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Eriocheir sinensis Milne-Edwards, 1853

Im Dokument Neobiota in deutschen Küstengewässern (Seite 146-149)

Die Wollhandkrabbe wurde in Europa erstmals 1912 in der Aller gefunden und hat sich seitdem im ganzen Nordwesten des Kontinents ausgebreitet. Als katadrome Organismen wandern die adulten Tiere zur Eiablage und Larvalentwicklung aus den Flüssen ins Meer und kehren als ca. 2-jährige Individuen wieder ins Süßwas-ser des Binnenlandes zurück. Dadurch, dass die Krebse bei ihren Wanderungen in Massen auftreten können, ist Konkurrenz zu heimischer Fauna möglich und negative wirtschaftliche Auswirkungen aus dem Süßwasser sind bekannt. In Deutschland ist Eriocheir sinensis insbeson-dere in Elbe und Weser verbreitet.

Syn.: Grapsus nankin Tu, Tu, Wu, Ling & Hsu, 1923

Deutscher Name: Chinesische Wollhandkrabbe Englischer Name: Chinese mitten crab

Status: nicht-heimische Art, etabliert Lebensraum: Süßwasser bis marin

Ursprungs-/Donorgebiet: Nordwest-Pazifik (Gelbes Meer, Nordchina, Korea), auch in die USA eingeschleppt

Vektor: Am wahrscheinlichsten ist eine Einschleppung im Ballastwasser, durch das ausreichend Larven für eine selbsterhaltende Population freigesetzt worden sein könnten (Flaunders 2000, Wolff 2005). Zu Beginn des letzten Jahrhunderts begann ein lebhafter Warenaus-tausch per Schiff mit Ostasien. Daneben werden der Transport im Aufwuchs von Schiffen sowie entkommene Tiere, die für Konsum und Aquarienhandel importiert wurden, diskutiert (Gollasch 2011).

Sekundäre Verbreitung erfolgt durch Migration, Lar-vendrift und/oder Schiffstransport (Boettger 1933).

Erstnachweis in deutschen Küstengewässern:

Nordsee: spätestens seit 1915 in der Tideelbe (Boettger 1933b, Nehring & Leuchs 1999a)

Ostsee: Über das erste Auftreten von Eriocheir in der deutschen Ostsee gehen die Angaben in der Literatur auseinander. Häufig wird 1926 genannt. Dieses Datum bezieht sich auf einen Fund im Wittensee nahe Rendsburg, einem mit dem NOK verbundenen Gewässer (Peters et al. 1933). In jedem Fall begann die Besied-lung der deutschen Ostseeküste in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre.

Einschleppung in nordeuropäische/deutsche Küstenge-wässer und Ausbreitung:

Erstmals wurde die Wollhandkrabbe in Europa in der Al-ler, einem Nebenfluss der Weser, im Jahr 1912 gefunden.

In den darauf folgenden Jahrzehnten breitete sie sich sehr schnell über den gesamten Nord- und Ostseeraum sowie die französische Atlantikküste aus (Anger 1990, Herborg et al. 2003, Peters 1938). Ob die Besiedlung da-bei tatsächlich von der Weser ausging ist unsicher. Schon Boettger (1933b) vermutete eine mehrfache Einschlep-pung durch den bis zum 1. Weltkrieg lebhaften Ostasien-handel. Inzwischen haben genetische Untersuchungen die multiple Einschleppung der Krabbe nach Europa bestätigt (Hänfling et al. 2002, Nehring & Leuchs 1999a).

Neben anthropogenen Transportmechanismen spiel-ten bei der rasanspiel-ten Ausbreitung auch Larvendrift und Wanderungen entlang von Flüssen und Kanälen eine entscheidende Rolle.

Schon 1915 wurden gelegentlich Wollhandkrabben in der unteren Elbe gefangen (Boettger 1933b), und spätestens seit 1923 besiedelte die Krabbe die schles-wig-holsteinische Westküste bis nach Eiderstedt. Wegen fehlender Süßwasserzuflüsse waren nördlich davon nur Einzelfunde bekannt (Peters et al. 1933). In den 1920er und 1930er Jahren kam es in den Flüssen Weser und Elbe zu Massenentwicklungen, und es erfolgte die Be-siedlung großer Flusssysteme wie Oder (1928), Weichsel, Ems (1929) und Rhein (1930/31) (Flaunders 2000). Der nachfolgende deutliche Rückgang der Populationen ist wahrscheinlich der zunehmenden Gewässerverschmut-zung zuzuschreiben (Anger 1990). Nach periodisch auf-tretenden Schwankungen war erst in den 1990er Jahren erneut ein starker Anstieg der Bestände zu verzeichnen (Flaunders 2000).

Für den Bereich der deutschen Nordsee ist nach wie vor das Hauptverbreitungsgebiet in den Ästuaren von Elbe und Weser und deren Einzugsgebieten zu sehen (Flaun-ders 2000).

In unterschiedlichen Populationsdichten kommt die Woll-handkrabbe auch an den Küsten anderer Nordseeanrai-ner wie den Niederlanden, Belgien und Nordfrankreich, in englischen Flussmündungen und in dänischen Gewäs-sern vor (Anger 1990, Eno et al. 1997, Flaunders 2000, Gollasch 2011, Herborg et al. 2005, Jensen & Knudsen 2005, Wolff 2005).

Den deutschen Ostseeraum eroberte Eriocheir in den 1920er und 1930er Jahren. Erste Funde im NOK bzw.

dem damit in Verbindung stehenden Wittensee, die wahrscheinlich Einwanderungen aus der Elbe zuzu-schreiben sind, stammen von 1926 und 1927. Etwa zu dieser Zeit scheinen die Krebse auch in der Kieler Förde, Eckernförder Bucht und Schlei aufgetaucht zu sein (Boettger 1933b, Peters et al. 1933). Bereits zu Beginn der 1930er Jahre gab es zusätzliche Nachweise von der offenen Ostsee nahe Fehmarn (Peters et al. 1933) und aus der Lübecker Bucht (Boettger 1933b). Aber auch im Stettiner Haff wurde 1928 ein Exemplar gefangen (Peters et al. 1933). Bei den in der östlichen deutschen Ostsee gefangenen Exemplaren vermuteten Peters et al. (1933), dass es sich um durchziehende Individuen handelte, die über das Elbesystem in Oder und Weichsel gelangt wa-ren und zur Reproduktion westwärts in stärker salzhaltige Gewässer wanderten.

Neuere Nachweise für die deutsche Ostseeküste geben Zettler (1998) und Flaunders (2000).

Nach ihrem ersten Auftauchen kamen außerordentlich schnell Meldungen von allen Ostsee-Küsten. Inzwischen ist Eriocheir sinensis in sämtlichen Ostsee-Anrainerstaaten bis in den äußersten Bottnischen und Finnischen Meerbusen gefunden worden und siedelt in verschiedenen Seen in Schweden und Finnland, wenn auch teilweise in niedrigen Bestandsdichten bzw. es existieren nur wenige Einzelnach-weise (Ojaveer et al. 2007, www.frammandearter.se). Auf-grund der geringen Salinität hielt man eine Reproduktion dieser katadromen Art speziell in der östlichen Ostsee für unmöglich und ging von verdrifteten, durch Schiffe oder mit Besatzfischen verschleppten oder sehr weit gewan-derten Einzelindividuen aus. Da jedoch gelegentlich auch Eier tragende Weibchen auftauchen, wird inzwischen die Frage nach einer Adaptierung der Tiere an die Bedingun-gen in der Ostsee aufgeworfen (Ojaveer et al. 2007). Für die westliche Ostsee wiesen bereits Peters et al. (1933) auf das Vorkommen Eier tragender Weibchen in der Kie-ler Förde hin, was kürzlich durch Otto & Brandis (2011) Bestätigung fand.

Vorkommen an Nordseeküsten (inkl. östl. Ärmelkanal und Skagerrak):

Großbritannien (Eno et al. 1997, Gilbey et al. 2008, Her-borg et al. 2005)

Belgien (Boets et al. 2012, Kerckhof et al. 2007) Niederlande (Wolff 2005)

Deutschland (Anger 1990, Nehring & Leuchs 1999a) Dänemark (Jensen & Knudsen 2005)

Norwegen (Gollasch 2011)

Vorkommen an Ostseeküsten (inkl. Kattegat und Limfjord):

Dänemark (Jensen & Knudsen 2005)

Deutschland (Flaunders 2000, Zettler 1998) Polen (Gollasch et al. 2009)

Litauen (Bacevičius & Gasiūnaitė 2008) Lettland (Ojaveer et al. 2007)

Estland (Ojaveer et al. 2007) Russland (Ojaveer et al. 2007) Finnland (Ojaveer et al. 2007) Schweden (www.frammandearter.se)

Zur Biologie und Ökologie:

Die Krabbe ist durch die charakteristische Behaarung an den weißspitzigen Scheren unverwechselbar. Diese Behaarung bildet sich mit zunehmendem Alter und kann besonders bei den Männchen sehr ausgeprägt sein. Die Tiere haben einen runderen Carapax und längere Beine als die heimische Strandkrabbe Carcinus maenas und können eine Carapaxbreite von 5-7 cm, in Einzelfällen auch bis zu 10 cm, erreichen.

Die Krabben sind omnivor und scheinen wenig spezi-alisiert zu sein, wobei pflanzliche Nahrung überwiegt.

Sie tolerieren ein sehr weites Salinitäts-, Sauerstoff- und Temperaturspektrum und können auch in verschmutztem Wasser leben (alle Angaben: Fladung 2000, Gollasch 2011, www.frammandearter.se).

Die Chinesische Wollhandkrabbe verbringt ihr Leben auf der Wanderschaft und bewältigt auch weite Strecken über Land. Zur Reproduktion beginnen adulte Krabben mit ca. 5-6 Jahren aus dem Süßwasser stromabwärts in die Flussmündungsgebiete zu ziehen, wo die wan-derfreudigeren Männchen zuerst eintreffen. Während dieser Zeit reifen die Gonaden der Tiere, die bis zu einer vollständigen Ausbildung Salinitäten von > 6 psu benö-tigen. Nach der Befruchtung im Brackwasser ziehen die Weibchen weiter in salzhaltigeres Wasser, wo die Eiabla-ge und einiEiabla-ge Monate später das Schlüpfen der Larven stattfindet. Danach sterben die Adulten größtenteils ab.

Die Larvalentwicklung ist an spezifische Salzgehalte des Meereswassers gebunden. Im Alter von etwa 2 Jahren beginnen sich die juvenilen Krabben in den Flussmün-dungen zu sammeln und in Massen ins Süßwasser der Flüsse aufzusteigen, wo sie sich verteilen (alle Angaben:

Anger 1990, Fladung 2000)

Auswirkungen und invasives Potential:

Insbesondere Massenvorkommen können zu Problemen mit Wollhandkrabben führen. In der Binnenfischerei bedeuten große Mengen gefangener Krabben, die Netze

und Reusen verstopfen und ggf. fischereiwirtschaftli-che Ausrüstung beschädigen, zeitlifischereiwirtschaftli-chen Mehraufwand und wirtschaftlichen Schaden. Zudem werden Fische in Netzen und Reusen angefressen, wodurch es zu Umsatz-einbußen kommt. Gesunde lebendige Fische können da-gegen von den Krabben nicht erbeutet werden (Fladung 2000).

Uferböschungen, in die die Tiere Gänge graben, müssen bei starkem Befall ggf. repariert werden (Herborg et al.

2003), und auf ihren Wanderungen können Massenauf-kommen der Krebse industrielle Kühlsysteme und Was-serleitungen verstopfen (Gollasch et al. 2009).

In ihren Ursprungsländern sind sie auch Zwischenwirte für Parasiten, die jedoch in Europa nicht auftreten (Gol-lasch et al. 2009). Jedoch wiesen Schrimpf et al. (2014) nach, dass Wollhandkrabben den Erreger der Krebspest (Aphanomyces astaci) nicht nur in sich tragen, sondern ihn auch auf den europäischen Edelkrebs (Astacus asta-cus) übertragen können.

Bei hoher Bestandsdichte können die Wollhandkrabben zu einer Raum- und Nahrungskonkurrenz für heimische Fische und Invertebraten werden. Verstärkter Fraßdruck auf das Benthos spielt aber nur in nahrungsarmen Ge-wässern eine Rolle (Fladung 2000). In Laborversuchen konnte Eriocheir die heimische Strandkrabbe Carcinus maenas verdrängen (Gilbey et al. 2008).

Trotz all dieser Probleme, treten die Krebse generell an den Küsten nicht auffallend in Erscheinung, da sie nicht ansatzweise Dichten wie in Binnengewässern erreichen.

Daneben bieten die Krabben für eine Reihe von Fischen, speziell Aale und Barsche, eine zusätzliche Nahrungs-quelle (Fladung 2000). Für den menschlichen Konsum spielen sie hierzulande keine Rolle, wobei sich allerdings ein kleiner Markt für Wollhandkrabben bei der asia-tisch-stämmigen Bevölkerung gebildet hat, da die Tiere in China als Delikatesse gelten.

Kategorie 2 (Invasive Arten, von denen starke Auswirkun-gen bekannt sind, die aber an heimischen Küsten noch nicht aufgetreten sind)

Literatur: Anger 1990, Bacevičius & Gasiūnaitė 2008, Boets et al. 2012, Boettger 1933b, Eno et al. 1997, Flaunders 2000, Gilbey et al. 2008, Gollasch 2011, Gollasch et al. 2009, Hänfling et al. 2002, Herborg et al. 2003, 2005, Jensen & Knudsen 2005, Kerckhof et al.

2007, Nehring & Leuchs 1999a, Ojaveer et al. 2007, Otto

& Brandis 2011, Peters 1938, Peters et al. 1933, Wolff 2005, Zettler 1998

www.frammandearter.se (Aktualisierung v. 16.12.2006)

Die Chinesische Wollhandkrabbe hat ihren Namen nach der, speziell bei großen Männchen, starken Behaarung der vorderen Sche-renabschnitte. Carapaxbreite 50-70 mm. (Foto: C. Buschbaum)

Hemigrapsus sanguineus

(De Haan, 1835)

Im Dokument Neobiota in deutschen Küstengewässern (Seite 146-149)