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Für Sportler ist es von entscheidender Bedeutung, ein Übertrainingssyndrom mit nicht absehbaren Folgen für Gesundheit und sportliche Karriere zu vermeiden. Eine Überprüfung und Zusammen-stellung verschiedener geeigneter und möglichst einfach zu ermittelnder diagnostischer Parameter, welche auch als Frühwarnsymptome geeignet wären, ist bis heute jedoch nicht gelungen (vgl.

Kenttä & Hassmén, 1998) und sollte daher im Mittelpunkt der Forschungsvorhaben zu diesem Thema stehen.

Ein Blick auf diejenigen Parameter, die in der sportwissenschaftlichen Literatur Erwähnung finden, ermutigt zunächst nicht:

“The apparent vagueness surrounding OTS (Overtraining Syndrome) is (further) complicated by the fact that the clinical features are [...] non-specific, anecdotal, and numerous” (Meeusen et al., 2006, S. 3).

Fry et al. (1991) beispielsweise haben allein 84 sogenannte Hauptsymptome aufgelistet, die grundsätzlich mit überbelasteten Sportlern in Verbindung gebracht werden. Vogel (2001) fasste in seiner Arbeit die gängigsten der bisher in Untersuchungen über Übertrainingszustände verwendeten diagnostischen Parameter zusammen. Die Angaben beziehen sich auf Studien mit Leistungs- und Freizeitsportlern aus den Sportarten Schwimmen, Kanu, Radfahren und Laufen und sind auszugsweise dargestellt.

Im Hinblick auf die sportliche Leistung eines Athleten finden sich folgende diagnostisch verwert-bare Angaben:

• keine Verbesserung der sportartspezifischen Leistungsfähigkeit im halbjährigen Saison-verlauf (Hooper et al., 1995)

• eine Leistungsminderung bei einem Ausbelastungstest (time trial) mit einer Intensität von 85 % der bei einem Stufentest erzielten maximalen Laufgeschwindigkeit (Bosquet et al., 2001)

• eine reduzierte maximale Leistungsfähigkeit, ohne weitere quantitative Angaben (Jeukendrup et al., 1992; MacKinnon, 2000; Meeusen et al., 2006; Uusitalo et al., 1998)

• eine um ca. 3–10 % reduzierte maximale Leistungsfähigkeit (Snyder et al., 1995; Vogel et al., 2001), Vogel et al. (ebenda) nennt gleichzeitig eine Abnahme der maximal erzielten Laufgeschwindigkeit bei einem Laktat-Stufentest um 0,6 km/h

• eine um mindestens 2 ml/kg/min bzw. 4 % reduzierte maximale Sauerstoffaufnahmefähig-keit (Uusitalo et al., 1998)

• eine Leistungsminderung bei einem Radrennen auf identischer Strecke um 5 % (Slivka, Hailes, Cuddy & Ruby, 2010)

• eine Leistungsminderung bei einem herzfrequenzorientierten Lauftest (Zoladz-Test) um mindestens 5 % bei zwei aufeinanderfolgenden Tests im Vergleich zu einem Normwert (Schmikli et al., 2010)

Bezogen auf die individuelle Befindlichkeit und Trainingsverträglichkeit existieren nachstehende Kriterien:

• andauernde Müdigkeit (MacKinnon, 2000; Meeusen et al., 2006), die bei Hooper et al.

(1995) und Bosquet et al. (2001) näher quantifiziert werden, indem Müdigkeitsangaben

27 über einem Wert von 5 auf einer Skala von 1 (very, very low) bis 7 (very, very high) an mindestens sieben aufeinanderfolgenden Tagen als diagnostisches Kriterium verwendet werden

• schlechte Trainingsverträglichkeit und Trainingsunlust (Hooper et al., 1995; Uusitalo et al., 1998)

• Stimmungsschwankungen und Schlafstörungen (MacKinnon, 2000; Meeusen et al., 2006;

Urhausen & Kindermann, 2002a, 2002b; Uusitalo et al., 1998), Berglund und Säfström (1994) quantifizieren diese, indem sie eine Veränderung des Summenwertes des Profile of Mood State (POMS) um mehr als 50 % gegenüber Baselinewerten angeben

• ein erhöhter Borg-Wert bei Belastungstests (Meeusen et al., 2006), Vogel et al. (2001) konkretisieren dies, indem sie von einer Zunahme der über alle Belastungsstufen auf-summierten Punkte auf der Borg-Skala um 3 oder mehr ausgehen

• Appetitlosigkeit (Uusitalo et al., 1998)

Die Herzfrequenz betreffend finden sich folgende Angaben:

• eine erniedrigte maximale Herzfrequenz (MacKinnon, 2000), wobei Snyder et al. (1995) von einer Erniedrigung um mehr als 5 Schläge pro Minute ausgehen, Urhausen und Kindermann (2002b) von lediglich 3-5 Schlägen pro Minute bzw. 3 % (vgl. Urhausen &

Kindermann, 2002a)

• eine Veränderung der Herzfrequenz bei stufenförmigen Belastungstests um durchschnitt-lich 10 Schläge pro Minute pro Stufe (Vogel et al., 2001)

• eine Erhöhung der Ruheherzfrequenz um 25 Schläge pro Minute (Meitern 1989, zitiert nach Voigt, 1990)

• ein Erholungspuls von mehr als 100 Schlägen pro Minute 10 Minuten nach Beendigung einer Belastung (Karvonen, 1992)

• eine um 10 % erhöhte Ruheherzfrequenz (Slivka et al., 2010)

• eine um mindestens 5 Schläge pro Minute erhöhte Ruheherzfrequenz (Schmikli et al., 2010)

• eine Zunahme der submaximalen Herzfrequenz bei einem vordefinierten Belastungstest um mehr als die über den Untersuchungszeitraum ermittelte Standardabweichung (hier: 8 Schläge pro Minute) (Slivka et al., 2010)

• eine mindestens einen Monat anhaltende Zunahme der mittleren Herzfrequenz während identischer Belastungsformen um mindestens 5 % (Schmikli et al., 2010)

Bezogen auf blutchemische Parameter existieren folgende bereits verwendete Diagnosekriterien:

• reduzierte Plasmacortisolspiegel (Snyder et al., 1995)

• reduzierte maximale Laktatwerte (MacKinnon, 2000; Urhausen & Kindermann, 2002a, 2002b), Vogel et al. (2001) präzisieren, indem sie von einer Reduzierung um mindestens 1 mmol/l oder 20 % auf der letzten vollständig durchlaufenen Belastungsstufe bei einem Ausbelastungstest ausgehen

• eine Reduktion des Quotienten aus Maximallaktat und Borg-Wert x 100 um mehr als 20 (Borg-Skala von 0 bis 10) bei Durchführung standardisierter maximaler Belastungen (Snyder et al., 1995)

• ein Abfall des Verhältnisses von Testosteron zu Cortisol um mehr als 30 % (Slivka et al., 2010)

Fragebögen, die Merkmale einer Überbelastung und Erholungsdefizite ermitteln, kommen bei Bosquet et al. (2001), Jeukendrup et al. (1992) und Snyder et al. (1995) als diagnostische Instru-mentarien zum Einsatz. Die quantitativen Angaben über notwendige Veränderungen, um von einem diagnostischen Nutzen ausgehen zu können, sind hierbei unterschiedlich.

Weiterhin ist anzumerken, dass der Ausschluss von Krankheiten und Verletzungen, die als alternative Erklärungen für eine mögliche Leistungsminderung dienen könnten, für die Erstellung einer Diagnose erforderlich ist (Hooper et al., 1995; Meeusen et al., 2006; Uusitalo et al., 1998).

In einer der wenigen Untersuchungen mit Sportlern, die von einem Mediziner als überbelastet bzw.

als unter einem Übertrainingssyndrom leidend eingestuft wurden, und die zwischen zwei Wochen und einem Jahr unter symptomatischen Beschwerden wie Müdigkeit, dem Gefühl schwerer Beine und Leistungsminderungen litten, versuchten Meeusen et al. (2008), hormonelle Indikatoren darzu-legen. Die Autoren testeten die insgesamt zehn Sportler anhand zweier Stufentests auf dem Laufband oder Fahrradergometer bis zur Ausbelastung und untersuchten hormonelle Veränderungen vor sowie unmittelbar nach beiden Tests. Die Autoren postulieren abschließend, dass eine signifikante Erhöhung der Konzentration der Hormone ACTH (adrenocorticotrophic hormone) und PRL (prolactin hormone) unmittelbar nach dem zweiten Test – im Vergleich zu Ruhewerten vor dem Test – für eine Überbelastung, eine Erniedrigung oder Stagnation dieser Hormone für ein Übertrainingssyndrom sprächen. Nederhof et al. (2008) konnten diese These mittels Untersuchungen an zwei überbelasteten Eisschnellläuferinnen und einer normal trainierten Eisschnellläuferin jedoch nicht bestätigen.

Meeusen et al. (2006) stellen einige Leitfragen vor, anhand derer sich eine mögliche Diagnose eines Übertrainingssyndroms orientieren solle. Darin erwähnen die Autoren u. a. folgende Aspekte:

• Erhöhte sich das Trainingsvolumen um mehr als 5 % (Stunden/Kilometer pro Woche)?

• Stieg die Trainingsintensität signifikant an?

• Lag Trainingsmonotonie vor?

• Gab es eine hohe Anzahl von Wettkämpfen?

• Lagen soziale, emotionale oder andere Stressoren vor?

• Gibt es Normwerte von Leistungsparametern und weiteren psychologischen/physiolo-gischen Parametern, die zum Vergleich herangezogen werden können?

Anzunehmen ist, dass – der Ausschluss von Krankheiten und Verletzungen vorausgesetzt – eine Kombination verschiedener Diagnoseparameter notwendig ist, um eine Überbelastung bzw. ein Übertrainingssyndrom diagnostizieren zu können, denn es erscheint „außerordentlich unwahr-scheinlich, dass Veränderungen einzelner Parameter für die Veränderungen aller Systeme repräsentativ sein sollen“ (Vogel, 2001, S. 160; vgl. Hendrickson & Verde, 1994; Israel, 1976;

O’Toole, cop. 1998). Die ausgewählten Parameter müssten in der sportlichen Praxis

29 einzelfallbezogen verwendet und interpretiert werden, d. h. unter Berücksichtigung vorliegender individueller Norm- und Vergleichswerte (vgl. Vogel, 2001).