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Gesetzliche Grundlagen polizeilicher Intervention

4 Polizeieinsätze und polizeiliches Handeln bei

häuslicher Gewalt

4.1.1 Gefahrenabwehrrechtliche/ polizeirechtliche Maßnahmen Die rechtlichen Grundlagen für polizeiliches Handeln ergeben sich aus den gefahrenabwehrrechtlichen Gesetzen der Länder. Auch wenn es hier gewisse regionale Unterschiede gibt – denn Fragen des Polizei-rechts fallen in die Zuständigkeiten der Bundesländer, so dass es keine bundeseinheitlichen Regelungen gibt – sehen alle Gefahrenabwehrge-setze zwei in diesem Zusammenhang relevante Standardmaßnahmen vor. Dies ist zum einen die sog. Ingewahrsamnahme, d.h. eine kurzfris-tige polizeilich angeordnete Freiheitsentziehung (durch die Mitnahme des gewalttätigen Mannes für einen gewissen Zeitraum zur Polizeiwa-che8), und zum anderen der Platzverweis, d.h. die vorübergehende Verweisung einer Person von einem Ort.9

Insbesondere die Ingewahrsamnahme kommt nur unter relativ engen Voraussetzungen in Betracht, ist aber durchaus zum Schutz der betroffenen Frauen möglich. Voraussetzungen sind beim sog. Schutz-gewahrsam eine Abwehr von Gefahren für Leib und Leben des in Ge-wahrsam genommen (typischer Anwendungsfall ist der Ausnüchte-rungsgewahrsam), beim sog. Präventivgewahrsam die Verhinderung von unmittelbar bevorstehenden erheblichen Störungen der öffentlichen Sicherheit. In den meisten Bundesländern ist auch explizit die Abwehr von Straftaten genannt (Götz 1995, Rdnr. 291; zu den Voraussetzungen bei häuslicher Gewalt i.E. vgl. Schall/ Schirrmacher 1995, 60 ff.). Glei-ches gilt für einen Platzverweis, der vor allem dann engere Vorausset-zungen hat, wenn ein gewalttätiger Mann aus seiner eigenen Wohnung bzw. der gemeinsamen Ehewohnung geschickt werden soll.10

Die aus dem österreichischen Recht mittlerweile auch hier bekannt ge-wordene Wegweisung eines Mannes aus der Wohnung für einen Zeit-raum von 10 Tagen ist in den deutschen Polizeigesetzen noch nicht als Standardmaßnahme normiert. Ob, und wenn ja, wie eine entsprechen-de Regelung in die entsprechen-deutschen Polizeigesetze eingefügt werentsprechen-den kann, sollte ab Herbst/ Winter 2000 von einer Arbeitsgruppe der Innenminis-terkonferenz der Länder geprüft werden. Unabhängig hiervon hat in Ba-den-Württemberg Mitte 2000 ein Modellversuch begonnen. Dort werden

8 Die zulässige Höchstdauer der Ingewahrsamnahme variiert in den einzelnen Bundesländern;

in der Regel ist eine Ingewahrsamnahme für maximal 48 Stunden zulässig.

9 Diese Regelung kommt primär in Betracht, wenn Amtshandlungen oder Rettungseinsätze ge-sichert werden sollen oder wenn z.B. ein Lokal wegen einer Bombendrohung geräumt werden soll (Götz 1995, Rdnr. 287).

10 Grundsätzlich ist Voraussetzung, dass der Weggewiesene eine Gefahr verursacht hat. Die Anforderungen bei einer Wegweisung aus einer Wohnung sind auf Grund des grundgesetzlich geschützten Rechts an der eigenen Wohnung höher (vgl. zur Anwendung einer Platzverwei-ses bei häuslicher Gewalt i.E. Schall/ Schirrmacher 1995, 64 f.).

auf Grund der polizeilichen Generalklausel Wegweisungen durch die Polizeibeamte/-beamtinnen ausgesprochen.11 Diese werden innerhalb von 48 Stunden von den Ordnungsbehörden geprüft und ggf. bestätigt.

Erste Wegweisungen von unterschiedlicher Dauer wurden ausgespro-chen. 12

Die im Rahmen von BIG durchgeführten Fortbildungen gingen von der Berliner Rechtslage aus. Das Allgemeine Sicherheits- und Ordnungs-gesetz des Landes Berlin (ASOG) bildet die Grundlage des Handelns der Polizeibeamten und –beamtinnen.

Primäres praktisches Problem bei einem gefahrenabwehrrechtlichen Einsatz ist die notwendige Prognoseentscheidung vor Ort. Die Polizis-ten und Polizistinnen müssen die konkrete Situation vor Ort bewerPolizis-ten und eine Entscheidung darüber treffen, in welchem Umfang von dem gewalttätigen Mann in der nächsten Zeit weitere Gefahren ausgehen.

Dies setzt eine detaillierte Kenntnis über die Dynamik häuslicher Gewalt voraus, da sich die Situation äußerlich als ruhig darstellen kann – bei-spielsweise wenn die Frau Angst hat, wie ihr Lebenspartner nach der Beendigung des polizeilichen Einsatzes auf die Alarmierung der Polizei reagieren wird.

Es steht darüber hinaus im Ermessen der Polizeibeamten und -be-amtinnen, welche Maßnahme sie ergreifen. Jegliches polizeiliche Han-deln steht unter der Prämisse der Opportunität. D.h. wenn die gesetzli-chen Voraussetzungen für Maßnamen der Gefahrenabwehr vorliegen, haben die BeamtInnen unter dem Vorzeichen zweckmäßiger Erfüllung des öffentlichen Interesses zu handeln. Es ist eine Entscheidung zu treffen, ob, wann und wie das behördliche Handeln erfolgt. Bei erhebli-chen Gefahren für bedeutsame Rechtsgüter kann sich dieser Ermes-sensspielraum der Behörde verkleinern und sich zu einer Pflicht zum Eingreifen verdichten (Götz 1995, Rdnr. 348 ff.).13 Die Polizisten und Polizistinnen müssen folglich in jedem konkreten Einzelfall entscheiden, ob und wenn ja welche Maßnahme angemessen ist.

11 Das baden-württembergische Polizeigesetz hat den Platzverweis nicht als sog. Standard-maßnahme normiert.

12 In einigen Bundesländern – allen voran Mecklenburg-Vorpommern – wird zur Zeit eine Ände-rung des Polizeirechts geplant.

13 Die Rechtsprechung bejaht z.B. bei schweren Gefahren für Leib und Leben sowie Gefahren für erhebliche Vermögensschäden eine Verpflichtung zum Einschreiten (Götz 1995, Rdnr. 354 m.w.N.).

4.1.2 Strafverfolgende Maßnahmen

Neben der Entscheidung, ob aus polizeirechtlichen Gründen Maßnah-men zu ergreifen sind, müssen die Polizisten und Polizistinnen auch prüfen, welche Maßnahmen auf Grund der Strafprozessordnung zu treffen sind.

Polizeibeamte und -beamtinnen sind sog. Hilfsbeamte/-beamtinnen der Staatsanwaltschaft (§ 61 StPO, § 152 GVG). Bei Verdacht einer Straftat können sie beispielsweise folgende Maßnahmen ergreifen:

• es ist eine Anzeige zu fertigen, d.h. es sind die Umstände der Tat – soweit zu diesem Zeitpunkt bekannt – aufzunehmen; hiermit beginnt das offizielle Strafverfahren;

• es sind die Aussagen der betroffenen Frau – als Zeugin –, des Be-schuldigten und eventuell weiterer (anwesender) Personen aufzu-nehmen;

• die Umstände der Tat sind zu ermitteln und zu dokumentieren; hier-zu können z.B. Fotos vom Tatort gehören; es kommt auch eine ärzt-liche Untersuchung in Betracht, deren Ergebnis mit einem Attest do-kumentiert wird;14 bei Alkoholisierung des Täters ist im Hinblick auf die Feststellung der Schuldfähigkeit des Beschuldigten ggf. die An-ordnung der Entnahme eine Blutprobe geboten;

• bei schweren Straftaten ist auch eine Festnahme des Mannes zu prüfen.

Beim Einsatz kann geklärt werden, ob die Frau auch einen Strafantrag stellen möchte. Die einfache Körperverletzung ist ein relatives Antrags-delikt. Dies bedeutet, dass zunächst die verletzte Person befragt wird, ob sie ein Interesse an der Strafverfolgung hat (Antrag). Es ist aller-dings nicht erforderlich, dass der Antrag sofort nach der Tat gestellt wird. Vielmehr hat die durch die Tat verletzte Person hierfür drei Monate Zeit. Daher sollen auch unabhängig von einer Antragstellung zunächst alle die Ermittlungen durchgeführt werden, die keinen Aufschub dulden, um einen Beweismittelverlust zu verhindern.15

Aber auch wenn die betroffene Frau innerhalb der drei Monate keinen Antrag gestellt hat, muss das Strafverfahren nicht zwangsläufig beendet werden. Die Staatsanwaltschaft (und nicht die Polizei) hat dann zu prü-fen, ob ein besonderes öffentliches Interesse an der Strafverfolgung

14 Allerdings steht nahen Angehörigen entsprechend des Zeugnisverweigerungsrechtes ein Un-tersuchungsverweigerungsrecht zu (§ 81b Abs. 3 StPO).

15 So ausdrücklich Nr. 7 Abs. 1 und 2 der Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren (RiStBV).

besteht.16 Um diese Frage beantworten zu können, sind ausführliche Dokumentationen der Tat hilfreich.

Was bei der Ermittlung einer Straftat zu unternehmen ist, ist den Poli-zeibeamten und -beamtinnen durch ihre Ausbildung hinlänglich be-kannt. Problematisch war bis vor Kurzem, dass durch die Verwendung der herkömmlichen Begrifflichkeit „Familienstreitigkeit“ der Eindruck entstehen konnte, bei diesen Einsätzen handele es sich um Streitereien und nicht um Gewaltstraftaten. Hier fand im Rahmen von BIG ein Para-digmenwechsel bei der Einsatzgestaltung statt. Dies hatte auch Auswir-kungen auf die praktischen Ausgestaltung des Einsatzes – wie z.B. der getrennten Befragung von Täter und Opfer.