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3.2.1 Sozialforschung

Zuverlässige, repräsentative Angaben zur Häufigkeit häuslicher Gewalt, selbst bei einer Beschränkung der Frage auf die relativ leicht fassbare physische Gewalt in Paarbeziehungen, gibt es für die Bundesrepublik noch nicht. Seelische Misshandlung und sexuelle Gewalt sind noch viel schwieriger in Zahlen zu fassen. Einen ersten Anhaltspunkt liefert je-doch die Anzahl der Frauen, die in einem Frauenhaus Schutz vor den Misshandlungen ihrer Partner gesucht haben. So flüchten schätzungs-weise jährlich über 40.000 Frauen mit ihren Kindern in ein Frauenhaus (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 1998). In der Literatur schwanken die Abgaben von jährlich 100.000 bis 4 Millio-nen von ihren Männern misshandelten Frauen (Schall/Schirrmacher 1995).

Fundierte Untersuchungen zum Ausmaß häuslicher Gewalt und zum Anteil der von Gewalt durch ihren Partner betroffenen Frauen in der Bundesrepublik stehen noch aus. Die 1992 vom Kriminologischen For-schungsinstitut Niedersachsen durchgeführte repräsentative bundes-weite Erhebung zum Opfererleben (Wetzels u.a. 1995) erfasste nur,

welcher Anteil der Befragten von Personen in der Familie oder im Haushalt Schläge oder andere Übergriffe erfahren haben, nicht aber, ob die Tätlichkeit vom Partner ausging oder von anderen Personen. Es kann daher nur als erster Hinweis genommen werden, dass über 18 % der Frauen, aber auch der Männer, von körperlichen Übergriffen be-richteten. Dabei handelt es sich vor allem um Frauen zwischen 30 und 50 Jahren, während es unter Männern vor allem die 16- bis 20-jährigen waren, die im sozialen Nahraum geschlagen wurden; dies lässt vermu-ten, dass es sich bei den Frauen um Gewalt des Partners handelte, während es bei den Männern oft Familienangehörige wie z.B. ein Bru-der waren.

Im Rahmen dieser Untersuchung wurden auch Daten zur sexuellen Gewalt erhoben und gesondert ausgewertet (Wetzels/Pfeiffer 1995).

Die Autoren gelangten auf Basis vorliegender Daten zu der Einschät-zung, dass im Zeitraum 1987 bis 1991 ca. 350.000 Frauen Opfer einer Vergewaltigung/sexuellen Nötigung durch ihren mit ihnen zum Tatzeit-punkt im gleichen Haushalt lebenden Ehemann wurden.

Bei einer spezifisch auf häusliche Gewalt ausgerichteten repräsentati-ven Untersuchung in den Niederlanden, die den befragten Frauen erst die Möglichkeit zur Beschreibung in eigenen Worten gab und anschlie-ßend die Art der Übergriffe kodierte, fand Renee Römkens (1992), dass 20,8 % aller Frauen zwischen 20 und 60 Jahren von einem Partner ge-schlagen worden sind; 11,1 % der Frauen wurden wiederholt misshan-delt, 6,3 % beschrieben ernste oder sehr ernste Gewaltvorfälle. Diese Zahlen betrafen nur die „einseitige“ Gewalt, die vom Mann ausgeht und bei der die Frau selten oder gar nicht zurückschlägt.

Es gibt viele Hinweise darauf, dass im Laufe der letzten zehn Jahre, mit einer weltweit geführten offenen Diskussion über die Verbreitung und das Unrecht alltäglicher Gewalt gegen Frauen, die Bereitschaft der Be-troffenen steigt, in Umfragen über ihre Situation zu sprechen. Eine neu-ere in Finnland durchgeführte Fragebogenerhebung (Heiskanen/Piispa 1998) stellte fest, dass 22 % aller Frauen, die mit einem männlichen Partner zusammenlebten, von diesem geschlagen werden. Erste Hin-weise aus der zur Zeit in Schweden laufenden ähnlichen Erhebung las-sen erwarten, dass die Zahlen dort mindestens ebenso hoch sein wer-den.

Nach dem heutigen Wissensstand scheint also die Annahme gerecht-fertigt, dass in etwa einem Fünftel aller Paarbeziehungen körperliche Gewalt des Mannes gegen die Frau vorkommt; zwischen 6 % und 12 % aller Frauen erleiden vom Partner regelmäßige und zum Teil sehr

schwerwiegende Gewalt, die den Begriff Misshandlung rechtfertigt. Die-se Zahlen sind für die Bundesrepublik jedoch noch nicht bestätigt. Eine repräsentative Erhebung zum Ausmaß von Gewalt gegen Frauen ist je-doch zur Zeit durch das BMFSFJ in Vorbereitung.

3.2.2 Polizeiliche Kriminalstatistik

In der polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) werden systematisch Daten zu sämtlichen Straftaten erfasst. Für den Bereich der häuslichen Gewalt ist die PKS jedoch nur bedingt aussagekräftig. Dies ergibt sich zum einen daraus, dass dort nur die der Polizei bekannt gewordenen Straftaten ent-halten sind und somit nur das Hellfeld erfasst ist. Zum anderen werden nach dem bisherige Erfassungsmodus die Straftaten unter den Delikten des Strafgesetzbuches (wie Körperverletzung, Freiheitsberaubung etc.) und nicht unter dem Sammelbegriff „häusliche Gewalt“ erfasst.

Aufgrund der PKS können aber Aussagen zur Täter-Opfer-Beziehung gemacht werden. Festgehalten wird jedoch nur, ob ein verwandtschaft-liches Verhältnis, eine Bekanntschaft, ein landsmannschaftverwandtschaft-liches Ver-hältnis, eine flüchtige Vorbeziehung bzw. keine Vorbeziehung bestand, nicht jedoch, ob es sich um eine Beziehungstat handelte. Auffällig ist jedoch, dass bei den Straftaten Mord und Totschlag sowie den Körper-verletzungsdelikten die weiblichen Opfer zu einem bedeutend höheren Anteil in einem verwandtschaftlichen oder bekanntschaftlichen Verhält-nis zum Tatverdächtigen standen. So waren 1999 von den weiblichen Opfern von Mord und Totschlag 48,5 % mit dem Tatverdächtigen ver-wandt (bei männlichen Opfern 15,1 %), bei 30,5 % bestand ein Be-kanntschaftsverhältnis (bei männlichen Opfern 28,4 %). Bei den zur An-zeige gekommenen Körperverletzungsdelikten waren von insgesamt 142.752 weiblichen Opfern 24,1 % mit dem Tatverdächtigen verwandt (bei männlichen Opfern 4,9 %) und bei weiteren 35,8 % bestand ein Bekanntschaftsverhältnis mit dem Tatverdächtigen (bei männlichen Opfern 22,4 %) (Bundeskriminalamt 2000). Bei den Einzeldarstellungen zur Kriminalitätsentwicklung wird in der bundesdeutschen Kriminalsta-tistik auf Gewalt gegen Frauen jedoch nicht eingegangen.

Die Polizeiliche Kriminalstatistik Berlin 1998 geht in ausgewählten De-liktsbereichen gesondert auf Gewalt gegen Frauen und Kinder ein. Im Unterpunkt Frauenmisshandlung wird festgehalten, dass von 15.735 Frauen, die 1998 in Berlin Opfer einer Körperverletzung wurden, 20,1 % verwandt und 39,6 bekannt mit dem Täter waren (Polizeiliche Kriminal-statistik 1998, Band 1).

Im Bericht der Berliner Senatsverwaltung für Inneres zur Kriminalitäts-entwicklung in Berlin für 1999 wird im Abschnitt Gewalt gegen Frauen die Arbeitsweise des Berliner Interventionsprojekt gegen häusliche Ge-walt vorgestellt, die o.g. zwischen Polizei und Justiz abgestimmte Defi-nition von Fällen häuslicher Gewalt genannt sowie auf Erscheinungs-formen, Ursachen und Ausmaß häuslicher Gewalt eingegangen (Senatsverwaltung für Inneres 2000).

In der Polizeilichen Kriminalstatistik 1999 für Berlin wird erstmals in ei-ner Berliei-ner Kriminalstatistik im Kapitel Gewalt gegen Frauen und Kin-der explizit auf häusliche Gewalt eingegangen.7 Zwar liegt auch hier noch keine gesonderte statistische Erfassung aller Fälle häuslicher Ge-walt vor, jedoch wird festgehalten, dass 1999 von 30 Tötungsdelikten (einschließlich der Versuche „zum Nachteil von Frauen“) 10 Taten im Zusammenhang mit häuslicher Gewalt begangen wurden. Weiterhin wurde für ausgewählte Delikte (Vergewaltigung, sexuelle Nötigung, Körperverletzungsdelikte und Bedrohung) eine Sonderauswertung zur Opfer-Täter-Beziehung „Ehepartner“ vorgenommen, wobei zwischen deutschen Tatverdächtigen und nichtdeutschen Tatverdächtigen diffe-renziert wurde. Zusammenfassend wird festgehalten, dass die vorlie-genden Zahlen „sehr eindrucksvoll“ verdeutlichen, „dass häusliche Ge-walt tatsächlich überwiegend Frauen als Opfer und Männer als Täter betrifft. Der Anteil der durch Männer in Lebensgemeinschaften verübten Gewalt reicht von 73,3 % bei gefährlicher Körperverletzung, über 80,0 % bei Körperverletzung insgesamt und 92,4 % bei Bedrohung bis zu 100 % bei Vergewaltigung.“ (Polizeiliche Kriminalstatistik 1999, Band 1, 252) Weiterhin wird ein unerwartet hoher Anteil nichtdeutscher Tat-verdächtiger mit dem Merkmal „Ehepartner“ festgestellt.

Häusliche Gewalt wurde Jahrhunderte lang verschwiegen und still er-tragen; erst die Schaffung einer Öffentlichkeit kann es Frauen ermögli-chen, so offen darüber zu spreermögli-chen, dass das Ausmaß realistisch in Zahlen gefasst werden kann. Der Aktionsplan der Bundesregierung zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen weist darauf hin, dass im Zuge der Neugestaltung der PKS im Rahmen des polizeilichen Informations-sytems INPOL-neu bei der Fallerfassung erweiterte Angaben zur Opfer-Tatverdächtigen-Beziehung und zur Tatörtlichkeit vorgesehen sind, die in ihrer Kombination Aussagen zur häuslichen Gewalt ermöglichen.

Damit würden zumindest für das Hellfeld häuslicher Gewalt bundes-weite Daten vorliegen.

7 Wie im Bericht zur Kriminalitätsentwicklung wird das Berliner Interventionsprojekt gegen häusliche Gewalt vorgestellt, die o.g. zwischen Polizei und Justiz abgestimmte Definition von Fällen häuslicher Gewalt genannt sowie auf Erscheinungsformen, Ursachen und Ausmaß häuslicher Gewalt eingegangen.

4 Polizeieinsätze und polizeiliches Handeln bei

häuslicher Gewalt