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5. FLUKTUATIONSPROZESSE

5.3. Fluktuation

Die Untersuchung von Fluktuationsprozessen erfolgt vor allem mit der Intention, negative Folgen für die städtebauliche und soziale Funktionalität eines Gebiets zu erkennen und Möglichkeiten der Beein-flussung dieser Austauschprozesse auszuloten. Fluktuation ist ein wertneutraler Begriff für Verände-rungen der Bewohnerschaft und bezeichnet im hier benutzten Zusammenhang den Wechsel bzw. die

Austauschrate von Personen innerhalb bestimmter Zeiteinheiten (von lat. fluctuare, hin und her schwanken).

Das Wechselverhältnis von Zu- und Wegzügen lässt sich für das Sanierungsgebiet Bötzowstraße nicht exakt ermitteln. Kleinräumige Daten stehen seitens der amtlichen Statistik nicht zur Verfügung. Auf-grund der durchgeführten Untersuchungen sowie der Ausgangsdaten bei förmlicher Festlegung kann jedoch eine grobe Schätzung für die Zeiträume zwischen 1995 und 2002 sowie zwischen 2002 und 2010 vorgenommen werden. Neuzuzüge in diesen Zeiträumen, Veränderungen der Einwohner- und Haushaltszahlen sowie die im Rahmen der repräsentativen Erhebungen ermittelten jeweiligen Zuzugs-jahre ins Gebiet bieten die Basis, um Zu- und Wegzüge zu schätzen. Hier wird allerdings auf Haushalte und nicht auf Personen abgestellt.

Von den rund 2.95065Haushalten, die bei förmlicher Festlegung 1995 im Gebiet wohnten, waren bei der ersten Untersuchung im Jahr 2002 noch knapp 25% vorhanden, d.h. rund 700 Haushalte. Etwa 2.250 Haushalte sind in diesen 7 Jahren aus dem Gebiet weggezogen. Das macht im Schnitt pro Jahr einen Verlust von etwas über 300 Haushalten, also einen mittleren jährlichen Verlust von 11% aller Haushalte bezogen auf deren ursprüngliche Zahl. Die mittlere jährliche Wegzugsrate kann höher sein, da unbekannt ist, wie viele Haushalte innerhalb dieses 7-Jahreszeitraums sowohl neu zugezogen, aber auch wieder weggezogen sind. Von den 2.800 Haushalten, die im Jahr 2002 im Sanierungsgebiet wohnten, kamen ca. 2.100 Haushalte erst nach der förmlichen Festlegung neu hinzu. Das bedeutet im Schnitt der 7 Jahre einen Zuwachs von 300 Haushalten pro Jahr und damit ebenfalls eine jährliche Zuzugsrate von rund 11%, da sich die Zahl der Haushalte zwischenzeitlich nur unwesentlich verändert hat. Im Zeitraum von 1995 bis 2002 umfasste das jährliche Wanderungsvolumen damit etwas mehr als jeden fünften Haushalt.

In den Jahren zwischen 2002 und 2010 ist eine deutliche Abschwächung der Fluktuationsraten zu ver-zeichnen. Die mittleren jährlichen Wegzugsraten gingen in diesem Zeitraum auf 5% zurück, die Zu-zugsraten gingen ebenfalls zurück, lagen aber mit 8% über den WegZu-zugsraten und brachten dem Ge-biet damit Wanderungsgewinne. Damit war jährlich nur noch etwa jeder achte Haushalt von Umzugs-bewegungen betroffen. In Berlin und auch in Pankow erfasste das Wanderungsvolumen im Jahr 2009 etwa jeden sechsten Bewohner. Die aktuellen Fluktuationsraten (Wegzüge) betragen im Bezirk Pan-kow 9% und in Berlin 8%. 66Damit ist die Wanderungsdynamik mit der für das Sanierungsgebiet ge-schätzten Wegzugsrate von 5% und jedem achten von Umzügen betroffenen Haushalt, im Unter-schied zur ersten Hälfte des Sanierungszeitraums, mittlerweile schwächer ausgeprägt als im Bezirk und der Stadt.

Heute ist noch knapp jeder fünfte Haushalt ein Stammbewohner, der die Sanierungsprozesse im Ge-biet von Anfang an seit 1995 verfolgen konnte. Das sind geschätzt etwa 650 der ursprünglichen 2.950 Haushalte zum Zeitpunkt der förmlichen Festlegung. Aus dem Jahr 2002, also etwa dem mittleren Zeitpunkt nach förmlicher Festlegung, wohnen noch geschätzte 1.350 (bzw. 38%) der derzeitigen 3.500 Haushalte im Gebiet. Das sind immerhin fast noch die Hälfte der 2.800 Haushalte, die es im

65Eine genaue Zahl der Haushalte zum Zeitpunkt der förmlichen Festlegung ist nicht zu ermitteln. Bekannt sind Einwohnerzahlen, Wohnungszahlen und eine in den vorbereitenden Untersuchungen angegebene Leerstandsquote. Demnach waren von den 3.072 WE in 1995 rund 4% leer. Daher waren schät-zungsweise 2.950 Wohnungen bewohnt, was etwa der Haushaltszahl entsprechen müsste.

66Quelle: Amt für Statistik Berlin-Brandenburg, Statistischer Bericht, Wanderungen Berlin 2009. Die Vergleichsgesamtheiten sind jedoch nicht genau iden-tisch. Während das Amt für Statistik Personen als Grundgesamtheit der Wanderungsbewegungen nutzt, gehen die Schätzungen für das Sanierungsgebiet von der Mobilität der Haushalte aus.

Jahr 2002 im Gebiet gab. Zwei Drittel aller jetzt hier lebenden Haushalte sind nach 2002 ins Sanie-rungsgebiet zugezogen.

Die Dynamik der Bevölkerungsbewegungen ist allerdings nicht ausschließlich und unmittelbar auf Pro-zesse zurückzuführen, die mit der Sanierung zusammenhängen. Wie drückte es ein Experte aus: „Es gibt keine Käseglocken-Situation in Sanierungsgebieten.“

Fluktuation von Haushalten erfolgt aus verschiedenen Gründen. Auch nach Abschluss von Modernisie-rungsmaßnahmen wirken Faktoren, die Wohnungswechsel bedingen. Einflussfaktoren, die nicht mehr unmittelbar im Zusammenhang mit dem originären Sanierungsprozess stehen, sind beispielsweise:

 Familiäre Zyklen mit sich veränderndem Wohnraumbedarf oder die Realisierung von räumlicher Nähe zu Verwandten oder Bekannten.

 Dynamische Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt mit wachsenden Ansprüchen an zeitliche und räumliche Flexibilität der Haushalte.

 Stärkere Mietsteigerungen im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten bei insgesamt weniger stark gestiegenen Einkommen.

 Rahmenbedingungen im öffentlich geförderten Bestand, die sich vor allem für Bezieher unterer Einkommen verhältnismäßig ungünstig entwickelt haben.

 Veränderungen von persönlichen Wohnvorstellungen.

 Soziale Konflikte mit Nachbarn oder Vermietern.

 Veränderungen von Lebensstilen im Gebiet mit Konkurrenzen und sozialen Widersprüchen zwi-schen Stammbewohnern und neuen Bewohnergruppen.

Von Interesse im Zusammenhang mit Verbleib oder Wegzug von Bewohnern ist, in welchem Maße es sozial selektive Wanderungsbewegungen bestimmter Bevölkerungsgruppen gab.

Abbildung 14: Selektive Veränderung von Haushaltszahlen (abs. geschätzt) zwischen 2002 und 2010 bei bestimmten sozialen Gruppen im Gebiet Bötzowstraße

-1000 -500 0 500 1000 1500 2000

Einkommenunter 1000 Haushaltemittlerer Qualifikation Haushaltein unsichererLage armutsgehrdete Haushalte Erwerbshaushalte Einkommenab 2000

2002 2010 aus 2002 Diff erenz

Seit 2002 zeichnen sich zwei gegenläufige Tendenzen ab. Eine Hochrechnung aus den Untersuchun-gen 2002 und 2010 ergibt, dass die absolute Zahl von Geringverdiener-Haushalten mit Einkommen unter 1.000 € um mehr als 80% gesunken ist. Ähnlich stark gesunken ist die Zahl von Haushalten in unsicheren Erwerbslagen. Auf der anderen Seite ist die Zahl von Haushalten mit Erwerbspersonen, die bereits seit 2002 hier wohnen sogar höher. Deutlich gestiegen ist auch die Zahl von Haushalten aus 2002, deren Haushaltseinkommen mittlerweile über 2.000 €beträgt.

Die rückläufigen Zahlen von Haushalten in ungünstigeren sozialen Lagen finden sich auch nicht in der leicht gestiegenen Zahl von Haushalten in Erwerbssituation oder mit höherem Einkommen wieder, die bereits 2002 im Gebiet lebten. Haushalte in ungünstigeren sozialen Lagen, die 2002 im Gebiet lebten, sind also nicht mehr in der Zahl im Gebiet vorhanden wie vor acht Jahren. Im Zuwachs der Zahl von Erwerbshaushalten sind aber ehemalige studentische Haushalte enthalten, die ursprünglich in der Re-gel zu den Geringverdienern gehörten, nach Abschluss des Studiums im Gebiet geblieben sind und auch zum gewachsenen Kreis von Haushalten aus 2002 mit gestiegenen Einkommen gehören.