5. Immissionsschutz durch Emissionsminderung und Immissionsgrenzwerte
5.2. Emissionsminderung auf nationaler Ebene
(a) Emissionshöchstmengengesetz-Luft: Die Ziele (Emissionshöchstmengen) der NEC-Richtlinie wurden im Emissionshöchstmengengesetz-Luft (EG-L, BGBl. I 2003/34) in nationales Recht umgesetzt; das Gesetz trat 2003 in Kraft und legt die Emissionshöchstgrenzen für die versauernden Substanzen und Ozonvorläufer fest (Tabelle 5-1).
Tabelle 5-1: Ziele gemäß NEC-Richtlinie und Göteborg-Protokoll (Gg = 1000 Tonnen) sowie Emissionen in Österreich 2007. Weiterer Reduktionsbedarf besteht auf dem Stand von 2007 somit v. a. bei NOx und bei den NMVOC.
Göteborg-Protokoll NEC-Richtlinie EG-L für 2010
Ziele Ozongesetz ab 2006
Emissionen 2007
SO2 39 39 *) - 25,6
NOx 107 103 65 220,1
162,6 **)
NH3 66 66 - 66,41
NMVOC 159 159 100 179,81
*) Das SO2-Ziel wurde 1998 erreicht, das NH3-Ziel wurde noch nicht unterschritten
**) Emissionsmengen, die berücksichtigen, dass ein Teil des Kraftstoffes im Ausland verbrucht wird.
(b) Klimastrategie: 2007 wurde vom Ministerrat eine Anpassung der Klimastrategie Österreichs zur Erreichung des Kyoto-Zieles 2008-2012 beschlossen. Für die Schadstoffemissionen gibt es nationale Berichtspflichten (Umweltbundesamt 2007, Emissionstrends 1990-2007, Report REP-0234).
(c) Bewilligung von Neuanlagen: Im Zuge der Genehmigung von Anlagen ist die Forstbehörde in Verfahren nach dem Berg-, Abfallwirtschafts-, Gewerberecht und der Umweltverträglichkeitsprüfung eingebunden. Sie hat hier mehr Möglichkeiten zur Durchsetzung einer Emissionsminderung als bei bereits bestehenden, genehmigten Anlagen gemäß der Zweiten Verordnung gegen forstschädliche Luftverunreinigungen, bei der auch die „wirtschaftliche Interessensabwägung“ eine Rolle spielt.
Der lange Weg von wissenschaftlichen Erkenntnissen zu Gesetzen
Immissionsgrenzwerte zum Schutz der Vegetation basieren auf wissenschaftlichen Untersuchungen im Freiland bzw. aus Versuchen unter kontrollierten Bedingungen (Kapitel 4.2).
Der erste Schritt: Luftqualitätskriterien
Zunächst bedarf es einer fundierten wissenschaftlichen Basis: Das Wissen über einen Luftschadstoff und seine Wirkungen auf die Vegetation (bzw. andere „Akzeptoren“) muss erforscht werden. Aufgrund von Klimakammerversuchen mit meist jungen Pflanzen müssen Dosis-Wirkungsbeziehungen vorliegen, um konkrete wirkungsbezogene Grenzwerte aufstellen zu können.
All das ist für Österreich in den Luftqualitätskriterien (LQK) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften festgehalten:
Luftqualitätskriterien Schwefeldioxid (1975) Luftqualitätskriterien Stickstoffoxide (1987) Luftqualitätskriterien Ozon (1989) und
Luftqualitätskriterien Kohlenwasserstoffe (1996)
Luftqualitätskriterien für Fluor- und Chlorverbindungen, Ammoniak, Stäube sowie für Schwermetalle fehlen.
Die Luftqualitätskriterien enthalten das Wissen über die Schadstoffe und ihre Wirkungen auf Mensch, Tiere, Pflanzen und Materialien sowie wirkungsbezogene Grenzwerte für diese „Schutzgüter“
(wirkungsbezogene Grenzwerte bzw. Critical Levels und Critical Loads; Box 5-1).
Box 5-1a: Critical Levels: Kritische Belastungsgrenzen für Konzentrationen.
Critical Levels (CLE): Wirkungsbezogene Grenzwerte für gasförmige Luftschadstoffe
Critical Levels sind Schwellenwerte für den direkten Wirkungspfad nicht sedimentierender Komponenten (Gase, Aerosole).
Bei ihrer Überschreitung sind negative Wirkungen zu erwarten. Sie sind meist so formuliert, dass bei ihrer Einhaltung der Großteil aller Pflanzen, wenn auch nicht jedes einzelne Individuum, geschützt wird.
Ein Critical Level bezieht sich letztendlich auf eine Dosis, wird jedoch in den meisten Fällen als Konzentration innerhalb einer bestimmten Periode angegeben, z. B. 30 µg m-3 NOx als Jahresmittelgrenzwert oder 200 µg m-3 NO2 als Halbstundenmittelgrenzwert; lediglich für Ozon wird eine spezielle Dosis (der AOT40) als Grenzwert formuliert.
Kombination von Schadstoffen: Komponenten werden einzeln evaluiert. Interaktionen werden ebenfalls in Betracht gezogen.
Expositionsdauer: 1 Jahr und weniger.
Methodik der Bewertung: Laborexperimente; niedrigste relevante und effektive Exposition.
Ziel: Schutz empfindlicher Arten.
Box 5-1b: Critical Loads: Kritische Belastungsgrenzen für Einträge
Critical Loads (CLO) werden als Depositionsraten auf die Fläche bezogen, z. B. der Critical Load von 10-15 kg Stickstoff ha
-1 a-1. Critical Loads sind „wissenschaftliche Grenzwerte“ und gesetzlich nicht verbindlich. Critical Loads definierten die kritische Belastungsgrenze für Einträge und den Schwellenwerte für den indirekten Wirkungspfad. Das ist jener Eintrag von Schadstoffen (Protonen, Schwefeläquivalente und Stickstoff, kg ha-1 a-1) aus der Atmosphäre, bei dessen Unterschreitung nach derzeitigem Kenntnisstand keine negativen Effekte bei bestimmten Wirkobjekten oder Rezeptoren (Pflanzen, Tieren, Menschen) auftreten können. Das Ziel ist ein dauerhafter Schutz der Umwelt bei möglichst niedrigen Gesamtkosten und Absenkung der Belastung der Vegetation auf einen als akzeptabel angesehenen Schwellenwert. Critical Loads sind abhängig vom Ökosystemtyp, von vorangegangenen und gegenwärtigen Bewirtschaftungen und Bodeneigenschaften (z. B.
vom Nitrifikationsvermögen).
Kombination von Schadstoffen: Stickstoffhältige Verbindungen werden zusammengefasst; dies gilt auch für saure Verbindungen.
Expositionsdauer: Langfristig (10 bis 100 Jahre).
Methodik der Bewertung: Empirische Daten und steady-state Bodenmodelle.
Ziel: Schutz der Funktion von Ökosystemen.
Ein Sonderfall eines Critical Levels ist der AOT40 für Ozon: Zur Berechnung des AOT40 werden nur jene Dosen addiert, die aus den Überschreitungen der 40 ppb (1-Stundenmittel) errechnet wurden (rote Balken); der provisorische Grenzwert für die Vegetationsperiode beträgt 10.000 ppb.h.
Abbildung 5-1: Ermittlung des AOT40 durch Summation derjenigen Konzentrationswerte, die 40 ppb überschreiten (rote Balken).
Der nächste Schritt: Gesetzestext und Grenzwerte
Gesetz: Liegen genügend wissenschaftliche Erkenntnisse vor, wird ein Gesetzesentwurf abgefasst und die Regierungsvorlage im Parlament den Fachausschüssen vorgelegt. Durch einen Parlamentsbeschluss wird das Gesetz gültig.
Verordnung: Eine Verordnung fußt immer auf einem Gesetz. Je nach dem Gegenstand des Gesetzes müssen diese durch die zuständigen Ministerien „abgesegnet“ werden. Vorher wird der Verordnungsentwurf von diversen Stellen – z. B. Landesregierungen, einschlägigen Bundesdienststellen und der Wirtschaftskammer - begutachtet. Der Wortlaut des endgültigen Gesetzestextes ist meist ein Kompromiss zwischen den Ministerien, die den Gesetzestext beschließen müssen. Das heißt, dass nicht nur beim Gesetzestext selbst, sondern auch bei den Grenzwerten Abstriche von den wissenschaftlich begründbaren Vorstellungen eine Rolle spielen. (Das Umweltministerium hat andere Interessen zu vertreten als das Wirtschaftsministerium.)
Das Gesetz enthält normative Grenzwerte
Grenzwerte in Gesetzen bzw. Verordnungen sind normative Grenzwerte. Sie sind zwar rechtsverbindlich, aber meist weniger streng als wirkungsbezogene Grenzwerte.
Der gesetzliche Schutz vor Luftschadstoffen ist umso leichter, je besser man sie einem Emittenten zuordnen kann (Beispiel SO2 / Forstgesetz) oder je einfacher Maßnahmen gesetzt werden können, um eine Verbesserung der Luftqualität zu erreichen (Beispiel NOx / Nachtfahrverbote; Ozon / Warnstufen zum Schutz des Menschen). Ein gesetzlicher Schutz vor N-Depositionen, deren
Verbreitung großräumig ist (Beispiel trockene, nasse und okkulte N-Depositionen) auf der Basis von Critical Loads ist besonders schwierig, weil die Verursacher großräumig verteilt sind.
Vorsicht: Statt Grenzwerten zum Schutz der Vegetation sind im Gesetz u. U. lediglich Ziele und Zielwerte festgelegt, z. B. im Ozongesetz (für einen 3-Monatswert) und im Immissionsschutzgesetz Luft (für den NO2-Tagesmittel-Grenzwert).
Die Umsetzung konkreter Passagen oder Inhalte steht aber dann außer Diskussion, wenn bestimmte EU-Richtlinien in Form von nationalen Gesetzen umgesetzt werden müssen. Nationale Vorschriften dürfen theoretisch strenger sein, aber nicht weniger streng als die jeweilige EU-Richtlinie (EU-Verordnungen sind im Gegensatz zu den EU-Richtlinien in den EU-Ländern direkt anwendbar).
Ohne Kontrolle (Monitoring) bleibt jedes Gesetz zahnlos
Ein noch so gutes und umweltfreundliches Gesetz ist wirkungslos, wenn es nicht ausreichende Vorkehrungen gibt, den Vollzug zu kontrollieren. Voraussetzung ist eine optimale Positionierung von Mess-Stellen bzw. Bioindikationspunkten (das beste Gesetz ist nutzlos, wenn eine Messstelle an einem Ort positioniert ist, an dem Grenzwertüberschreitungen nicht zu erwarten sind; am Patscherkofel / Tirol an der Waldgrenze, fernab von Emittenten, wird man eine Überschreitung eines NOx-Grenzwertes realistischerweise nie feststellen können). Dazu gibt es folgende Instrumentarien:
• Luftschadstoffmonitoring: Überwachung der Luftqualität mit einer ausreichenden Zahl von registrierenden Luftmessstationen
• Depositionsmonitoring: Erfassung des Staubniederschlages (Pb, Cd, Cu, Zn; Ca, Mg)
• Bioindikation mit Monitororganismen (Kapitel 4). Zum Schutz des Waldes wird diese angewendet, indem die „Höchstanteile am Bewuchs“ von Schwefel, Fluor, Chlor, Stickstoff (als Pflanzeninhaltsstoff) sowie Phosphor, Kalium, Calcium und Magnesium (erhöhte Werte aufgrund von Staubauflagerungen analysiert werden.
Folgende österreichischen Immissionsschutz-Gesetze inkludieren den Schutz der Vegetation vor Luftverunreinigungen (Tabelle 5-2). Trotzdem: Alle diese Gesetze schützen die Vegetation nur unzureichend vor Luftverunreinigungen! Die Gründe sind in Tabelle 5-3 angeführt.
Tabelle 5-2: Österreichische Bundesgesetze zum Schutz der Vegetation vor Luftverunreinigungen.
Gesetz Im Gesetz berücksichtigte Luftschadstoffe
Forstgesetz, Zweite Verordnung gegen forstschädliche Luftverunreinigungen, BGBl. 199/1984
SO2, HF, HCl, NH3 (Gas), Pb, Cd, Zn, Cu (Deposition) Immissionsschutzgesetz Luft (ISG Luft), BGBl. 298/2001, SO2, NOx
Ozongesetz, BGBl. 34/2003 Ozon
Statistische Parameter zur Beschreibung der Heterogenität von Immissionsbelastungen:
• Arithmetische Mittelwerte (Halbstunden-, Stunden-, Monatsmittel; Anmerkung: die Halbstundenmittelwerte über einen bestimmten Zeitraum sind meist schief verteilt, das arithmetische Mittel und der Median sind somit nicht ident)
• Maximalwerte
• Perzentile (ein 98-Perzentil von 50 ppb bedeutet, dass 98 % der Halbstundenmittelwerte eines Datenkollektives kleiner als 50 ppb sind) und
• Konzentrationssummenwerte oberhalb eines Schwellenwertes (AOT40)
Tabelle 5-3: Unzureichender Schutz der Vegetation durch österreichische Bundesgesetze.
Manko trifft zu für
Nicht für alle relevanten Luftschadstoffe gibt es Grenzwerte. Es fehlen solche für Schwefelwasserstoff und Schwefel- und Stickstoff-Depositionen sowie für zahlreiche Schwermetalle.
Forstgesetz ISG Luft In keinem Gesetz gibt es sowohl einen Halbstunden- als auch einen Tages- und Jahresmittelgrenzwert
für einen Schadstoff. Ein einzelner Grenzwert, z. B. ein Jahresmittelgrenzwert, schützt nicht: Ein Tagesmittelgrenzwert kann etwa zwei Monate um 100 % überschritten werden (wenn im übrigen Jahr die Konzentrationen = 0 sind), ohne den Jahresmittel-Grenzwert zu überschreiten. Es müssten also mehrere Grenzwerte nebeneinander gelten.
Forstgesetz ISG Luft Ozongesetz
Die in den Gesetzen formulierten Grenzwerte sind nicht wirklich wirkungsbezogen. Sie sind ein Kompromiss zwischen wissenschaftlichen Erkenntnissen und politischer Durchsetzbarkeit.
Forstgesetz ISG Luft Ozongesetz Zielwerte und Ziele sind kein unmittelbarer Schutz. Sie sollen zwar politisches Handeln bewirken, sind
aber in der Realität nicht wirklich verbindlich.
ISG Luft Ozongesetz Das Forstgesetz ist nur auf konkrete stationäre Emittenten anwendbar. Es bezieht sich auf lokale
Emittenten und schützt nur einen sehr kleinen Teil der österreichischen Waldfläche vor Immissionen, nämlich den, für den ein Zusammenhang zwischen (Ein)Wirkung und messbarem Schaden
(Zuwachsverlust eines Baumbestandes) nachgewiesen werden kann. Emissionen auf Autobahnen betreffen dieses Gesetz nicht.
Forstgesetz
Kombinationswirkungen im Zusammenhang mit dem Schutz der Vegetation werden nicht berücksichtigt (lediglich zum Schutz des Menschen).
Forstgesetz ISG Luft Ozongesetz
Anmerkung zu Maßnahmen zur Ozonreduzierung: Kurzfristig können keine wirksamen Maßnahmen zur Reduktion überhöhter Ozonkonzentrationen gesetzt werden. Einen wesentlichen Beitrag zum Ozonpegel liefern natürliche Quellen. Durch die Reduktion von NMHC-Emissionen können Maximalwerte allenfalls in geringem Umfang reduziert werden.
Klimaschutz wird in der österreichischen Gesetzgebung nicht explizit berücksichtigt
Das Forstgesetz, das Immissionsschutzgesetz Luft, das Emissionshöchstmengengesetz und das Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetz (UVP-Gesetz; BGBl. 697/1993) beziehen sich nicht explizit auf den „Klimaschutz“. Ein Klimaschutzgesetz fehlt in Österreich derzeit ebenso wie ein Energieeffizienzgesetz.
Gesetzliche und wirkungsbezogenen Grenzwerte für die wichtigsten Luftschadstoffe sind im Anhang enthalten.