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Aus der beschriebenen Problematik bei der Definition von Ermüdungszuständen, die durch Fehl- oder Überlastungen hervorgerufen werden, ergeben sich einige Punkte, die im Zusammenhang mit der Erstellung möglicher Diagnoseparameter nachfolgend diskutiert werden.

Diagnostische Parameter zur Hand zu haben, welche auch präventiv verwertbar wären, würde Sportlern und Trainern eine enorme Hilfe für die Trainingssteuerung bieten:

“Athletes and the fields of sports medicine in general would benefit greatly if a specific, sensitive simple diagnostic test existed for the diagnosis of OTS (Overtraining Syndrome)“ (Meeusen et al., 2006, S. 4).

Die Autoren nennen als weitere Kriterien für verlässliche Indikatoren, dass diese vor der Ausbildung eines Übertrainingssyndroms nachweisbar sind sowie die Unterscheidung akuter und chronischer Veränderungen aufgrund sportlicher Belastungen ermöglichen.

Nach heutigem Kenntnisstand ist die Früherkennung einer Überbelastung oder eines Über-trainingssyndroms nach den von Meeusen et al. (ebenda) genannten Kriterien aus verschiedenen Gründen jedoch nicht möglich.

Zunächst erfordert das Erstellen einer Diagnose – wie in Kapitel 2.4 bereits erwähnt – eine medizinische Untersuchung, die krankheitsbedingte (z. B. organische Erkrankungen oder Infekte, z. B. Epstein-Barr-Virus) oder andere konkurrierende Ursachen für eine Leistungsminderung (z. B.

Eisen-, oder Magnesiummangel, eine negative Energiebilanz, endokrinologische Auffälligkeiten, Allergien, Asthma, Blutarmut, Borreliose etc.) ausschließt (vgl. Halson & Jeukendrup, 2004;

Meeusen et al., 2006; Purvis et al., 2010). In der sportlichen Praxis wird auf diesen Ausschluss häufig verzichtet, ebenso fehlt er bei der großen Mehrzahl bisher durchgeführter experimenteller und nicht-experimenteller Untersuchungen.

Problematisch erscheint weiter ein fehlender Konsens über einheitliche Kriterien einer Ausschluss-diagnose. So werden beispielsweise Infekte einerseits als Ausschlusskriterium genannt (vgl.

Hooper et al., 1995; Meeusen et al., 2006; Uusitalo et al., 1998), andererseits in einigen Arbeiten als mögliche Symptome (Hendrickson & Verde, 1994; Pearce, 2002) bzw. Ursachen (Israel, 1976;

Kindermann, 1986) einer Überbelastung oder eines Übertrainingssyndroms aufgeführt. Eine klare Trennung zwischen Ursachen und Symptomen einer Überbelastung ist kaum möglich, berücksichtigt man beispielsweise zusätzlich zum sportlichen Training wirkende psychologische Stressoren und damit verbundene Befindlichkeitsstörungen. Vielfach können alternative Erklärungen für eine Leistungsminderung nicht ausgeschlossen werden und erschweren daher die Bestimmung ursächlicher Faktoren (vgl. Lehmann et al., 1999). Ein Konsens über mögliche Ausschlusskriterien ist jedoch für die begriffliche Einordnung vorliegender Erschöpfungszustände unabdingbar.

Meeusen et al. (2006) verweisen auf die möglicherweise subtilen Unterschiede zwischen Symptomen einer Überbelastung und eines Übertrainingssyndroms, die auch belastungs- bzw.

sportartspezifisch sowie individuell variieren (vgl. Armstrong & VanHeest, 2002; Fry et al., 1991;

Israel, 1976; Karvonen, 1992; Kenttä & Hassmén, 1998; Kuipers & Keizer, 1988; Lehmann, Foster et al., 1993; Lehmann et al., 1998; Moeller, 2004; O’Toole, cop. 1998; Pearce, 2002; Raglin &

Barzdukas, 1999; Urhausen & Kindermann, 2000; Uusitalo et al., 1998; Uusitalo, 2001) und bereits im Vorfeld einer Leistungsminderung auftreten können. Angenommen wird vielfach dennoch, dass die mit einem Übertrainingssyndrom einhergehenden Symptome stärker ausgeprägt sind als bei einer Überbelastung (Fry et al., 1991; Halson & Jeukendrup, 2004; Kuipers & Keizer, 1988;

Meeusen et al., 2006; Nederhof et al., 2007; vgl. Kenttä & Hassmén, 1998) – dies ist bisher allerdings nicht durch entsprechende Studienergebnisse belegt und näher quantifiziert worden.

Denkbar ist, dass multifaktorielle Auslöser einer Überbelastung oder eines Übertrainingssyndroms unterschiedliche symptomatische Veränderungen hervorrufen können. So könnten sich beispiels-weise die Merkmale einer durch zu hohe Belastungsintensitäten ausgelösten Überbelastung von denen einer durch externe Stressfaktoren, mangelnde Regenerationszeit bzw. zu hohe Belastungsumfänge ausgelösten Überbelastung intraindividuell unterscheiden. Die für einen bestimmten Sportler als diagnostisch verwertbar bewerteten Symptome bedürfen also im lang-fristigen Trainingsverlauf einer ständigen Überprüfung.

Belastungsanforderungen rufen Abwehrmechanismen hervor, die verschiedene miteinander inter-agierende physiologische Systeme, z. B. immunologischer oder neuroendokrinologischer Art, aktivieren, sodass kein einzelner ursächlicher physiologischer oder psychologischer Mechanismus herausgefiltert werden kann, der die diversen genannten symptomatischen Veränderungen in Zusammenhang mit Überbelastungen oder Übertrainingssyndromen erklären könnte (MacKinnon, 2000; Meeusen et al., 2006). Vielmehr ist durch das komplexe Zusammenwirken der physiologischen Systeme eine Vielzahl sich gegenseitig verursachender Veränderungen zu erwarten (vgl. Vogel, 2001). Eine frühzeitige, realistische und quantifizierbare symptombezogene Differenzierung zwischen Ermüdung, Überbelastung und Übertrainingssyndrom kann daher nach heutigem Kenntnisstand nicht geleistet werden (vgl. Jugde & Potteiger, 2000; Lehmann, Foster et al., 1993; Vogel, 2001). Fry et al. (1991) sowie Vogel (2001) sehen darin das grundlegendste Problem in der Übertrainingsdiskussion und gehen von fließenden Übergängen zwischen den genannten Stadien aus (vgl. Kenttä & Hassmén, 1998; Lehmann, Foster et al., 1993).

Sowohl bei einem Superkompensationstraining als auch bei einer Fehlbelastung mit nachfolgender Überbelastung kann es zu einer zeitlich verzögerten positiven Anpassung der sportlichen Leistung kommen. Für das Erstellen einer Diagnose ist es also grundsätzlich notwendig, den zeitlichen Rahmen einer eingetretenen Leistungsminderung, die das klarste und eindeutigste diagnostische Kriterium darstellt, zu bestimmen. Es existieren jedoch

„unterschiedliche Vorstellungen darüber […], wie lange ein Leistungseinbruch andauern muss, damit von Überbelastung oder von Übertrainingssyndrom gesprochen werden kann“ (Vogel, 2001, S.156).

Es muss somit eine auf den Einzelfall bezogene Entscheidung getroffen werden, die rückblickend – nach einem Ausschluss vorgegebener weiterer Ursachen – beurteilt werden muss: „Jegliche diagnostischen Kriterien zur Abgrenzung der einzelnen Zustände bleiben somit bis zu einem gewissen Grade willkürlich“ (Vogel, 2001, S. 156) und daher uneinheitlich. Urhausen und Kindermann (2002a) beispielsweise bezeichnen einen Abfall der sportartspezifischen

Leistungs-31 fähigkeit mit teilweise ausgeprägten Befindlichkeitsstörungen über zwei bis drei Wochen als Diagnoseparameter für ein Übertrainingssyndrom, Meeusen et al. (2006) würden hier noch von einer Überbelastung ausgehen. Angaben wie von Rietjens et al. (2005), dass eine Leistungsminderung drei bis sechs Wochen andauern könne, bevor es sich um ein Übertrainingssyndrom handle, sind zu vage, um eine Überbelastung von einem Übertrainingssyndrom klar abgrenzen zu können.

Eine engmaschige Anwendung sportartspezifischer Tests ist in der sportlichen Praxis vielfach nicht üblich – schon gar nicht während Tapering- oder Regenerationsphasen –, sodass die Möglichkeit einer exakten Einschätzung der Dauer einer Leistungsminderung meist nicht gegeben ist.

Es stellt sich im Bereich des Übertrainings immer die Frage, „welche der (gemessenen) Verän-derungen als normale Adaptation an einen Trainingsreiz zu interpretieren sind und welche Veränderungen eine Dekompensation des Systems anzeigen“ (Vogel, 2001, S. 157; vgl. Halson &

Jeukendrup, 2004). Dabei zeigen sich individuelle Unterschiede in der Verarbeitung von Belastungssituationen (vgl. Hendrickson & Verde, 1994; Raglin & Barzdukas, 1999), Vogel (2001) spricht von hochindividuellen ‚Loci Minoris Resistentiae‘. Vor diesem Hintergrund ist es wahrscheinlich, dass bestimmte Parameterveränderungen bei einem Sportler mit einem normalen Ermüdungszustand einhergehen, während identische Veränderungen bei einem anderen Sportler Indizien für eine Überbelastung oder ein Übertrainingssyndrom sein könnten (vgl. Armstrong &

VanHeest, 2002). Es erscheint also notwendig, einzelfallbezogene Diagnoseparameter oder Parameterkombinationen zu ermitteln, die homöostatische Dysbalancen auf individueller Ebene möglichst frühzeitig anzeigen.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Sportlern wie Trainern keine Hilfe bezüglich der Früherkennung und Vermeidung einer Überbelastung zur Verfügung steht. Es gibt keine präzise und objektivierbare Unterteilung von Übergängen, die eine Belastbarkeitsgrenze erkennen ließe.

Es ist unklar, welche Symptome, so sie denn auftreten, bei welchem Sportler welchen Grad der Erschöpfung anzeigen:

“It is presently not possible to discern acute fatigue and decreased performance experienced from isolated training sessions, from the states of overreaching and overtraining“ (Halson &

Jeukendrup, 2004, S. 967).

3 Aktueller Forschungsstand zum Thema Übertraining

Bisher gibt es eine Vielzahl an Untersuchungen, die sich mit dem Themengebiet Übertraining auseinandersetzen und die Effekte intensivierter Trainings- und Wettkampfphasen auf das Verhalten physiologischer, biochemischer, psychologischer, immunologischer sowie hormoneller Variablen dokumentieren. Die begriffliche Einordnung von Ermüdungszuständen muss dabei an-hand der Dauer auftretender Leistungsminderungen erfolgen.

Zum besseren Verständnis und zur Wahrung der Übersichtlichkeit erfolgt die Darstellung der Studienergebnisse orientiert an der Struktur eines Metamodells, das in Anlehnung an Kenttä und Hassmén (1998) entwickelt wurde. Dieses Modell beschreibt vier hierarchische Ebenen, von denen die Stressoren- und die Steuerungsebene einen modulierenden Einfluss auf die Leistungs- und Symptomebene ausüben.

Abb. 3: Ein Metamodell als Überblick über hierarchische Ebenen im Zusammenhang mit Leistungsminderungen

Als Stressoren aufgeführt sind diejenigen Faktoren, die auf die Leistungsfähigkeit des Sportlers Einfluss nehmen können. Das Maß der tolerierbaren Belastungsfaktoren ist individuell unterschied-lich und abhängig von der aktuellen physiologischen und psychologischen Kapazität des Sportlers (vgl. Kenttä & Hassmén, 1998). Im optimalen Fall resultieren sie in einer Verbesserung der sportartspezifischen Leistungsfähigkeit nach kurzzeitiger Ermüdung. Die mit Ermüdung einher-gehende Leistungsminderung kann unterschiedliche zeitliche Ausmaße annehmen. Im Falle einer zu hohen oder intensiven Einwirkung von Belastungsfaktoren über einen zu langen Zeitraum oder unter dem Einfluss zu starker weiterer äußerer Stressoren kann es zu einer ungewollt langen

33 Leistungsminderung mit oder ohne verzögerter Leistungsanpassung kommen. Je nach zeitlicher Dauer dieser Einschränkung ist zwischen einer Überbelastung und einem Übertrainingssyndrom zu unterscheiden. Die Leistungsebene kann als Kontinuum mit fließenden Übergängen angesehen werden (vgl. Vogel, 2001). Basierend auf denjenigen Faktoren, die sportliche Leistungsfähigkeit objektiv darstellen können, muss eine individuelle Einschätzung der Situation erfolgen.

Es ist davon auszugehen, dass neben der aktuellen funktionalen Kapazität des Sportlers die Dauer einer Fehlbelastung eine entscheidende Rolle bei der Genese einer Überbelastung bzw. eines Übertrainingssyndroms spielt. Daher soll die Darstellung der bisherigen Studienergebnisse strukturiert nach zeitlicher Dauer der auf die Sportler einwirkenden Stressoren sowie nach untersuchten symptomatischen Erscheinungen erfolgen.

Ein Übertrainingssyndrom, Überbelastungen, wahrscheinlich aber auch normale und eingeplante kurzzeitige Ermüdungserscheinungen werden von symptombezogenen Veränderungen auf ver-schiedenen physiologischen und psychologischen Systemebenen begleitet, die wiederum allesamt über zentrale, vegetative Prozesse moduliert werden, die auf der Steuerungsebene unter der Bezeichnung ‚zentrales autonomes Netzwerk‘ zusammengefasst werden. Als solches bezeichnet Esperer (2004) die zahlreichen zentralen Kerne und Neuronenpopulationen, die efferente sympathische und vagale Signale generieren. Noakes (2000) sieht in der Veränderung zentraler Steuerungsprozesse eine mögliche Hauptursache für die Entstehung von Ermüdung und damit einen entscheidenden leistungslimitierenden Faktor.

Das dargestellte Modell geht davon aus, dass Veränderungen auf der Leistungs- und Symptom-ebene im sportlichen Alltag der Athleten zu einer Handlungsanpassung führen, die das Ziel haben, die negativen Anpassungserscheinungen zu kompensieren.