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Erkenntnisse über die Berliner Praxis

6.2 Interventionsmaßnahmen im Bereich des Zivilrechts

6.2.2 Erkenntnisse über die Berliner Praxis

Im Rahmen von BIG wurde auf vielfältige Weise versucht, Erkenntnisse über die rechtstatsächliche Praxis zivilrechtlicher Schutzmöglichkeiten in Berlin zu gewinnen. Da keine umfassende Aktenanalyse erfolgen konnte und nur sehr eingeschränkt Daten auf freiwilliger Basis erhoben wurden, können nur vorsichtige Tendenzen aufgezeigt werden.

32 Eine ausführliche und grundlegende Diskussion über die Rechtslage findet sich bei Schwei-kert 2000, passim; Schwab, FamRZ 1999, 1317 f sowie in der Begründung für den Entwurf für ein Gewaltschutzgesetz des BMJ 2000, S. 19 ff; siehe auch aus Sicht der Interventionspro-jekte Kavemann, Leopold, Schirrmacher, Hagemann-White 2001, S. 276 ff.

Zivilrechtliche Anträge im Zusammenhang mit häuslicher Ge-walt – Auswertung der Aktenvorblätter von AnGe-waltsakten ent-sprechender Verfahren

BIG hatte zahlreiche Berliner Anwältinnen und Anwälte gebeten, ein Jahr lang (Januar bis Dezember 1998) gesonderte Aktenvorblätter für zivilrechtliche Verfahren im Zusammenhang mit häuslicher Gewalt zu führen, um so Angaben zum Ablauf des zivilrechtlichen Verfahrens zu erhalten. An der Erhebung beteiligten sich allerdings nur sechs Kanzlei-en. In die von der wissenschaftlichen Begleitung durchgeführten Aus-wertung gingen 66 dokumentierte Fälle ein. Je nach Kanzlei lagen zwi-schen fünf und 15 Fälle vor.

Bei den Anträgen waren Gegenstand die elterliche Sorge bzw. das Um-gangsrecht, die Zuweisung der Ehewohnung und zivilrechtliche Schutz-anordnungen:

Diagramm 4: Zivilrechtliche Anträge im Zusammenhang mit häuslicher Gewalt

Überwiegend (97%) wurden die Anträge von der misshandelten Frau gestellt. In einem Fall reagierte die Antragstellerin auf einen bereits er-folgten Antrag des Mannes und in sieben Fällen hatte der Mann einen Antrag auf elterliche Sorge zw. Umgang gestellt, hiervon einen als Re-aktion auf den Antrag der Frau.

Drei Viertel der Fälle waren zum Zeitpunkt der Auswertung gerichtlich entschieden. Zu Gunsten der Antragstellerin wurden – gerechnet auf die bereits entschiedenen Fälle – zu 63,3 % der Fälle entschieden (50,1 % Obsiegen und 10,2 % Teilobsiegen). Zurückgewiesen wurden nur drei Fälle (6,1 %). In 30,6 % der Fälle wurde der Antrag zurückge-nommen bzw. das Verfahren für erledigt erklärt.

Anträge auf elterliche Sorge und Umgang wurden recht häufig zu Gunsten der Antragstellerin entschieden, Anträge auf Wohnungszuwei-sung dagegen eher selten. Hier überwog die Erledigungserklärung.

Dies ist vermutlich darin begründet, dass nach der Antragstellung doch eine außergerichtliche Einigung gefunden wurde. Ob der Mann oder aber die Frau aus der ehelichen Wohnung ausgezogen ist, lässt sich den Angaben leider nicht entnehmen. Schutzanordnungen wurden in allen Fällen bewilligt.

Auf die Entscheidung mussten die Antragstellerinnen teilweise lange warten. 38 % der Anträge wurden zwar innerhalb eines Monats ent-schieden, aber 45 % dauerten bis zu sechs Monaten und 17 % sogar noch länger. Obwohl es sich zu 27 % um Eilanträge handelte, fielen nur wenige Entscheidungen wirklich schnell: drei Fälle wurden am gleichen Tag entschieden und sieben Fälle im Laufe einer Woche.

Die Anwältinnen und Anwälte hatten die Möglichkeit, auf den Aktenvor-blättern Besonderheiten des Falles zu vermerken. In der Mehrheit der Fälle (64 %) machten sie hiervon Gebrauch.

Diagramm 5: Vermerkte Besonderheiten

Hier überwiegen deutlich die Konflikte um die Kinder, was noch ver-stärkt wird durch zwei Kindesentführungen und drei Fälle, in denen die Kinder von Amts wegen einen Vormund erhielten und untergebracht wurden. An zweiter Stelle stand die Fortsetzung der Misshandlungen und Bedrohungen. Die andauernden Konflikte um die Wohnung sind ebenfalls recht häufig.

Einige Frauen versöhnten sich während der Bearbeitungszeit ihres An-trags mit dem Mann, teilweise vermerkten die Anwältinnen, dass sie es als „letzten Versuch“ deklarierten. Auffallend ist, dass die Versöhnun-gen häufig im Zusammenhang mit AnträVersöhnun-gen auf elterliche Sorge stan-den.

In vier Fällen fand zur selben Zeit ein Strafverfahren gegen den Mann statt.

Anträge auf zivilrechtliche Schutzanordnungen wurden nur selten ge-stellt (von vier Frauen), alle wurden positiv entschieden. In allen Fällen war ein Eilverfahren eingeleitet worden. Dennoch wurde keiner der An-träge auf Schutzanordnungen am gleichen Tag entschieden, zwei Frauen warteten einige Tage, aber unter einer Woche, die beiden ande-ren warteten einige Wochen, aber unter einem Monat auf die gerichtli-che Entsgerichtli-cheidung.

Resümee

Die Fallzahlen sind zu klein, um aussagekräftige Ergebnisse zu formu-lieren. Es können nur vorsichtig Tendenzen aufgezeigt werden. Es sollte jedoch zu Weiterdenken anregen, dass auch in dieser Stichprobe gerade die Frage der elterlichen Sorge und des Umgangsrechtes für misshandelte Frauen eine Quelle von anhaltendem Konflikt, anhalten-der Gewalt und Bedrohung sowie häufig Anlass zur Versöhnung war.

Auch die Auseinandersetzungen um die Wohnung können dauerhaft und zermürbend sein. Alle Anträge auf Schutzanordnungen waren in dieser Erhebung erfolgreich.

Gerichtliche Verfahren Verfahren an Familiengerichten

Neben den in Anwaltspraxen geführten Aktenvorblättern wurden in zwei Abteilungen des Familiengerichts Berlin für den Zeitraum Juli bis De-zember 1998 Daten zu familiengerichtlichen Verfahren erhoben, in de-nen der Vorwurf der häuslichen Gewalt gegen Frauen benannt wurde.

Es handelte sich um elf Verfahren, davon waren zwei

Wohnungszuwei-sungsverfahren. Zudem wurden in fünf Abteilungen des Familien-gerichts Berlin für denselben Zeitraum die Erledigung von Wohnungs-zuweisungsverfahren, die häusliche Gewalt gegen Frauen zum Ge-genstand hatten, erhoben. Insgesamt handelte es sich um sieben Wohnungszuweisungen im einstweiligen Verfahren, von denen bei fünf das Ergebnis bekannt ist:

• in zwei Fällen verständigten sich Parteien;

• in zwei Fällen wurde die Wohnung aufgeteilt;

• in einem Fall wurde die Wohnung der Antragstellerin zugewiesen.

Die vorliegenden Daten bieten keine Basis für Schlussfolgerungen über die Berliner familiengerichtliche Praxis. Die geringe Fallzahl kann aller-dings auch ein Indiz dafür sein, dass in vielen Fällen häuslicher Gewalt diese nicht explizit in den Verfahren zur Sprache kommt. Um gesicherte Daten erhalten zu können – was auch für eine weitere Evaluation der Veränderung der Praxis in Berlin dringend geboten erscheint – emp-fiehlt es sich, eine breiter angelegte Erhebung durchzuführen. Insbe-sondere im Hinblick auf das neue Gewaltschutzgesetz (siehe Kapitel 6.2.4.) könnte ein Vergleich mit der vorangegangen Praxis wichtige Er-kenntnisse ergeben.

Verfahren an Amtsgerichten

Zudem wurden an sechs Abteilungen des Amtsgerichts Wedding mit vollem Zivilprozessdezernat Unterlassungsklagen und einstweilige Verfügungen zum Schutz bedrohter, belästigter und misshandelter Frauen im häuslichen Bereich ausgewertet. Sie dokumentieren die Mo-nate, in denen entsprechende Anträge auf einstweilige Verfügungen eingegangen waren. Ausgewertet wurden elf Erhebungsbögen aus sie-ben Monaten, d.h. pro Monat handelte es sich um ein bis zwei Anträge.

In allen Fällen gab es kein Hauptsacheverfahren. Es wurde ausschließ-lich vorläufiger Rechtsschutz beantragt. Erledigt wurden die Anträge durch

• sieben (Teil-)Stattgaben,

• drei Abweisungen

• und einer Rücknahme des Antrages.

Alle sieben (Teil-)Stattgaben wurden am Tag der Antragstellung ent-schieden. Ebenso wurde eine der drei Abweisungen sofort an diesem Tag ausgesprochen, die anderen beiden in der Folgezeit.

Auch diese Daten bieten keine sichere Basis für weitere Schlüsse. Auch hier bietet sich eine weitere Erhebung an, um einen Vergleich auf eine

veränderte Praxis nach Einführung des Gewaltschutzgesetzes zu ha-ben.

6.2.3 Gesetz zur Verbesserung des zivilgerichtlichen Schutzes bei