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FC Union Berlin verkauft die Mehrheitsanteile seines Stadions „An der Alten Försterei“

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Energie/Vertrieb/Handel

Der 1. FC Union Berlin verkauft die Mehrheitsanteile seines Stadions „An der Alten Försterei“

an die eigenen Fans

Der 1. FC Union Berlin trägt stolz das Prädikat des Kiezklubs. Unter den 54 Vereinen des deutschen Profifußballs wird maximal noch der FC St. Pauli Hamburg dieser Zuschreibung gerecht. Union Berlin ist im besten Sinne kommunal. Der Verein ist tief verwurzelt im Südosten Berlins – wie auch ein großer Teil seiner Fans, ohne die er längst pleite und sein Stadion eine Ruine wäre. Die an jähen Wendungen und dramatischen Situationen reiche Geschichte hat den Klub mit seinen Anhängern zusammengeschweißt. Nicht zuletzt ist Union ein wichtiger Ausbildungsverein für den Nachwuchs und ein Aushängeschild für den Bezirk Treptow-Köpenick. Aktuell sorgt die Idee für Furore, das Stadion an die Fans zu verkaufen, um damit den Neubau der Haupttribüne zu finanzieren. Im Schulterschluss mit seinen Anhängern stellt sich der Verein auch hier wieder gegen die vollständige Ökonomisierung des Fußballs. Das schmucke kleine Stadion am Rande der Wuhlheide heißt weiter nach der nahegelegenen Alten Försterei und nicht nach irgendeinem beliebigen Inhaber der Namensrechte. Das alles sind Gründe, warum es auch für eine kommunale Zeitschrift sinnvoll erscheint, über Union zu berichten – über die wechselvolle Geschichte des Vereins und die einzigartige Idee des Stadionverkaufs.

Die Mannschaften des FDGB-Pokalfinales 1968 im Hallenser Kurt-Wabbel-Stadion – hier errang Union gegen den FC Carl-Zeiss Jena den bisher einzigen Titel der Vereinshistorie. Foto: promo

2001 qualifiziert sich Union sensationell für das DFB-Pokalfinale. Nina Hagen schmetterte im Berliner Olympiastadion die Vereinshymne „Eisern Union“.

Foto: union-foto.de

INSPIRATIONEN/INFORMATIONEN

Heimstätte des DDR-Serienmeisters am Prenz-lauer Berg verirrten, war das Stadion der Fahrstuhl-mannschaft aus dem Köpenicker Stadtwäldchen regelmäßig ausverkauft.

Union zählte trotz mäßigen sportlichen Erfolgs zu den zuschauerkräftigsten Klubs in der DDR. Legendär waren die Derbys mit dem BFC, die – sofern Union mal wieder erstklassig spielte – zwei Mal im Jahr auf neutralem Platz im Stadion der Weltjugend ausgetragen wurden.

Insbesondere die Saison 76/77 blieb diesbezüg-lich in bester Erinnerung. Hier gelangen zwei der äußerst seltenen Siege gegen den übermächtigen Lokalrivalen. Die 80er Jahre waren geprägt von dramatischen Abstiegsentscheidungen und einem weiteren Pokalfinale, welches allerdings dieses Mal gegen Lok Leipzig verloren ging.

Union machte das Beste aus seinen Möglich-keiten, blieb aber stets ein Kiezverein an der Schwelle zwischen erster und zweiter Liga – klar die Nummer Zwei in Ost-Berlin, doch immer mit dem Gros der Fans im Rücken.

Die ersten Schritte im gesamtdeutschen Fußball

Die Umbruchzeit nach der Wende begann mit einem viel beachteten Freundschaftsspiel gegen Hertha BSC. Beide Berliner Mannschaften spielten damals um den Aufstieg. Während Hertha am Ende der Saison wieder ein

Erstliga-verein war, scheiterte Union knapp und musste auch die letzte Spielzeit des DDR-Fußballs in der Zweitklassigkeit bestreiten. Als dann die Ost-Klubs in das westliche Ligensystem integriert wurden, musste sich Union dementsprechend weit unten einordnen und begann seine Nach-wendegeschichte in der drittklassigen NOFV-Oberliga. In den Folgejahren wollte der Sprung in den Profifußball partout nicht gelingen. Mal verweigerte der DFB trotz sportlichem Aufstieg die Lizenz, mal scheiterte man nur knapp in der Relegation. Am Ende war die Verzweiflung so groß, dass der Klub Bankbürgschaften fälschte, um sich so die Profilizenz zu erschleichen.

Die 90er Jahre waren ein ständiger wirtschaft-licher Überlebenskampf. Die Vereinschefs dieser

Zeit agierten deutlich zu großspurig für die beschränkten Verhältnisse eines kleinen Berliner Vorstadt-Klubs. Talentierte Spieler und Trainer verließen Union, weil die Gehälter nicht pünkt-lich überwiesen wurden oder weil sie keine sport-lichen Perspektiven mehr sahen. Der vollständige Bankrott konnte nur deshalb abgewendet werden, weil die Fans mit kreativen Spendenaktionen den Verein am Leben hielten. Vielleicht war es auch die so erzielte Öffentlichkeitswirkung, die Nike und Kinowelt wenig später als neue Haupt-sponsoren einsteigen ließ.

Die finanzielle Konsolidierung war Voraus-setzung für den vorläufigen sportlichen Aufstieg zu Beginn des neuen Jahrtausends. 2001 qualifizierten sich die Köpenicker für ihr drittes Pokalfinale und das erste auf gesamtdeutscher Ebene. Es war erst das zweite Mal, dass sich ein Drittligist bis ins Endspiel vorarbeiten konnte. Als Nina Hagen vor 65.000 Zuschauern im Berliner Olympiastadion die neue Vereinshymne schmetterte und die Mannschaft nur knapp gegen den aktuellen Vier-Minuten-Meister Schalke 04 verlor, fand „Eisern Union“

nun auch bundesweite Beachtung. Noch wichtiger war aber, dass im gleichen Jahr der ersehnte Auf-stieg in die Zweite Bundesliga und damit in den bezahlten Fußball geschafft wurde. Als Pokalfinalist qualifizierte sich Union auch für den Europapokal und konnte sich so endlich für die politisch ver-hinderte Teilnahme 1968 entschädigen.

Der erneute Absturz und die Konsolidierung danach

2005 folgte auf diesen Höhenflug der erneute Fall – so tief, wie nie zuvor. Sportliches Miss-management ließ die Köpenicker erst aus der Zweiten und dann aus der Regionalliga absteigen. Zum ersten Mal in seiner Geschichte war der Verein nun viertklassig. Dort, in der NOFV-Oberliga, begegnete man mit dem BFC wieder einem alten, lange für überwunden geglaubten, Widersacher. Die beiden Derbys schrieben traurige Berliner Polizeigeschichte und auch die Finanzen bereiteten wieder Sport

DER VEREIN – 1.FC UNION BERLIN Vereinsmotto: Eisern Union

Spitzname: Die Eisernen Vereinsfarben: Rot-Weiss

Mitglieder: 9.512 – nach der SG Dynamo Dresden höchster Wert der ehemaligen DDR-Vereine Präsident: Dirk Zingler

Liga: 2. Bundesliga (Saison 2010/11 Platz 11) Vereinsgeschichte:

Gegründet 1906 als FC Olympia Oberschöneweide 1909 Umbenennung in Union Oberschöneweide

1920 Umzug an die heutige Spielstätte „An der Alten Försterei“, erstmalige Berliner Meister-schaft und Teilnahme an der Endrunde zur Deutschen MeisterMeister-schaft

1923 Endspiel um die Deutsche Meisterschaft – 0:3 Niederlage gegen den Hamburger SV 1949 trotz Qualifikation zur Endrunde der Deutschen Meisterschaft Verbot der Teilnahme durch die

sowjetischen Besatzungsbehörden – in der Folge verließ die komplette erste Mannschaft den Verein 1951 verordnete Umbenennung in BSG Motor Oberschöneweide mit den neuen Vereinsfarben Rot-Weiss 1966 erneute Neugründung als 1. FC Union Berlin und Aufstieg in die DDR-Oberliga

1968 FDGB-Pokalsieg – 2:1 Endspielerfolg gegen den FC Carl-Zeiss Jena

1986 FDGB-Pokalfinalist – 1:5 Endspielniederlage gegen den 1. FC Lokomotive Leipzig 1991 Eingliederung in das gesamtdeutsche Ligensystem – Start in der drittklassigen NOFV-Oberliga 1997 Fast-Konkurs – abgewendet durch verschiedene Initiativen der Fans und durch die neuen

Hauptsponsoren Nike und Kinowelt

2001 DFB-Pokalfinalist – 0:2 Endspielniederlage gegen den FC Schalke 04 – Qualifikation für den UEFA-Pokal – Aufstieg in die Zweite Bundesliga

2005 nach Absturz in die viertklassige NOFV-Oberliga erneuter Fast-Konkurs, der wiederum nur durch Spendenaktionen der Fans abgewendet wurde

2009 Aufstieg in die Zweite Bundesliga

So soll 2012 die Haupttribüne nach dem zweiten Umbauschritt aussehen. Grafik: Union

Sorgen. Erneut waren es die Fans, die den Verein retteten. Sie halfen durch ihre Spendenaktionen dabei, die Liquiditätsauflagen des DFB zu erfüllen und garantierten so für die Regionalligalizenz. Die kleine Arena „An der Alten Försterei“ war mittler-weile in die Jahre gekommen und derart marode, dass sie kaum mehr die Auflagen für den Profi-spielbetrieb erfüllte. Der Berliner Senat empfahl den Umzug in den Jahnsportpark, doch den Weg aus dem beschaulichen Köpenick in den hippen Prenzlauer Berg mochten die Fans nicht gehen.

Zumal dort im Friedrich-Ludwig-Jahn Sportpark einst der bestgehasste Rivale aus DDR-Oberliga-zeiten spielte. Da die nötigen finanziellen Mittel für den Umbau nicht vorhanden waren, packten die Fans selbst mit an. Nachdem sie den Ver-ein schon zwei Mal vor dem Konkurs retteten, sanierten sie nun auch dessen Heimstätte „An der Alten Försterei“. Der Preis war eine Saison im Exil – ein Umstand, der allerdings umso erträglicher wurde, je näher sich die Mannschaft der Regional-ligaspitze näherte. Am Ende stand der Aufstieg und das erneuerte Stadion konnte standesgemäß in der Zweiten Liga eingeweiht werden. Die Höhepunkte der letzten zwei Spielzeiten waren sicherlich die ersten beiden Pflichtspielderbys gegen Hertha BSC. Holte man im heimischen Köpenick immerhin ein Unentschieden, konnten die Unioner aus dem fernen Charlottenburger Olympiastadion sogar alle drei Punkte entführen.

Verkauf des Stadions an die eigenen Fans

Die wechselvolle Vereinschronik verdeutlicht die tiefe Verwurzelung im Ortsteil Köpenick und die enge Verbindung mit den Fans. „Und das Stadion „An der Alten Försterei“ ist die Seele Unions“, sagt der Präsident Dirk Zingler.

Hier wird die Geschichte des Vereins gelebt.

Es gibt noch immer überwiegend Steh-plätze, die Anzeige-tafel funktioniert mit Steckschildern und der Schnickschnack der Kommerzialisierung wird nahezu voll-ständig unterlassen.

Aus dem Stadion am Waldrand ist ein kleines Schmuckkäst-chen der Fußball-Nostalgie geworden.

Zwischen 2008 und 2009 hatten die Fans hier mehr als 140.000 A r b e i t s s t u n d e n investiert. Nur so konnte den Auflagen

des DFB entsprochen und der Umzug an einen anderen Standort verhindert werden. Der zweite Bauabschnitt mit der Erweiterung der Haupt-tribüne kann allerdings erst beginnen, wenn die Finanzierung vollständig gesichert ist. Um diesen Aufwand zu stemmen, soll eine Kapitalerhöhung von fünf Millionen Euro vorgenommen werden.

Dieser Zusammenhang stand hinter der Idee, das Stadion an die Fans zu verkaufen und somit die nötigen finanziellen Mittel zu akquirieren.

Zwischen dem 1. und dem 31. Dezember werden 58 Prozent der Eigentumsanteile an Vereinsmitglieder und Sponsoren übertragen.

Die Stadiongesellschaft ist dazu in eine Aktiengesellschaft umgewandelt worden. In deren Satzung heißt es, dass alle wesentlichen Entscheidungen von der Mehrheit der Aktionärs-versammlung getroffen werden müssen. Bei einer Änderung des Stadionnamens müssten sogar zwei Drittel der Stimmen gewonnen werden. Das Schicksal des Stadions wird damit in die Hände der Fans gelegt. Jede Aktie kostet 500 Euro. Um eine Ballung von Einfluss zu ver-hindern, liegt die Obergrenze bei zehn Aktien pro Anteilsnehmer. Mit 10.000 ausgebebenen Stück würde die notwendige Kapitalerhöhung von fünf Millionen Euro erreicht und der weitere Ausbau könnte beginnen.

Ein Arbeiterverein macht sich fit für die Zukunft

Union Berlin geht mit Initiative, Kreativität und Mut einen Mittelweg zwischen der In-Regressnahme der Stadt, dem vollständigen Aus-verkauf an die Wirtschaft oder der hemmungslosen Verschuldung. Dies sei nicht nur im Interesse der Union-Fans, sondern auch ein gar nicht so schlechtes Geschäft, schildert Union-Präsident Zingler. Die Immobilie, das Stadion und die Sport

DAS STADION

Standort: An der Wuhlheide nahe dem Flüsschen Wuhle im Berliner Ortsteil Köpenick Zugang: über die S-Bahnhöfe Wuhlheide, Köpenick oder Spindlersfeld oder mit den Tram-Linien 27, 63 und 67

Einweihung: 1920

Fassungsvermögen: 18.432 – 15.414 Steh- und 3.018 Sitzplätze Charakter: reines Fußballstadion

Zuschauerrekord: 23.000 – am 21. 6. 1986 im Intertoto-Pokal gegen Bayer 05 Uerdingen 2008 bis 2009: Umbau des Stadion mit Überdachung der Tribünen und Einrichtung einer Rasenheizung – die Fans leisteten um die 140.000 unentgeltliche Arbeitsstunden ab 2012: weiterer Ausbau mit Erneuerung der Haupttribüne

Das voll besetzte Stadion „An der Alten Försterei“ Foto: www.unveu.de

damit verbundenen Rechte seien schließlich deut-lich mehr wert, als die besagten fünf Millionen Euro. Die einzigartige Verbindung zwischen Fans, Stadion und Verein setzt so neue Impulse frei, die vielleicht irgendwann einen weiteren Auf-stieg ermöglichen. Denn in der größten deutschen Stadt und umso mehr im gesamten Osten des Landes gibt es noch viel Raum für einen zweiten Erstligisten neben Hertha BSC.

Einstweilen nehmen die Union-Fans die Dinge selbst in die Hand und verteidigen so ein seltenes Stück Ursprünglichkeit im deutschen Profifuß-ball. Der neue Bezirksbürgermeister von Treptow-Köpenick, Oliver Igel, beschreibt es wie folgt:

„Union entwickelt sich stetig weiter, behält dabei aber immer seine Identität als bodenständiger Arbeiterverein. Das Stadion ist dafür die ideale Metapher. Modern und konkurrenzfähig soll es werden, aber ursprünglich bleiben. Für diesen Zweck kann es keine bessere Idee geben, als es den Fans zu verkaufen.“ Schließlich wäre Union ohne seine Fans schon längst von der Fußball-Landkarte verschwunden, so der Bürgermeister, der selbst-verständlich ebenfalls langjähriges Mitglied der

„Eisernen“ ist. Für Treptow-Köpenick ist Union ein unbezahlbares Aushängeschild. Denn trotz der Geschichte vom Hauptmann von Köpenick, dem Schloss und den pittoresken Naherholungs-gebieten zwischen Müggelsee, Dahme und Spree bleibt es noch immer ein Vorstadtbezirk – von dem dank Union Fußballfans aus dem ganzen Bundes-gebiet erfahren und den sie gerne besuchen. n 1. FC Union Berlin

An der Wuhl hei de 263 12555 Ber lin

Te l.: 030 / 65 66 88-0 Fax: 030 / 65 66 88-66

Internet: www.fc-union-berlin.de e-mail: info@fc-union-berlin.de

INSPIRATIONEN/INFORMATIONEN

Blick über den Gartenzaun

VERWALTUNGSSTRUKTUR IN SCHWEDEN

Kommunal statt föderal

B

lick über den Gartenzaun soll heißen, dass wir über bundesrepublikanische Rechtsordnungen hinausschauen und Impulse für die Fortentwicklung des deutschen Gemeinwesens auch jenseits unserer Grenzen suchen wollen. Der Blick nach Norden über die Ostsee hinweg erscheint dabei besonders lohnenswert. Schließlich liegen dort die erfolgreichsten Volkswirtschaften Europas mit ausgeprägten sozialen Standards, einem geringen Wohlstandsgefälle und einem hohen Bildungsniveau. Lesen Sie im Folgenden einen kurzen Überblick über die Verwaltungsstruktur in Schweden mit dem Fokus auf die kommunale Verantwortung.

Von Falk Schäfer

Im Hinblick auf die demografische Entwicklung steht Schweden recht gut da. Bis zum Jahr 2030 ist noch von einem Geburtenüberschuss auszu-gehen. Die Zahl der Zugewanderten übertrifft deutlich, die derer, die das Land verlassen. Die Geburtenrate liegt zwar auch in Schweden deut-lich unter dem Reproduktionsniveau, innerhalb der EU nimmt das Land jedoch einen Spitzen-platz ein. All diese Zahlen sorgen dafür, dass Schweden in den kommenden Jahrzehnten weiter wachsen wird. Etwa im Jahr 2020 wird die schwedische Bevölkerung die Marge von zehn Millionen durchstoßen haben. Danach wird die Bevölkerungskurve deutlich abflachen, sodass nicht damit zu rechnen ist, dass auch die elf Millionen-Grenze erreicht werden wird.

Wir haben uns daran gewöhnt, dass unsere nördlichen Nachbarn als Musterknaben Europas dastehen – nicht nur in Bezug auf die Demografie, sondern auch bei den Wirtschaftsdaten, bei der Arbeitslosigkeit und beim Bildungsniveau. Generell ist zu konstatieren, dass das skandinavische Modell mit hohen Steuern, starker kommunaler Ver-antwortung und ohne wild wachsenden Kapitalis-mus das erfolgreichste Europas, wenn nicht gar der Welt ist. Die guten Durchschnittszahlen sollen aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch Schweden nicht frei von Problemen ist. Die Spitzenstellung ist nicht naturgegeben, sondern die Folge einer bedachten Politik.

Schweden war in den 90er Jahren eher ein Sorgenkind Europas. Schon unter Olof Palme vollzog sich das Wirtschaftswachstum deutlich langsamer, als im EU-Durchschnitt. Nachdem der Staat mit einer Liberalisierung des Kredit-marktes reagierte, schlug das Pendel in die andere Richtung aus. Das Land erlebte Anfang der 90er Jahre eine Wirtschafts- und Finanz-blase und danach die schwerste wirtschaftliche Krise seiner Geschichte. Zwischen 1990 und 1993 sank das Bruttoinlandsprodukt um fünf, und die Beschäftigungsquote um fast zehn Pro-zent. Das Haushaltsdefizit betrug 15 Prozent des Bruttoinlandproduktes, was der Auslöser für eine einschneidende Reform des Verwaltungs-apparates war. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass diese Reform kommunale Verantwortung

stärkte und die nationalstaatliche Ebene deut-lich verschlankte. Die lokale Selbstverwaltung in Schweden hat ihre Wurzeln im Mittelalter und wurde in der Gemeindeordnung von 1862 erst-mals in ein Gesetz gefasst. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurden diese Strukturen sukzessive modernisiert. Die ursprünglich 2.500 Gemeinden wurden zu 278 kommunalen Ein-heiten zusammengefasst. Der Begriff Gemeinde kann aus der deutschen Perspektive etwas

missver-ständlich sein. Denn die Hauptstadt Stockholm ist genauso eine Gemeinde, wie die Erzbergbau-region um Kiruna – auch wenn letztere genau-so groß ist, wie das Bundesland Sachsen. Im Durchschnitt sind schwedische Gemeinden deut-lich größer, als ihre deutschen Entsprechungen.

Bei einer neunmal höheren Einwohnerzahl hat Deutschland etwa 40mal mehr Gemeinden.

Zusätzlich ist es in Schweden deutlich ein-facher, in Kommunalverbänden mit den Nach-barn zusammenzuarbeiten, um die Erfüllung bestimmter Aufgaben zu optimieren.

Das Kommunalgesetz von 1992 regelt eindeutig die kommunale Selbstverwaltung in Schweden.

Der schwedische Reichstag hat den Kommunen obligatorische Verwaltungsaufgaben auferlegt, die sich mit den Anforderungen der Daseinsvorsorge in Deutschland vergleichen lassen und – etwa im Schulwesen – auch darüber hinaus gehen.

Wichtigste Einnahmequelle der Gemeinden ist die von ihnen selbst erhobene Einkommenssteuer, mit der mehr als die Hälfte der kommunalen Haus-halte gedeckt werden. Eine weitere schwedische Besonderheit ist, dass die Wahlen zu Kommunal, Provinzial- und Nationalparlamenten alle vier Jahre an einem bestimmten Stichtag erfolgen. Die

gewählten Akteure haben daher vier Jahre Zeit, in Ruhe ihre Programme zu implementieren.

Wie die Gemeinden ihre Arbeit organisieren, bleibt ihnen selbst überlassen. Die Ebene der 21 schwedischen Provinzen hat dagegen deutlich weniger Kompetenzen, als etwa die deutschen Bundesländer. Auch auf der nationalstaatlichen Ebene sind nach den wirtschaftlichen Krisenjahren einschneidende Reformen erfolgt. Ähnlich wie in Deutschland wurden staatliche Dienstleistungen in unabhängige Konzerngesellschaften umgewandelt.

Dies betraf das Post-, das Bahnwesen, die Tele-kommunikation und die Energieversorgung. Mit der Deregulierung staatlicher Monopole konnte die Zahl der Beamten deutlich reduziert werden.

Die Verantwortung für die Grund- und Ober-schulbildung wurde auf die kommunale Ebene ver-lagert. Das Militär wurde deutlich verschlankt und mit der Trennung der Kirche von der schwedischen Krone wurden 3.500 Priester aus dem Staatsdienst entlassen. Die schwedische Verwaltungsstruktur unterscheidet sich auf nationalstaatlicher Ebene erheblich von den europäischen Nachbarn.

Die Ministerien selbst sind mit insgesamt 4.800 Beschäftigten sehr schlank an Personal. Anordnungen und Instruktionen werden an regierungsnahe Agenturen weitergeleitet. Dort werden politische Vorgaben exekutiert und implementiert. Die 370 Agenturen handeln eigenverantwortlich. Das Modell der öffentlichen Verwaltung in Schweden erlaubt ihnen einen hohen Grad an Autonomie bei der Wahrnehmung ihrer exekutiven Voll-machten. Das Konzept des ministeriellen Durch-regierens ist in Schweden verboten. Andererseits sind die Regierungsagenturen gesetzlich dazu ver-pflichtet, politische Entscheidungen effizient und hochqualitativ umzusetzen, um der Öffentlichkeit erstklassige Leistungen anbieten zu können. Wenn Deutschland ein Föderalstaat ist, dann lässt sich das schwedische Modell am ehesten als dezentral ausgerichteter Kommunalstaat beschreiben – ein Modell, mit dem in den vergangenen Jahrzehnten erhebliche Erfolge erzielt worden sind.

www.sweden.gov.se

Wir haben uns daran gewöhnt, dass unsere nördlichen Nachbarn als Musterknaben

Europas dastehen.

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Falk Schäfer

In Umsetzung des dritten Binnenmarktrichtlinien-pakets Energie (Richtlinie 2009/72/EG betreffend den Elektrizitätsbinnenmarkt sowie Richtlinie 2009/73/EG betreffend den Erdgasbinnenmarkt) wurde das Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) erneut in einem beträchtlichen Umfang geändert. Das novellierte EnWG, das am 05.08.2011 in Kraft trat, sieht unter anderem Änderungen und Ergänzungen im Bereich der Entflechtung und Zertifizierung der Transportnetzbetreiber, der Kooperationspflichten der Transportnetzbetreiber, der Verbraucherrechte, der Neuausrichtung des Zähl- und Messwesens sowie der geschlossenen Verteilernetze vor.

Einen weiteren Kernpunkt des EnWG stellen die Änderungen im Konzessionsvertragsrecht durch Modifizierung des §  46 EnWG dar. Die Änderungen betreffen insbesondere das „Schicksal“

des Netzes im Rahmen eines Netzbetreiberwechsels, die zu erteilenden Auskünfte bei Auslaufen des Konzessionsvertrages sowie die Vorgaben an die Gemeinde im Zusammenhang mit ihrer Ent-scheidung über die Konzessionsvergabe.

Konzessionsverträge im Sinne des § 46 Abs. 2 Satz 1 EnWG stellen eine Vereinbarung zwischen Kommunen und Energieversorgungsunternehmen (Konzessionär) zur Nutzung der öffentlichen Ver-kehrswege für die Verlegung und den Betrieb von Leitungen, die zu einem örtlichen Energieversorgungs-netz gehören, gegen Zahlung einer Konzessionsab-gabe dar. Sofern sich die Gemeinde nach Ablauf eines Konzessionsvertrages für einen neuen Konzessionär entscheidet, kommt es in der Regel zu einem Netz-betreiberwechsel. Der novellierte §  46 Abs.  2 Satz  2 EnWG stellt nunmehr klar, dass der neue Konzessionär gegenüber dem bisherigen Konzessionär einen Anspruch auf die Übereignung des Energiever-sorgungsnetzes hat. Aus der bisherigen Formulierung in § 46 Abs. 2 Satz 2 EnWG a.F., wonach die Anlagen im Rahmen eines Netzbetreiberwechsels zu „über-lassen“ waren, ergab sich nicht eindeutig, ob eine Verpflichtung zur Eigentumsübertragung bestand oder lediglich eine Verpflichtung zur Gebrauchs-überlassung (Verpachtung) ausreichte. Mit der neuen Formulierung wird für mehr Rechtssicherheit gesorgt.

Der Gesetzgeber möchte mit der Regelung ferner

gewährleisten, dass die benötigten Wegerechte für das Energieversorgungsnetz und das Eigentum hieran in einer Hand zusammengeführt werden können.

Der neue Konzessionär hat jedoch gemäß § 46 Abs.  2 Satz  3 EnWG weiterhin die Möglichkeit, mit dem bisherigen Konzessionär eine Besitzüber-lassung an dem Energieversorgungsnetz beispiels-weise durch einen Pachtvertrag zu vereinbaren.

Unklar ist allerdings, ob der neue Konzessionär dieses Recht auch dann verlangen kann, wenn der bisherige Konzessionär das Netz verkaufen möchte. Daneben ist nicht eindeutig, wie sich ggf. abweichende Ver-einbarungen in alten Konzessionsverträgen zu der Regelung in § 46 Abs. 2 Satz 3 EnWG verhalten.

Keine gesetzliche Klarstellung ist im Hinblick auf die sehr umstrittene Frage erfolgt, wie die wirtschaft-lich angemessene Vergütung für das zu überlassene Energieversorgungsnetz zu ermitteln ist. In der Gesetzesbegründung findet sich lediglich der (wenig aufschlussreiche) Verweis auf die höchstrichterliche Rechtsprechung, wonach das sogenannte Ertrags-wertverfahren unter bestimmten Voraussetzungen, auch im System der Anreizregulierung, eine geeignete Methode zur Wertbestimmung des Netzes darstelle;

allerdings seien auch andere Verfahren denkbar. Die ferner strittige Frage, wie der Umfang der Über-lassungspflicht im Hinblick auf die notwendigen Verteilungsanlagen ausgestaltet werden soll, wurde ebenfalls nicht näher gesetzlich geregelt. Umstritten ist die Überlassungspflicht insbesondere bei so genannten gemischt genutzten Anlagen, die nicht ausschließlich der Versorgung des Gemeindegebietes, sondern auch teilweise der Versorgung anderer Gebiete dienen.

Informationspflichten bei

auslaufenden Konzessionsverträgen In § 46 Abs. 2 Satz 4 EnWG wurde des Weiteren ein Informationsanspruch der Gemeinde anlässlich des Auslaufens des Konzessionsvertrages verankert.

Danach ist der aktuelle Konzessionär verpflichtet, der Gemeinde spätestens ein Jahr vor Bekanntmachung des Auslaufens des Konzessionsvertrages diejenigen Informationen über die technische und wirtschaft-liche Situation des Netzes zur Verfügung zu stellen,

die für eine Bewertung des Netzes im Rahmen einer Bewerbung um den Abschluss eines Konzessions-vertrages erforderlich sind. Die Bundesnetzagentur kann im Einvernehmen mit dem Bundeskartell-amt den Umfang der zur Verfügung zu stellenden Daten sowie das Datenformat näher festlegen. Ob und in welchem Umfang ein Auskunftsanspruch der Gemeinde nach dem alten Recht bestand, war in der Vergangenheit ebenfalls umstritten. Nach Ansicht des Gesetzgebers konnte jedoch bereits nach altem Recht aus dem Konzessionsvertrag als ungeschriebene Nebenpflicht ein entsprechender Informationsanspruch abgeleitet werden, so dass die neue Regelung lediglich der Klarstellung dient.

Die zur Verfügung gestellten Daten muss die Gemeinde in geeigneter Form veröffentlichen und im Rahmen der Bekanntmachung nach § 46 Abs. 3 EnWG einen ausdrücklichen Hinweis auf die Veröffentlichung geben. Die Veröffentlichung der Netzdaten kann auf der offiziellen Homepage der Gemeinde erfolgen, um sie hierdurch allen potentiellen Bewerbern in geeigneter Form zur Ver-fügung zu stellen. Auf der Grundlage der Daten sollen die interessierten Unternehmen entscheiden können, ob sie sich um die Konzession bewerben.

Schließlich ist die Gemeinde nach dem novellierten § 46 Abs. 3 Satz 5 im Rahmen ihrer Entscheidung über die Vergabe der Konzession an die Ziele des § 1 EnWG gebunden, wonach eine preisgünstige, verbraucherfreundliche, effiziente und umweltverträgliche Versorgung sicherzu-stellen ist. Wie diese Bindung im Auswahlverfahren umzusetzen ist, wird nicht näher konkretisiert. Die sachgerechten Kriterien müssen sich nach Ansicht des Gesetzgebers vor dem Hintergrund der Ent-flechtungsvorschriften auf Aspekte des Netzbetriebs beschränken. Die Gemeinden dürften jedoch nicht gehindert sein, neben den in § 1 EnWG genannten Zielen weitere Auswahlkriterien aufzustellen. n FPS Rechtsanwälte & Notare

Kurfürstendamm 220, 10719 Berlin Tel: 030/885927710

jungnickel@fps-law.de www.fps-law.de Kommunalrecht

NOVELLIERUNG DES ENERGIEWIRTSCHAFTSGESETZES 2011

Änderungen im

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