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2.1 Die Bornasche Erkrankung

2.1.1 Experimentelle Infektion von Ratten

Der Krankheitsverlauf experimentell infizierter Ratten ist abhängig von der verwendeten Viruspassage und dem Rattenstamm. Aufgrund ihrer Empfänglichkeit stellen Lewis Ratten das klassische Tiermodell zum Studium der Pathogenese und der Immunpathogenese der BDV-Infektion dar (NITZSCHKE, 1963; NARAYAN et al., 1983a,b; HERZOG et al., 1984).

Adult infizierte Lewis Ratten entwickeln typischerweise eine persistierende Infektion mit biphasischer Enzephalitis, klinischen und neurologischen Symptomen, während bei Infektion von neonatalen Ratten eine persistierende Infektion ohne auffallende klinische und neurologische Symptome beobachtet wird. Die klinischen Symptome sind auf immunpathogenetische Prozesse zurückzuführen (RICHT et al., 1989; STITZ et al., 1993).

2.1.1.1 Klinik und Epidemiologie

Bei adult BDV-infizierten Lewis Ratten wird nach intrazerebraler Infektion eine persistierende Infektion mit einer nichteitrigen Meningoenzephalitis und einem typischen biphasischen Verlauf der klinischen Erkrankung beobachtet. Sie überleben gewöhnlich die durch Hyperaktivität, Aggressivität, Desorientierung und fehlende Koordination gekennzeichnete, akute Phase und zeigen in der zweiten, späteren Phase ab etwa 60 Tage nach der Infektion (post infectionem, p.i.) Apathie bis hin zur Somnolenz (NARAYAN et al., 1983 a, b; KOMPTER et al., 1987; DESCHL et al., 1990; HERDEN et al., 2000). Bis 100 Tage p.i. kann in einer steigenden Anzahl von Ratten eine Erblindung festgestellt werden (NARAYAN et al., 1983a). Je nach verwendeter Viruspräparation können im Anschluss an die akute Phase auch Paralysen der Hintergliedmaßen (BIESENBACH, et al., 1990;

BIESENBACH, 1994) oder eine Obesitas (NARAYAN et al., 1983a; KAO, 1985, KOMPTER, 1987; BREDTHAUER et al., 1990; GOSZTONYI und LUDWIG, 1995; ROTT und BECHT, 1995; HERDEN et al., 2000) beobachtet werden. Eine Obesitas kann auch ohne vorangehende neurologische Symptome auftreten (HERDEN et al., 2000).

Im Gegensatz dazu verläuft die experimentelle BDV-Infektion von neonatal infizierten Lewis Ratten als tolerierte, persistierende Infektion ohne auffällige entzündliche Veränderungen im zentralen Nervensystem (ZNS) und ohne deutliche klinische und neurologische Symptome (HIRANO et al., 1983; NARAYAN et al., 1983a). Es wurden jedoch Störungen der

emotionalen und kognitiven Funktion sowie der physiologischen und neurologischen Entwicklung festgestellt (MORALES et al., 1988; RUBIN et al., 1999; PLETNIKOV et al., 1999; PLETNIKOV et al., 2001; PLETNIKOV et al., 2002).

Die Morbidität beträgt in Abhängigkeit vom verwendeten Rattenstamm und der eingesetzten Viruspräparation bis zu 100%.

2.1.1.2 Pathogenese

Als natürliche Transmissionsroute wird eine nasale Aufnahme, zentripetale Ausbreitung über intraaxonalen Transport und eine Ausbreitung innerhalb des Gehirns ausgehend von N.

olfactorius postuliert (MORALES et al., 1988; GOSZTONYI und LUDWIG, 1995; SAUDER und STAEHELI 2003). Ausgehend von der intrazerebralen disseminierten Ausbreitung folgt schließlich eine weitere Expansion in die peripheren Nerven und die Retina (KREY et al., 1979a,b; NARAYAN et al., 1983b). Die horizontale Übertragung konnte für Ratten nach-gewiesen werden und findet vermutlich über Urin, Tränenflüssigkeit und Speichel statt (NITZSCHKE, 1963; MORALES et al., 1988; RICHT et al., 1993; SAUDER und STAEHELI, 2003). Im Gehirn finden sich in derartig horizontal infizierten Ratten im frühen Infektionsstadium virusantigenhaltige Zellen vor allem im Bulbus olfactorius. In adult infizierten, immunkompetenten Ratten zeigt das BDV einen strengen Neurotropismus und in Abhängigkeit der verwendeten BDV-Präparation eine starke Präferenz für Neurone des Ammonshorns und des limbischen Systems (GOSZTONYI et al., 1993; GOSZTONYI und LUDWIG, 1984). Vorwiegend betroffene Gehirnareale sind das Ammonshorn, der Hypothalamus, Thalamus und Cortex cerebri, sowie zu späteren Zeitpunkten der Infektion auch Cerebellum und Medulla oblongata. Das BDV war in Neuronen, Astrozyten, Oligodendrozyten, Schwann Zellen und Ependymzellen nachweisbar (NARAYAN et al., 1983b; CARBONE et al., 1989; DESCHL et al., 1990; CARBONE et al., 1991; CARBONE et al., 1993).

Die klinischen Symptome bei adult infizierten Lewis Ratten beginnen zeitgleich mit dem Auftreten der Entzündungsreaktion im Gehirn je nach verwandter Viruspräparation etwa um den 20. Tag p.i. Die Enzephalitis erreicht ihr Maximum zwischen 30 und 40 Tagen p.i., typischerweise tritt eine massive perivaskuläre, parenchymatöse und meningeale Infiltration von Makrophagen und CD4+ und CD8+ T-Zellen auf, an der in späteren Stadien der Infektion

auch Plasmazellen beteiligt sind (NARAYAN et al., 1983a,b; DESCHL et al., 1990; STITZ et al., 1991; HERDEN et al., 2000). Interessanterweise konnte bei adulten Lewis Ratten in der späten Phase der BD (nach ca. 42 Tage p.i.) ein Rückgang der entzündlichen Infiltration ohne Rückgang der nachweisbaren Antigenmenge beobachtet werden, auch infektiöses Virus und eine Astrogliose waren weiterhin zu finden (NARAYAN et al., 1983a,b; HIRANO et al., 1983; DESCHL et al., 1990; GOSZTONYI und LUDWIG, 1995; HERDEN et al., 2000). Im Verlauf der BDV-Infektion können je nach verwendeter Viruspräparation bei der adult infizierten Lewis Ratte mit Aufregulierung der entzündlichen Infiltrate auch neuronale Nekrosen auftreten, die vorwiegend in frontalem und parietalem Cortex, der CA3-Region oder im Gyrus dentatus des Ammonshorn zu finden sind (DESCHL et al., 1990; HERDEN et al., 2000).

Im Gegensatz dazu verläuft die experimentelle BDV-Infektion von neonatal infizierten immuninkompetenten Lewis Ratten als tolerierte, persistierende Infektion ohne auffällige entzündliche Veränderungen im ZNS. Es wurden jedoch Degenerationen der Neurone des Gyrus dentatus und des Cerebellum (NARAYAN et al., 1983a,b; MORALES et al., 1988;

CARBONE et al., 1991; HORNIG et al., 1999; RUBIN et al., 1999) und eine Ausbreitung des BDV in die Peripherie mit Nachweis von infektiösem Virus auch in parenchymalen Zellen beobachtet (HERZOG et al., 1984; MORALES et al. 1988). Weiterhin konnte in diesen persistierend infizierten Tieren das Virus in zahlreichen Sekreten gefunden werden. Diese Beobachtung stützt die Hypothese, dass persistierend infizierte Ratten ein natürliches Virusreservoir darstellen könnten.

2.1.1.3 Immunpathogenese

Die klinische Erkrankung korreliert mit dem Auftreten der entzündlichen Infiltrate und wird auf virusinduzierte, immunpathologische Mechanismen zurückgeführt, wobei der Hyper-sensibilitätsreaktion vom verzögerten Typ eine zentrale Rolle zugesprochen wird (RICHT et al., 1989, 1994; PLANZ et al., 1993; RICHT und ROTT, 2001; STITZ et al., 2002). Dies konnte anhand von zahlreichen experimentellen Studien an Lewis Ratten gezeigt werden, da nur immunkompetente Tiere nach BDV-Infektion eine klinisch manifeste Erkrankung entwickeln. Neugeborene, athymische Tiere, Cyclosporin-A-, Cyclophosphamid- und Dexamethason-immunsupprimierte Ratten zeigten nach BDV-Infektion keine klinischen

Symptome, trotz nachweisbarer Virusausbreitung im Gehirn (MORALES et al., 1988; STITZ et al., 1991; MORIMOTO et al., 1996; RICHT und ROTT, 2001). Den Beweis der zentralen Bedeutung der T-Zellen für die Immunpathogenese der BD brachten Transferstudien. Die Übertragung von Milzzellen immunkompetenter, BDV-infizierter Spendertiere auf immuninkompetente BDV-infizierte Tiere rief ZNS-Läsionen und klinische Symptome hervor, während die Übertragung von Seren BDV-infizierter Spendertiere auf immuninkompetente BDV-infizierte Tiere keine Wirkung zeigte (NARAYAN et al., 1983a,b;

HERZOG et al., 1985; STITZ et al., 1989; SOBBE et al., 1997).

Durch weitere Studien wurden die am Entzündungsgeschehen beteiligten Zellen näher charakterisiert. Bei adulten und immunkompetenten Ratten waren CD4+ und CD8+ T-Zellen, Makrophagen, B-Zellen und Plasmazellen an der entzündlichen Reaktion beteiligt (NARAYAN et al., 1983b; DESCHL et al., 1990). Antigenspezifität für das virale Nukleoprotein konnte sowohl für CD4+ T-Zellen (RICHT et al., 1994; SCHMEEL et al., 1995), als auch für CD 8+ T-Zellen (PLANZ et al., 1993, 1995; STITZ et al., 1995, 2002) gezeigt werden. In zwei weiteren Studien wurde die Rolle der CD8+ T-Zellen für die Entstehung der klinischen Erkrankung dargestellt. Die Infiltration von CD8+ T-Zellen ins Gehirn zeigte einen direkten Zusammenhang mit der Schwere des Krankheitsverlaufes (FURRER et al., 2001). Auch der Einsatz monoklonaler Antikörper gegen CD8+ T-Zellen konnte den Einfluss dieser Zellen auf den Verlauf der Erkrankung bekräftigen. Wurden diese Antikörper kurz vor oder nach der BDV-Infektion immunkompetenter Ratten verabreicht, trat die Erkrankung verzögert ein oder es entwickelten sich deutlich verringerte Symptome und eine weniger stark ausgeprägte Enzephalitis (STITZ et al., 1992). Die Studie von NÖSKE et al. (1998) konnte ebenfalls die protektive Wirkung von BDV-spezifischen CD4+ T-Zellen zeigen, wenn sie vor einer BDV-Infektion appliziert werden. In dieser Studie fanden sich weiterhin Hinweise darauf, dass CD8+ T-Zellen über Perforin durch die CD4+ T-Zellen aktiviert zu der Viruseliminierung führen. Ein adoptiver Transfer von BDV-spezifischen T-Zellen vor einer BDV-Infektion konnte adult infizierte Ratten vor der Entwicklung klinischer Symptome und der chronischen Infektion schützen, es kam lediglich zu einer transienten Replikation. Ein Transfer der gleichen T-Zellen kurz nach der BDV-Infektion führte bei adult infizierten Tieren dagegen zu einem vorzeitigen Einsetzen der klinischen Symptome (RICHT et al., 1994; SCHMEEL et al., 1995).

Zu der Rolle neutralisierender Antikörper liegen verschiedenen Beobachtungen vor. Unter-suchungen von STITZ et al. (1998) deuten darauf hin, dass neutralisierende Antikörper möglicherweise eine generalisierte Infektion verhindern, da nach Transfer von Serum chronisch infizierter Ratten in immunsupprimierte, BDV-infizierte Ratten das Virus nur im ZNS nachweisbar war. Ohne Serumapplikation konnte das Virus auch in extraneuralen Geweben, wie Haut, Leber- und Nierenparenchym, sowie Herz- und glatten Muskelzellen des Dünndarms gefunden werden. In anderen Studien wurden neutralisierende Antikörper nicht regelmäßig und erst zu späten Zeitpunkten nach der Infektion beobachtet (RICHT und ROTT, 2001). Eine weitere Untersuchung konnte die Beteiligung von Komplementfakoren an der Immunpathogenese zeigen. Die mRNA des C1q, einer Untereinheit des Komplementsystems der Ratte, zeigte einen parallel zum Entzündungsgeschehen verlaufenden Anstieg (DIETZSCHOLD et al., 1995).

Zytokine spielen in der Pathogenese der BD unumstritten eine zentrale Rolle. Hinweise auf eine Aufregulierung von mRNA spezifisch für die proinflammatorischen Zytokine TNF, Interleukin (IL)-1α und IL-6 fanden STITZ et al. (1995) in Gehirnen BDV-infizierter Ratten.

SHANKER et al. (1992) konnten eine Korrelation zwischen der nachweisbaren mRNA spezifisch für TNF, IL-1α und IL-6 und der Stärke der Enzephalitis feststellen. Weiterhin fanden sie eine Korrelation der mRNA spezifisch für IL-2 und Interferon (INF)γ mit der nachweisbaren Menge an mRNA spezifisch für CD4+ bzw. CD8+ T-Zellen. Beide T-Zellsub-populationen waren in der akuten und chronischen Phase der Erkrankung nachweisbar.

HATALSKI et al. (1998) fanden ebenfalls in der frühen Phase der BDV-Infektion zahlreiche CD4+ und CD8+ T-Zellen, sowie hohe mRNA-Level von IL-1α, IL-2, IL-6, TNF und IFNγ. In der chronischen Phase der Infektion waren vermehrt natürliche Killerzellen (NK)-Zellen, B-Zellen und aktivierte Mikroglia sowie hohe Mengen von IL-4 spezifischer mRNA nach-weisbar. Diese Beobachtungen sprechen für den Wechsel der Th1-abhängigen zu einer Th2-abhängigen Immunantwort, die auf die Abnahme der entzündlichen Reaktion zurückzuführen sein könnte (HATALSKI et al., 1998). In Abwesenheit von infiltrierenden Immunzellen bei Dexamethason-immunsupprimierten Ratten, ließen sich nach einer BDV-Infektion erhöhte mRNA-Level von TNF, IL-6, macrophage inflammatory protein (MIP)-1β und dem CXC Chemokin mob-1 nachweisen. Dieses wird als initiale Zytokinantwort der ZNS-residenten Zellen bewertet (MORIMOTO et al., 1996). Andere Studien konnten zeigen, dass eine

Behandlung von BDV-infizierten Ratten mit transforming growth factor (TGF)-β2 zu einer Reduktion der CD8+ T-Zellen und der MHC II-Expression führte und die Erkrankung bei den Tieren verzögert auftrat (STITZ et al., 1991). KOPROWSKI et al. (1993) und AKAIKE et al.

(1995) konnten einen möglichen Zusammenhang zwischen der Neuropathogenese und der Veränderung der nitric oxide synthetase (NOS) zeigen. Nach BDV-Infektion konnte eine verminderte NO-Synthese in Neuronen und eine vermehrte iNO-Synthese in aktivierten Makrophagen und Mikroglia gefunden werden. Weiterhin sollen Entzündungsmediatoren wie Peroxinitrite (HOOPER et al., 2001), Cyclooxygenase (RÖHRENBECK et al., 1999) und macrophage migration inhibitory factor (MIF, BACHER et al., 2002) ebenfalls an der Entstehung der entzündlichen Veränderungen im Gehirn beteiligt sein.

In der chronischen Phase der BDV-Infektion wird bei adult infizierten Lewis Ratten trotz Viruspersistenz im ZNS ein Rückgang der entzündlichen Veränderungen beobachtet. Zu diesem Zeitpunkt sollen niedrigere Werte proinflammatorischer Zytokine wie beispielsweise TNF vorliegen (HATALSKI et al., 1998). Da jedoch auch in dieser Phase der BDV-Infektion eine anhaltende Mikrogliaaktivierung und Astrogliose zu beobachten ist, können auch andere Zytokine wie IL-1 und TNF weiterhin eine Rolle spielen. Detaillierte Untersuchungen zum Einfluss des TNF auf das biphasische Krankheitsgeschehen der experimentell infizierten Lewis Ratte liegen derzeit nicht vor.

Ein weiterer Ansatz zu Klärung der Pathogenese der BD stellte die Untersuchung des Einflusses der BDV-Infektion auf zelluläre Signalwege dar, wie beispielsweise den nerve growth factor (NGF). In neuronalen und glialen Zellkulturen soll NGF die Replikation des BDV steigern (CARBONE et al., 1993; IBRAHIM et al., 2002). Weiterhin konnte ein positiver Einfluss von Neurotropinen auf die BDV-Replikation in infizierten Neuronen festgestellt werden. Umgekehrt hemmten Inhibitoren des Ras/MEK/ERK-Signalwegs die Virusausbreitung (CARBONE et al., 1993; HANS et al., 2001; PLANZ et al., 2001; HANS et al., 2004).