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Ausblick auf die weitere Entwicklung

2.6 Aufgabenkomplexe der Lehnwortuntersuchung

2.6.4 Postintegrative Entwicklung der Lehnwörter

2.6.4.5 Ausblick auf die weitere Entwicklung

In der č. und slk. Standardsprache ist ein stabiler Grundstock von dt. Lehnwörtern vor-handen, der bereits vollständig im System des č. bzw. slk. Wortschatzes verankert ist. Rela-tiv gefestigt sind auch jene Substandardausdrücke aus dem Deutschen, die durch ihre Ex-pressivität eine stilistisch relevante Funktion erfüllen. Der ständige Bedarf einer Sprache an weiteren expressiven lexikalischen Einheiten führt dazu, dass viele von ihnen rasch das Merkmal [+ veraltend] annehmen. Angesichts des Fortschritts in Wissenschaft und Technik in Verbindung mit dem Rückgang bzw. Aussterben alter Handwerksberufe ist für die Zukunft auch mit einer sukzessiven Abnahme der noch verbliebenen deutschen Lehnwörter in den Fachsprachen zu rechnen. Aufgrund der veränderten politischen Lage seit Beginn der 90er Jahre des vergangenen Jahrhunderts wird zwar in Zukunft der Sprachkontakt zwischen dem Tschechischen, Slowakischen und Deutschen wieder verstärkt wirksam sein, doch unter gänzlich anderen Vorzeichen und unter dem dominanten Einfluss des Englischen.211 Der Lauf der Zeit wird es weisen, inwiefern und wie stark sich dieser Sprachkontakt auch auf die Lexika der genannten Sprachen auswirken wird.212

2.6.4.6 Tschechisch als Vermittler von deutschen Lehnwörtern213

Was den deutsch-slawischen Sprachkontakt angeht, beschäftigt sich der überwiegende Teil der Forschergemeinde bis zum heutigen Tag mit der Erfassung und sprachwissenschaft-lichen Untersuchung phonologischer, morphologischer, syntaktischer und lexikalischer Kon-takterscheinungen zwischen einzelnen slawischen Sprachen und dem Deutschen. Hinsicht-lich der Lexik der westslawischen Sprachen entstand in den vergangenen Jahren z. B. ein wichtiges und umfassendes Wörterbuch der deutschen Lehnwörter in der polnischen Schrift- und Standardsprache (VINCENZ/HENTSCHEL/BRÜGGEMANN 2010) sowie ein kleineres zu den deutschen Lehnwörtern im Teschener Dialekt des Polnischen (MENZEL/HENTSCHEL 2003).

Die übrige, bislang zum polnisch-deutschen Sprachkontakt unter besonderer Berücksichti-gung der Lehnwortproblematik erschienene Literatur ist jedoch derart umfangreich, dass wir hier lediglich auf eine kleine und subjektive Auswahl hinweisen können, vgl. z. B. C. B ORCH-LING (1911), A. BRÜCKNER (1907), D. BUTTLER (1986), T. CZARNECKI (1980, 1993), J. D AM-BORSKÝ (1974), U. DRECHSEL (1996), E. EGGERS (1988), G. HENTSCHEL (1995) und H

210 Vgl. diesbezüglich z. B. A. JAKLOVÁ (1999:216–220, 2003:83–91).

211 Zu Internationalisierungstendenzen im Wortschatz vgl. u. a. BRAUN/SCHAEDER/VOLMERT (1990), zu jenen in den slawischen Sprachen vgl. J. BOSÁK (1999), zu jenen im Tschechischen und Slowakischen vgl. K. BUZÁSSYOVÁ (1987:77–83, 1991:89–104, 1997:69–78) und J. GAZDA (2002:131–142). Zu Anglizismen und Amerikanismen im Wortschatz der č. Gegenwartssprache vgl. J. WARMBRUNN (1994), der slk. vgl. Z. DOBRÍK (2007).

212 Dazu siehe u. a. auch F. DANEŠ (1997, 2002:29–35), M. NEKULA (1997:147–159), S. ONDREJOVIČ (1997, 1999), SOCHOVÁ/POŠTOLKOVÁ (1994) und ZVTZSS (2000).

213 Vgl. diesbezüglich auch S. M. NEWERKLA (2002c, 2007c).

SCHEL/INEICHEN/POHL (1987), W. KAESTNER (1939, 1941, 1983), J. KARŁOWICZ (1894–1905), A. KARSZNIEWICZ-MAZUR (1988, 2004), A. KĄTNY (1990 mit einer Auswahlbibliographie zum polnisch-deutschen Sprachkontakt, 2001), A. KLECZKOWSKI (1935), R. KLENNER (2001), G. KORBUT (1893, 1935), R. LIPCZUK (1999, 2001), W. NIEDŹWIEDZKI (1917), B. NOWOWIEJSKI (1996), J. SIATKOWSKI (1967, 1983, 1999, 2002), A. de VINCENZ (1986, 1992) und V IN-CENZ/POHL/HENTSCHEL (1985), J. WITKOROWICZ (1997), K. WYPYCH (1976) u. a. Auch für das Tschechische und Slowakische liegt nun mit dieser unserer Arbeit erstmals ein wirklich mate-rialreiches Wörterbuch der deutschen Lehnwörter im Tschechischen und Slowakischen vor.

Für Literatur zum č.-dt. und slk.-dt. Sprachkontakt verweisen wir lediglich auf unser umfang-reiches Literaturverzeichnis und unsere Kommentare zu einzelnen wichtigen Publikationen im einleitenden Kapitel dieser Arbeit zum gegenwärtigen Forschungsstand (Kapitel 1.1).

Ebenso ist der gegenseitige Einfluss der genannten westslawischen Sprachen aufeinan-der bereits mehrfach analysiert worden. Besonaufeinan-ders den č.-pl. Sprachkontakten galten dabei zahlreiche wichtige Arbeiten; neben den entsprechenden Abschnitten in den Sprachge-schichten von A. BRÜCKNER (1901, 1925), F. CUŘÍN (1985), B. HAVRÁNEK (1979), Z. K LEMEN-SIEWICZ (1980), T. LEHR-SPŁAWIŃSKI (1951), I. NĚMEC (1968) und W. WALCZAK (1999) vgl. z. B.

die Publikationen von E. LOTKO (1997), T. Z. ORŁOŚ (1980, 1993, 2010), J. RECZEK (1991), J. SIATKOWSKI (1965, 1989, 1994a+b, 1996, 1997), S. STIEBER (1955), S. URBAŃCZYK (1946), aber auch INTERFACES (2002) sowie im Speziellen zur Problematik der Bohemismen im Pol-nischen die Beiträge von BASAJ/SIATKOWSKI (1964–1980), A. KLECZKOWSKI (1928), E. KLICH (1927), J. RECZEK (1968), H. WRÓBEL (1962) u. a. Äußerst umfangreich ist auch die Literatur zum č.-slk. Sprachkontakt; neben den oberhalb genannten č. Sprachgeschichten und den entsprechenden slk. Publikationen von V. BLANÁR (1993b), J. DORUĽA (1977), A. HABOVŠTIAK (1993), R. KRAJČOVIČ (1988), KRAJČOVIČIGO (1990), J. STANISLAV (1956–1973), vgl. z. B.

die Arbeiten von T. BERGER (2000, 2003b, 2003c), J. BOSÁK (1988), F.-R. BRÜGGEMANN (1996), V. BUDOVIČOVÁ (1974), K. BUZÁSSYOVÁ (1995), J. DOLNÍK (1992, 1998, 2007a), M. GAZDÍKOVÁ (2005), M. NÁBĚLKOVÁ (2008 mit weiterführender Literatur zur gegenwärtigen Kontaktsituation zwischen dem Slowakischen und Tschechischen), I. POSPÍŠIL (1998), I. R IP-KA (1997), M. SLOBODA (2001), M. SOKOLOVÁ (1995), SOKOLOVÁ/MUSILOVÁ/SLANČOVÁ (2005), P. VALČÁKOVÁ (1986), J. ZEMAN (1997) u. a.214

Der Großteil der dt. Lehnwörter im Tschechischen und Slowakischen genauso wie im Polnischen wurde durch direkte Entlehnung übernommen. Es gibt aber auch Entlehnungen aus dem Deutschen, die erst durch Vermittlung einer benachbarten Slawine in den eigenen Sprachschatz Eingang fanden. So stammt z. B. č. brukev ‘Kohlrabi, Brassica oleracea var.

gongylodes’ nicht direkt aus dem Niederdeutschen, sondern wurde über pl. brukiew entlehnt;

č. mincíř2 ‘Schnell-, Balkenwaage’ wurde über slk. mincier und ung. mincér aus dem Mittel-hochdeutschen vermittelt. Auch das Tschechische übernahm in einigen Fällen die Rolle des Mittlers. Im Folgenden soll nun noch darauf eingegangen werden, welche deutschen Lehn-wörter über das Tschechische ins Polnische und Slowakische gelangten, wann es zu dieser Vermittlung kam und ob bzw. welche Domänen dabei besonders betroffen waren.

2.6.4.6.1 Tschechisch als Vermittler von deutschen Lehnwörtern ins Polnische Die Entwicklungsgeschichte des Polnischen wird nach Z. KLEMENSIEWICZ (1980) in vier Abschnitte unterteilt, und zwar in die vorschriftliche Phase (bis zur Entstehung der sog. Bulla gnieźnieńska oder Gnesener Bulle im Jahre 1136), die Zeit des Altpolnischen (bis ca. 1500), die mittelpolnische Periode (bis in die zweite Hälfte des 18. Jh.) und die neupolnische Epo-che. Der Einfluss des Tschechischen auf das Polnische war bekanntlich vor allem in vor-schriftlicher und altpolnischer Zeit groß, weshalb in erster Linie zu dieser Zeit von einer mög-lichen č. Vermittlung von dt. (neben lat.) Lehnwörtern ins Polnische auszugehen ist.

214 Zu den Sprachkontakten zwischen dem Polnischen und Slowakischen vgl. z. B. ONDREJOVIČ/MISLOVIČOVÁ (1997) und F. SOWA (1997) mit weiterführender Literatur.

In der bereits oberhalb genannten Fachliteratur zum pl.-dt. bzw. pl.-č. Sprachkontakt wird zwar immer wieder an verschiedenen Stellen auf die Vermittlerrolle des Tschechischen hin-gewiesen, doch spezielle Arbeiten zu dem Thema liegen für das Polnische nur relative weni-ge vor. Neben Bemerkunweni-gen bei BASAJ/SIATKOWSKI (1964–1980) stießen wir bei der Litera-tursuche unter anderem auf die Breslauer Dissertation von S. RIETHMEISTER (1922)215 sowie auf einen konzisen und wichtigen Aufsatz von T. CZARNECKI (1970), in dem er sich gesondert mit der tschechischen Vermittlung von deutschen Lehnwörtern ins Altpolnische auseinander setzt und Kriterien für die Bestimmung solcher Vermittlungen festlegt.

Gewichtiges Augenmerk schenkte dieser Problematik auch A. KLECZKOWSKI (1928). Er untersuchte die altpolnischen und alttschechischen Entlehnungen aus dem Deutschen bis zum Beginn des 16. Jahrhunderts und bemerkte, dass die deutschen Lehnwörter in beiden Sprachen in vielen Fällen übereinstimmen. Eine mögliche Antwort auf die Frage nach der tschechischen Vermittlung von polnischen Entlehnungen aus dem Deutschen und damit auch die Abgrenzung des oberdeutschen (bairischen) und mitteldeutschen (schlesisch-deutschen) Anteils an den dt. Lehnwörtern im Polnischen war in der Folge für Kleczkowski das zentrale Anliegen seiner Forschungen. Als deren Ergebnis findet sich im Anschluss an seine Untersuchung ein Verzeichnis der wichtigsten dt. Lehnwörter, die das Polnische nach seiner Ansicht durch č. Vermittlung übernahm (KLECZKOWSKI 1928:343–345). Bald darauf versuchte W. KAESTNER (1939:XXVII-XXVIII) Kleczkowskis Aussagen, welche die tsche-chisch-oberdeutsche Herkunft der dt. Lehnwörter im Polnischen betonen216, zu relativieren.

Kaestner stellt zwar nicht die Rolle des Tschechischen bei der Vermittlung von Lehnwörtern vor allem aus dem Bereich der christlichen Terminologie in Frage, doch hätten mit der dt.

Ostsiedlung seit dem 13. Jahrhundert die mitteldeutschen Lehnwörter im Polnischen zu überwiegen begonnen. Gleichzeitig weist er darauf hin, dass auch einige ostmitteldeutsche Mundarten wie etwa das Gebirgsschlesische und Glätzische eine Reihe von oberdeutschen Lautentwicklungen mitmachten, sodass man bei etlichen Lehnwörtern nicht zwangsläufig von unmittelbarem oberdeutschen bzw. tschechischen Einfluss ausgehen dürfe.

Kommen wir aber wieder auf die Mittlerrolle des Tschechischen für polnische Entlehnun-gen aus dem Deutschen zurück. Einhellig wird die Annahme des Christentums durch den ersten uns bekannten piastischen Fürsten und polnischen Herzog Mieszko I. im Jahre 966 als bedeutender Einschnitt für die pl.-dt. und pl.-č. Sprachkontakte gesehen. Die Missionare, die in Begleitung von seiner Ehefrau Dubrawa (Dobrava), der Tochter von Boleslav I., aus Prag kamen, um in Polen die christliche Lehre zu verbreiten, gehörten wie ganz Böhmen zur Diözese Regensburg.217 Sie waren es, die dem Polnischen die christliche Terminologie und teilweise auch anderen Wortschatz vermittelten (VINCENZ 1992:115). Folgende Lehnwörter dürften also angesichts der Ergebnisse der phonetischen Substitution und unter Berücksich-tigung lexikographischer Daten sowie der kulturhistorischen Fakten nicht direkt aus einer dt.

Quelle stammen, sondern höchstwahrscheinlich über das Tschechische ins Polnische ge-kommen sein: bierzmować ‘firmen’ < ač. biřmovati < mhd. firmen ‘stärken, bekräftigen, festi-gen’; biskup ‘Bischof’ < ač. biskup < ahd. biscoph, bis(s)cof, biscuof; kacerz ‘Ketzer’ < ač. ka-cieř, kacéř, kacier, kacíř < omd. katzer neben mhd. ketzer, kether ‘Ketzer, frevelhafter Mensch, Sodomit’; kapła† ‘Kapelle’ (apl., heute kaplica) < ač. kapla, kaple < mhd. kápelle, ahd. kapella;

ołtarz ‘Altar’ < ač. oltář < ahd. altāri, altāre; opat ‘Abt’ < ač. opat < abair. appāt neben ahd.

abbāt; opłatek ‘Hostie, Oblate’ < ač. oplatek, oplatka < abair. *oplāta < lat. oblāta ‘Hostie, Obla-te’; papież ‘Papst’218 < ač. papež < abair. pāpes neben ahd. bābes u. a.

215 Einzusehen in der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen unter der Signatur 8 DISS PHIL BRESLAU 1922/1923,50.

216 So behauptet KLECZKOWSKI (1928:550) etwa: „Die Hauptkulturwelle des Deutschen ist nicht unmittelbar von den Mitteldeutschen in die polnische Sprache gekommen, sondern von den Süddeutschen (Oberdeutschen), das heißt von den Bayern über Böhmen, Mähren und Schlesien.“

217 Dort waren bereits im Jahr 845 vierzehn Stammesfürsten aus Böhmen getauft worden.

218 R. LIPCZUK (2001:2) betrachtet das Wort als direkte Entlehnung aus dem Deutschen. A. KARSZNIEWICZ-MAZUR (1988:122) sowie zuletzt auch A. BAŃKOWSKI (2000/II:496) geben jedoch nach wie vor der Vermittlungstheo-rie den Vorzug.

In den nachfolgenden Jahren bis ins 16. Jahrhundert blieben die pl.-č. Beziehungen trotz einer wechselvollen Geschichte bekanntermaßen intensiv. Hervorzuheben sind in diesem Zusammenhang unter anderem die Herrschaft des böhmischen Königs Václav II., der nach 1300 für einige Jahre auch den Großteil Polens gewinnen konnte, sowie die Herrschaft der Luxemburger, unter deren Oberhoheit sich die schlesischen Fürsten begeben hatten. 1335 wurde Schlesien böhmisches Kronland, das polnische Oberschlesien bildete fortan die ver-bindende Brücke für den č. Einfluss auf Polen. Wichtige Impulsgeber für die č.-pl. Beziehun-gen waren zu dieser Zeit auch die neu gegründeten Universitäten in Prag (1348) und Krakau (1364), an die viele Prager Lehrer und Hörer kamen. Die Hussitenzeit und die auf den König Jiří z Poděbrad folgende Herrschaft der Jagiellonen in den Ländern der böhmischen Krone sowie die Unterstützung der böhmischen Brüdergemeinde durch die polnischen Protestanten markieren die letzten Phasen eines stärkeren č. Einflusses auf das Polnische. Auch die pl.-dt.

Sprachkontakte erlebten in all diesen Jahren einen steten Aufschwung. Insbesondere inten-sivierten sie sich seit dem 13. Jahrhundert, als dt. Bauern, Handwerker und Kaufleute im Rahmen der dt. Ostsiedlung aus mitteldeutschen Gebieten nach Schlesien kamen und weiter ostwärts nach Krakau und Lemberg sowie in andere Regionen Polens zogen. Die Neusiedler trugen nicht nur zur wirtschaftlichen Entwicklung dieser Gebiete bei, sondern führten auch zur Verwaltung der Städte nach dt. Vorbild (meist Magdeburger Recht). Ende des 14. Jahr-hunderts erlosch dieser Siedlungsprozess. Der pl. Adel bemächtigte sich der Städte, das Appellationsgericht wurde von Magdeburg nach Krakau verlegt und eine einheitliche pl.

Rechtssprechung eingeführt. Der in dieser Zeit durch Nahkontakt entlehnte Wortschatz zählt heute großteils zum zentralen Bereich der pl. Lexik (LIPCZUK 2001, VINCENZ 1992).

Zwar wurde der Großteil der dt. Lehnwörter seit Beginn der dt. Ostsiedlung auf direktem Wege aus dem Deutschen entlehnt. Doch finden sich aufgrund der gleichzeitigen Intensität der oberhalb beschriebenen č.-pl. Beziehungen auch für diese Zeit Lehnwörter, für die tschechische Vermittlung anzunehmen ist, z. B. alkierz ‘Alkoven; Nebenzimmer; Schlaf-, Bett-nische’ < ač. alkéř, arkéř < mhd. arkēre ‘Erker’; barwinek ‘Immergrün; Vinca minor’ < ač. bar-vienek, barbienek, barvínek < dt. dial. barwinke(l) zu mhd. berwinke; cwał ‘Galopp’ < ač. cvál <

ač. cválati ‘galoppieren’, urspr. ‘das Pferd zum Galopp antreiben’ < bair. tswāln ‘quälen, durch-hauen’; deka† ‘Dolch’ (apl., heute sztylet) < ač. déka < mhd. degen ‘Dolch’; drab ‘Fußsoldat’ <

ač. dráb < mhd. draben, draven, traben, traven ‘in gleichmäßiger Beeilung gehen oder reiten, traben’; hynszt† ‘Hengst’ (apl., heute ogier) < ač. hynšt < mhd. heng(e)st ‘Wallach, Pferd’; jed-wab ‘Seide’ < ač. hedváb, hedvábie, hedbábie, hedvábí < dt. Form entsprechend ahd. go-tawёbbi, gotowёbbi ‘kostbarer Stoff, Purpur’; lewart† ‘Leopard’ (apl., heute lampart) < ač. lev-hart, lebhart < mhd. lewelev-hart, lēblev-hart, lēbart(e), lēparte; łańcuch ‘Kette’ < ač. lancúch < mhd.

lanne ‘Kette’ + mhd. zuc ‘Handlung des Ziehens, Zug (der Kette, des Zügels)’; mirzyk† ‘Zeller, Sellerie; Apium graveolens’ (apl., heute seler) < ač. miřík < frühnhd. merrich; pończocha

‘Strumpf’ < ač. ponšucha, punčocha < frühnhd. buntschuoch ‘Bundschuh’; szart ‘Münze nied-rigsten Werts’ < ač. šart < mhd. schart(e) ‘ausgebrochenes, ausgehauenes Stück’; walka

‘Kampf, Streit, Gefecht’ < ač. válka ‘Kampf, Schlacht; Krieg’ < mhd. walc, walke ‘Kampf, Ge-fecht’; warcaby ‘Damespiel’ < ač. vr(c)hcáby ‘Brettspiel mit Spielsteinen und Würfeln’ als Semi-calque < ač. vrh- ‘werfen’ + mhd. wurfzabel ‘Würfelspiel, Tricktrack, Puff’ u. a.

Im 16. Jahrhundert verebbt der č. Einfluss auf das Polnische. Während der č. nationalen Erneuerung kommt es zwar wieder zu einer Intensivierung der pl.-č. Beziehungen, doch diesmal unter umgekehrten Vorzeichen. Das Polnische wurde zu einer Gebersprache für das Tschechische.

2.6.4.6.2 Tschechisch als Vermittler von deutschen Lehnwörtern ins Slowakische Die Entwicklungsgeschichte des Slowakischen ist über weite Strecken auch gleichzeitig eine Geschichte der slk.-č. sprachlichen Beziehungen. Das Slowakische gliederte sich als Mundartenkonglomerat im 10. Jahrhundert aus dem Späturslawischen aus. Die frühesten

sprachlichen Belege finden sich in meist lat. Urkunden und Schriften aus dem slk. Sprachge-biet und reichen teilweise bis ins 11. Jahrhundert zurück. Längere zusammenhängende Tex-te liegen aber erst seit dem Ende des 14. Jahrhunderts vor, wobei zu dieser Zeit der Einfluss des Tschechischen bereits groß war. Denn seit den Anfängen einer in zusammenhängenden Sprachdenkmälern belegten Schriftsprache erfüllte das Alttschechische diese Funktion auch für die Slowaken, von denen es um Slowakismen bereichert wurde (vgl. z. B. PAULINY 1956, 1960). Nach der Ausbreitung der Reformation gebrauchten vor allem evangelische Kreise als Schriftsprache ein slowakisiertes Tschechisch. Sie pflegten die Sprache der Kralitzer Bibel, die sog. bibličtina, bis ins 19. Jahrhundert und darüber hinaus. Zu den ersten Bemühungen um die Einführung einer einheitlichen slk. Schriftsprache kam es im ausgehenden 18. Jahr-hundert (in der Westslowakei durch eine Gruppe junger Priester um A. Bernolák, in der Ost-slowakei durch die calvinistische Kirche). Daneben entstanden in der Slowakei seit dem En-de En-des 16. JahrhunEn-derts auch immer mehr slk. Gebrauchstexte in En-den kultursprachlichen Varietäten, die sich stärker an der gesprochenen Sprache orientierten. Eine einheitliche slk.

Sprachnorm konnte sich trotzdem erst um die Mitte des 19. Jahrhunderts nach der Kodifika-tion des Slowakischen durch Ľ. Štúr, J. M. Hurban und M. M. Hodža durchsetzen.

Der Wortschatz des Slowakischen wurde über die Jahrhunderte hinweg aufgrund der en-gen sprachlichen Beziehunen-gen zum Tschechischen unbestrittenermaßen durch zahlreiche Bohemismen bereichert. Seit dem Einsetzen der dt. Ostsiedlung im 13. Jahrhundert fanden aber auch unzählige dt. Lehnwörter stabilen Eingang in das Lexikon des Slowakischen. Zu diesen beiden Themenkreisen geben neben unserer Arbeit die einleitend im Kapitel 1.1 an-geführten Publikationen und unser Literaturverzeichnis umfassend Auskunft. Die Frage nach der Rolle des Tschechischen als Vermittler von dt. Lehnwörtern ins Slowakische ist jedoch bislang in der Fachliteratur kaum gestellt worden (NEWERKLA 2002c, 2007c), erweist sich bei genauerer Betrachtung aber als besonders interessant. Denn der č. und der dt. Einfluss wa-ren auf dem slk. Sprachgebiet jahrhundertelang zur gleichen Zeit stark. Darüber hinaus ver-fügen das Tschechische und das Slowakische über einen großen gemeinsamen Grundstock von Lehnwörtern, d. h. die Zahl der beiden Sprachen eigenen Germanismen übersteigt jene der nur im Tschechischen oder Slowakischen vertretenen Lehnwörter bei weitem. Sprechen also die Ergebnisse der phonetischen Substitution nicht eindeutig für eine direkte slk. Ent-lehnung aus dem Deutschen oder für eine č. Vermittlung des Lehnworts, ist es oft schwierig, lediglich anhand der kulturhistorischen Fakten eine klare Zuordnung zu treffen.

In einem solchen Fall ist es für eine zuverlässige Bestimmung des Übernahmewegs eines Lehnwortes unerlässlich, das gesamte lexikographische Datenmaterial zu überprüfen, das zu einem bestimmten Lemma im Slowakischen vorliegt. Als Entscheidungskriterium dient uns folgende Überlegung: Wenn ein dt. Lehnwort in früherer Zeit durch Vermittlung des Tsche-chischen ins Slowakische gelangt sein soll, dann ist davon auszugehen, dass es sich um eine schriftsprachliche Entlehnung handelt. Man kann also in diesem Fall annehmen, dass es im Historischen Wörterbuch des Slowakischen (HSSJ) bzw. in dessen Kartothek Belege dafür gibt. Liegen jedoch für ein Wort – zusätzlich zu den Einträgen im HSSJ oder gar auschließlich – Belege im Wörterbuch der slowakischen Mundarten (SSN) bzw. in dessen Kartothek vor, dann erscheint eine direkte Entlehnung aus dem Deutschen wahrscheinlich, vor allem wenn mehrere Belege aus verschiedenen Dialektgebieten gebucht sind.

Bei der Anwendung dieses Prinzips auf die mehr als 3000 Stichwörter unserer Wörter-sammlung ergibt sich ein interessantes Bild. Zwar wird das Tschechische infolge der engen slk.-č. sprachlichen Beziehungen seiner Rolle als Vermittler von dt. Lehnwörtern ins Slowaki-sche gerecht, doch ist die Zahl der tatsächlich auf diesem Weg übernommenen Lehnwörter im Slowakischen viel geringer als bislang vermutet (bzw. etwa noch bei V. MACHEK 1971 behauptet). Selbst bei manchen Wörtern, von denen das Autorenkollektiv des HSSJ an-nimmt, sie würden aus dem Tschechischen stammen, ist eher von direkter Entlehnung als von č. Vermittlung auszugehen. So behauptet etwa J. REJZEK (2001:416), č. nudle ‘Nudel’

sei aus dem Deutschen nur ins Tschechische gelangt. Möglicherweise geht aufgrund eines ähnlichen Irrtums HSSJ (1992/II:612) für äslk. nudla [sic!] (meist Plur. nudle) ‘Nudel

(Kartof-fel-, Stopfnudel)’ von č. Vermittlung aus. Das ist jedoch nicht notwendig. Das dt. Wort erlang-te zwar nur im Tschechischen standardsprachlichen Status, ist aber ebenfalls in der ungari-schen Umgangssprache als ung. núdli weit verbreitet und drang zumindest für einige Zeit sehr wohl in die angrenzenden slawischen Dialekte ein: älteres slk. dial. nudľa (KÁLAL 1924:938), pl. dial. nudle, nódle, nugle, sln. dial. nudelj, kr. dial. nudla, nudl, nudlin. Zwar konnte sich der slk. dial. Ausdruck nie gegen slk. šúľanec (meist Plur. šúľance) bzw. rezanec (meist Plur. rezance) durchsetzen, doch angesichts der Verbreitung des dt. Ausdrucks im Ungarischen und in den angrenzenden west- wie südslawischen Dialekten erscheint direkte Übernahme durch dt.-slk. Sprachkontakt auch für das Slowakische wahrscheinlich.

Nach der Durchsicht unseres Lehnwörterkorpus unter Berücksichtigung der oberhalb er-wähnten Kriterien und nach zusätzlicher Überprüfung der ausgegliederten Lemmata durch den führenden slowakischen Etymologen Ľubor Králik führen wir im Folgenden die wichtig-sten dt. Lehnwörter an, die mit großer Sicherheit durch das Tschechische ins Slowakische vermittelt wurden. Einerseits handelt es sich dabei um eine Reihe von im heutigen Slowaki-schen nicht länger verwendeten bzw. nur im historiSlowaki-schen SlowakiSlowaki-schen belegten Wörtern, wie z. B. dajvorec ‘Haftdolde, Caucalis lappula’ < ač. dajvorec < unklarem ersten Teil + mhd.

md. worc ‘Pflanze, Kraut, Wurzel’; hampejz ‘Freudenhaus’ < ač. hampajs, hampejs, hanpajs, hanpejs < mhd. hanbais, han(en)beis ‘Freudenhaus’219; hermánek ‘Kamille; Matricaria chamo-milla’ < ač. heřmánek < dt. dial. hermandel, hermannl ‘Hermelkraut’ unter Kontamination mit č.

rmen ‘Ackerkamille, Anthemis’; hokyňa ‘Hökerin, Krämerin’ < ač. hokyně zu hokynář < mhd.

hockener ‘Höker, Kleinhändler’; hrabe, hrabie ‘Graf’ < ač. hrabě, hrabie < ahd. grāvio, gravo;

hrobitov ‘Friedhof’ < ač. hřbitov, břitov < mhd. vrīthof ‘eingefriedeter Raum um eine Kirche, Friedhof’; ilec ‘Schwertgriff’ < ač. jilec, Plur. jilcě < ahd. gihilze [ji-] ‘Schwertgriff, Heft’; jáhen

‘Diakon’ < ač. jáhen, jáhan < ahd. jāchono, jāguno; jeptiška ‘Nonne’ < ač. jěptiška < mhd. ep-tissīn, eppetisse ‘Äbtissin’; kapla, kapľa, kapela ‘Kapelle’ < ač. kapla, kapela < mhd. kápelle, ahd. kapella; kšaft ‘letztwillige Verfügung’ < ač. kšaft, šavt < mhd. geschaft ‘Geschäft; Angele-genheit; Anordnung; letztwillige Verfügung; gerichtliche Abmachung’; kštalt ‘Gestalt, Form, Aussehen’ < ač. kštalt ‘Gestalt, Form, Aussehen’ < mhd. g(e)stalt ‘Gestalt, Aussehen; Beschaf-fenheit; Ursache’; lák ‘Lake’ < ač. lák < mnd. lāk ‘Lake; Lache’; láka ‘Flüssigkeitsbehälter, Weinbalg’ < ač. láka < mnd. lāge ‘Fässchen; Pelzsack für Wein und Öl’; levhart ‘Leopard’ < ač.

‘Diakon’ < ač. jáhen, jáhan < ahd. jāchono, jāguno; jeptiška ‘Nonne’ < ač. jěptiška < mhd. ep-tissīn, eppetisse ‘Äbtissin’; kapla, kapľa, kapela ‘Kapelle’ < ač. kapla, kapela < mhd. kápelle, ahd. kapella; kšaft ‘letztwillige Verfügung’ < ač. kšaft, šavt < mhd. geschaft ‘Geschäft; Angele-genheit; Anordnung; letztwillige Verfügung; gerichtliche Abmachung’; kštalt ‘Gestalt, Form, Aussehen’ < ač. kštalt ‘Gestalt, Form, Aussehen’ < mhd. g(e)stalt ‘Gestalt, Aussehen; Beschaf-fenheit; Ursache’; lák ‘Lake’ < ač. lák < mnd. lāk ‘Lake; Lache’; láka ‘Flüssigkeitsbehälter, Weinbalg’ < ač. láka < mnd. lāge ‘Fässchen; Pelzsack für Wein und Öl’; levhart ‘Leopard’ < ač.