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MCS Patienten

4.4 Diskussion der Ergebnisse zur P3

4.4.1 Die Charakteristika der P3

Die in dieser Studie untersuchten Charakteristika der P3 bezogen sich auf die Latenz der P3 und die Frequenz der P3.

Wie in der Einleitung beschrieben berichten verschiedene Studien bei eingeschränkter kognitiver Leistungsfähigkeit der Probanden von einem verzögerten Auftreten der P3 sowie von einer verzögerten P3 bei einer erschwerten Reizklassifikation (z.B. Jacobson, 1994; Ofer et al., 1998; Salibsbury et al, 2001; Polich und Corey-Bloom, 2005). Aus diesem Grund war die eigentliche Vermutung dieser Studie, dass die massiv kognitiv beeinträchtigten Patienten eine P3, wenn überhaupt, dann verzögert aufweisen würden.

Diese Erwartung ist nicht eingetreten. Die durchschnittliche Latenz der P3 unterscheidet sich mit p= 0,83 (häufiger gegen seltener Ton) und p= 0,76 (häufiger Ton gegen neue Geräusche) nicht zwischen den verschiedenen Gruppen (Kontrollgruppe, MCS Patienten und VS Patienten). Die P3 war für alle gemessenen Gruppen, wenn sie auftrat, im Mittel zwischen 350 und 400 ms ableitbar.

Das gemessene Zeitfenster war mit 250 ms bis 600 ms groß genug gewählt, so dass auch später auftretende P3 Komponenten nicht durch einen zu knappe Einstellung der tCWT nicht mehr erfasst worden wären.

Geht man also von korrekten Daten aus, so stellt sich die Frage, warum die Patienten dieser Studie keine Latenzverzögerungen aufwiesen. Was unterscheidet Patienten im VS und MCS von z.B. Demenz-Patienten?

Es mag der der Fall sein, dass die Art der generierten P3 für Demenzpatienten und bewusststeinsgestörte Patienten unterschiedlich ist.

Wie bereits Squires et al., (1975) beschrieben hat, beinhaltet die P3 neben den endogenen Aspekten auch exogene, also automatische Aspekte. Die automatische P3a unterscheidet sich von der Aufmerksamkeitsbestimmten P3b vor allem durch ihre Amplitude (etwas kleiner) sowie durch ihre Latenz (etwas früher). Verschiedene Autoren wie z.B. Gaeta et al., 2003; He et al., 2001 oder auch Yago et al., 2003 beschreiben das Verhältnis zwischen P3a und P3b als zwei unterschiedliche EKPs mit unterschiedlichen Funktionen aber überlappenden neuronalen Generatoren. Da diese Studie erst einmal keinen Wert auf die Unterscheidung zwischen P3a und P3b gelegt hat, wurde die abgeleitete P3 nicht in diese beiden Komponenten zerlegt.

Dementsprechend ist nicht mit absoluter Sicherheit entscheidbar, welcher Aspekt bei den Patienten vornehmlich zur Ausbildung der P3 geführt hat. Dabei ist zu beachten, dass alle bisher beschriebenen Latenzverzögerungen durch das aktive Paradigma und dadurch beim Auftreten der P3b beobachtet wurden. Dahingegen ist es eher wahrscheinlich, dass die Patienten der vorliegenden Studie eine P3a ausbildeten. Einheitlich mit den Kontrollpersonen (und den Demenzpatienten anderer Studien) wurde den VS und MCS Patienten zwar die Aufgabe des Zählens des seltenen Tones gestellt, es ist aber anzunehmen, dass die Mehrheit der Patienten diese Aufgabe nicht wahrgenommen hat. Ein weiterer Hinweis auf eine eher automatisch generierte P3 bei den Patienten kann man vielleicht daraus ziehen, dass die t-Werte und damit auch die p-t-Werte der t-Wert Skalogramme der Kontrollpersonen deutlich höher waren als jene der Patienten. Daraus lässt sich schließen, dass der Unterschied zwischen den Bedingungen bei den Kontrollpersonen größer war als bei den Patienten. Das kann natürlich an der höheren Artefaktbelastung der Patientenaufzeichnungen gelegen haben.

Ebenso möglich wäre aber auch, dass die Amplituden der P3 der Kontrollpersonen höher waren. Dieses würde dann dafür sprechen, dass die Kontrollpersonen eher die endogen dominierte P3b generierten während Patienten vornehmlich eine automatisch generierte P3a aufwiesen. Dies könnte erklären, warum in der vorliegenden Studie keine Latenzverzögerung beobachtet werden konnte. Auch in anderen Studien ist meines Wissens bisher nicht von einer Latenzverzögerung der automatisch generierten P3a berichtet worden.

Im Bezug auf den Frequenzbereich innerhalb dessen die P3 generiert wurde ergaben sich keine überzufälligen Unterschiede zwischen den Gruppen.

Diese beiden Ergebnisse, dass bei den Patienten und bei der Kontrollgruppe offenbar überzufällige Unterschiede zwischen verschiedenen Reizen im gleichen Frequenz- und Zeitbereich gefunden wurden, spricht dafür, dass die tCWT sowohl bei den normalen

Personen als auch bei den Patienten tatsächlich die gesuchte Komponente abgebildet hat und die gegebenen Unterschieden zwischen den experimentellen Bedingungen nicht nur durch zufällige Schwankungen zustande kamen.

4.4.2 Zum prädiktiven Wert der P3

Die P3 ist im Vergleich zur N400 in dieser Studie die häufiger ableitbare Komponente. Die tCWT ‚fand’ eine signifikante P3 in 62 (73%) von 84 Patienten. Mit Hilfe des visuellen Auswertverfahrens wurden bei 20 (25%) von 80 Patienten eine P3 identifiziert. Diese großen Unterschiede im Prozentsatz der Patienten mit P3 finden sich auch in der Literatur. So identifizierten z. B. Witzke in seiner Studie 12 Patienten (18 %) mit P3 von insgesamt 66 Patienten im VS und MCS. Dabei waren es 5 Patienten (12%) mit P3 von 43 VS Patienten und 7 Patient (30%) mit P3 von 23 MCS Patienten (Witzke und Schönle, 1996). Dagegen fanden Kotchoubey und Kollegen mit Hilfe der tCWT eine P3 bei 36% ihrer 50 VS Patienten (Kotchoubey et al., 2005). In kleineren Studien ist der Prozentsatz an VS Patienten mit P3 zum Teil noch höher. So fand z.B. Perrin eine P3 bei 3 von 5 VS Patienten und sogar in 6 von 6 MCS Patienten. Dies entspricht 60% der untersuchten VS Patienten und 100% der MCS Patienten (Perrin et al., 2006). In einer Studie von Schnakers und Kollegen zeigten sogar nicht nur 100% der MCS Patienten eine P3 sondern auch 100% der VS Patienten (Schnakers et al., 2009(b), 22 Patienten, davon 8 im VS). Der in diversen Studien gefundene Prozentsatz an Patienten mit P3 schwankt demnach massiv und scheint nicht nur vom verwendeten Reizmaterial sonder, wie in der vorliegenden Studie auch, besonders stark vom verwendeten Auswertverfahren abzuhängen. Auch das grundsätzliche EEG der Patienten scheint dabei eine Rolle zu spielen. So konnte wiederum Kotchoubey in seiner Studie zeigen, dass bei keinem Patienten mit einem stark verlangsamten EEG (unter 4 Hz Grundaktivität) späte evozierte Potentiale ableitbar waren (Kotchoubey et al., 2005).

Das in der vorliegenden Studie EEG Artefakte zur ‚Detektion’ der P3 Komponenten beigetragen haben ist sehr unwahrscheinlich. Das Artefakt, welches dabei in Frage käme, ist das Blinzelartefakt. Bei vielen Patienten war eine reizgebundene, nicht habituierende Schreck (Blink) Reaktion auf neue Geräusche, manchmal auch auf den seltenen Ton, zu beobachten.

Dies erzeugt eine positive Welle im EEG mit Peak etwa 300 ms nach dem Reiz. Der Unterschied zur gesuchten EKP-Komponente ist dabei aber deutlich. Die P3 ist in der Amplitude so klein, dass sie im spontanen EEG nicht auszumachen ist während das Blink-Artefakt eine große und deutliche Verzerrung des spontan EEGs darstellt. Durchgänge mit

einem, innerhalb der zu mittelnden Epoche auftretenden, Blink-Artefakt wurden von der weiteren Verarbeitung konsequent ausgeschlossen. In manchen Fällen führte das, vor allem dann wenn der Blink-Reflex nicht habituierte, zur Nicht-Auswertbarkeit ganzer Datensätze.

Andere Artefakte erzeugen mehrheitlich negative Wellen im EEG und werden deshalb später, im Kontext der N400, eingehend diskutiert.

In der vorliegenden Studie verteilen sich Patienten mit einer ableitbaren P3 sehr gleichmäßig auf die Gruppen der erholten und der nicht erholten Patienten. Dies gilt sowohl für die Gesamtbetrachtung aller Patienten als auch für die einzelnen Patientengruppen. Ebenso gilt es für beide Auswerteverfahren. Mit einer durchschnittlich ‚kaum’(1-2 Punkt) bis ‚schwach’ (2-5 Punkte) relevanten Likelihood Ratio ist die P3 (als Test) in der vorliegenden Studie nicht geeignet, Aussagen über den weiteren Outcome des einzelnen Patienten zu treffen.

Die tCWT erbrachte für die P3 relativ gute Sensitivity Maße, die visuelle Auswertung erbrachte dagegen eine gute Specificity. Für diese Studie sind das allerdings die eher nicht so wichtigen bzw. aussagekräftigen Maße, da sie hier eher ‚rückblickenden’ Charakter haben (‚Ich kenne das Outcome, wie gut kann ich das damalige Vorhandensein der P3 schließen?’).

Die Predictive Values, welche für diese Studie die wichtigeren Maße darstellen, liegen um die 0,5, was der beschriebenen Gleichverteilung der Patienten mit P3 auf die ‚erholten’ und ‚nicht erholten’ Patientengruppen entspricht.

Die P3 ist demnach in dieser Studie kein guter Prädiktor der weiteren Entwicklung der Patienten. Dieses Ergebnis deckt sich nicht mit Ergebnissen anderer Studien, welche durchaus einen prädiktiven Wert der P3 finden. Dies gilt sowohl für Studien über das Outcome von Koma Patienten (z.B. Gott et al., 1991, 20 Patienten im nicht-traumatischen Koma, Fischers Exakt Test p= 0,498 oder auch Kane et al., 1996, 54 Patienten im traumatischen Koma, Pearson´s coefficient p> 0,001) als auch für Studien mit VS und MCS Patienten. Ein Review von Daltrozzo et al., (2007) ermittelte eine durchschnittliche Odd Ratio für die P3 von 8,79.

Dieser Wert basiert auf einer Auswertung von 6 Studien deren Patienten zusammengefasst als

‚low responsive’ beschrieben werden. Innerhalb dieser Studien erweist sich die P3 als ein guter Prädiktor für die Erholung der Patienten. Dagegen findet z.B. die bereits erwähnte Studie von Kotchoubey (Kotchoubey et al., 2005) in erster Linie eine prädiktive Aussagekraft für die Mismatch Negativity und die N400 wohingegen die P3 im Kapitel zur Korrelation mit dem Outcome nicht erwähnt wird. Dies lässt vermuten, dass auch Kotchoubey in seiner großen Stichprobe keinen signifikanten prädiktiven Wert der P3 finden konnte.

Der prädiktive Wert der P3 ist demnach zwar in zahlreichen aber nicht in allen Studien nachgewiesen worden. Dabei ist die Stärke des Zusammenhangs zwischen vorhandener P3

und nachfolgender Erholung der Patienten stark schwankend (von deutlich (zumeist in kleineren Stichproben) bis nicht signifikant (in den eher größeren Stichproben wie von Kotchoubey und in dieser Studie). Die tatsächlichen Prognosemöglichkeiten mit Hilfe der P3 sind demnach widersprüchlich, allerdings lässt sich die Aussagekraft von großen Stichproben mit einheitlichem Untersuchungsprotokoll höher bewerten als die nachträgliche Zusammenfassung von unterschiedlichen Patientengruppen aus unterschiedlichen Studien.

Weitere Studien sind hier eindeutig nötig um die Frage nach den Prognosemöglichkeiten mit Hilfe der P3 klären zu können.