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Achtsamkeit als Haltung und Praxis

Im Dokument Achtsamkeit in der Erwachsenenbildung (Seite 15-21)

2.1.1 Achtsamkeit als Haltung

Altner beschreibt Achtsamkeit als Haltung des menschlichen Bewusstseins zum Sein, welche durch vier Qualitäten charakterisiert sei: Aufmerksamkeit, Präsenz, Achtung und Selbstreferenz (Altner, 2006, S. 24 ff.).

2.1.1.1 Aufmerksamkeit

Die Realität werde immer nur in Ausschnitten wahrgenommen. Der Fokus der Wahr-nehmung und des Denkens spiele daher eine entscheidende Rolle bei der Gestaltung der Realität. Die Aufmerksamkeit könne zwar willentlich gerichtet werden, meist werde sie jedoch mehr oder weniger willkürlich von inneren und äußeren Reizen angezogen und gelenkt (ebd., S. 24). „Die Haltung der Achtsamkeit erkennt diese schöpferische Quali-tät der Aufmerksamkeit an und kultiviert sie bewusst durch die Schulung von Konzen-tration und Wachheit.“ (ebd., S. 24)

2.1.1.2 Präsenz

Die Aufmerksamkeit richte sich dabei immer wieder auf das gegenwärtige Geschehen aus. Anstatt sich an Vergangenes zu erinnern oder sich Zukünftiges oder Abstraktes

vor-zustellen, öffne sich das Bewusstsein für das konkret-sinnlich wahrgenommene Jetzt.

Die Realität werde dadurch weniger als erinnert oder vorgestellt erfahren und mehr als etwas hier und jetzt Er- und Gelebtes. Dies ermögliche, Handlungen bewusst zu wählen (ebd., S. 24 f.).

2.1.1.3 Achtung

Dem Erlebten begegne man mit einer akzeptierenden, liebevoll zugewandten, achtungs-vollen Geisteshaltung. Allem werde eine Daseinsberechtigung zugesprochen. Man ver-zichte darauf, das Wahrgenommene zu kategorisieren oder zu bewerten, vielmehr werde es in seinem So-Sein geachtet. Die Achtung äußere sich in einem Staunen, Wundern, Ergriffensein oder Lieben und sei unvereinbar mit zerstörerischem oder verletzendem Handeln (ebd., S. 25).

2.1.1.4 Selbstreferenz

Unter Selbstreferenz versteht Altner eine reflexive Dimension der Achtsamkeit. Wäh-rend Selbstreflexion sich lediglich auf das Nachdenken über die eigene Person beziehe, schließe Selbstreferenz diese Dimension mit ein und erweitere sie um „andere Sinne und Ebenen des mit sich In-Beziehungs-Seins, die dem Menschen zur Verfügung ste-hen, allen voran das Selbstgewahrsein.“ (ebd., S. 25) Letzteres beschreibt Altern wie folgt: „Im Gegensatz zum Grübeln richtet die achtsam wahrnehmende Person ihre Auf-merksamkeit auf die eigene aktuelle Präsenz in ihrer leib-seelischen Einheit.“ (ebd., S.

25)

2.1.2 Achtsamkeit als Praxis

Um die Haltung der Achtsamkeit zu kultivieren, hätten sich verschiedene Formen der Praxis entwickelt. Generell unterscheide man zwischen formaler und informaler Praxis.

2.1.2.1 Informale Achtsamkeit

Informale Achtsamkeitspraktiken zielten darauf ab, die Haltung der Achtsamkeit bei all-täglichen Verrichtungen aufrechtzuerhalten. Es sei nicht nötig, bestimmte

Körperhaltun-gen oder Bewegungsabläufe nach formalen Richtlinien auszuführen. Unabhängig vom konkreten Tun, sei jede Handlung, sofern sie in einer Haltung der Achtsamkeit ausge-führt werde, eine informale Übung in Achtsamkeit (ebd., S. 27–29).

In einigen Achtsamkeitskursen werde empfohlen, sich eine alltägliche Handlung auszu-suchen, und diese eine Woche lang jedes Mal achtsam auszuführen. Beispielsweise kön-ne auf die Empfindungen beim Zähkön-neputzen geachtet werden oder das Klingeln des Te-lefons als Erinnerung genutzt werden, um das gegenwärtige Geschehen wahrzunehmen.

Die informale Praxis könne dann sukzessive auf weitere Handlungen bzw. Situationen ausgeweitet werden. Auf diese Weise werde Achtsamkeit abseits formaler Praktiken ge-übt (ebd., S. 27–29).

Ziel ist es dabei, den Alltag achtsam, d.h. bewusst und achtungsvoll zu leben und der Versuchung zu widerstehen, den Tag in blinden Gewohnheiten, vorge-fassten Urteilen und automatischem Tun zu verbringen. Alltag wird zum schöp-ferischen Prozess, ja zur spirituellen Praxis. In Anlehnung daran soll hier der pädagogische Alltag als Herausforderung zu bewusstem Gestalten verstanden werden. (ebd., S. 28 f.)

2.1.2.2 Formale Achtsamkeit

Unter formalen Achtsamkeitspraktiken versteht Altner neben klassischen buddhistischen Meditationsformen, wie sie in der Vipassana- und Zen-Tradition gelehrt werden, auch Übungen aus dem hinduistischen Yoga und dem taoistischen Qigong. Diese Praktiken stehen im Fokus seiner Arbeit. Darüber hinaus benennt und beschreibt er „achtsame Künste“ (ebd., S. 29) als formale Praxis.

2.1.2.2.1 Achtsame Künste

Altner vergleicht die Haltung der Achtsamkeit mit jener einer/eines KünstlerIn. Durch künstlerisches Schaffen könne Achtsamkeit geübt werden. Ziel sei es, eine achtsame Haltung gegenüber dem zu bearbeitenden Medium einzunehmen.

„Literatur, Tanz, Kampf und Bewegungskünste, Theaterspielen, Musizieren, Singen, Malen, Kalligraphie, Gestalten, Kochen, Backen, Gärtnern, das Komponieren von Düf-ten – die Vielfalt an Material und GestaltungsmöglichkeiDüf-ten sind grenzenlos. Und im

kultivierten Kunstgenuss können die Potentiale des achtsam Seins geweckt werden.“

(ebd., S. 29)

2.1.2.2.2 Hatha-Yoga

Unter Yoga verstehe man „meditative Wege der Selbsterfahrung und Selbsterkenntnis, um die Natur von Geist und Materie zu begreifen und gemäß dieser Natur leidfrei zu le-ben.“ (ebd., S. 35) Der Yoga stamme aus der hinduistischen Tradition und kann als An-jochung, Zügelung, Zucht oder bildendes Bemühen übersetzt werden. Patanjali, Autor der Yoga-Sutte, definiere ihn folgendermaßen: „Der Yoga ist das Zur-Ruhebringen (oder die Bewältigung) der Bewegungen der inneren Welt.“ (Hauer, 1958, zitiert nach Altner, 2006, S. 35)

Hatha-Yoga sei eine Schule des Yogas, welche im 15. Jahrhundert entwickelt wurde.

Körper- und Atemübungen seien zwar schon zuvor praktiziert worden, jedoch eher als an die Meditation heranführende Übungen. Im Hatha-Yoga hätten sie an Bedeutung ge-wonnen. (Altner, 2006, S. 35)

Seit Beginn des 20. Jahrhunderts praktiziere man Hatha-Yoga auch in Europa und Nordamerika. In jüngster Vergangenheit sei er Teil des Angebots der Fitness- und Well-nessindustrie geworden. In diesem Kontext praktiziere man Hatha-Yoga zur Erhaltung der Leistungsfähigkeit. Die Suche nach Selbsterkenntnis trete in den Hintergrund (ebd.).

2.1.2.2.3 Qigong

Qigong könne als Arbeit an der Lebenskraft übersetzt werden. Seine Wurzeln lägen im indischen Yoga und der taoistischen Alchemie. Qigong werde in unterschiedlichen Kon-texten praktiziert. „Die Motive für dieses Engagement lagen und liegen in der Erhal-tung, Verbesserung und Wiedererlangung von Gesundheit, der Intensivierung und Ver-längerung des Lebens, der Erlangung von Meisterschaft in den Kampfkünsten und der spirituellen Vervollkommnung.“ (ebd., S. 40) Unabhängig von den jeweiligen Zielen der unterschiedlichen Schulen, werde der Körper, der Atem und der Geist trainiert (ebd.).

Das Übungssystem des Qigong umfasse neben der stillen Meditation eine Reihe an Be-wegungsabfolgen, welche langsam, konzentriert und wohl-gespannt ausgeführt werden sollten. Es werde sowohl die äußere Ruhe bei innerer Bewegung, als auch die innere Ruhe bei äußerer Bewegung geschult (ebd., S. 37–41).

In letzter Zeit werde Qigong in der schulischen wie auch außerschulischen Betreuung von Kindern und Jugendlichen sowie in der Erwachsenenbildung angeboten. Die ver-folgten Ziele der Selbstharmonisierung und -kräftigung und die Betonung der Eigenver-antwortlichkeit und Eigenmotivation seien dafür ausschlaggebend. In pädagogischen Kontexten praktiziere man Übungen aus dem medizinischen Qigong, da die Gefahr ei-ner Indoktrinierung so nicht bestehe (ebd.).

2.1.2.2.4 Stille Meditation

Diese Form der Praxis werde laut Altner vor allem in den beiden buddhistischen Schu-len Vipassana und Zen, aber auch in den taoistischen kontemplativen Praktiken wie dem Qigong geübt (ebd., S. 30–34).

Im Rückgriff auf Golemans Kommentar zum Visuddimagga (1988), einer buddhisti-schen Schrift aus dem 5. Jahrhundert, unterscheidet Altner zwei Methoden der stillen Meditation, wobei oft Mischformen praktiziert werden: die konzentrative sowie die Achtsamkeits- bzw. Einsichtsmeditation (Altner, 2006, S. 41–43).

Zur Illustration der beiden Methoden, folgen zwei Anleitungen:

Konzentrative Meditation:

„Wählen sie ein Objekt und verweilen sie mit Ihrer Aufmerksamkeit bei diesem Objekt.

Immer wenn Sie bemerken, dass Ihre Aufmerksamkeit vom Objekt weggewandert ist, bringen Sie sie sanft zum Objekt zurück.“ (Weiss et al., 2011, S. 98)

Achtsamkeits- oder Einsichtsmeditation:

„Sitzen Sie still, schenken Sie die offene Aufmerksamkeit allem, was ist, von Augen-blick zu AugenAugen-blick, mit Gleichmut, das heißt mit keinem Anhaften oder keiner Ableh-nung gegenüber dem, was auftaucht, und keinem Versuch es zu verändern.“ (Weiss, Harrer & Dietz, 2011, S. 98)

Nachdem nun am Exempel eines deutschen Erziehungswissenschaftlers gezeigt wurde, was in der pädagogischen Diskussion unter der Haltung und Praxis von Achtsamkeit verstanden werden kann, richtet sich nun der Blick auf die historische und kulturelle Entwicklung dieses Achtsamkeitsverständnisses.

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