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3.3 Symptome

3.3.2 Herzfrequenzvariabilität

3.3.2.4 Diskussion der Studienergebnisse zur Herzfrequenzvariabilität

Körperliche Belastung führt unmittelbar zu einer deutlichen Reduzierung oder Abschaltung der efferenten Vagusaktivität (Aubert et al., 2003) und damit zu einer „Verschiebung der autonomen Balance zugunsten einer Sympathikusdominanz“ (Hottenrott, Hoos & Esperer, 2006, S. 545; vgl.

Hoos, 2006). Bei zunehmender Belastung verstärkt sich die Aktivierung des Sympathikus und es kommt, in Anhängigkeit von Belastungsintensität und Belastungsform, zu einer Reduzierung der Herzfrequenzvariabilität (Aubert et al., 2003; Hottenrott et al., 2006; König et al., 2003; vgl. Horn, Schulz & Heck, 2004; Leicht, Sinclair & Spinks, 2008), und zwar über die Dauer der sportlichen Aktivität hinaus (Mourot et al., 2004). Diese Anpassungen sind individuell unterschiedlich, sodass die HRV im Verlauf von Extrembelastungen auch wieder ansteigen kann (vgl. Cottin, 2007).

Langfristig betrachtet führt sportliches (Ausdauer-)Training jedoch zu einem relativen Anstieg des Wirkungsgrades des parasympathischen Anteils des autonomen Nervensystems (Aubert et al., 2003; Berbalk, 1999; Berbalk & Bauer, 2001; Dickhuth, 2000; Gamelin et al., 2007; Goldsmith et al., 1997; Hoos, 2009; Hottenrott et al., 2006; Iellamo et al., 2002; König et al., 2003; Meeusen et al., 2006; Pichot et al., 2002; Tulppo et al., 2003; vgl. Hoos, 2006; Mourot et al., 2004) und damit zu einer erhöhten Herzfrequenzvariabilität, nachweisbar durch eine Zunahme hochfrequenter, ver-einzelt auch niedrigfrequenter, Anteile am Gesamtsignal des RR-Tachogramms sowie durch einen Anstieg der vagal modulierten Parameter des Zeitbereichs (Aubert et al., 2003; Baumert et al., 2006; Berbalk, 1999; Goldsmith et al., 1997; Hedelin et al., 2000; König et al., 2003; Pichot et al., 2002). Studien von Gamelin et al. (2007), Kiviniemi et al. (2006), Sandercock und Brodie (2006), Schuit et al. (1999), Tulppo et al. (2003) sowie eine von Sandercock et al. (2005) durchgeführte Metaanalyse konnten dies mit ihren Ergebnissen belegen. Tulppo et al. (2003) gehen davon aus, dass bereits ein moderates Trainingsvolumen ausreichend ist, um von den kardiovaskulären Veränderungen durch Ausdauertraining zu profitieren und eine erhöhte vagale Einflussnahme hervorzurufen. Größere Anpassungen der HRV sind bei jüngeren und untrainierten Personen beobachtet worden (vgl. Boutcher & Stein, 1995; Sandercock et al., 2005; Schuit et al., 1999).

Aubert et al. (2003) weisen darauf hin, dass die HRV mit zunehmendem Lebensalter abnimmt (vgl.

Berbalk, 1999), denkbar ist also, dass diese dann auch weniger anpassungsfähig ist als bei jungen Sportlern.

Hedelin et al. (2001) konnten in ihrer siebenmonatigen Studie mit Skilangläufern und Kanuten nationalen Spitzenniveaus zwar keine eindeutigen Veränderungen der parasympathisch modu-lierten HRV-Parameter aufgrund eines verbesserten Trainingszustands nachweisen, jedoch zeigte die Studie, dass diejenigen Sportler, die im Anschluss an die Trainingsphase eine erhöhte maximale Sauerstoffaufnahmefähigkeit erreichen konnten, von Beginn an höhere Werte für den

73 hochfrequenten Bereich und eine höhere Gesamtvariabilität aufwiesen. Die Autoren spekulieren, dass das Niveau der parasympathischen Aktivität ein vererbtes Merkmal sein könnte, welches die kardiovaskuläre Anpassungsfähigkeit an sportliches Training beeinflusst.

Eine erhöhte instantane und globale Herzfrequenzvariabilität bei trainierten im Vergleich zu un-trainierten Personen ist bezogen auf die rein vagal modulierten Parameter zwar höchst wahr-scheinlich und durch entsprechende Studien belegt (Gilder & Ramsbottom, 2008; Goldsmith et al., 1997; Shin et al., 1997; vgl. Achten & Jeukendrup, 2003) und wird daher gemeinhin bei gesunden Menschen mit einer reduzierten Ruheherzfrequenz und somit mit einem verbesserten Trainingszustand assoziiert (vgl. Berbalk, 1999; Hottenrott et al., 2006; Tulppo et al., 2003).

Dennoch ist diese Vorstellung aufgrund von Studienergebnissen, die keine Veränderungen der HRV durch aerobes Ausdauertraining nachweisen konnten (Boutcher & Stein, 1995; Hedelin et al., 2001; Kiviniemi et al., 2007; Loimaala, Huikuri, Oja, Pasanen & Vuori, 2000; Melanson, 2000), nicht allgemein anerkannt (vgl. Kiviniemi et al., 2006; Sandercock & Brodie, 2006). Aubert et al.

(2003) vermuten, dass das Lebensalter der Untersuchungsteilnehmer die teilweise diskrepanten Ergebnisse erklären könnten. Ähnlich argumentieren Sandercock und Brodie (2006), die als ursächlich für die Heterogenität der Ergebnisse variierende Teilnehmerzahlen in Bezug auf Alter und Trainingszustand, die häufig hohe Anzahl an gemessenen Parametern sowie uneinheitliche methodische Vorgehensweisen bei der Auswertung der Daten ansehen. Verantwortlich könnte auch die hohe biologische Variabilität der Herzfrequenzvariabilität sein (vgl. Horn et al., 2004), vor allem dann, wenn die Anzahl der durchgeführten Messungen gering ist. So führten Hedelin, Wiklund et al. (2000) einmalige Messungen bei einem Teilnehmer mit Symptomen eines Übertrainingssyndroms durch, Earnest et al. (2004) verglichen die Ergebnisse von zwei Messungen mit einem Referenzwert, Baumert et al. (2006), Hedelin, Kenttä et al. (2000) sowie Uusitalo et al. (2000) nahmen lediglich zwei bzw. drei Messungen vor, sodass eine Interpretation der Verläufe der gemessenen Parameter nicht möglich ist.

Auch der Einsatz unterschiedlicher Atemtechniken kann zu veränderten bzw. widersprüchlichen Ergebnissen führen. Iwasaki et al. (2003) dokumentierten in ihrer Studie bemerkenswert hohe Differenzen bei Messungen der HRV-Parameter mit spontaner im Vergleich zu kontrollierter Atmung.

In Verbindung mit Überbelastungen und Übertrainingssyndrom sind aufgrund des Einflusses sport-lichen (Ausdauer-)trainings auf die vegetative Reaktionslage grundsätzlich Anpassungen der Para-meter der Herzfrequenzvariabilität zu erwarten (vgl. Berbalk, 1999; Dickhuth, 2000; Hedelin et al., 2000; Hottenrott et al., 2006; Israel, 1976; König et al., 2003; Mourot et al., 2004). Die vorliegenden Studien zeigen diesbezüglich jedoch keine einheitlichen Ergebnisse.

Während Untersuchungen mit als überbelastet diagnostizierten Sportlern eine reduzierte parasym-pathische Aktivität vereinzelt nachweisen konnten (Hynynen et al., 2006; Hynynen et al., 2008;

Mourot et al., 2004), gelang dies bei Untersuchungen während intensiver Belastungsphasen nur vereinzelt (Baumert et al., 2006; Iellamo et al., 2002; Winsley et al., 2005; vgl. Bosquet et al., 2008). Die Untersuchung von Baumert et al. (2006) stellt in diesem Zusammenhang die einzige der oben genannten Arbeiten dar, bei der eine reduzierte HRV in Verbindung mit Leistungsmin-derungen dokumentiert werden konnte. Teilweise blieben VeränLeistungsmin-derungen der HRV aus (Atlaoui et al., 2007; Earnest et al., 2004; Hedelin et al., 2000), vereinzelt nahm diese sogar zu (Pichot et al.,

2002) oder die Ergebnisse ließen keine eindeutige Interpretation zu (Portier et al., 2001).

Letztgenannte Autoren konnten bei acht hochtrainierten Ausdauersportlern nach zwölfwöchigem intensivem Ausdauertraining insgesamt eine reduzierte Herzfrequenzvariabilität nachweisen, die jedoch mit erhöhten Werten im HF-Bereich und damit mit einer erhöhten vagalen Aktivität einherging. Die Autoren interpretieren diese Anpassungen der HRV als kennzeichnend für eine Überbelastung und argumentieren, dass auch ein erhöhter Vagotonus durchaus ein durch zu umfangreiches und intensives Ausdauertraining hervorgerufenes Ungleichgewicht der autonomen Balance, im Sinne eines parasympathischen Übertrainingssyndroms (vgl. Israel, 1976), darstellen könne (Portier et al., 2001). Andere Autoren gehen davon aus, dass gegenteilige Veränderungen, also ein Anstieg der sympathischen Aktivität, mit Überbelastungen einhergehen (Winsley et al., 2005).

Iellamo et al. (2002), die in ihrer Studie mit Hochleistungsruderern nachweisen konnten, dass in Phasen höchst intensiven und umfangreichen Trainings die Spektralleistung im HF-Frequenzband im Vergleich zu Normwerten der Sportler signifikant abnahm und während moderaterer Belastungsphasen signifikant anstieg, nehmen an, dass es beim Übergang von submaximalen zu maximalen Belastungsphasen zunächst zu einer Steigerung der Aktivität vagaler und einer Hemmung der Aktivität sympathischer Einflüsse im Sinne einer Trainingsanpassung kommt. Eine weitere Steigerung des Belastungsumfangs über ein kritisches Maß hinaus dagegen führe zu einer Veränderung autonomer Einflüsse und einem Überwiegen sympathischer Einflüsse. In der vorliegenden Studie kam es nicht zu Leistungsminderungen bei denjenigen Sportlern, die im Anschluss an die extrem hohen Belastungsumfänge erfolgreich an einer Weltmeisterschaft teilnahmen. Die Autoren beschreiben daher die beobachteten autonomen Veränderungen als neurovegetative Anpassungen der Sportler im Sinne einer Leistungssteigerung.

Die in den erwähnten Studien dokumentierten Veränderungen der HRV müssen, um auf ihren diagnostischen Nutzen überprüft werden zu können, vor dem Hintergrund der Leistungsent-wicklung der untersuchten Sportler interpretiert werden. Ansonsten sind Aussagen darüber, ob die HRV-Parameter eine Verbesserung der (Ausdauer-) Leistungsfähigkeit anzeigen, ein Symptom für Ermüdung oder eine Überbelastung bzw. ein Übertrainingssyndrom darstellen oder alternative systemische Veränderungen repräsentieren könnten, nicht möglich.

Häufig erfolgt jedoch die Bewertung einzelner Studien unabhängig von Angaben zur Leistungs-entwicklung. Aus der Tatsache, dass Sportler Überlastungen ausgesetzt wurden, wird die fälschliche Annahme formuliert, dass es sich um Überbelastungen gehandelt habe. Mourot et al.

(2004) beispielsweise argumentieren mit Verweis auf Studien von Iellamo et al. (2002) sowie Pichot et al. (2000), dass Überbelastungen sowohl mit einer erhöhten sympathischen als auch mit einer erhöhten parasympathischen Aktivität einhergingen. Keine der von Mourot et al. (2004) zitierten Studien konnte bei den untersuchten Sportlern Leistungsminderungen nachweisen – während Iellamo et al. (2002) Leistungssteigerungen dokumentierten, verzichteten Pichot et al.

(2000) auf die Durchführung von Leistungstests. Es kann somit nicht davon ausgegangen werden, dass es sich tatsächlich um Überbelastungen handelte. Vielmehr zeigten sich bei den genannten Studien unterschiedliche Veränderungen der HRV während hoch intensiver und umfangreicher Belastungsphasen.

75 Wichtig erscheinen zudem Angaben über die vorgenommenen Messzeitpunkte der HRV. Uusitalo et al. (2000), die erhöhte Werte im LF-Bereich im Zusammenhang mit Leistungsminderungen bei Sportlerinnen nachweisen konnten, verzichteten nicht nur auf eine Quantifizierung der zeitlichen Dauer der Pausen zwischen den Trainingseinheiten, sondern auch auf Angaben über die zeitlichen Abstände zwischen durchgeführtem Training und den Messungen der HRV-Parameter. Achten und Jeukendrup (2003, S. 527) verweisen daher auf die Möglichkeit, dass die erhöhten Werte des niedrig frequenten Bereichs von der zuletzt durchgeführten Trainingseinheit beeinflusst worden sein könnten: “Low Frequency Power remains elevated for up to 24 hours after an exercise bout“.

Zusammenfassend bleiben in Bezug auf die HRV und deren Einsatz im Bereich der Diagnostik von Überbelastungen folgende Aspekte festzuhalten:

Die Annahme autonomer Dysbalancen im Zusammenhang mit Überbelastungen würde Verän-derungen der Herzfrequenzvariabilität implizieren (vgl. Hoos, 2006; Pichot et al., 2002; Uusitalo, 2001; Winsley et al., 2005), Horn (2003, S. 214) vermutet, „dass die quantitativ ausgeprägtesten und zeitlich ausgedehntesten Auslenkungen der autonomen Reaktionslage nach erschöpfenden Beanspruchungen zu erwarten sind.“

Studien mit Sportlern, die einer Überlastung bzw. Extrembelastungen ausgesetzt wurden (Atlaoui et al., 2007; Baumert et al., 2006; Hedelin et al., 2001; Hedelin et al., 2000; Iellamo et al., 2002;

Pichot et al., 2002; Portier et al., 2001; Uusitalo et al., 2000; Winsley et al., 2005) sowie Studien mit als überbelastet diagnostizierten Sportlern (Hynynen et al., 2008; Mourot et al., 2004) stützen diese Vermutung allerdings nur teilweise und konnten keine einheitlichen Ergebnisse aufzeigen.

Bosquet et al. (2008) vermuten zwar, dass die Herzfrequenzvariabilität lediglich als Zeichen kurz-fristiger Ermüdung und nicht zur Diagnose längerkurz-fristiger Ermüdungserscheinungen genutzt werden kann, dennoch gewinnen Parameter der HRV als Indizien für Anpassungen der (para)-sympathischen Aktivität in der Diagnostik belastungsbedingter Erschöpfung und in der Trainings-steuerung zunehmend an Bedeutung (vgl. Hottenrott et al., 2006; Kiviniemi et al., 2007). Sie gelten an anderer Stelle als vielversprechende Möglichkeit im Hinblick auf die Interpretation von Regene-rationsprozessen sowie die Früherkennung von Überbelastungen (vgl. Hedelin, Wiklund et al., 2000; Kayser & Gremion, 2004). Voraussetzung für eine präventive Nutzung der HRV ist jedoch neben einer ausreichend häufigen Messung unter gleich bleibenden Bedingungen eine Dokumen-tation des Leistungszustands.

Interindividuelle Vergleiche der HRV-Parameter erscheinen fragwürdig. Löllgen (1999) gibt zwar an, dass der rMSSD-Wert als Parameter der vagal modulierten Schlag-zu-Schlag-Variabilität bei Ausdauersportlern um das 3-4fache über dem Referenzwert der Normalpopulation, welcher mit 27 ms angegeben wird, liege – um der individuellen und biologischen Variabilität dieses Parameters Rechnung zu tragen, erscheinen persönliche Referenzwerte und intraindividuelle Vergleiche bei regelmäßig durchgeführten Messungen jedoch sinnvoller als ein Vergleich unterschiedlicher Personengruppen.