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Im spontanen EEG eines Menschen zeigen sich kontinuierliche Spannungsänderungen unterschiedlicher Frequenz und Amplitude. Diese sind von verschiedenen Faktoren abhängig wie z.B. psychologischen Faktoren wie Wachheit und Aufmerksamkeit sowie von physikalischen Faktoren wie z.B. dem Hormonstatus, dem Blutzuckerspiegel, der Sauerstoffsättigung des Blutes und den Elektrolytverhältnissen im Gehirn.

Dagegen entstehen bei visueller, akustischer oder somatosensorischer Reizung eines Individuums reizabhängige kleine Spannungsveränderungen. Diese werden als evozierte Potentiale oder Ereigniskorrelierte Potentiale (EKP) bezeichnet (Schandry, 2003). Dabei sind die EKPs in ihrer Ausprägung mit etwa 1-30 µV aber so gering, dass sie im spontanen EEG (mit durchschnittlich 1-200 µV) buchstäblich untergehen. Durch ihre Eigenschaft der Reizgebundenheit und durch ihr stabiles Auftreten ist es aber möglich, durch wiederholte Reizung und Mittelung der Reizantworten die ereigniskorrelierten Potentiale sichtbar zu machen.

Zum Zweck der Mittelung legt man kurze EEG- Epochen übereinander. Diese Epochen sind Zeitabschnitte, welche aus dem fortlaufenden EEG, um den gleichen Reiz herum, ausgeschnitten wurden (Coulson, King und Kutas, 1998). Als Ergebnisse dieser Mittelungen entstehen mehrere charakteristische Wellenformen. Generell treten zuerst mehrere rasche Wellen, dann langsamere Wellen und dann die so genannten Nachschwankungen auf. Als bestimmte Komponenten bezeichnet man dabei bestimmte einzelne Wellen oder Segmente des gesamten EKPs. Die Namensgebung erfolgt nach der Polarität der fraglichen Welle. P steht für eine Welle im positiven Polaritätsbereich, N für eine negative Welle. An zweiter Stelle wird zumeist die Latenz der Welle, also die Zeit in Millisekunden zwischen Reiz und Peak der Welle, angegeben. Die recht bekannte EKP-Komponente P300 ist demnach eine positive Welle die im Normalfall ihren Peak nach etwa 300 ms nach dem Reiz erreicht.

Die verschiedenen Wellen und Komponenten eines EKPs lassen sich verschiedenen Generatoren und Prozessen im Gehirn zuordnen. Dabei werden nach Donchin et al. (1978) und auch nach Rösler (1982) vor allem endogene und exogene Komponenten unterschieden.

Die exogenen Komponenten sind in der Hauptsache die vorher bereits erwähnten schnellen Wellen. Sie treten im Zeitbereich bis 100ms auf und reflektieren die Erregung der sensorischen Reizleitungsbahnen. Dabei können die entstehenden Wellen sehr gut den einzelnen Verarbeitungsschritten von der Nervenweiterleitung über den Hirnstamm bis zum primären Verarbeitungskortex zugeordnet werden. Die Wellen bis 100 ms geben von daher

Aufschluss über den Zustand der Verarbeitungsbahnen eines Reizes bis zum primären Kortex.

Die Ausprägung der Wellen ist dabei abhängig von physikalischen Eigenschaften des Reizes, also z.B. von dessen Dauer, Intensität oder Komplexität. Dagegen ist ihre Ausprägung relativ unabhängig vom ‚psychologischen’ Zustand des Probanden.

Endogene Komponenten dagegen entstehen in den ‚höheren’ kortikalen Verarbeitungsebenen mehr als 100 ms nach dem Reiz und reflektieren die durch den Stimulus ausgelösten informationsverarbeitenden Prozesse. Sie sind in ihrem Erscheinen und ihrer Ausprägung abhängig von der Interaktion des Probanden mit dem auslösenden Reiz. Endogene Komponenten variieren vor allem in ihrer Amplitude, aber auch in gewissem Umfang in ihrer Latenz, in Abhängigkeit von Aufmerksamkeit und Aufgabenrelevanz sowie Motivation des Probanden oder z.B. auch dem emotionalen Gehalt der verwendeten Reize. Unter gewissen Umständen können solche Komponenten sogar auf nicht vorhandene Reize gefunden werden und zwar dann, wenn ein bestimmter Reiz erwartet wurde welcher dann aber ausbleibt.

Endogene Komponenten sind, im Gegensatz zu exogenen, stark abhängig vom verwendeten Paradigma und der Kooperation der Probanden. Aus diesen Gründen werden sie manchmal auch als ‚nicht-obligatorische Komponenten’ der EKPs bezeichnet (Näätänen, 1990).

Die Einteilung in endogene und exogene Komponenten ist in vielen Publikationen zu finden aber, wie sich die meisten Autoren auch einig sind, eigentlich nicht korrekt. In Wirklichkeit ist der Übergang zwischen sensorisch und kognitiv bedingten Komponenten wohl eher fließend, so dass auch fast jede frühe Komponente durch kognitive Faktoren beeinflusst wird wohingegen auch späte Komponenten durch gewisse Reizeigenschaften in ihrer Ausprägung variieren können (Jossiassen et al., 1990). Die Abbildung 1.2 zeigt den typischen Verlauf eines EKPs auf einfache Töne. Die schwarze Linie zeigt die Verarbeitung eines häufig auftretenden Standardtones. Zu erkennen sind hier in erster Linie der N100–P200 (bzw. N1- P2) Komplex. Er gibt an, dass die Information den primären Hörkortex erreicht und dort verarbeitet wurde. Die N1 wird häufig als Komponente der Aufmerksamkeit interpretiert. Je größer die auf einen Reiz gerichtete Aufmerksamkeit, desto höher die Amplitude der N1.

Dazu passt, dass bei sich wiederholenden unwichtigen Reizen die Amplitude der N1 über die Dauer der Stimulation habituiert (Luck, Woodman & Vogel, 2000).

Die rote Linie zeigt die Verarbeitung eines selten auftretenden Tones, den der Proband zählen sollte. Nach der N1, welche auch für diesen Ton deutlich zu erkennen ist, schließt sich die so genannte Mismatch-Negativity (MMN) an. Die MMN hat eine zeitliche Latenz von etwa 200 ms nach dem Reiz. Sie ist eine automatische, obligate Hirnreaktion auf jegliche unterscheidbare Änderung in wiederholten akustischen Reizen (Giard et al. 1995) und wurde

erstmals von Näätänen, Gaillard & Mäntysalo (1978) beschrieben. Zur Entstehung einer MMN ist die Detektion des Unterschieds zwischen Standard- und Deviantreiz erforderlich, jedoch spielt das bewusste Befolgen einer Aufgabe keine Rolle. Für den Mechanismus ist das auditive sensorische Gedächtnis verantwortlich, der so genannte echoische Speicher (Giard et al. 1995). Der Auslösemechanismus der MMN ist der Vergleich des neuen Tons mit der gespeicherten Repräsentation des Standardtones. Bei Detektion eines Unterschieds, wird die MMN ausgelöst. Die Intaktheit basaler Gedächtnisfunktionen ist somit Voraussetzung für die Generierung einer MMN (Jacobsen et al., 2001; Schröger, 2004). Sie wird automatisch (präattentiv), also ohne bewusste Konzentration auf die Stimuli generiert und lässt sich schon bei Neugeborenen feststellen (Ceponiene et al., 2003).

Die MMN ist frontozentral maximal und fällt etwas linksdominant zu den Seiten ab. An die MMN schließt sich die P300 (bzw. P3) an. Sie wird im nächsten Kapitel noch ausführlicher beschrieben.

Abbildung 1.2: Darstellung der typischen EKP Verläufe für nicht beachtete häufige Töne (schwarz) und seltene Töne welche es zu zählen gilt (rot).

In der vorliegenden Arbeit geht es um das fragliche Vorhandensein zweier später, also endogenen, Komponenten: der P300 (oder auch P3) und der N400 bei schwerst bewusstseinsgestörten Patienten. Diese Komponenten werden deshalb in den nächsten beiden Kapiteln ausführlicher dargestellt. Die Ableitbarkeit der frühen Komponenten bis 100ms, als Nachweis einer intakten Hörbahn, wurde in dieser Studie als Einschlusskriterium vorausgesetzt.

1.2.1 Die P300

Die P300 ist eine positive langsame Welle die ihr Maximum über den zentroparietalen Elektroden (Pz) hat und seitlich symmetrisch abfällt. Sie wurde 1965 das erste Mal von Sutten und Kollegen beschrieben (Sutton et al., 1965). Das einfachste Paradigma, welches eine P300 erzeugt, ist das so genannte Zwei-Stimulus-Diskriminations-Verfahren, heute besser bekannt als Oddball-Paradigma. Dabei werden, wie weiter oben schon erwähnt, häufige und seltenere Reize in Serie dargeboten, wobei es den seltenen zu zählen gilt. Die Darbietung des seltenen Reizes führt zur Ausbildung der P300. Um eine P300 zu erhalten kann man sich aber auch eines passiven Paradigmas bedienen, bei dem die Zählaufgabe wegfällt. Die im passiven Paradigma beobachtete P300 ist in der Amplitude allerdings nicht so deutlich ausgeprägt wie jene, die man im aktiven Paradigma erhält. Die P300 zählt zu den endogenen Potentialen, da ihre Amplitude unabhängig von der Modalität und den physikalischen Eigenschaften des dargebotenen Reizes ist. Jedoch konnten Pritchard (1981) und Johnson (1986) zeigen, dass die Amplitude der P300 von Faktoren wie Salienz und Relevanz der Aufgabe sowie der selektiven Aufmerksamkeisleistung des Probanden abhängt. Weiter ist die Amplitude der P300 abhängig von der Häufigkeit des seltenen Reizes. Dabei gilt, je seltener der Reiz, desto größer die Amplitude der entstehenden P300. Aber auch hier gilt: es geht dabei weniger um die objektive Seltenheit des Reizes, sondern vielmehr um das subjektive Überraschungsgefühl des Probanden (Pritchard, 1981).

Die Latenz der P300 ist ein Maß für die Dauer, die es bedarf, um einen Reiz zu analysieren und zu bewerten (Magliero et al., 1984). Dabei korreliert die P300 Latenz mit der Schwierigkeit der Aufgabe zur Reizklassifikation und auch mit der kognitiven Leistungsfähigkeit der Probanden. Das bedeutet zum einen, werden die Reize schwerer zu diskriminieren, verlängert sich die Latenz. Zum anderen verlängert sich die Latenz der P300 auch bei bestimmten Erkrankungen, z.B. bei Demenz der Probanden. In einer Studie von Ofer et al. wurde ein klassisches Oddball-Paradigma dazu verwendet, den Outcome von Patienten mit schweren geschlossenen Schädel-Hirn-Traumata zu untersuchen, wobei sich zeigte, dass die Schwere der Verletzung mit der Latenz der P300 korrelierte. (Ofer et al., 1998). Die P300 kann auch zur Bestimmung von Diskriminationsleistungen verwendet werden. Hier gilt: die P300 erscheint umso später und je kleiner, je schwerer die Stimuli zu unterscheiden sind. Ihre Amplitude verschwindet vollständig, wenn der Proband nicht mehr in der Lage ist die verschiedenen Stimuli voneinander zu unterscheiden (Jacobson, 1994; Salibsbury et al, 2001).

Eine weitere Unterteilung der P300 in eine zeitlich etwas frühere Novel-P3a und die

"klassische" P3b erhält man über die Einführung zusätzlicher neuer und noch seltenerer Geräusche im Oddball-Paradigma. Die P3a zeigt vermutlich die automatische Orientierungsreaktion gegenüber den Stimuli an, die spätere P3b dagegen die eigentliche Reizklassifikation. Die P3a wird von daher als Korrelat einer automatischen Orientierungsreaktion aufgefasst und würde deshalb eher zu den exogenen Komponenten gerechnet werden müssen (Squires et al., 1975).

Verschiedene Autoren konnten sowohl bei gesunden Probanden (Tervaniemi et al, 2000) als auch bei Patienten im apallischen Syndrom (Kotchoubey et al, 2003) feststellen, dass sich durch Verwendung komplexer Reize, wie z.B. Musik, die Auftretenswahrscheinlichkeit der P3 signifikant erhöht. Außerdem wird auch die Amplitude aller abgeleiteten Wellen signifikant größer, was für eine frühe und basale ‚Vor’- Verarbeitung des komplexen Materials spricht.

1.2.2 Die N400

Die N400 ist eine Welle, welche ihr Spannungsmaximum nach circa 400ms im negativen Polaritätsbereich zeigt. Sie wurde 1980 von Kutas und Hillyard, eigentlich eher zufällig, entdeckt. In ihrem damaligen Versuch präsentierten sie Wort für Wort 7-Wort-Sätze auf einem Bildschirm. Die Probanden wurden gebeten die Sätze zu lesen um später Fragen beantworten zu können. Die Sätze endeten mit erwarteten oder überraschenden letzen Worten.

Das ‚überraschende’ letzte Wort konnte ein semantisch sinnloses oder visuell verändertes (Veränderung der Schriftgröße) Wort sein. Kutas und Hillyard erwarteten eigentlich auf die überraschenden Enden eine P300 abzuleiten, da bis dato von der Reizunabhängigkeit der P300 ausgegangen worden war. Auf die sinnlosen Satzenden erfolgte aber nicht die erwartete P300 sondern eine langsame negative Welle die bei ca. 250ms begann und ihr Maximum nach circa 400 ms erreichte. Auf die visuell veränderten Enden erfolgte dagegen eine positive Welle im gleichen Zeitfenster wie die N400. Dies zeigt, dass es sich bei der N400 um keine unspezifische Reaktion auf Erwartungsverletzungen handelt. Die „erste“ von Kutas und Hillyard aufgezeichnete N400 ist in Abbildung 1.3 dargestellt.

Abbildung 1.3: EKP-Komponenten auf Sätze mit passendem Ende, mit semantisch sinnlosem Ende und mit visuell verändertem Ende. (Von: Kutas & Hillyard, 1980)

Sie interpretierten die N400 als ein Maß für die Integrierbarkeit von Worten in einen semantischen Zusammenhang oder wie es Pitchard und Kollegen ausdrücken als "enttäuschte Erwartung, die auf semantischem Priming beruht" (Pitchard, Shappell & Brandt, 1991). Je schlechter ein Wort in den gegebenen semantischen Kontext passt, desto größer fällt die N400 aus. Kutas, Lindamood und Hillyard (1984) verwendeten in einer anderen Studie Sätze welche den Kontext stark eingrenzten. Dies konnte z.B. ein Satz sein wie: Die Pizza war zu heiß zum… („The Pizza was to hot to…“) Sie variierten nun das letzte Wort in drei verschiedenen Kategorien, nämlich dem passenden Ende wie z.B. ‚essen’ („eat“), dem sinnlosen Ende wie z.B. ‚weinen’ („cry“) und einer Kategorie, die zwar ebenfalls ein sinnloses Ende darstellte aber in die gleiche semantische Kategorie fiel wie das sinnvolle Ende. Dies wäre in diesem Fall ein Wort aus der gleichen semantischen Kategorie wie ‚essen’

also z.B. ‚trinken’ („drink“). Die Ergebnisse dieser Studie konnten zeigen, dass obwohl

‚trinken’ in diesem Fall ein sinnloses Ende darstellte, die Amplitude der N400 kleiner ausfiel wie auf dass sinnlose Ende ‚weinen’. Als Ursache für diesen Effekt vermutet die Arbeitsgruppe um Marta Kutas eine automatische Aktivierungsausbreitung im semantischen Netzwerk (Kutas et al., 1984).

Dass eine enttäuschte Erwartung nicht unbedingt mit einem semantischen Fehler verbunden sein muss, konnten van Petten und Kutas zeigen (1991). In ihrer Studie führten auch semantisch passende aber dennoch überraschende (weil unübliche) Satzenden zur Ausbildung einer N400 bei den Probanden (van Petten & Kutas, 1991).

Interessante Ergebnisse erbrachte auch eine Studie von Besson et al.(1998). Sie leiteten EKPs bei Probanden ab die sehr bekannten Liedern zuhörten. Dabei zeigte sich eine N400 wenn ein Wort des korrekten Textes durch ein falsches ersetzt worden war, aber eine P300 bei einem

falschen Ton in der Melodie (Besson et al., 1998). Ein interessanter Befund aus dieser Richtung kommt auch von A. Schirmer. Sie konnte zeigen, dass vor allem Frauen auf den durch die Sprachmelodie vorgegebenen Kontext reagieren. Die Probanden hörten dabei einen Satz wie z.B. „Gestern hatte er seine Abschlussprüfung“. Dieser Satz konnte entweder fröhlich oder traurig gesprochen sein. 200 ms nach ende des Satzes sahen die Probanden auf einem Bildschirm Worte wie „Erfolg“ oder „Niederlage“. Passte das Wort nicht zu dem durch die Prosodie vorgegebenen Kontext so zeigte sich nur bei den Frauen eine N400. Eine Varriation dieses Experimentes konnte dann zeigen, dass Männer die Information die durch die Sprachmelodie gegeben wird durchaus verarbeiten, allerdings erst deutlich später als Frauen. Wurde das Wort erst 750ms nach Ende des Satzes präsentiert dann zeigten auch die Männer eine N400 (Schirmer, 2002).

Andere Studien von z.B. Holcomb und Neville (1990) oder Ziegler und Kollegen (1997) zeigen, dass so genannte Pseudoworte eine noch stärkere N400 auslösen als semantisch nicht korrekte Wörter. Bei den Nicht – Wörtern (Wörter die ebenfalls keine echten Wörter sind, sich aber im Gegensatz zu den Pseudowörtern auch nicht aussprechen lassen) hingegen verschwindet die N400. Buchstabenkombinationen, welche sich nicht aussprechen lassen, aktivieren offenbar keine sprachgebundenen Netzwerke im Gehirn.

Es ist demnach hinreichend belegt, dass eine N400 nur dann entsteht, wenn im Gehirn Sprache als Sprache (und nicht etwa nur als sinnloses Geräusch) verarbeitet wird. Darüber hinaus ist die Detektion einer semantischen Anomalie für die Entstehung der N400 essentiell.