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2.5 Erscheinungsformen des Übertrainingssyndroms

Israel (1976) unterscheidet zwei Erscheinungsformen des Übertrainings(syndroms), deren Kardinalsymptom eine herabgesetzte sportartspezifische Leistungsminderung ist. Das ‚base-dowoide (sympathische oder klassische) Übertraining(ssyndrom)‘ ist gekennzeichnet durch einen Symptomkomplex, der auf eine Erhöhung des Sympathikotonus zurückzuführen ist. Entsprechend hat das ‚addisonoide (parasympathische oder moderne) Übertraining(ssyndrom)‘ seinen Ursprung in einem Überwiegen des Parasympathikotonus.

Israel (1976, S. 6) bezeichnet Dysbalancen des autonomen Nervensystems, „Störungen in der Koordination der Erregungs- und Hemmungsprozesse“, als charakteristisch für beide Formen.

Diese Störungen, resultierend aus einem Missverhältnis zwischen Belastung und Belastbarkeit, führen zu unterschiedlichen, teilweise gegensätzlichen, physiologischen und psychologischen Veränderungen. Es wird davon ausgegangen, dass der Hypothalamus im Zusammenspiel mit dem

’Central Autonomic Network’ einen zentral modulierenden Einfluss auf autonome Prozesse ausübt (vgl. Esperer, 2004; Schandry, 2003), sodass diese zentralen Einheiten im Zusammenhang mit autonomen Dysbalancen und entsprechend auftretenden Symptomen eine entscheidende steuernde Rolle spielen dürften (vgl. Kuipers, 1998).

Während Israel (1976) beide Formen des Übertrainingssyndroms als „recht sicher“ voneinander abgrenzbar beschreibt, vermuten andere Autoren, dass es auch einen Mischtyp beider Varianten gibt (Urhausen & Kindermann, 2002a) bzw. diese unterschiedliche Stufen einer Stressreaktion repräsentieren könnten (vgl. Fry et al., 1991; Urhausen & Kindermann, 2000; Uusitalo et al., 1998).

Möglicherweise zeigen sich die von Urhausen und Kindermann (2002a) genannten Mischformen in den Übergängen von der Überbelastung zum Übertrainingssyndrom. Eine präzise Beschreibung dieser Übergänge ist zurzeit jedoch nicht zu leisten (Vogel, 2001).

In der aktuellen sportwissenschaftlichen Literatur werden unterschiedliche physiologische Reaktionen im Zusammenhang mit Fehlbelastungen mit individuellen Reaktionsmechanismen

(Kuipers & Keizer, 1988; Vogel, 2001) oder, wie bei Israel (1976), mit belastungsabhängigen Reaktionen des autonomen Nervensystems erklärt (Lehmann et al., 1991; Lehmann et al., cop.

1998).

Israels Modell ist bis heute zwar umstritten, findet in der sportwissenschaftlichen Literatur zum Thema Übertraining jedoch nach wie vor in zahlreichen Veröffentlichungen Erwähnung, ebenso in Standardwerken der Sportmedizin und Sportbiologie (vgl. Dickhuth, 2000; Weineck, 2002). Seine Ausführungen sind weder durch eigene Studien noch entsprechende Verweise belegt, dennoch erscheint die dargestellte Grundidee nach wie vor aktuell. Eine Vielzahl vorliegender Unter-suchungen geht in ihrer Grundannahme davon aus, dass durch Fehlbelastungen oder Überlastungen hervorgerufene physiologische und psychologische Reaktionen auf Dysbalancen des autonomen Nervensystems hinweisen (Fry et al., 1991; Lehmann et al., cop. 1998; Uusitalo et al., 1998).

Uusitalo, Uusitalo und Rusko (1998) konnten diese Vermutungen anhand von Untersuchungen mit Ausdauersportlerinnen mittels chemisch induzierter parasympathischer bzw. sympathischer Blockade während Herzfrequenzmessungen allerdings nicht nachweisen.

2.5.1 Das addisonoide Übertrainingssyndrom

Die addisonoide Variante des Übertrainings(syndroms) ist gekennzeichnet durch eine Über-steuerung der parasympathischen Regulationsvorgänge, im vegetativen Nervensystem überwie-gen Hemmungsprozesse, die charakteristisch für Ruhe- und Erholungsphasen sind (vgl. Lehmann et al., 1997). So hat der Parasympathikus als Teilsystem des Nervensystems eine frequenz-senkende Wirkung auf das Herz und einen negativen Einfluss auf die Kontraktionskraft der Vorhöfe (Dickhuth, 2000). Als charakteristisch für ein addisonoides Übertrainingssyndrom müssen demnach ein erniedrigter Ruhepuls (Adams & Kirkby, 2001; Hollander et al., 1995; Hottenrott, 2002b; Israel, 1976; Lehmann, Foster et al., 1993; Lehmann et al., cop. 1998) und damit einhergehend erhöhte Herzfrequenzvariabilitätswerte (vgl. Berbalk, 1999; Berbalk & Bauer, 2001;

König, Schumacher, Schmidt-Trucksäss & Berg, 2003) gewertet werden. Weiterhin genannt werden ein erniedrigter Belastungspuls bei submaximalen und maximalen Intensitäten (Lehmann, Foster et al., 1993), eine reduzierte Laktatbildung bei submaximalen und maximalen Intensitäten (Kuipers & Keizer, 1988; Lehmann et al., 1991; Lehmann, Foster et al., 1993; Lehmann et al., cop.

1998; Voigt, 1990) – an anderer Stelle jedoch auch eine Zunahme maximaler Laktatwerte (Hollander et al., 1995) – und häufig auch eine gute Regenerationskapazität (Fry et al., 1991;

Hollander et al., 1995; Israel, 1976; Lehmann, Foster et al., 1993).

Als zusätzliche Indikatoren gelten, neben einer sportartspezifischen Leistungsminderung vor allem bei hochintensiven anaeroben Belastungen (Lehmann, Foster et al., 1993; Lehmann et al., cop.

1998), Stimmungsschwankungen bzw. psychische Auffälligkeiten wie Apathie, Phlegma oder Depression (Hollander et al., 1995; Lehmann, Foster et al., 1993; Lehmann et al., cop. 1998), eine verminderte Katecholaminausscheidung (Lehmann, Foster et al., 1993; Lehmann et al., cop.

1998), eine herabgesetzte neuromuskuläre Erregbarkeit, ein erhöhter Kortisolspiegel, Beschwerden wie Muskelsteifheit und Muskelschmerzen (Lehmann, Foster et al., 1993), erniedrigte Ruhelaktatwerte (Hollander et al., 1995) und zentrale Ermüdungserscheinungen

25 (Hollander et al., 1995; Kuipers, 1998; Lehmann et al., 1998; Urhausen & Kindermann, 2002a;

Vogel, 2001). Zudem werden koordinative Beeinträchtigungen bei hohen Belastungsintensitäten als charakteristisch gewertet (Israel, 1976). Lehmann et al. (1997) bringen die addisonoide Variante des Übertrainingssyndroms mit zentralen Ermüdungserscheinungen in Verbindung.

Israel (1976, S. 3) weist darauf hin, dass diese Form des Übertrainings(syndroms) „relativ schwer objektivierbar“ sei, sich langsam ausbilde und sein Anfang kaum zu datieren sei. Die genannten Symptome ähneln normalen positiven Anpassungserscheinungen an sportliches Training, haben also nur in Zusammenhang mit Leistungsminderungen diagnostischen Nutzen.

Sportler der (Langzeit-)Ausdauersportarten sowie Sportler, die mit sehr hohen Belastungs-umfängen trainieren, neigen dazu, ein addisonoides Übertrainingssyndrom zu entwickeln (Adams

& Kirkby, 2001; Dickhuth, 2000; Lehmann et al., 1991; Lehmann et al., 1998).

2.5.2 Das basedowoide Übertrainingssyndrom

Ein basedowoides Übertraining(ssyndrom) ist gekennzeichnet durch eine Übersteuerung der sym-pathischen Regulationsvorgänge, im vegetativen Nervensystem überwiegen die Erregungspro-zesse. Auf diese Weise kann es zu einer Überforderung der organismischen Anpassungsfähigkeit kommen (Weineck, 2002). Diese Form des Übertrainings(syndroms) zeigt sich, abgesehen von einer sportartspezifischen Leistungsminderung (Lehmann et al., 1991), möglicherweise durch eine erhöhte Ruheherzfrequenz (Adams & Kirkby, 2001; Dressendorfer, Wade & Scaff, 1985; Hollander et al., 1995; Israel, 1976; Lehmann et al., 1991) und damit einhergehenden erniedrigten Herz-frequenzvariabilitätswerten im Ruhezustand (Berbalk, 1999; Berbalk & Bauer, 2001; Hottenrott, 2002b; König et al., 2003), durch verminderte maximale Laktatwerte (Lehmann et al., 1991), eine erhöhte Katecholaminausscheidung (Lehmann, Foster et al., 1993), Gewichtsabnahme (Lehmann et al., 1991) sowie durch Befindlichkeitsstörungen wie Angst, Nervosität, innere Unruhe, Gereiztheit, Übererregtheit und Neigung zu Infekten (Israel, 1976; Lehmann et al., 1991; Lehmann, Foster et al., 1993; Martin et al., 1993; Weineck, 2002), Schlafstörungen (Hollander et al., 1995;

Israel, 1976), herabgesetzten Appetit (Lehmann et al., 1991), durch eine verminderte Regenerationsfähigkeit (Adams & Kirkby, 2001; Fry et al., 1991) sowie durch koordinative Störungen und Kopfschmerzen (Israel, 1976).

Nach Israel (ebenda) fällt die Diagnose leicht, der Sportler „fühlt sich krank“. Als Ursache für ein basedowoides Übertraining(ssyndrom) werden hohe Belastungsintensitäten genannt, ohne dass zuvor durch einen entsprechenden Umfang eine angemessene Grundlage für derartige Belastungen geschaffen wurde.

Israel (1976) ordnet das basedowoide Übertraining(ssyndrom) Kraft- und Schnellkraftdisziplinen sowie Spielsportarten mit hohem technischen Anforderungsprofil zu und bezeichnet jugendliche Sportler als prädestiniert für die Ausbildung dieser Variante. Fry et al. (1991) sehen es als charakteristisch für sportliche Tätigkeiten an, die mit einer hohen Beanspruchung anaerober Energiebereitstellung verbunden sind (vgl. Budgett, 1998).