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Erwachsenenbildung nach Ö-Cert

Im Dokument Achtsamkeit in der Erwachsenenbildung (Seite 48-54)

Bei der Ausarbeitung des zugrunde liegenden Bildungsverständnisses suchte Ö-Cert nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner aller anerkannten Bildungstheorien.

Auch wenn der Begriff „Bildung“ in der Fachwelt über weite Strecken durchaus kontrovers diskutiert wird und eine wissenschaftlich unstrittige Definition von Bildung nicht vorliegt, kann dennoch festgehalten werden, dass keine Bildungstheorie von Rang in Zweifel zieht, dass Bildung mit einem reflektierten Verhältnis zu sich und der Welt korreliert. Von keiner Theorie wird bestritten, dass Bildung damit zu tun hat, auf Basis und durch die rationale Auseinandersetzung mit aktuell als gesichert geltendem Wissen ein kritisches Bewusstsein auszubilden und persönlich, beruflich und gesellschaftlich relevantes und abgesichertes Handlungswissen zu erlangen. Wenn von Bildung gesprochen wird, geht es letztendlich immer um eigenverantwortliches Denken und Handeln gegenüber sich selbst, Natur und Gesellschaft. Bildung verträgt sich somit nicht mit der unkritischen Vermittlung von Ideologien, vorgeblich nicht hinterfragbarem Geheimwissen oder Glaubenssystemen.

Bildungsveranstaltungen lösen ihr immanentes Versprechen nur ein, wenn in ihrem Zentrum die Vermittlung von wissenschaftlich anerkanntem Wissen und die Förderung der Fähigkeit steht, TeilnehmerInnen zur vernünftig-kritischen Auseinandersetzung und zum Handeln mit diesem zu befähigen. (Gruber et al., 2015, S. 80)

Bildung sei mehr als instrumentelles Lernen und wirke sich positiv auf

 die persönliche Identität,

 die berufliche Leistungsfähigkeit,

 das gesellschaftliches Zusammenleben und

 die politische Teilhabe aus (Ö-Cert, 2013, S. 15).

Um Erwachsenenbildung von anderen Angeboten abzugrenzen, wurde ein zweiteiliges Beurteilungsraster entworfen.

In die erste Gruppe fallen Angebote, welche eindeutig dem Bildungsgedanken der Ö-Cert Akkreditierungsgruppe widersprechen. Hierzu zählen:

Übersinnliches/Dämonenkult/Kontakt mit dem Jenseits

Hexenkult, Satanskult, Engelskult, Feenkult, Weltverschwörungstheorien, Rechte/neonazistische Esoterik (z.B. Jan van Helsing), Rückführung/Reinkarnation, Germanische Neue Medizin, Kabbala, Channeling, Astralreise, Voodoo, Schwarze/Weiße Magie, ...

Vorhersagetechniken/Wahrsagen/Ausdeuten

Orakelbefragung, Kartenlegen, Tarot, Handlesen, Zahlenmystik/Numerologie, ...

(Gruber et al. 2015, S. 81)

In der zweiten Gruppe finden sich Angebote bei denen nicht klar ist, ob sie den Intenti-onen der Ö-Cert Akkreditierungsgruppe entsprechen. Beispiele hierfür sind:

Körperarbeit (Entspannungs- und Atmungstechniken, Gymnastik, Körperbeherrschung):

Yoga, Tai Chi, Qigong, Feng Shui, Aikido, Taekwondo, ...

Alternative Medizin/Naturheilkunde/sanfte Heilmethoden/unkonventionelle Verfahren:

Bachblüten-Therapie, Aromatherapie, Biochemie nach Schüssler, Heilsteine/Talismanologie, Kinesiologie, Shiatsu/Naikan, Ayurveda, Reiki, Schamanismus, Astrologie, Pendeln, Einsatz von Wünschelruten (Radiästhesie)

und Geopathie, Geomantie, Feldenkrais, Fußreflexzonenmassage, Rolfing, Cranio-Sacral-Therapie, Auramassage, Farbtherapie, Akupressur, Akupunktur, Traditionelle chinesische Medizin, Strömen, ...

Selbstfindung/alternative Psychotherapie:

Familienaufstellung, NLP, Human- und Tierenergetiker, Hypnose, Psychosomatische Energetik, Spirituelle Psychotherapie, … (ebd., S. 82)

Das Raster kann zur ersten Orientierung dienen. Der Inhalt eines Angebotes alleine reicht aber nicht zu einer Beurteilung aus. Es muss auch die konkrete Umsetzung be-trachtet werden. Ein Anhaltspunkt dafür ist die Beschreibung des Kursangebots. „So de-klariert ein Anbieter seine Angebote […] als ergänzend und orientierend, ohne übertrie-bene Wirkungserwartungen zu erwecken, eine anderer Anbieter bettet die gleichen In-halte in einen ideologischen, häufig religiös verbrämten Überbau ein.“ (ebd., S. 81) Um zu bestimmen, welche Angebote den Richtlinien von Ö-Cert entsprechen, wurden eine Reihe von Ausschlusskriterien bestimmt:

 Widerspruch zu gesetzlichen Bestimmungen

 Therapeutische Versprechungen zur Bewältigung von Lebenskrisen bzw. zur Heilung von Krankheiten und körperlichen Gebrechen

 Vorwiegend Ein- und Ausüben von Praktiken (Sport, Musik, Religion etc.)

 Schaffen von Abhängigkeiten mit Blick auf bestimmte Personen bzw. Ver-fahren

 Versprechen unrealistischer Wirkungen/ überzogene Erfolgsdarstellung

 Reißerische Werbung

 Hybrides Selbstverständnis der Lehrenden (Guru, Master etc.) (ebd., S. 82) Die Ausschlusskriterien und das Beurteilungsraster sind Ergebnisse des Diskurses der Ö-Cert Akkreditierungsgruppe bezüglich der Abgrenzung der Erwachsenenbildung von esoterischen, therapeutischen, Gesundheits-, und Freizeitangeboten. Was unter diesen verstanden wird, wird im Folgenden geklärt.

3.1.1 Was ist Esoterik?

Das esoterische Weltbild steht laut Ö-Cert in schroffem Widerspruch zum Weltbild der Aufklärung.3

Bildungsbemühungen liegt die Vorstellung zugrunde, dass Menschen durch Ver-mittlung von Wissen – die Konfrontation mit dem aktuellen Stand der Wissen-schaft entsprechender Fakten, Theorien und Regeln – ermächtigt werden, die auf natürlichen und gesellschaftlichen Prämissen beruhenden Bedingungen ihres Daseins zu verstehen und im Rahmen der Möglichkeiten in eine von ihnen als sinnvoll erkannte Richtung lenken zu können. (Ö-Cert, 2013, S. 7)

Auf Basis der Vernunft eingeholte Erkenntnisse, d.h. die rationale Reflexion und das lo-gische Verknüpfen von wissenschaftlich abgesichertem Wissen, schätzt die Esoterik ge-ring oder verwirft sie vollends. Bei esoterischem Wissen handelt es sich vorgeblich um überlegenes Wissen. Dieses ist rational nicht zugänglich. Jene, die es nicht besitzen, müssen den „Eingeweihten“ (zumindest vorerst) vertrauen. Alte Schriften und die per-sönlichen, inneren Erfahrungen der Lehrenden sollen die vorgebliche Gültigkeit des Be-haupteten belegen. SchülerInnen müssten selbst Einsicht schaffende innere Erfahrungen machen, um das höhere Wissen zu erlangen. Häufig bedarf es der Vermittlung des Wis-sens durch einen Eingeweihten. Liegt ein Selbstverständnis des Lehrenden als Guru oder Meister vor, kann das Angebot nach Ö-Cert nicht als Erwachsenenbildung gelten (ebd., S. 7–11).

Esoterische Erkenntnisse führten laut Ö-Cert zur Unterwerfung unter höhere Mächte und nicht zur Emanzipation des Menschen. Eine Überprüfung des vorgeblichen Wissens sei laut EsoterikerInnen mit den Mitteln der objektiven Wissenschaft nicht möglich.

EsoterikerInnen führten zum Teil Belege für die Wirksamkeit der Techniken an. Eine wissenschaftliche Begründung für die Wirkung könnten sie jedoch nicht geben. Aussa-gen von WissenschaftlerInnen (und anderen anerkannten Personen) würden oft in irre-führender Weise wiedergegeben, um den eigenen Standpunkt zu legitimieren. Da

Esote-3 Der Begriff „Esoterik“ wird in dieser Arbeit in gleicher Weise verwendet. Es soll jedoch darauf hinge -wiesen werden, dass diese Auffassung umstritten ist. „Anstatt, wie früher oft geschehen, das Esoterische antithetisch der Aufklärung und Wissenschaft gegenüber zu stellen, erkennt die jüngere historische For-schung zunehmend die inneren Zusammenhänge zwischen Esoterik, Wissenschaft und Aufklärung.“

rikerInnen die Wahrheit nicht mittels logischen Denkens suchten, seien diese mit ver-nünftigen Argumenten nicht zu überzeugen. Eine Diskussion erübrige sich somit (ebd.).

Zusammengefasst werden kann, dass laut Ö-Cert die Esoterik (1) auf ein vermeintlich höheres oder absolutes Wissen abziele, das (2) durch einen nicht-rationalen Erkenntnis-modus unmittelbar erfahrbar sei, und (3) der Unterwerfung unter einen Lehrenden bzw.

des Glaubens (an alte Schriften) bedürfe. Zudem werde (4) das aufklärerische bzw. wis-senschaftliche Weltbild teilweise oder gänzlich abgelehnt. Diese Merkmale charakteri-sierten Esoterik und seien unvereinbar mit dem aufklärerischen Bildungsgedanken.

3.1.2 Was sind therapeutische bzw. Gesundheitsangebote?

Eine ausführliche Abgrenzung hinsichtlich der Mittel und Ziele von therapeutischen bzw. Gesundheitsangeboten zu jenen der Erwachsenenbildung hat Ö-Cert nicht vorge-legt. Ein Widerspruch zu gesetzlichen Bestimmungen schließt auf jeden Fall eine Ö-Cert-Vergabe aus. Konkrete Gesetze werden nicht genannt. Die Volkshochschulen füh-ren in ihfüh-ren Esoterikrichtlinien den Paragraph zur Kurpfuscherei im Strafgesetzbuch, das PsychologInnen- und das Psychotherapiegesetz an. Erwachsenenbildung darf dem-nach keine Tätigkeiten umfassen, welche ausschließlich ausgebildeten ÄrztInnen, Psy-chologInnen bzw. PsychotherapeutInnen gestattet sind (Verband Österreichischer Volks-hochschulen, 2013).

Ein Blick auf das Beurteilungsraster zeigt: Eine strenge Unterscheidung esoterischer von alternativ-therapeutischen Angeboten ist in der Praxis nicht möglich. Als Kriterium könne dem Autor zufolge die Art der verfolgten Ziele herangezogen werden. Während alternativ-therapeutische Angebote primär auf „Heilung“ abzielen, versprechen esoteri-sche Angebote „tiefere Erkenntnisse“. Meist geht aber das eine mit dem anderen einher.

Ein Ausschlusskriterium für die Vergabe von Ö-Cert sind „[t]herapeutische Verspre-chungen zur Bewältigung von Lebenskrisen bzw. zur Heilung von Krankheiten und kör-perlichen Gebrechen.“ (Gruber et al., 2015, S. 82).

3.1.3 Was sind Freizeitangebote?

Was unter Freizeitangeboten verstanden werden kann, beschreibt Ö-Cert so:

„All jene Tätigkeiten, die vorrangig der Unterhaltung, Erholung und Entspannung die-nen und bei dedie-nen Lerdie-nen allenfalls als Nebeneffekt auftritt (z.B. Ausüben von sportli-chen oder musissportli-chen Praktiken, Geselligkeit, Reisen, Wanderungen).“ (ebd., S. 83) Als Freizeitangebote sind laut Ö-Cert solche zu bewerten, welche (1) der Rekreation dienen, bei denen (2) die Wissensvermittlung bzw. -aneignung nicht im Mittelpunkt ste-hen und (3) die vorwiegend aus dem Ein- bzw. Ausüben von sportlicste-hen, musiscste-hen, re-ligiösen oder anderen Praktiken bestehen (ebd.).

Nachdem die Begriffe Achtsamkeit und Erwachsenbildung nun geklärt sind, kann sich der Analyse eines Achtsamkeitskurses für Erwachsene gewidmet werden.

4 Analyse eines Achtsamkeitskurses für Erwachsene

Im folgenden wird ein Praxisbeispiel hinsichtlich seiner Vereinbarkeit mit dem Bil-dungsverständnis von Ö-Cert untersucht. Während Ö-Cert nur das Gesamtangebot eines Bildungsanbieters beurteilt (Gruber et al., 2015), werden in dieser Arbeit die Kriterien zur Analyse eines einzelnen Kurses herangezogen.

Der Aufbau dieses Kapitels orientiert sich an den Vorgehensweisen Danners (1998, S.

93–96) und Mayrings (2010, S. 98 f.). Den ersten Schritt bildet die vorbereitende Inter-pretation. Es wird die Auswahl des Praxisbeispiels begründet, das Untersuchungsmate-rial bestimmt, auf den Entstehungszusammenhang der Vipassana-Meditation nach Goenka anhand dessen Biographie eingegangen, und der Ablauf eines Zehn-Tages-Kur-ses beschrieben. Im zweiten Schritt folgt die textimmanente Interpretation. Das Unter-suchungsmaterial wird hinsichtlich der aufgestellten Kategorien untersucht. Im dritten Schritt werden die Erkenntnisse unter Einbezug weiterer Quellen interpretiert. Zunächst aber muss anhand der Ausführungen im letzten Kapitel die Forschungsfrage operationa-lisiert und Analysekategorien gebildet werden.

Im Dokument Achtsamkeit in der Erwachsenenbildung (Seite 48-54)