skipped, or missed»

(Serrell 2010, S. 5).

723 Serrell 2010, S. 6.

724 Serrell 2010, S. 9.

725 Serrell 2010, S. 8.

«ran the gamut of exhibition characteristics: large and small spaces (from 1,200 to 12,000 square feet); content involving science, nonscience, and sci-ence fiction; real objects and no objects; and free and ticketed shows. The one characteristic they shared in common was having relatively fewer exhibit ele-ments compared to the exhibitions in the other quadrants.»726

Es deuten sich also je nach Museumstyp gewisse Unterschiede in der Sorgfalt von Museumsbesuchen an. Wie sich spezifisch historische Museen in dem geschilder-ten Spektrum verorgeschilder-ten lassen, geht aus den Ausführungen Serrells nicht eindeutig hervor.

Über Besucherverhalten im Hinblick auf unterschiedliche Ausstellungselemen-te finden sich Hinweise bei Sharon Macdonald, auf eigene UnAusstellungselemen-tersuchungen im Londoner Science Museum Bezug nehmend.727 Sie kommt zu dem Schluss, dass

«Lesen vor allem zu Beginn der Ausstellung geschieht», aber dass «physische Aus-stellungsobjekte insgesamt mehr Aufmerksamkeit auf sich ziehen als Texte und dass sie die Narrative, die Besucher_innen unmittelbar nach Abschluss ihres Rund-gangs formulieren, auch deutlich mehr prägen».728

Annette Noschka-Roos kommt, Bezug nehmend auf einige Studien zu Besu-chenden in mehrheitlich technischen bzw. Science-Museen zu der zusammen-fassenden Einschätzung, «dass sich Besucher in einer Ausstellung hauptsächlich objektorientiert bewegen, und die Lektüre der Texte davon abhängig ist», wobei sich ausserdem «eine mit zunehmender Besichtigungsdauer nachlassende Intensi-tät in der Betrachtung der Exponate und in der Lektüre der Texte» beobachten lässt.729

Die geschilderten Befunde eines objektorientierten Vorgehens beim Ausstel-lungsbesuch decken sich mit den Befunden Christian Kohlers, der auf Basis der von ihm erhobenen Schülervorstellungen in Bezug auf historische Ausstellungen zu dem Schluss kommt: «Der Rezeptions- und Verstehensprozess geht […] immer

726 Serrell 2010, S. 9.

727 Macdonald 2011, S. 245, S. 247.

728 Macdonald 2011, S. 247.

729 Noschka-Roos 1994, S. 155 f.; Noschka-Roos bezieht sich in indirekter Zitation auf Stu-dien von Borun/Miller, Serrell und Diamond, die mir nicht im Original vorliegen (Borun/

Miller 1980, zit. n. Noschka-Roos 1994, S. 155; Serrell 1980, zit. n. Noschka-Roos 1994, S. 155 f.; Diamond 1986, zit. n. Noschka-Roos 1994, S. 155 f.). Bei den beachteten Stu-dien handelt es sich gemäss Titeln um StuStu-dien zu Besuchenden von technischen bzw.

Science-Museen sowie Zoo und Aquarium, die Übertragbarkeit in Bezug auf historische Museen wäre insofern zu prüfen.

von den Objekten aus, was deren Bedeutung als zentrale Präsentationsmedien unterstreicht.»730 Auch in dem von Susie Wise beschriebenen «basic script for exploring a museum» steht die Objektbetrachtung vor der Beschriftungslektüre, bleibt aber unklar, inwiefern sie damit eine feste Reihenfolge verbindet.731

Andernorts stellen Doris Lewalter und Annette Noschka-Roos fest, die Fort-bewegung Erwachsener durch eine Ausstellung verläufe «meist nicht linear und [folge] selten den vorgeschlagenen Besuchspfaden. Vielmehr lassen sich die Besu-cher visuell leiten und werden hauptsächlich durch Interessen, durch Neugier weckende oder zur Erkundung und Manipulation einladende Elemente, durch Phantastisches oder durch soziale Interaktion gelenkt.»732

Ausgehend von diesen Befunden, die allerdings mehrheitlich Aufschlüsse über das Besuchsverhalten in naturwissenschaftlichen Museen geben, ist von einer ho-hen Individualität des Verhaltens von Besucho-henden im Raum auszugeho-hen, bei dem durch die Ausstellung selbst vorgegebene Pfade eher verlassen und viele Elemen-ten übersprungen werden, während andere, basierend auf diversen individuellen Gründen, aufgesucht werden, wobei sich der Ausstellungsbesuch vor allem objekt-orientiert gestaltet. Auf Befunde zum Umgang von Besuchenden mit Objekten und zur Anziehungskraft von Objekten komme ich weiter unten erneut zu spre-chen.733