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5.3 Fortbildungsseminare „Polizeieinsatz häusliche Gewalt“

5.3.7 Resümee der Teilnehmenden

Für die Themenstellung und Gestaltung weiterer Fortbildungen ist das Resümee von Teilnehmenden bereits stattgefundener Seminare von großer Relevanz. Sie können am besten darüber urteilen, was in der Fortbildung für sie wichtig war und wie hilfreich die Veranstaltung für ih-ren beruflichen Alltag ist.

Die Bitte um ein entsprechendes Resümee erfolgte sowohl von der wis-senschaftlichen Begleitung als auch seitens der Landespolizeischule.

Der von uns entwickelte Fragebogen zur Evaluation der Fortbildungs-veranstaltungen mit seiner abschließenden offenen Frage „Was war für Sie das Wichtigste?“ bot Gelegenheit für eine individuelle Rückschau und Bilanz unmittelbar am Ende der Fortbildung. Das von der Landes-polizeischule im Juni 1999 veranstaltete ganztägige Bildungscontrolling bot die Möglichkeit zum Erfahrungsaustausch zwischen den Teilneh-menden beider Seminarangebote, wie die Umsetzung der Fortbil-dungsinhalte in den polizeilichen Alltag gelingt.

Frage nach dem Wichtigsten

Die Frage „Was war für Sie in diesem Seminar das Wichtigste?“ wurde von fast allen Teilnehmenden beantwortet. Die Äußerungen ließen sich letztlich zu sechs Kategorien zusammenfassen, die in beiden Seminar-typen fast die gleiche Rangfolge einnahmen. Etliche Teilnehmer und Teilnehmerinnen benannten keine konkreten Punkte, sondern betonten

die generelle Notwendigkeit von Fortbildungsseminaren zum Thema häusliche Gewalt oder äußerten sich insgesamt lobend über die von ih-nen besuchte Fortbildung.

Tabelle 16: Das Wichtigste im Seminar: Rangfolge der kategorisierten Antworten

Kategorie eintägige

Seminare* zweitägige Seminare*

Informationen zum Thema häusliche Gewalt

1 (24 = 22,0 %) 1 (31 = 27,4 %) Möglichkeiten polizeilichen Handelns

und entsprechende rechtliche Infor-mationen

2 (19 = 17,4 %) 2 (28 = 24,8 %)

gestiegenes Problembewusstsein und Sensibilisierung für die Betroffe-nen

2 (19 = 17,4 %) 3 (26 = 23,0 %)

Erfahrungsaustausch/Diskussion mit anderen Kollegen/Kolleginnen

3 (13 = 11,9 %) 4 (12 = 10,6 %) allgemeines Lob für Seminar 4 (9 = 10,1 %) 5 (9 = 8,0 %) Informationen über

Schutzmöglich-keiten für betroffene Frauen und ihre Kinder

5 (8 = 7,3 %) 6 (4 = 3,5 %)

* gültige Prozente

Die im Seminar besprochenen konkreten Möglichkeiten polizeilichen Handels bei Fällen häuslicher Gewalt wurden zwar insgesamt von ei-nem Fünftel aller Teilnehmenden als das für sie wichtigste Ergebnis ge-nannt, für die anderen war jedoch die inhaltliche Beschäftigung mit dem Thema, der Austausch untereinander und ein damit verbundene Er-kenntnisgewinn bzw. Denkanstoß vorrangig. Dies zeigt sich in den Ant-worten auf die offene Frage, von denen hier einige exemplarisch ge-nannt werden:

– „Grundsätzliche Information zu dieser Thematik zu erhalten, um ent-sprechend reagieren und helfen zu können“,

– „das abgespielte Interview über die betroffenen Frauen im Frauen-haus hat mich sehr nachdenklich gemacht und wird mich veranlas-sen, die erhaltenen Informationen umzusetzen“,

– „Hintergrundinfos und Denkanstöße zu erhalten“, – „alles war gleich wichtig, ich würde nichts hervorheben“,

– „zu erfahren, warum Frauen so lange bei Männern bleiben, die sie verprügeln“,

– „Austausch, Darlegung verschiedener Standpunkte von unterschied-lichen Seiten, Ergründung des Verhaltens der betroffenen Frauen“,

– „Informationsaustausch zum Thema, andere Sichtweisen und Hilfs-möglichkeiten“,

– „wie Täter und Opfer sich fühlen müssen“,

– „Diskussion mit meinen Kollegen, deren Ansichten und wie sie mit bestimmten Fällen umgehen, regen zum Nachdenken an“,

– „Einblick in die tabuisierte Thematik und die Erkenntnis, dass einige Kollegen mangelnde Zeit als Grund für wenig Verständnis und Ein-fühlungsvermögen nennen“,

– „die andere Seite betrachtet zu haben“, – „dass es überhaupt stattfand“.

Diese Antworten zeigen, dass es gelungen ist, das wenig attraktive Thema anregend und interessant zu vermitteln. Wenn Teilnehmende einer Fortbildung sich von dem Inhalt angesprochen fühlen und neu Erlerntes als Bereicherung und Kompetenzerweiterung erleben, besteht eine große Chance, dass sie für ihre berufliche Praxis nachhaltig profi-tieren.

Bildungscontrolling der Landespolizeischule

Im Juni 1999 fand an der LPS ein Auswertungs- und Erfahrungsaus-tausch für die Teilnehmer/innen der bis dato durchgeführten ein- und zweitägigen Fortbildungsseminare „Polizeieinsatz häusliche Gewalt“

statt, zu dem alle Teilnehmenden persönlich eingeladen wurden. Insge-samt wurden 150 Einladungen mit der Bitte um Rückmeldung ver-schickt. 80 Angeschriebene antworteten und gaben ihre Teilnahme bzw. Nichtteilnahme bekannt (Rücklauf 53 %). Etliche Angeschriebene bedauerten, dass sie aus terminlichen Gründen nicht kommen konnten, brachten aber trotzdem schriftlich Fragen zum Thema ein. An der sechsstündigen Veranstaltung nahmen 32 Polizeibeamte und -be-amtinnen, die die Seminare „Häusliche Gewalt“ besucht hatten sowie zwei Fachlehrer/innen der LPS teil. Somit leistete ein gutes Fünftel (21 %) der Seminarteilnehmer/innen der Einladung Folge. Das Ge-schlechterverhältnis entsprach mit 65 % Männern und 35 % Frauen dem der Fortbildungsseminare.

Mit der Bitte um Rückmeldung war auch die Aufforderung verbunden, bereits im Vorfeld (noch) offene Fragen zum Thema zu stellen, auf die in der Veranstaltung eingegangen werden sollten, sowie praktische Er-fahrungen kurz zu benennen. Referentinnen und Referenten aus den Bereichen Polizei, Amtsanwaltschaft und BIG, die alle auch im Rahmen der Fortbildungsseminare tätig gewesen waren, standen für die Beant-wortung von Fragen zur Verfügung. Eine Mitarbeiterin der

wissen-schaftlichen Begleitung stellte erste Ergebnisse der Evaluation der Se-minare vor und nahm als Beobachterin teil.

Die anwesenden Seminarteilnehmer/innen repräsentierten eine recht große Bandbreite an Arbeitsbereichen, Funktionen und Positionen:

– Funkbetriebszentrale, – Funkwagenbesatzungen, – Basisdienste,

– Opferschutzbeauftragte,

– in der Vorgangsbearbeitung tätige Beamtinnen und Beamte, – Schichtleitungen,

– Dienstgruppenleitungen, – Wachleitungen,

– Kommissariatsleitungen,

– LKA, vorbeugende Kriminalitätsbekämpfung.

Die Teilnehmer/innen berichteten, wie sie die in der Fortbildung gewon-nenen Erkenntnisse in ihrem beruflichen Alltag umsetzten und mit wel-chen Problemen sie dabei konfrontiert wurden. Informationen und Dis-kussionen hatten sie sicherer gemacht im Umgang mit Fällen häuslicher Gewalt, sie erfragten stärker die jeweiligen Hintergründe und gingen nach eigenen Aussagen mit ganz anderen Augen an die entsprechen-den Fälle heran. Wiederholt kam der Nutzen der vermittelten Hinter-grundinformationen zum Thema häusliche Gewalt zur Sprache. Ver-haltensweisen der Tatbeteiligten konnten besser eingeschätzt und demzufolge auch angemessener darauf reagiert werden. Alle Diskutie-renden berichteten, dass sie nach dem Seminar bedeutend täterorien-tierter vorgegangen seien als vorher, wozu auch die vermittelten spezi-fischen Rechtskenntnisse beigetragen hätten. Betont wurde in diesem Zusammenhang die Notwendigkeit, die Gefahrenprognose sehr sorgfäl-tig zu formulieren. Teilweise wurden sehr plastisch die diversen eigenen

„Aha-Erlebnisse“, der veränderte Umgang mit Tatbeteiligten beschrie-ben. Berichtet wurde auch, wie verwundert gewalttätige Männer sind, wenn sie als Straftäter behandelt werden und nicht (mehr) als jemand, dem eben mal die Hand ausgerutscht ist. Offensichtlich scheint die In-verantwortungnahme und stärkere Konfrontation mit der Tat durch die Polizei bei einigen Gewalttätern zumindest die vorhandenen Rechtferti-gungsstrategien zu erschüttern.

Mit der veränderten Herangehensweise ging teilweise auch eine stärke-re Arbeitszufriedenheit einher. Diese war insbesondestärke-re dann gegeben, wenn Kollegen und Kolleginnen und/oder Vorgesetzte offen für entspre-chende Diskussionen und andere Vorgehensweisen waren, die

Semi-narteilnehmer/innen als Expertinnen bzw. Experten für häusliche Ge-walt betrachtet wurden, ihr Wissen gefragt war und sich auch im direk-ten Arbeitsumfeld ein Umdenkungsprozess abzeichnete. So berichtete beispielsweise eine Seminarteilnehmerin, die auf ihrem Abschnitt Infor-mationsmaterial aus dem Seminar verteilt hatte, vom großen Interesse der Kollegen und Kolleginnen am Thema, häufigen Diskussionen und der Anerkennung ihrer Kenntnisse. Sie gilt auf dem Abschnitt als Fach-frau, ihre neue Visitenkarte enthält den Zusatz „Sachbearbeiterin hG“.

Einige Teilnehmer/innen stießen bei der Umsetzung der erworbenen Kenntnisse aber auch auf Hindernisse. Insbesondere jüngere, im Ba-sisdienst tätige Polizisten und Polizistinnen wurden eher mit Kollegen und/oder Vorgesetzten konfrontiert, die nur sehr schwer oder auch gar nicht von einer anderen Umgangsweise mit Fällen häuslicher Gewalt zu überzeugen waren. Entsprechende Berichte wurden von anderen Teil-nehmer/innen entrüstet aufgenommen und die jeweiligen Kollegen und Kolleginnen ermuntert, sich nicht beirren zu lassen. Sie erhielten Zu-spruch und Tipps, wie sie auch bei Unflexibilität und Widerständen sei-tens direkter Kollegen/Kolleginnen bzw. Vorgesetzter die im Seminar gewonnenen Strategien zumindest teilweise umsetzen können.

Einhellig wurde die Meinung vertreten, dass insbesondere die mittlere Führungsebene großen Einfluss auf die grundsätzliche Herangehens-weise und Bereitschaft zu einem täterorientierten Arbeitsansatz hat, da sie eine Schlüsselstellung zwischen höherer Leitungsebene und den Beamten und Beamtinnen im Einsatz einnimmt. Hier wurde ein großer Fortbildungsbedarf und die Notwendigkeit einer stärkeren Sensibilisie-rung konstatiert. Kritisiert wurde auch der teilweise ungenügende Aus-tausch zwischen den Dienstleitungen.

Mit Leitungsaufgaben betraute Teilnehmer/innen berichteten, wie sie ih-re Kollegen und Kolleginnen durch häufige Thematisierung der Proble-matik in Dienst- und Einzelgesprächen zu einer stärker täterorientierten Arbeitsweise in Fällen häuslicher Gewalt motivieren und wie sie die Zahl der Anzeigen im Kontext häusliche Gewalt erhöhen konnten. So schilderte ein Teilnehmer beispielsweise, dass er in Fällen, in denen die Einsatzbeamten/-beamtinnen keine polizeiliche Anzeige fertigten, ein ausführliches Protokoll mit Begründung verlange, warum dies unterblie-ben sei. Die Zahl der von Einsatzkräften geschrieunterblie-benen Anzeigen ist nach Aussage des Teilnehmers auf diesem Anschnitt seitdem merklich gestiegen.

Der Erfahrungsaustausch wurde ergänzt durch die Klärung und Diskus-sion offener Fragen im Kontext polizeilicher Intervention bei häuslicher Gewalt. So wurden beispielsweise folgende Fragen gestellt:

– Wie komme ich an die für das weitere Vorgehen wichtigen und not-wendigen Informationen heran, wenn die Frau sagt, es sei nichts gewesen, obwohl Spuren von Gewaltanwendung und Verletzungen offensichtlich sind?

– Welche rechtliche Handhabe habe ich bei der Weiterverfolgung des Vorgangs, wenn die Frau sich nicht weiter äußert?

– Wie ist mit der Frage der Glaubwürdigkeit von Tatbeteiligten umzu-gehen, wenn die Aussagen sich widersprechen? Tragen nicht doch beide zur Eskalation der Situation bei?

– Wo bekommen Opfer und Täter Hilfe und Unterstützung?

– Wie gehe ich vor, wenn der Einsatz in ausländischen Familien erfolgt und mit der Frau eine Verständigung nicht möglich ist? Kön-nen/sollen anwesende Kinder dann übersetzen?

– Was ist im Rahmen von BIG weiter vorgesehen, wie wird mit dem Thema weiter umgegangen?

Am Nachmittag wurde in zwei Arbeitsgruppen – „Rechtliche Fragen“

und „Bilder aus einem Frauenhaus“ - weiter diskutiert, wobei nachein-ander an beiden Gruppen teilgenommen werden konnte. Die Arbeits-gruppe, in der anhand einer Fotoausstellung auf den Alltag und die Si-tuation in einem Frauenhaus eingegangen wurde, führte insbesondere bei den jüngeren Polizisten und Polizistinnen zu einer großen Betrof-fenheit.

In der den Tag abschließenden Feedbackrunde kamen viele positive Äußerungen zum Ablauf, zum erfolgten Austausch und den vermittelten Informationen. Hervorgehoben wurde insbesondere

– das Stattfinden des Bildungscontrollings, das als ausgesprochen in-teressant, aber zu kurz bewertet wurde,

– der Hierarchie übergreifende Austausch, der als sehr befruchtend empfunden wurde,

– die weitergehenden Informationen, die dazu befähigten, selbst weiter als Multiplikator/in zu fungieren und Ansprechpartner/in auf den Ab-schnitten zu sein,

– die Betroffenheit durch die Fotos aus dem Frauenhaus, die zu der Erkenntnis führten, dass täterorientiertes Vorgehen notwendig ist, – die durch die Fortbildung geweckte und das Bildungscontrolling

ver-tiefte „Leidenschaft“ für das Thema „häusliche Gewalt“ und die Freu-de, mit Kollegen und Kolleginnen, die diesem Thema ebenfalls einen

großen Stellenwert beimessen, zu diskutieren und sich dadurch in der eigenen Sicht- und Herangehensweise bestärkt zu fühlen.

Geäußert wurde darüber hinaus der Wunsch nach

– mehr Informationsmaterial zum Thema häusliche Gewalt und kon-kreten Hilfsmöglichkeiten für Betroffene auf den Wachen,

– weiteren Fortbildungsseminaren zum Thema,

– Informationen über das weitere Vorgehen im Rahmen von BIG und über die weitere Entwicklung auf dem Laufenden gehalten zu wer-den,

– weiteren entsprechenden Veranstaltungen, um den Austausch wei-terzuführen und Unterstützung bei evt. auftretenden Problemen zu erhalten und zu geben22.