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Fluorwasserstoff - ein Breitband-Enzymhemmer

Pflanzen sind die empfindlichsten Wirkobjekte gegenüber fluorhältigen Luftverunreinigungen.

Fluorwasserstoff (HF) ist der pflanzengiftigste Luftschadstoff. Er hemmt viele wichtige Enzyme, deren Funktion an Ca oder Mg gebunden ist. Er entsteht bei technischen Prozessen, nebenbei wird SiF4

gebildet. Fluor ist für Mensch und Tier, aber nicht für Pflanzen essentiell.

11.1. Quellen und Senken

Anthropogene Quellen: Industrien, die F-hältige Mineralien (Fluss-Spat CaF2, Kryolith Na3AlF6, Apatit Ca10[PO4]6F2) verarbeiten: Glas- und Keramikindustrie, Aluminiumerzeugung; Schmelz- und Brennprozesse (Stahlindustrie), Kohleverbrennung, Düngerhersteller (Superphosphat; Fluorapatit).

Die globalen Emissionen betragen über 2 Tg pro Jahr.

Natürliche Quellen sind Vulkane (0,06 – 6 Tg pro Jahr), Seesalzaerosole (0,4 – 1 Tg pro Jahr) und Bodenstaub (< 0,5 Tg pro Jahr).

Senken: Vegetation bzw. trockene Deposition.

11.2. Physikalische Eigenschaften

HF ist ein stechend riechendes, hygroskopisches Gas. Aufgrund seiner guten Wasserlöslichkeit wird es schnell mit dem Regen aus der Atmosphäre ausgewaschen.

11.3. Chemische Eigenschaften

Elementares Fluor ist das am stärksten elektronegative Element sehr aggressiv. Flusssäure ist eine schwache Säure, der wasserfreie flüssige HF jedoch eine starke Säure. HF kann Glas angreifen, wobei Siliziumtetrafluorid (SiF4) entsteht.

Der Wirkungsradius eines HF-Emittenten ist relativ gering: er beträgt „nur“ etwa 5 km. In extrem belasteten Industriegebieten können 20 ppb erreicht werden, in Waldgebieten meist < 1 ppb.

11.4. Aufnahme, Verlagerung und Umsetzungen in Pflanzen

Aufnahme: Fluorid wird vor allem passiv über die Spaltöffnungen der Blattorgane als HF- oder SiF4– Gas und auch in gelöster Form aufgenommen. Es kann in hoher Konzentration die Kutikula ätzen und durch diese in das Blattinnere gelangen. Ein großer Anteil des Gesamtfluorgehaltes von Blattorganen aus Immissionsgebieten ist abwaschbar. Über die Wurzeln wird es praktisch nicht aufgenommen, obwohl Gehalte im Boden nahe von Emittenten mehrere 100 ppm betragen können; in solchen Fällen kann der Gehalt an löslichen Fluoriden bis zu 25 ppm betragen. Die F-Verfügbarkeit für Pflanzen ist auf stark sauren pH-Werten am höchsten. Die F-Gehalte der Pflanzen sind vom Gesamt-F-Gehalt des Bodens unabhängig, da nur der lösliche Anteil aufnehmbar ist. Die Aufnahme ist deutlich schneller als bei anderen Schadgasen.

Verlagerung in der Pflanze: HF löst sich nach der Aufnahme über das Blatt im Zellwandwasser und wird mit dem Transpirationsstrom zu den Blatträndern bzw. Blattspitzen transportiert. In den parallelnervigen Blättern der einkeimblättrigen Pflanzen und in den Koniferennadeln wird Fluorid in Richtung Spitze verlagert, während in den netznervigen Blättern der meisten zweikeimblättrigen Pflanzen neben einer spitzenwärts gerichteten Verlagerung auch eine in Richtung Blattrand zu beobachten ist. Erst wenn die - artspezifisch sehr unterschiedlichen - Schwellenkonzentration erreicht wurde, dringt Fluorid in die Zellen ein. Die Anreicherung in den Organellen ist stark von deren pH-Wert abhängig: Mit der Zunahme um eine pH-Einheit von sauer in Richtung alkalisch steigt der F-Gehalt um das Zehnfache. Neutrale und schwach alkalische Kompartimente sind somit stärker belastet als saure (z. B. Chloroplasten). Die Anhäufung in diesen Regionen führt zu Nekrosen. Die Ausscheidung in den Boden und Abgabe von gasförmigen F-Verbindungen sind zwar möglich, aber quantitativ von untergeordneter Bedeutung.

Bei Tieren ruft Fluor nach der Aufnahme von F-verseuchtem Futter Verfärbungen an Zähnen (Fluorose) hervor.

HF ist 10 - 1000 mal giftiger als andere Spurenstoffe. Die Wirkungen lassen sich meist auf die feste Bindung von Ca und Mg zurückführen. Es bildet aber auch H2O2 und ist somit eine Vorstufe für Radikale.

Abbaureaktionen und Aktivierung von Enzymen

Die folgenden Reaktionen sind vor allem Abbaureaktionen, die auch mit einem zusätzlichen Bedarf von Energie für eine Entgiftung im Zusammenhang stehen können.

• Abbau von Proteinen: Bildung von freien Aminosäuren.

• Abbau von Estern: Erhöhung der Aktivität von Esterasen (Enzyme, die Fettsäureester in Alkohole und Säuren spalten).

• Abbau von Desoxyribonukleinsäure (DNA): Erhöhung der Aktivität von Ribonukleasen.

• Zerstörung von Chlorophyll (Entfernung des Mg) und Chloroplasten.

Die enzymatische Entgiftung wird von Peroxidasen (Enzymen, die H2O2 spalten) bewerkstelligt, deren Aktivität erhöht wird

Hemmung von Enzymen

HF bildet mit Ca, Mg und Mn unlösliche Fluoride. Dies entzieht der Pflanze zwar Fluor, aber auch diese essentiellen Elemente. Es stört somit Stoffwechselvorgänge, an denen Ca und Mg als Kofaktor von Enzymen beteiligt ist („Breitbandenzymhemmung“). Auch der Phosphathaushalt wird beeinträchtigt. Fluor greift Biomembranen an und führt zu Schwellungen der Thylakoide. Längere Einwirkung führt zu Stomataschluss. Die Reaktion mit Aluminium bindet beide toxischen Elemente.

Gehemmt werden Reaktionen, bei denen das „Mg-abhängige“ ATP (ADP) beteiligt ist:

• Photosynthese: Hemmung des gekoppelten photosynthetischen Elektronentransportes durch Entzug des Mg (Pigmentsynthese; Chlorophyll enthält Mg!).

• Steigerung bzw. bei bereits eingetretenen Schädigungen von Zellen Hemmung der Atmung.

• Zuckerstoffwechsel: Hemmung des oxidativen und reduktiven Pentosephosphatzyklus (Stoffwechselweg der Oxidation von Glucose-6-Phosphat zur Gewinnung von Pentosephosphat); Hemmung der Enolase (Enzym, das die Umwandlung von 2-Phosphoglycerat in Phosphoenolpyruvat beim Glucoseabbau katalysiert) und der Phosphoglucomutase.

• H2O2-Entgiftung: Je nach Dosierung Hemmung oder Stimulierung der Katalasen (H2O2 -abbauende Enzyme) in Peroxisomen.

11.5. Schädigungen an Pflanzen

• Schädigung von Chloroplasten und anderen Organellen.

• Schädigung v. a. des Mesophylls bis zum Kollaps, aber auch der Epidermis.

• Chronische Schäden: Zwergwuchs, Kleinblättrigkeit, Kurznadeligkeit und Kurztriebigkeit.

Aufhellungen (Chlorosen) an Trieben und Blättern von Laub- und Nadelbäumen.

• Akute Schäden: Oft entstehen nach Chlorosen hellbraune bis schwarze Rand- und Spitzennekrosen, die sich deutlich von gesundem Gewebe abheben; Aufwölbung von Blättern (Abbildungen 11-1 bis 11-3).

Auf Organismusebene kommt es zu Habitusänderungen von Bäumen: Fichten bilden ein „Fenster“

unterhalb der Krone aus („Sub Top Dying“), Kiefern reagieren mit einer Abflachung der Krone.

Auf ökosystemarer Ebene zeigen sich negative Wirkungen auf den Ertrag und die Qualität von Nahrungs- und Futterpflanzen wie Verminderung der Samengröße, des Samengewichtes und der Anzahl der Zapfen von Koniferen. Im Mais wird mehr als 90 % des Fluors in den Blättern und nur 2 % in den Körnern akkumuliert. In Waldbeständen sterben vor allem Koniferen ab, während Grauweide, Schwarzerle und Birke ein gutes „Ausharrvermögen“ zeigen. Endet die Immissionseinwirkung auf einen Bestand etwa nach der Schließung des Emittenten, wird die Belastung der Vegetation stark vermindert, während die Humus- und Bodenbelastung noch lange anhalten. Die mit hohen F-Immissionen verbundene verschlechterte Nährstoffversorgung schwächt die Pflanzen und schafft so günstigere Lebensbedingungen für Schadinsekten.

Apfel Pappel Weide

Wein Iris Rotbuche

Abbildung 11-1: Akute Schäden durch HF: Flecken- und Randnekrosen (schematisch; Dässler 1991).

Abbildung 11-3: Akute Schäden durch HF an Kiefernnadeln.

Abbildung 11-2 (links): Immissionsschäden durch fluorhältige Emissionen im Nahbereich ein es Aluminiumwerkes.

Die empfindlichen Fichten in Werksnähe sind abgestorben. Die Fichten im Hintergrund werden durch die widerstandsfähigeren Erlen und Birken im Vordergrund („Rauchriegel“) etwas geschützt.

Wirkungsindikatoren: Gladiole, Schwertlilie, Tulpe, Begonie, Kirsche. Sehr empfindlich sind ferner Mais, Weinrebe, Hainbuche, Buche, Lärche, Fichte, Tanne und Douglasie. Relativ widerstandsfähig sind Tomaten, Tabak, Weide, Erle, Eiche, Schwarzkiefer, Eibe.

Akkumulationsindikatoren: Fichte, Kiefer, Buche, Welsches Weidelgras.

Abbildung 11-4 zeigt, dass sich auch extrem immissionsgeschädigte Bestände nach entsprechenden Immissions-Reduktionsmaßnahmen regenerieren können.

Abbildung 11-4: Waldregeneration im „Rauchschadensgebiet“ Arnoldstein/Ktn.

In Arnoldstein (Kärnten), einem klassischen Immissionsgebiet mit SO2, HF und Schwermetallen als Schadstoffen, hat sich der Wald aufgrund von Sanierungsmaßnahmen des Emittenten zwischen den 1960er und 1980er Jahren gut erholt.

Die gesunde, resistente Fichte („R-Fichte“, linkes Bild) hat den umgebenden, widerstandsfähigeren Bestand begründet.

11.6. Konzentrationen in der Luft und in Blattorganen

Luft: HF kann mit dem Silberkugelverfahren gemessen werden, Messwerte liegen für Österreich nicht vor.

Pflanzentoxische Konzentrationen (Untergrenze) sind in Tabelle 11-1 angeführt.

Tabelle 11-1: HF-Konzentrationen (ppb) in der Luft, oberhalb derer Schädigungen an Pflanzen auftreten können (Grenzwerte).

Mittel Grenzwerte der Zweiten Verordnung

gegen forstschädliche Luftverunreinigungen

Verein Deutscher Ingenieure (sehr empfindliche Pflanzen)

Halbstundenmittel 1,1

Tagesmittel 0,6 1,2

30 Tage-Mittel 0,3

7 Monate (April bis Oktober) 0,2

Blattorgane: Fluorid kommt in Pflanzen vor, ist aber kein essentieller Pflanzenbestandteil. Die natürlichen Konzentrationen sind sehr gering (Fichtennadeln: 10 ppm, in Pflanzenteilen anderer Pflanzen bis 10 ppm; Tabelle 11-2). Immissionseinwirkungen erhöhen die natürliche Konzentration in Blattorganen auf das 20 bis über das 100-fache. Der Nachweis einer Immissionseinwirkung ist deshalb leicht möglich. Grenzwerte für Gehalte in Blattorganen sind im Forstgesetz (Zweite Verordnung gegen forstschädliche Luftverunreinigungen) festgesetzt. Die chemische Analyse der im Schönigerkolben verbrannten und in einer Reaktionslösung absorbierten Probe auf Fluorid wird mit fluorselektiven Elektroden durchgeführt (Potenzialmessung).

Tabelle 11-2: Natürliche Fluorgehalte (Obergrenze in Fichtennadeln, bezogen auf Trockensubstanz).

Nadeljahrgang 1 8 ppm Nadeljahrgang 2 10 ppm Nadeljahrgang 3 10 ppm

Die Anreicherung von Fluor korreliert nicht mit den Schädigungen: Tee kann ohne sichtbare Symptome mehrere 100 ppm Fluor enthalten, Rainfarn bis über 2000 ppm und Baumwolle bis 4000 ppm.

Der Gehalt in Futtermitteln soll nicht mehr als 40 ppm betragen.

Resümee: Obwohl HF das giftigste gasförmige Pflanzengift ist, ist seine Bedeutung lokal in Emittentennähe begrenzt. Trotz der Emissionsminderungsmaßnahmen werden Überschreitungen des Grenzwertes der Zweiten Verordnung gegen forstschädliche Luftverunreinigungen für Blattorgane in Österreich noch immer registriert, z. B. in der Nähe von Ziegelwerken.

Literatur: Guderian (2001), Dässler (1991), Hock und Elstner (1995), Treshow (1984), Wellburn (1988).