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Exkurs: Einflüsse des Surrealismus im Werk von Kögler

Der Surrealismus in der bildenden Kunst war nicht auf den Kreis von Künstlern um den französischen Philosophen André Breton in Paris beschränkt, der den ursprünglich von Literaten geprägten Zirkel im zweiten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts erweiterte.158 Ausgehend von diesem Kreis jedoch wurden in den folgenden Jahrzehnten surreale bildnerische Strategien auf internationaler Ebene weiterentwickelt. Dabei entstand weder ein einheitlicher Stil noch eine verbindliche Ikonographie, da das Kriterium surrealer Weltsicht in der spezifischen Wahrnehmung des Gegenstandes und dessen Wiedergabe jenseits logischer Konzepte lag. Zwei Hauptrichtungen surrealer Kunst zeichneten sich ab.159 Zum einen entwickelte sich eine Strömung, in welcher der Automatismus als Prinzip der Bilderzeugung zugrunde gelegt wurde.

Hier entsprang der bildschöpferische Vorgang dem rational unkontrollierten Aufscheinen von Bildern, die im Unbewußten generiert wurden. Die zufälligen Eigenschaften des bildnerischen Materials wurden als adäquates Mittel der bildnerischen Konkretisierung in die Bildfindungen einbezogen. Einer der Hauptvertreter dieser Richtung, der eine Mittlerstellung zwischen Frankreich und Deutschland einnahm, war Max Ernst. Zum anderen entstand eine weitere Strömung surrealer Kunst, die von dem isolierten Bildgegenstand ausging, um dessen Wahrnehmung unter Berücksichtigung der psychischen und visuellen Mechanismen der Wahrnehmung und eines durch den Surrealismus in Frage gestellten Realitätsbegriffes zu untersuchen. Die Vertreter dieser Strömung arbeiteten mit dem aus seinem Ursprungskontext herausgelösten Gegenstand, der in neuen, nicht realen Verhältnissen entlehnten bildlichen Konstellationen ausgedeutet wird. Dabei wird der Gegenstand in abbildhafter, illusionistischer Weise wiedergegeben.

Nach 1945 gewann der Surrealismus in Deutschland erneut an Bedeutung, wobei unter den Begriff des Surrealismus sämtliche Künstler subsummiert wurden, die sich phantastischer, magischer und imaginärer Gestaltungsprinzipien bedienten, ungeachtet einer Anbindung an die ursprüngliche surrealistische Strömung französischer Prägung. Die auf der Grundlage dieser Prinzipien arbeitenden Künstler waren jedoch keiner Gruppierung zugeordnet, sondern galten als Einzelgänger. Schneider mißt der surrealistischen Strömung im Deutschland der

158 Vgl. hier und im folgenden Brigitte Lindner, Heinz Trökes. Das gemalte Gesamtwerk, Diss., Bonn 2002, S.34 ff.

159 Vgl. dazu auch Heinz Trökes, Der Surrealismus, in: Das Kunstwerk, Sonderheft, Jg. I, 1946/47, S.30 ff. (im folgenden zitiert als Trökes, Der Surrealismus), hier S.31.

Nachkriegszeit eine untergeordnete Rolle bei.160 Der Surrealismus ging, so Schneider, nach 1950 in den erstarkten abstrakten Tendenzen auf.

Heinz Trökes dagegen vertritt in seinem Artikel zum Surrealismus in der Zeitschrift „Das Kunstwerk“ im Jahr 1946 die These, daß der Surrealismus eine der modernen Wirklichkeit in höchstem Maß angemessene Kunstrichtung sei.161 Auf der Grundlage der Techniken und Erkenntnisse sämtlicher Kunstepochen sei der Surrealist in der Lage, eine Einheit von Leben und Kunst herzustellen. Es werden „Weltformen gesucht und gefunden“, so konstatiert er in einem weiteren Artikel zur modernen Kunst in Deutschland.162 Sowohl in der modernen Musik als auch in der modernen Lyrik manifestierten sich, so Trökes, surreale Elemente.163 Die neuen Erkenntnisse der Physik, die Relativierung von Zeit und Raum, sei im Surrealismus bereits künstlerisch verarbeitet. Henze schränkt jedoch eine Zugehörigkeit zur abstrakten Kunst ein, die, je nach gestalterischen Strategien, ähnliche Bezüge zu aktuellen naturwissenschaftlichen Entwicklungen reklamiere und darauf ihre Zeitgemäßheit gründe.164 Roh rechnet den Surrealismus zur gegenständlichen Kunst und betont gleichzeitig deren Aktualität.165 Damus merkt an, daß aus der Perspektive der Nachkriegszeit der Surrealismus einen Strang der Moderne fortgesetzt habe.166

Einer der Sammelpunkte für Künstler, die sich dem Surrealismus verpflichtet fühlten, war die Berliner Galerie Gerd Rosen.167 Diese wurde als erste Galerie im Deutschland der Nachkriegszeit noch im Jahr 1945 eröffnet.168 Das Programm der Galerie war nicht auf die Vertreter einer Kunstrichtung festgelegt; es waren namhafte Künstler vertreten, die einen Weg fortschreitender Abstraktion gingen, aber auch figurativ arbeitende Bildhauer.169 Monatlich

160 Vgl. Angela Schneider, Surrealistische Tendenzen, in: AK, Berlin 1985, S.48 ff., hier S.48. So auch Lindner, a. a. O., S.27, die die Bedeutung des Surrealismus in der Nachkriegszeit auf Berlin beschränkt sieht.

161 Vgl. hier und im folgenden Trökes, Der Surrealismus, a. a. O., S.36.

162 Vgl. Heinz Trökes, Moderne Kunst in Deutschland, in: Das Kunstwerk, H.8/9, Jg. I, 1946/47, S.75.

163 Vgl. hier und im folgenden Trökes, Der Surrealismus, a. a. O., S.31.

164 Vgl. Henze, a. a. O., S.38.

165 Vgl. Franz Roh, Max Ernst und der Surrealismus – sind sie noch aktuell?, in: Das Kunstwerk, H.4, Jg. X, 1956/57, S.3 ff., hier S.3 f.

166 Vgl. Damus 1995, S.33.

167 Vgl. Schneider, a. a .O., S.48.

168 Vgl. Beatrice Vierneisel, Berliner Galerien, Dokumentation, a. a. O., zur Galerie Rosen S.160 ff., hier S.160.

Die Galerie löste sich 1962, ein Jahr nach dem Tod von Rosen, auf.

169 Vgl. Markus Krause, Kommt ein Vöglein geflogen. Von Kandinsky zu den Fantasten: Hans Thiemann als Maler, in: Kunst über dem Realen. Hans Thiemann und die Berliner Fantasten, AK, Berlin 2000, S.19 ff., hier S.32.

wechselnde Ausstellungen wurden von Vorträgen und Diskussionsabenden begleitet. Bereits im Februar 1947 fand eine Ausstellung der „Fantasten“ statt, zu denen Hannah Höch, Hans Thiemann, Heinz Trökes, Hans Uhlmann, Mac Zimmermann und Alexander zählten. Diese bildeten jedoch keine Künstlergruppe im engeren Sinn. Ihre künstlerische Ausrichtung wird als orientiert am Zeitgeschehen bezeichnet, die Gruppe wurde zum Inbegriff äußerst moderner, hochaktueller Kunst.170

Im Hinblick auf Köglers Bildschöpfungen vom Beginn der 50er Jahre rückt vor allem das Werk von Trökes in den Mittelpunkt. Dessen Werk weist vielfältige Einflüsse nicht nur des Surrealismus auf.171 Doch finden sich im gestalterischen wie im motivischen Vokabular in seinem Werk der späten 40er und frühen 50er Jahre in formaler Hinsicht starke Einflüsse des französischen Surrealismus. So übernahm Trökes von Ernst nicht nur mehrere motivische Elemente, sondern auch die Gestaltung von Oberflächen, die der Gestaltung des Gebirgszuges in Köglers Arbeit „Am Horch- und Peilpunkt“ ähneln. Die drei Maler verwenden die durch unterschiedliche Verfahren herstellbaren Texturen zur Gestaltung unwirtlich anmutender Landschaften.172

Trökes nutzte jedoch keine der beiden genannten surrealistischen Methoden zur Bildschöpfung, weder das Aufrufen des Unbewußten noch eine Neubewertung des Gegenstandes.173 Auch ist die illusionistische Gegenstandswiedergabe nur gelegentlich als Stilmittel genutzt. Jedoch steht die Auseinandersetzung mit der aktuellen Realität in einer Brechung durch Verfremdung und metaphorische Umschreibung im Zentrum seiner unmittelbar nach dem Krieg entstandenen Arbeiten.

Kögler konnte den surrealen Ansatz aus eigener Anschauung von Werken der „Berliner Fantasten“ kennen. Seine bereits während der Studienzeit gepflegten Kontakte zu Berliner Galerien werden in einem im Jahr 1953 erstellten Gutachten erwähnt.174 Tatsächlich sind vielfältige motivische Verwandtschaften zwischen Köglers hier diskutierter Arbeit und den

170 Vgl. ebenda, S.34 und S.35 den Verweis auf die Publikation von Viktoria Ehrig, Dämonie. Versuche über einige Maler von Goya bis heute, Berlin, Stuttgart, 1948, S.56.

171 Vgl. Lindner, a. a. O., S.59 ff.

172 Vgl. ebenda, S.60 f. zur Verwandtschaft der Oberflächenstrukturen bei Ernst und Trökes.

173 Vgl. hier und im folgenden ebenda, S.40.

174 Vgl. das Gutachten von 1953 im Anhang II der vorliegenden Arbeit.

Bildschöpfungen von Trökes aus dem betreffenden Zeitraum festzustellen. Diese Parallelen sollen anhand einiger Arbeiten von Kögler aufgezeigt werden.

Für die Arbeit „Am Horch- und Peilpunkt“ finden sich motivische wie gestalterische Vorgaben in einer Arbeit von Trökes. Es handelt sich um das Werk „Signalstation“ aus dem Jahr 1949 (Öl auf Leinwand, 50 × 70 cm). Eine Schwarz-Weiß-Abbildung der Arbeit ist in dem von Krause erstellten Werkverzeichnis des Künstlers abgebildet. Die Arbeit wurde bereits im Jahr ihrer Entstehung in der Berliner Galerie Springer gezeigt.175 Sie zeigt einen diffus gestalteten Hintergrund, der keine Horizontlinie erkennen läßt, jedoch als landschaftliches Kontinuum gelesen werden kann. In diese nicht durch eine spezifische Beschaffenheit gekennzeichnete Landschaft sind, isoliert voneinander, Gegenstände eingestellt. Im Vordergrund der linken Bildhälfte findet sich eine plastisch ausgearbeitete Kugel, über der ein umgekehrter Kegel mit gerundetem Abschluß zu schweben scheint. Rechts daneben ragen zwei Schlote aus dem Boden auf. Ihnen entweicht eine dichte, nach links verwehende Rauchwolke, die als kompakte, volumenhaltige Form dargestellt ist. Sowohl die Kugel als auch die Schlote werden von ihren nach rechts fallenden Schlagschatten begleitet. Rechts neben diesem Ensemble von Gegenständen befindet sich ein vom unteren Bildrand aufragendes kanneliertes Gebilde, das keiner bestimmten Funktion zugeordnet werden kann. Darüber, jedoch im Mittelgrund des Bildes angesiedelt, erhebt sich ein turmartiges Gestänge, das von einem transparenten Polyeder gekrönt zu sein scheint. Die rechte Bildhälfte wird von einigen Gerätschaften eingenommen, die kompositorisch miteinander verbunden sind. Es handelt sich um einen quergestreiften Bal-lon, an dessen nach unten gekehrter Öffnung ein aus hellem Gestänge zusammengesetzter stereometrischer Körper in Form eines stehenden Kegels angebracht ist. Dieser scheint am Boden zu haften. Rechts daneben schwebt eine Kugel über dem Grund. Aus ihr wächst eine helle Stange empor, an die auf halber Höhe und an deren Ende jeweils ein ovaloider, in Streifen untergliederter Körper bzw. ein Windmeßgerät und ein helles Dreieck angelagert sind. Das Dreieck nimmt linksseitig Verbindung zu dem großen Ballon auf, die übrigen Elemente scheinen in der Luft zu stehen.

Das motivische Vokabular in Trökes’ Arbeit weist vielfältige Parallelen zu der genannten Bildfindung Köglers auf. So finden sich hier wie dort aus dem Boden aufragende Schlote, ein

175 Vgl. Markus Krause (Hrsg.), Heinz Trökes. Werkverzeichnis, München, Berlin, London, New York 2003, S.147, Abb. Nr.175.

turmartiges Gestänge und schwebende Ballons mit angesetzten kegelförmigen Körpern, die im Fall des hinter dem Schirm verborgenen Ballons in Köglers Arbeit auch als Gestänge ausgebildet sein können. Wehende bzw. in der Luft wie in einer Bewegung fixierte Wimpel bei Trökes gleichen den Fahnen bei Kögler. Auch das Motiv der schwebenden Kugel mit aufragender Stange findet sich bei diesem, ist jedoch mit einem weiteren, von unten aufragen-den Stangenmotiv verbunaufragen-den und somit nicht als Signalstation, sondern als Pendel ausgedeutet.

Nicht nur die Bildmotive bei beiden Künstlern weisen Ähnlichkeiten auf, auch der Modus der Wiedergabe zeigt Parallelen. So stellt sich in beiden Arbeiten der Eindruck der Statik der unter realen Verhältnissen bewegten Elemente wie Fahnen und schwebende Ballons ein. Auch der nur partiell vorhandene, in diesen Fällen jedoch stark ausgeprägte Schattenwurf und die Anwendung einer übersteigerten Perspektive im Fall der Formulierung des turmartigen Gestänges gleichen einander. Wurde in der Analyse von Köglers Arbeit auf die Möglichkeit einer Ableitung einiger Bildmotive aus stereometrischen Modellen verwiesen, wie sie in der künstlerischen Grundausbildung Verwendung finden, so liegt die Vermutung einer Ableitung von Trökes’ gestängeartig ausgebildeten stereometrischen Elementen aus einem ähnlichen Kontext nahe.

Sowohl die unwirtliche Landschaft, die häufig als Küstenszene ausgebildet ist, wie in „Am Strand“ (Öl auf Leinwand, o. Bildträger und Maße)176, als auch turmartige Gestänge, mit Verstrebungen im Bildraum verankerte stereometrische Körper, schwebende Ballons und Fahnen, die mit Gestänge verbunden sind und von einem sich nicht im gesamten Bild manifestierenden Wind bewegt zu sein scheinen, gehören zu Trökes’ bildlichem Repertoire der 40er Jahre. Die Wetterstation tritt als Einzelmotiv bereits in der Arbeit

„Wetterfahnenähnliches“ von 1945 (Öl auf Karton, 33 × 24 cm)177 auf. Dabei sind die Bildgegenstände häufig partiellem Schlaglicht ausgesetzt, jede Bewegung scheint statisch fixiert.

So sind in der Arbeit „Sphärische Kontraste“ von 1948 (Öl auf Leinwand, 61 × 50 cm)178, die in der Berliner Galerie Franz im selben Jahr ausgestellt wurde, transparente stereometrische Körper in einer Weise mit hellen Verspannungen versehen, die große Verwandtschaft zu

176 Vgl. ebenda, S.140, Abb. Nr.105. Die Arbeit zeigt auch ein mit Fahnen bestücktes Gestänge.

177 Vgl. ebenda, S.138, Abb. Nr.76.

178 Vgl. ebenda, S.144, Abb. Nr.148, dort auch die Angaben zu Ausstellungsbeteiligungen.

Köglers Arbeit mit dem mutmaßlichen Titel „Schwarze Formen auf Blau“ zeigen. Trökes deutete diese Körper motivisch in einem narrativen Ansatz aus, indem er sie in einen mit Kometen bestückten Himmelsausschnitt einband. Deutlicher wird dies noch in der Arbeit

„Terrain der Kosmologen“ (Öl auf Leinwand, 60 × 50 cm)179 aus demselben Jahr. Auch diese Arbeit wurde 1948 in der Galerie Franz ausgestellt. Ein vergleichbarer narrativer Ansatz findet sich bei Kögler nicht, obwohl auch in der betreffenden Arbeit ein blauer Grund die Assoziation meteorologischer Sphären aufruft.

Nicht nur die Arbeit „Am Horch- und Peilpunkt“ weist in gestalterischer wie in formaler Hinsicht Anverwandlungen surrealer Strategien auf. Eine weitere, kompositorisch und formal sehr ähnlich gestaltete, unbetitelte Arbeit (Öltempera auf Papier, 44,7 × 69 cm)180 läßt neben Einbeziehung der bekannten, aus stereometrischen Modellen entwickelten Formfindungen weitere motivische Bezugnahmen auf Arbeiten aus dem surrealen Bereich erkennen. Wieder sind Vergleiche mit dem motivischen Repertoire der Arbeiten von Trökes möglich. So findet sich das Fadenkreuz, das vor die Öffnung eines gebogenen Rohres gelegt ist, in Trökes’ Arbeit

„Am Mars“ von 1948 (Öl auf Leinwand, 46 × 43cm)181 als azentrisch sich kreuzende Binnenlinien in einer über einer Landschaft schwebenden Kreisscheibe mit farbigem Hof, die als Planet gelesen werden kann.182 Das Lineament als Binnenzeichnung figuraler Einheiten verselbständigt sich im Laufe der 50er Jahre im Werk des Künstlers zu skriptural wirkenden Flächengliederungen.183

Aus der Zusammenschau der Einzelmotive in Köglers Arbeiten aus dem genannten Zeitraum läßt sich eine Auseinandersetzung des Künstlers mit der in Berlin im Umfeld der Galerie Rosen wenige Jahre zuvor etablierten Gruppe surrealer Künstler erschließen.

Dieser Einfluß beschränkt sich nicht auf Köglers Arbeiten aus dem Jahr 1952. Allerdings verfolgt Kögler in den folgenden Jahren andere gestalterische Strategien, die er mit den aus der Auseinandersetzung mit dem Surrealismus gewonnenen Konzepten und Formfindungen kombiniert.

179 Vgl. ebenda, S.144, Abb. Nr.147, dort auch die Angaben zu Ausstellungsbeteiligungen .

180 Vgl. AK, Ettlingen 2006, Abb. S.58.

181 Vgl. Lindner, a. a. O., Abb. Nr.33, o. S.

182 Lindner verweist auf eine Übernahme der Gestaltung dieses Himmelskörpers von Max Ernst, vgl. ebenda, S.63.

183 vgl. ebenda, S.100.

In der Arbeit „Die Mondkanone“ von Trökes aus dem Jahr 1946 (Öl auf Leinwand, 40 × 48 cm)184, die im selben Jahr in der Galerie Rosen gezeigt wurde, findet sich, eingestellt in eine karge Hügellandschaft, in der linken Bildhälfte ein mit wehenden Fahnen geschmücktes Gestänge, das als Halterung für eine Kanone dient, aus der ein Schuß abgefeuert wird. In der rechten Bildhälfte scheint eine Reihe von Strichmännchen von der nicht sichtbaren Kugel getroffen zu sein. Eine vom rechten Bildrand stark angeschnittene Zielscheibe, deren Binnengestaltung aus farblich alternierenden, konzentrischen Kreisen besteht, ist auf ein Gerüst gestellt. Während im Hintergrund des Bildes ein Ballon vor einem Horizont schwebt, hinter dem die hereinbrechende Dämmerung sichtbar ist, befindet sich im Vordergrund, am Fuß eines Kraters in einer Zone unbestimmten Grüns liegend, eine Nixe, deren Oberkörper als Skelett gebildet ist. Sämtliche Bildgegenstände sind von links her beleuchtet und bilden einen Schattenwurf aus.

Möglicherweise diente eines der Hauptmotive in diesem Szenario, die Kanone in Kombination mit der Zielscheibe, Kögler als Anregung für eine weitere Arbeit, die im folgenden vorgestellt werden soll.

Die Arbeit „Am Zentrum Rot-Grün“ (Tempera auf Papier, Maße unbekannt, Abb.21) entstand, wie rückseitig angegeben, im Jahr 1955. Sie zeigt auf grauem Grund am oberen Bildrand einen schmalen grünen Streifen, der möglicherweise als Vegetationszone gelesen werden kann. In die graue Zone ragt von rechts ein breiter schwarzer Balken hinein, der ein in der Bildmitte befindliches helles Quadrat zu überlagern scheint, wobei die überlagerten Partien einen Farbwechsel nach Grün vollziehen. Sowohl Balken als auch Quadrat gehen an ihrer linken bzw.

oberen Begrenzung in eine fleckähnliche Formulierung über. Dem Quadrat ist eine Binnengestaltung eingeschrieben, die aus alternierend rot und grün gestalteten konzentrischen Kreisen besteht. Das Zentrum dieses Motivs wird von einer kleinen roten Kreisscheibe gebildet, die gleichzeitig als in die Fläche geklappter Abschluß eines plastisch ausgearbeiteten, frei im Raum schwebenden Gestänges gelesen werden kann. Dieses ist von oben her unter Ausbildung eines rechten Winkels in das zentrale Motiv hineingeführt. In der rechten Bildhälfte befindet sich ein vom oberen Bildrand hineinragendes, im unteren Teil nach links umgebogenes, gehälftetes und im unteren Teil nur aus Profilleisten bestehendes rotes Rohrelement, an dessen Öffnung ein in eine grüne und eine rote Hälfte unterteiltes Dreieck angesetzt ist. In der linken

184 Vgl. ebenda, S.140, Abb. Nr.108.

Bildhälfte umlagern komplexe geometrische Flächenformen das zentrale Motiv. Sie sind als mehrfach unterteilte Rechtecke gestaltet, deren Binnenformulierungen wiederum als farbige geometrische Formen ausgebildet sind. In der linken oberen Ecke, vom linken Bildrand angeschnitten, ist das Fragment eines Metallbleches plaziert, das einem technischen Kontext entlehnt zu sein scheint und mit Spuren der Versehrung sowie zwei eingeschriebenen geometrischen Formulierungen versehen ist. Zwei helle Linien sind als Horizontale bzw.

Vertikale durch das Bild geführt, sie stehen mit dem zentralen Kreisscheibenmotiv bzw. mit einer der geometrischen Flächenformen in der linken Bildhälfte in Verbindung.

Die zentrale Konstellation kann als Zielscheibe und als ein auf deren Zentrum zielendes Gerät gelesen werden. Auch wenn die Ausführung der Einzelmotive in stilistischer Hinsicht nicht in Verbindung mit Trökes’ Arbeit steht und das Motiv nicht getreu übernommen wurde, so ist es dennoch denkbar, daß Kögler, auch vier Jahre nach einer intensiven Auseinandersetzung mit Trökes’ surrealen Bildfindungen, noch auf eine motivische Konstellation zurückgriff, die sich in dessen Bildfindung als prominentes Motiv präsentiert. Band dieser das Motiv in eine zeitkritische Thematik ein,185 so ist auch bei Kögler eine Auseinandersetzung mit der Kriegsthematik nicht auszuschließen. In dessen Arbeiten aus der ersten Hälfte der 50er Jahre finden sich vermehrt Motive, die möglicherweise auf eine solche Beschäftigung mit den Ereignissen der jüngsten Vergangenheit hinweisen.

Die Aufnahme eines Bildmotivs aus einer Arbeit von Trökes, die bereits neun Jahre zuvor entstanden war, erscheint in diesem Zusammenhang nicht unwahrscheinlich. Das Bild erregte sofort nach seiner Entstehung großes Aufsehen.186 Es erscheint plausibel, daß es auch Jahre später noch zu einer Auseinandersetzung Anlaß gab.

Kögler wendete in formaler Hinsicht jedoch ein geglättetes Vokabular an, dessen Farbgebung auf andere Einflüsse als aus dem surrealen Lager verweist. Dies soll in einem Exkurs zur Léger-Rezeption bei Kögler geklärt werden.

Einzelne Bildmotive, die sich in Köglers Werk auch nach Mitte der 50er Jahre finden, sind mit metamorphen Qualitäten ausgestattet und weisen somit ein gestalterisches Potential auf, das in surrealistischen Bildfindungen häufig eingesetzt wird. Das Motiv des Fleckes, der in der Arbeit

„Am Zentrum Rot-Grün“ mit einem schwarzen Balkenmotiv kombiniert ist, tritt in Köglers

185 Vgl. ebenda, S.53 und Damus 1995, S.66 f.

186 Vgl Lindner, a. a. O., S.53.

Bildfindungen der 50er Jahre häufig in unterschiedlichen Ausdeutungen auf. Darauf soll im Rahmen der Werkanalyse an anderer Stelle eingegangen werden.

In der Gestaltung des Gebirgszuges in der Arbeit „Am Horch- und Peilpunkt“ ist Köglers gestalterisches Interesse auf die Erzeugung einer Bodenformationen imitierenden Oberflächentextur gerichtet. In der Mitte des Jahrzehnts traten zum motivischen Vokabular des Künstlers Metallblechfragmente hinzu, deren Randbereiche Versehrungen aufweisen. Sie sind in einer Weise gestaltet, die Ähnlichkeit zu versengten Papierrändern zeigt. Allerdings zeigt diese Gestaltung Verwandtschaft zu der Erscheinung, die verrotteten Metallblechen in der Realität eignet. Deutlicher tritt der surreale Gehalt dieser Strategie der Materialumwidmung in anderen Arbeiten zutage. So treten ähnliche Motive wiederum in Form von landschaftlichen Formationen in Bildfindungen nach der Mitte des Jahrzehnts auf, beispielsweise in

„Landschaftliches“187 von 1956 oder in „Mystische Küste“188 von 1957, die im Rahmen der Werkanalyse näher untersucht werden sollen. Auch hier werden die entsprechenden Bildelemente als Formulierungen gedeutet, die aus anderem als einem dem Motiv zugeordneten gegenständlichen Kontext entlehnt sind, indem Kögler ebenfalls die Ränder angesengten Papiers imitierte. Dadurch maß der Künstler den Bildmotiven metamorphe Qualitäten bei. In dem genannten Zeitraum arbeitete Kögler mit Papiercollagen, deren gerissene Ränder den

„Landschaftliches“187 von 1956 oder in „Mystische Küste“188 von 1957, die im Rahmen der Werkanalyse näher untersucht werden sollen. Auch hier werden die entsprechenden Bildelemente als Formulierungen gedeutet, die aus anderem als einem dem Motiv zugeordneten gegenständlichen Kontext entlehnt sind, indem Kögler ebenfalls die Ränder angesengten Papiers imitierte. Dadurch maß der Künstler den Bildmotiven metamorphe Qualitäten bei. In dem genannten Zeitraum arbeitete Kögler mit Papiercollagen, deren gerissene Ränder den