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Exkurs: Mitteleuropa als Sprachareal

2.6 Aufgabenkomplexe der Lehnwortuntersuchung

2.6.4 Postintegrative Entwicklung der Lehnwörter

2.6.4.3 Exkurs: Mitteleuropa als Sprachareal

Angesichts der dargestellten sprachlichen Konvergenzprozesse drängt sich die Frage auf, inwieweit wir es hinsichtlich der sprachlichen Kontaktzone in Mitteleuropa mit einem eigenen Sprachareal zu tun haben. Bekanntlich zeigen ja Sprachen, die über Jahrzehnte und Jahr-hunderte hinweg in ein und demselben Gebiet als Kommunikationsmittel Verwendung finden, die Tendenz, sich gegenseitig zu beeinflussen. Dieser Umstand bringt es mit sich, dass sol-che Sprasol-chen schlussendlich einander typologisch ähnlisol-cher sind als man es erwarten würde, hätten sie sich unabhängig voneinander entwickelt. Es war Hugo Schuchardt, der 1884 mit seiner Studie Slawo-Deutsches und Slawo-Italienisches als ein Erster die damals vorherr-schende junggrammatische Doktrin mit ihrem rein genetischen Interpretationsrahmen für Sprachfakten zu sprengen suchte, indem er eine Theorie der sprachlichen Konvergenz182 entwickelte und feststellte, dass letztlich jede Sprache bis zu einem gewissen Teil eine Mischsprache183 sei (SCHUCHARDT 1884 [1971]:5, 127). Damit gab er den Anstoß zu einer Reihe von Forschungen, deren Interesse an sprachlichen Interferenzphänomenen nicht län-ger puristischen Motiven entsprang, sondern diesen Kontakterscheinungen selbst galt.

182 Zu einer Positionierung der Theorie H. Schuchardts siehe z. B. auch V. N. JARCEVA (1956:8–32).

183 Interessanterweise nahm diesen Begriff vom Ende des 19. Jahrhunderts (PAUL 1886, WINDISCH 1897) H. H.

MUNSKE (1988) wieder auf. Vgl. auch Cs. FÖLDES (1999:33–54).

Als Begründer der Arealtypologie wird meist Nikolaj S. Trubetzkoy angesehen. In seinen Arbeiten kehrt er immer wieder die Differenzen und Zusammenhänge zwischen genetisch verbundenen Sprachfamilien184 und durch Sprachkontakt induzierten Sprachbünden185 hervor (TRUBETZKOY 1923, 1930). Beide Konzepte basieren auf den Ähnlichkeiten zwischen Sprachen, während man jedoch unter Sprachfamilien Gruppen sich im Laufe der Zeit immer weiter auseinander entwickelnder, genetisch verwandter Idiome einer einst gemeinsamen Wurzel versteht, werden nur jene Sprachen zu einem Sprachbund gezählt, die im Laufe der Geschichte in einem bestimmten geographischen Gebiet durch Interferenz gemeinsame strukturelle Eigenschaften entwickelten. Die Sprachbundtheorie wurde anschließend von Roman Jakobson in seinen Beobachtungen der typologischen Parallelitäten im phonologi-schen System der eurasiphonologi-schen Sprachen und den daraus resultierenden Arbeiten zu den sog. phonologischen Sprachbünden aufgegriffen (JAKOBSON 1931b, 1938)186.

Das Hauptinteresse der Arealtypologen galt in all den Jahren jedoch einzelnen auffälligen Gebieten wie dem Balkan. Der Balkansprachbund ist auch die am frühesten erforschte und zugleich am wenigsten umstrittene areale Sprachgruppierung (HAARMANN 1976:77). Bereits der slowenische Philologe Jernej (Bartholomäus) KOPITAR (1829) wurde auf die gemeinsa-men strukturellen Elegemeinsa-mente des Albanischen, Bulgarischen und Rumänischen aufmerksam.

Kaum dreißig Jahre später stellte Franz MIKLOSICH (1861) einen Katalog von typischen Ei-genschaften der Balkansprachen auf. Karl SANDFELD (1930) wurde schließlich mit seiner wegweisenden Studie zur Balkanologie zum Begründer einer eigenen linguistischen Teildis-ziplin, der Balkanlinguistik. Richtungsweisende Werke auf diesem Gebiet kamen auch aus Österreich; hervorzuheben sind z. B. die Einführung in die Balkanlinguistik mit besonderer Berücksichtigung des Substrats und des Balkanlateinischen von G. R. SOLTA (1980) oder die Monographie zu Ancient Languages of the Balkans von R. KATIČIĆ (1976).187

Die Frage, ob man in Europa – abgesehen vom Balkansprachbund – auch andere Sprachbünde oder gar einen europäischen Normaltyp, das sog. Standard Average European in der Terminologie von B. L. WHORF (1956; vgl. auch M. HASPELMATH 1998:271–288), aus-machen kann, wurde zwar seither wiederholt aufgeworfen (BECKER 1948, DÉCSY 1973, LEWY 1942 [1964], HAARMANN 1976), doch ist sie erst in den letzten Jahren wieder verstärkt Ge-genstand intensiver Forschungen geworden.188 Neben der Untersuchung sprachlicher Kon-vergenzprozesse auf dem Baltikum (z. B. DAHL/KOPTJEVSKAJA-TAMM 1992, STOLZ 1991) gelangte nun auch die Beschreibung Mitteleuropas als Sprachareal aufs Neue ins Blickfeld des linguistischen Interesses (z. B. I. FODOR 1983; L. HONTI 2000; Sz. HUKNÉ KISS 2009; A.

KĄTNY (2004, 2007); H. KURZOVÁ 1995, 1996a+b; N. KYSEĽOVÁ 2002; S. M. NEWERKLA 2002a, 2002b, 2007a+b, 2011a; S. ONDREJOVIČ 1996, 1997a, 1999; E. SKÁLA 1992, 1998, 2000, G.

THOMAS 2008 und A. ZOLTÁN 2004).

184 Zu den Termini Sprachfamilie und Sprachkreis siehe P. W. SCHMIDT (1926).

185 Zu Definition und Geschichte des Begriffs Sprachbund siehe etwa J. BALÁZS (1983), H. BECKER (1948), R.

KATTEIN (1986) und V. VILDOMEC (1963), besonders aber auch die kritischen Analysen von M. NEKULA (1993, 1996, 2003), N. REITER (1991) und J. VAN POTTELBERGE (2001).

186 Zur Einbettung der Theorien Jakobsons in einen breiteren Rahmen siehe zuletzt P. SÉRIOT (1999).

187 Für eine kurze Einführung in die Balkanphilologie siehe z. B. W. Fiedler in P. REHDER (31998:347–364). Vgl.

aber auch den neuen Zugang in Form von kontaktologischen Wörterbüchern (AJDUKOVIĆ 2004a+b, 2010). 188 Vgl. die Publikationen von BECHERT/BERNINI/BURIDANT (1990), BERNINI/RAMAT (1996) oder das umfassende

EUROTYP-Projekt. Dabei handelt es sich um ein von der European Science Foundation im Jahr 1990 einge-richtetes, mehrjähriges Programm zur typologischen Charakterisierung der europäischen Sprachen und ihrer Einordnung in das Gesamtbild sprachlicher Verschiedenheit (vgl. auch LEHMANN/BAKKER/DAHL/SIEWIERSKA 1992 [1994]). Die Ergebnisse der von zahlreichen führenden Typologen aus aller Welt durchgeführten Arbei-ten sind in insgesamt neun Sammelbänden veröffentlicht worden (darunter SIEWIERSKA 1998, FEUILLET 1998, VAN DER AUWERA 1998, VAN DER HULST 1999, RIEMSDIJK 1999 und DAHL 2000). Siehe dazu die kontroversiel-len Bemerkungen von J. VAN POTTELBERGE (2001). Das gesteigerte Interesse an dieser Thematik geht aber auch aus den Jahrestagungen der Deutschen Gesellschaft für Sprachwissenschaft hervor, vgl. z. B. die AG 5 der 20. DGfS-Jahrestagung (1998) in Halle (Saale) zu Sprachbundphänomenen in Europa bzw. die AG 8 der 23. DGfS-Jahrestagung (2001) in Leipzig zu Sprachkontakt und arealer Konvergenz unter der Leitung von Walter Bisang und Martin Haspelmath. Darüber hinaus vgl. auch WOLD.

Die Ursprünge der These von einem mitteleuropäischen Sprachbund reichen mittlerweile schon mehr als siebzig Jahre zurück und werden vor allem mit den Namen Ernst LEWY (1942 [1964]) auf der einen Seite und Vladimír SKALIČKA (1935, 1968) auf der anderen verbunden.

LEWY (1942 [1964]:48) bezeichnete dieses mitteleuropäische Kontaktareal als zentrales bzw. wortflektierendes Gebiet, an dem das Deutsche und das Ungarische (Magyarische) als wortflektierende Sprachen Anteil hätten, während er etwa Tschechisch und Slowakisch als stammflektierende Sprachen davon ausschloss, da sie sich typologisch nicht von den slawischen Sprachen des Nordostens unterscheiden. Skalička fasste hingegen den mittel-europäischen Sprachbund, den er gemeinsam mit einigen Balkansprachen im soge-nannten Donausprachbund verankert sah, weiter. Neben Ungarisch, Tschechisch und Slo-wakisch zählt er auch teilweise Deutsch und Serbokroatisch dazu, betonte aber gleichzeitig die überwiegende Eigenständigkeit der historischen Entwicklung der beteiligten Sprachen, wenn er Sprachbunderscheinungen nicht als Grundprinzip, sondern bloß als zusätzlichen Faktor postulierte (SKALIČKA 1968:9). Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang auch seine Beobachtung, dass ein Hauptprinzip in der Ausbildung der tschechischen Deklination deren Tendenz zur Agglutination189 sei (SKALIČKA 1941:31–33, 1951:60–66). Gyula DÉCSY (1973:87–105) wiederum rechnete zum so genannten Donausprachbund neben Tschechisch, Slowakisch und Ungarisch auch Slowenisch und Serbokroatisch hinzu, während er das Deut-sche schon aufgrund seiner Sprecherzahl lediglich in das sog. SAE-Areal (Standard Average European-Areal) eingliederte (DÉCSY 1973:30–32).190

Aus all dem wird sichtbar, dass die frühere Erforschung dieser Sprachlandschaft beson-ders durch die Tatsache gehemmt wurde, dass hier, wo indogermanische Sprachen zweier unterschiedlicher Gruppen (Germanisch und Slawisch) auf eine finnougrische Sprache (Un-garisch) treffen, verschiedene Prozesse aufeinander wirkten und wirken, die einen komple-xen, doch zugleich auch loseren Begriff eines Sprachareals notwendig machen. So darf man weder von der falschen Vorstellung ausgehen, dass eine Sprache nur zu einer Arealgruppie-rung gehören kann, noch glauben, dass ein solches Areal in Bezug auf die einzelnen Über-einstimmungen in jedem Fall geschlossen ist, d. h. lediglich auf die Sprachen des Areals beschränkt sein muss (H. KURZOVÁ 1996b:57–58 in Anlehnung an C. P. MASICA 1976:4 und M. B. EMENEAU 1956:16).191

Dieses Umstands war sich auch schon der Harald Haarmann bewusst, als er 1976 seine Gedanken zur Problematik der europäischen Sprachbünde publizierte. HAARMANN (1976:97–

98) rechnet zum sog. Arealtyp der Donausprachen als eigentliche Vertreter neben dem Deutschen noch das Tschechische, Slowakische und Ungarische sowie als Brückenglied zum Balkanbund das Serbokroatische, dessen kroatische Variante strukturtypisch den Do-nausprachen nahe steht, während das Serbische balkanische Züge aufweist. Für Haarmann ist dabei klar, dass die Zugehörigkeit des Deutschen zum Donausprachbund nicht im Wider-spruch zu seiner Rolle als Sprache des SAE-Areals steht, mit dem es andere strukturtypi-sche Kriterien teilt. Als strukturtypistrukturtypi-sche Parallelen zwistrukturtypi-schen den Donausprachen nennt er auf phonologischer Ebene die Quantitätskorrelation im Vokalismus, die Opposition der Phoneme /h/ und /χ/, den stabilen Wortakzent sowie die Auslautverhärtung bzw. Sonorsperre und auf morphologischer Ebene die synthetische Nominalflexion, das Dreitempussystem (von dem sich das Hochdeutsche freilich seit der Differenzierung des Tempussystems in der mittel-hochdeutschen Sprachperiode entfernt und den SAE-Sprachen angeschlossen hat) sowie die vergleichsweise große Produktivität der Präfigierung als Mittel der Wortbildung (H AAR-MANN 1976:99–105). Emil Skála operiert ebenfalls mit dem Konzept eines

189 Mit dieser bringt V. SKALIČKA (1941:34, 1960:104, 106) übrigens auch das Erlöschen des Duals im Tschechi-schen in Zusammenhang, was zuletzt von T. VYKYPĚLOVÁ (2001:174) kritisch hinterfragt wurde. Interessan-terweise sucht ihr Ehemann B. VYKYPĚL (2000a:73–75) das Ausbleiben der Wandlung ý > ej im Instrumental Sg. der Adjektiva des Typs dobrý auf ebendiese Tendenz zur Agglutination zurückzuführen.

190 Vgl. aus ung. Sicht besonders J. BALÁZS (1983), I. FODOR (1983), L. HONTI (2000) und Sz. HUKNÉ KISS (2009).

191 Vgl. auch die Feststellung Peter Bakkers (Århus) auf der 23. DGfS-Jahrestagung (2001) in Leipzig: "Lingui-stic areas are not always characterized by simplification, but in many instances by increasing complexity."

schen Sprachbunds und erachtet darin die Rolle des Deutschen und Tschechischen als zentral. Er nimmt an, dass Deutsch und Tschechisch einige lautliche Übereinstimmungen192 in einer Jahrhunderte andauernden sozioökonomischen wie auch kulturhistorischen Kontakt-situation zwar parallel, doch autonom auf der Basis von inneren Voraussetzungen entwickelt hätten (SKÁLA 1992:174–176; 2000:79). Ähnlich wie schon HAARMANN (1976:100–101) sieht auch SKÁLA (1998:221) in den Betonungsverhältnissen dieser Sprachen eines der wichtigen Merkmale des mitteleuropäischen Sprachareals.193

Die bisher überzeugendste Studie zu Mitteleuropa als Sprachareal legte jedoch die Pra-ger Linguistin Helena KURZOVÁ (1995, 1996b) im Anschluss an ihr Spezialforschungsprojekt The Central European Linguo-Cultural Area vor.194 Ihrer Auffassung nach bilden das mittel-europäische Sprachareal im engeren Sinne das Deutsche, Ungarische, Tschechische und Slowakische als Fokussprachen sowie das Polnische und Slowenische als Marginal-sprachen (KURZOVÁ 1996b:58).195 Dabei sieht sie die Grenze des Sprachareals für einzelne Erscheinungen als offen und nicht nur auf die mitteleuropäischen Sprachen beschränkt, gleichzeitig jedoch in Kombination mit anderen Übereinstimmungen als deutlich markiert (KURZOVÁ 1996b:67). Abgesehen von den bereits erwähnten auffälligen phonologischen Ei-genschaften der zentraleuropäischen Sprachen wie etwa dem stabilen Wortakzent bzw. der phonologisch relevanten Vokallänge geht Kurzová mit anschaulichen Beispielen insbesonde-re auf die morphosyntaktischen Übeinsbesonde-reinstimmungen dieser Sprachen ein.196 Zu diesen zählt sie die synthetische Nominalflexion197, die synthetische Steigerung der Adjektive und Ad-verbien (hier wird die breitere Übereinstimmung aller mitteleuropäischen Sprachen von der besonderen Übereinstimmung des Ungarischen und Slawischen begleitet), das einfache Dreitempussystem ohne semantische Opposition innerhalb der Präterita, das periphrastische Futur vom ingressiven Typ, das periphrastische Passiv, die bizentrische Satzstruktur mit Subjekt-Prädikat-Objekt als Grundwortfolge, den beschränkten Gebrauch des Partizips als Gerundiv (Transgressiv), das ähnlich herausgearbeitete System der konjunktionalen Neben-sätze, die Relativsätze mit Relativpronomina interrogativen Ursprungs sowie die höchst pro-duktive Präverbierung (KURZOVÁ 1996b:61–62, 1997:279–294). Gesondert betont KURZOVÁ (1996b:64–65) die gemeinsamen Züge des mitteleuropäischen Futurs. So sei in den genann-ten Sprachen das Nebeneinander von einfachem Präsens pro futuro und analytischem Futur genauso zu beobachten wie die ingressive Quelle der Hilfsverben bei den analytischen Futu-ren (dt. werden; ung. fogni; č. budu, slk. budem). Für die Grammatikalisierung des analyti-schen Futurs gibt es also eine gemeinsame semantische Grundlage, die zugleich in Bezug auf die konkrete Semantik unterschiedlich ist. Dieser Umstand zeigt nun nicht nur, dass „die-se areale Übereinstimmung mehr auf Kon„die-sensus als auf der eindeutigen und ein„die-seitigen Wir-kung einer Sprache beruht“ (KURZOVÁ 1996b:65), sondern relativiert auch die Diskussionen um anderssprachliche Einflüsse bei der Entstehung des analytischen Futurs im Slawischen

192 Er bezieht sich etwa auf die ahd. Diphthongierung ō > uo (begann im 8. Jh.) im Vergleich zur ač. Diphthon-gierung ó > uo (ab dem zweiten Drittel des 14. Jh.), die frühnhd. DiphthonDiphthon-gierung ū > au, ī > ei im Vergleich zur ač. Diphthongierung ú > ou, ý > ej, die frühnhd. Monophthongierung ie > ī, uo > ū im Vergleich zur ač.

Monophthongierung ie > í, uo > ů, den ač. Zusammenfall von hartem und weichem in ein mittleres l oder die parallele Entwicklung von bilabialem w zu labiodentalem v (SKÁLA 1992:174–175; 1998:220; 2000:79).

193 F. DANEŠ (1957) weist darüber hinaus auf analoge Intonationsmuster im Deutschen und Tschechischen als eine weitere Sprachbunderscheinung hin. Vgl. dazu J. POKORNY (1936:70), der sich auf die slawische Intona-tion in den germanisierten Teilen Altösterreichs bezieht.

194 Das Hauptergebnis ihres vom Research Support Scheme of the Open Society Institute in Prag geförderten Forschungsprojekts (Nr. 831/91) liegt bislang leider nur als 120 Seiten starkes Manuskript (KURZOVÁ 1995) vor. Veröffentlicht wurde lediglich eine deutsche Kurzversion (KURZOVÁ 1996b).

195 Auf die Übergangsposition des Kroatischen und Serbischen zum Balkansprachbund geht Kurzová lediglich in ihrer größeren Studie ein (KURZOVÁ 1995).

196 Zu morphosyntaktischen Übereinstimmungen zwischen dem Tschechischen und dem Deutschen vgl. auch die Studie von S. ŽAŽA (2002:53–74).

197 Die gemeinsame typologische Eigenschaft besteht in der Bewahrung der synthetischen Nominalmorphologie, ob es nun Wortflexion wie im Deutschen, Agglutinierung wie im Ungarischen oder Stammflexion wie in den slawischen Sprachen ist (KURZOVÁ 1996b:59).

bzw. Deutschen (RÖSLER 1952, LEISS 1985)198. Des Weiteren stellt KURZOVÁ (1996b:66) fest, dass übereinstimmend in den notionell imperfektiven Sätzen die analytischen, in den notio-nell perfektiven Sätzen hingegen die präverbialen Futura (im Deutschen Präsens pro futuro) gebraucht werden, wobei es sich im Tschechischen und Slowakischen um eine grammati-sche, im Ungarischen um eine semigrammatische und im Deutschen nur um eine se-mantische Angelegenheit handelt.

Im mitteleuropäischen Sprachareal lassen sich aber auch Erscheinungen festmachen, wo Deutsch bzw. Ungarisch nur mit einer Sprache oder Sprachgruppe des Areals übereinstim-men. Als ein Exemplum für spontane areale Konvergenz zwischen dem Tschechischen, Slowakischen und Ungarischen sind z. B. die übereinstimmenden Formen der Zahlwörter 11–19 zu nennen: č. jedenáct, dvanáct, třináct, … devatenáct; slk. jedenásť, dvanásť, tri-násť, … devätnásť; ung. tizenegy, tizenkettő, tizenhárom, … tizenkilenc.199

Besonders auffällig ist im Zusammenhang mit den zentraleuropäischen Sprachen die Un-zahl von deutschen Lehnwörtern und Lehnprägungen (Lehnübersetzungen, Lehnübertra-gungen, Lehnschöpfungen, Lehnbedeutungen u. a.) nicht nur in der Alltagssprache, sondern auch im modernen Standard des Tschechischen, Slowakischen und Ungarischen200, wäh-rend die Zahl slawischer bzw. ungarischer Lehnwörter im Standarddeutschen bis heute doch verhältnismäßig klein ist201, z. B.:

DEUTSCH HERKUNFT SPRACHENVERGLEICH

Grendel < ahd. < sl. *grędelь č. hřídel, slk. hriadeľ, pl. grządziel, sln. gredelj Groschen < ač. groš (14. Jh.) č. slk. kr. s. sln. groš, pl. grosz; ung. garas Gulasch < ung. gulyás (19. Jh.) č. slk. guláš, pl. gulasz, kr. s. gulaš Gurke < apl. ogurek (16. Jh.) < wsl. č. okurka, slk. uhorka, pl. ogórek; ung. uborka Halunke < ač. holomek (15. Jh.) slk. holomok

Husar < ung. huszár (15./16. Jh.) č. kr. sln. husar, slk. husár, pl. huzar, husarz, r. гусар Karbatsche < ung. korbács (17. Jh.) č. karabáč, slk. korbáč, pl. korbacz

Kummet < mhd. komat, komet < wsl. pl. chomąto, os. ns. chomot, ač. slk. chomút Kutsche < ung. kocsi (16. Jh.) č. kočár, slk. kočiar, pl. kucza, kr. s. kočija Palatschinke < ung. palacsinta (19. Jh.) č. palačinka, slk. palacinka; rum. plăcintă Paprika < ung. paprika (19. Jh.) < kr. č. slk. paprika, pl. papryka, kr. s. paprika Petschaft < mhd. petschat < sl. pečať č. pečeť, slk. pečať, sln. pečat; ung. pecsét Puszta < ung. puszta (19. Jh.) < sl. č. slk. pusta; vgl. č. slk. pustý < sl. pustъ Tolpatsch < ung. talpas (um 1700) slk. dial. talpoš

Tschako < ung. csákó (Ende 18. Jh.) č. čáka, slk. čákov, pl. czako

Hingegen ist schon für das Alttschechische allein von über 1500 Lehnwörtern aus dem Deut-schen auszugehen (vgl. etwa die entsprechenden Abschnitte der angeschlossenen Wörter-sammlung). Viele von diesen Lehnwörtern gelangten (meist direkt, ggf. durch tschechische

198 K. Röslers Behauptungen gelten spätestens seit H. KŘÍŽKOVÁ (1960) als widerlegt, während der von E. Leiss postulierte tschechische Einfluss auf die Entstehung des analytischen Futurs im Deutschen nach wie vor von einigen Bohemisten und Germanisten diskutiert wird.

199 Analog gezählt wird auch in den übrigen Slawinen, im Rumänischen, Albanischen sowie im Lettischen.

200 Vgl. diesbezüglich u. a. das angeschlossene Wörterbuch, für das Ungarische darüber hinaus Gy. DÉCSY (1977), F. GREGOR (1985), R. HESSKY (1997), HOLZER/MÜNZ (1997), G. KOBILAROV-GÖTZE (1972), M E-LICH/LUMTZER (1900), K. MOLLAY (1950, 1982), I. NYOMÁRKAY (1980), K. RACKEBRANDT (1988), D. RESCH -KOFRANEK (1999), T. THIENEMANN (1922) u. a.

201 Hiezu siehe u. a. zuletzt K. MÜLLER (1995).

Vermittlung)202 auch ins Slowakische bzw. in geringerem Umfang direkt oder durch slawische Vermittlung auch ins Ungarische. In diesem Zusammenhang ist auf die besondere Stellung des Slowakischen hinzuweisen, das sowohl Lehnwörter aus dem Deutschen als auch dem Ungarischen aufnahm. Des Weiteren zeigen der eigentlich romanische, lateinische bzw.

griechische Ursprung vieler Entlehnungen aus dem Deutschen dessen Rolle als Vermittler von Wörtern, die zum europäischen Kulturgut zählen.203

Als typische Europäismen, die sich auch in allen mitteleuropäischen Sprachen belegen lassen, sind z. B. parallele Vornamen, insbesondere auch Familiennamen204, phraseologi-sche Entsprechungen205 und gemeinsame Sprichwörter zu nennen:

DEUTSCH TSCHECHISCH SLOWAKISCH UNGARISCH ENGLISCH

Binder Bednář Debnár Kádár Cooper Deutsch Němec Nemec Német Deutsch

Fischer Rybář Rybár Halász Fisherman

Gärtner Zahradník Záhradník Kertész Gardener Grün Zelený Zelený Zöld Greene Koch Kuchař Kuchár Szakács Cook Schmied Kovář Kováč Kovács Smith

Schuster206 Švec Švec Varga, Cipész Shoemaker

Schwarz Černý Čierny Fekete Black

Tischler Stolař Stolár Asztalos Carpenter

Weiß Bílý Biely Fehér White

Wolf Vlk Vlk Farkas Wolfe

Zimmermann Tesař Tesár Ács Carpenter

202 Auf die Problematik der Vermittlung von deutschen Lehnwörtern durch das Tschechische ins Slowakische, aber auch ins Polnische gehen wir noch gesondert in Kapitel 2.6.4.6 dieser Arbeit ein. Vgl. diesbezüglich auch S. M. NEWERKLA (2002c, 2007c).

203 Hiezu siehe M. JELÍNEK (2000:33–36) sowie seine Ausführungen zum Versuch der Puristen, vermeintliche Germanismen im Bereich der Ausdrücke mit verschiedenen präpositionalen Funktionen zu eliminieren. „Die-se Schicht „Die-sekundärer Präpositionalausdrücke hat sich in allen europäischen Sprachen herausgebildet und weist starke gegenseitige Beeinflussungen auf“ (JELÍNEK 2000:30). Vgl. dazu seinen Aufsatz unter dem Pseudonym O. ŠEVČÍK (1972:107–122).

204 Unter diesem Gesichtspunkt vgl. u. a. auch die Publikationen von J. BENEŠ (1998), M. KNAPPOVÁ (21985, 1992), D. MOLDANOVÁ (1983), R. ŠRÁMEK (2000:65–84) und J. SVOBODA (1964).

205 Für einen Versuch der kontrastiven Aufarbeitung phraseologischer Erscheinungen über Arealgrenzen hin-weg vgl. G. GRÉCIANO (1989) und W. EISMANN (1998), aber auch J. SKLADANÁ (2002:220–228). Speziell zu ungarisch-slowakischen phraseologischen Übereinstimmungen siehe SMIEŠKOVÁ/SIMÁNÉ HAVAS (1980 [1984]). Interessante Ausführungen zur arealen Verteilung von Höflichkeits- und Illokutionsindikatoren in eu-ropäischen Sprachen brachte zuletzt auch Michael Betsch (Tübingen) auf der 23. DGfS-Jahrestagung (2001) in Leipzig. – Infolge der engen Beziehungen zwischen den mitteleuropäischen Sprachen kam es hier auch zu einer allgemeinen Annäherung der Wortinhalte. Als Beispiel verweist E. SKÁLA (1992:176, 2000:80) auf rund 150 Verben der Fortbewegung, die im Deutschen und Tschechischen weitgehend in den Wortinhalten übereinstimmen. Doch auch dieses Phänomen ist nicht allein auf die mitteleuropäischen Sprachen be-schränkt. Fritz Hermanns (Heidelberg) wies schon auf der 20. DGfS-Jahrestagung (1998) in Halle (Saale) auf die sprachübergreifende Teilhabe aller europäischen Idiome an einem den Sprachen gemeinsamen Vor-rat von signifiés hin, einer Begriffsgemeinschaft, an der selbst das lexikalisch puristische Isländische oder Baskische (Euskera) uneingeschränkt Anteil hätten.

206 Auch Schuhmacher.

DEUTSCH207 TSCHECHISCH SLOWAKISCH UNGARISCH der Schein trügt zdání klame zdanie klame a látszat csal ein Stein fiel mir vom

Herzen spadl mi kámen ze

srdce spadol (odpadol) mi

kameň (balvan) zo srdca nagy kő esett le a szívemről

guten Appetit dobrou chuť dobrú chuť jó étvágyat

gute Nacht dobrou noc dobrú noc jó éjszakát

kristallklar čistý jako křišťál čistý ako krištáľ kristálytiszta langsam, aber sicher pomalu, ale jistě pomaly, ale isto lassan, de biztosan mit allen Salben

ge-schmiert (gesalbt) všemi mastmi mazaný všetkými masťami

ma-stený (mazaný) minden hájjal megkent um nichts auf der Welt za nic na světě za nič na svete a világért sem

DEUTSCH TSCHECHISCH SLOWAKISCH UNGARISCH

Der Apfel fällt nicht weit

Wie wir bereits gezeigt haben, scheinen im Laufe der historischen Entwicklung unter poli-tischem, ökonomischem und sozialem Einfluss verstärkt areale Konvergenzprozesse zwi-schen den Sprachen der Habsburgermonarchie wirksam geworden zu sein, indem etwa die österreichisch geprägte Verkehrssprache mehr übereinstimmende Merkmale mit dem Tschechischen und Slowakischen ausbildete als andere Varietäten des plurizentrischen Deutschen. Dieser Prozess manifestiert sich nicht zuletzt auch in der großen Zahl von Lehn-wörtern aus dieser Verkehrssprache, die im Tschechischen und Slowakischen – und sei es auch nur für einige Jahre als Konversationismen – Aufnahme fanden.