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Einflussfaktor phonologisches Wort

Im Dokument Morphologisch komplexe Wörter (Seite 94-102)

2.4 Die Realisierung komplexer Wörter: Einflussfaktoren und Phonetikund Phonetik

2.4.1 Einflussfaktor phonologisches Wort

Der Forschungsüberblick zur Frage, wodurch die lautliche Variation in morpho-logisch komplexen Wörtern bedingt ist, beginnt mit vier exemplarischen Studien, die sich explizit dem Einfluss des phonologischen Wortes zuwenden. Zu Beginn steht die recht frühe Studie von Sproat (1993), der das Modell der Lexikalischen Phonologie aufgreift und vor diesem Hintergrund für die Notwendigkeit der pro-sodischen Domäne des phonologischen Wortes argumentiert. Es folgt dann Su-gahara & Turk (2009), die an der gleichen Schnittstelle von Lexikalischer

Phono-logie und phonologischer Wortstruktur arbeiten, bevor Pluymaekers u. a. (2010) vorgestellt wird, deren Studie den Einfluss der phonologischen Wortstruktur mit jenem der morphologischen Informativität kontrastiert. Schließlich folgt noch Auer (2002), dessen Studie morphologisch komplexe Wörter im Deutschen be-handelt und somit für die vorliegende Arbeit von besonderer Relevanz ist.

Sproat (1993) thematisiert in dem bezeichnenderweise „Looking into words“

betitelten Artikel die in der Lexikalischen Phonologie vertretene Annahme, dass die wortinterne Struktur für postlexikalische Effekte nicht mehr zugänglich sei.

Dieses Prinzip leitet sich aus der sogenanntenbracketing erasureab, die besagt, dass alle wortinternen morphologischen Klammerungen beim Austritt des Wor-tes aus dem Lexikon gelöscht werden, so dass die wortinterne Struktur nicht mehr sichtbar ist (vgl. Sproat 1993: 173). Basierend auf einer phonetischen Stu-die zur Realisierung des /l/ im Englischen (Sproat & Fujimura 1993) diskutiert Sproat (1993) nun, inwieweit diese Annahme vor dem Hintergrund der auftreten-den Variation haltbar ist. Für das binnenvokalische /l/ existieren im Englischen zwei Allophone: In silbeninitialer Position wird üblicherweise das sogenannte

„light“ /l/ angenommen, während silbenfinal und silbisch das „dark“ /l/ auftre-ten soll, wobei das Vorkommen einer angrenzenden morphologischen Grenze offenbar Auswirkungen auf die Realisierung haben kann (vgl. Sproat & Fujimu-ra 1993: 292-293). Ziel der Studie war es, Aufschluss über die Realisierung der al-lophonischen Varianten unter Einfluss verschiedener morphologischer und syn-taktischer Grenzen zu erhalten. Zu diesem Zweck wurde in der experimentellen Produktionsstudie die Position des binnenvokalischen /l/ systematisch variiert.

Es wird dabei die Bandbreite von „keiner Grenze“ bis hin zur „major intonati-on break“ abgedeckt, wobei der vokalische Kintonati-ontext des /l/ kintonati-onstant bleibt. Dies zeigen folgende Testsätze, die zu Veranschaulichungszwecken vollständig aus Sproat (1993: 175) wiedergegeben werden. Die interessierende Lautsequenz ist dabei jeweils das /i:l/ inBeelik,beelic,beelingetc.

(74) a. 0 (no boundary)Mr. Beelik wants actors/Mr. Beelik’s from Madison.

b. + (stratum I boundary)The beelic men are actors.

c. # (stratum II boundary)The beeling men are actors.

d. C (compound, stratum III boundary)The beel equator’s amazing.

e. P (phrasal boundary separating VP internal constituents):I gave Beel equated actors.

f. V (phrasal boundary separating subject from VP):Beel equates the actors.

g. | (Major intonation break between an utterance-initial vocative and the remainder of the utterance):Beel, equate the actors.

Von besonderem Interesse für die vorliegende Arbeit sind die ersten vier Stu-fen (a bis d), die das wortinterne Vorkommen des /l/ betrefStu-fen: Mr. Beelik, bee-lic, beeling undbeel equator. Die Unterteilung in Grenzen des „stratum I“ und

„stratum II“ bezieht sich dabei auf die unter 2.3.1 kurz angesprochenen Ebenen innerhalb des Lexikons, in die Affixe aufgrund ihres Verhaltens beispielsweise in Bezug auf ihre Reihenfolgebeziehungen oder auf ihre Einflussnahme auf den Stamm etwa bei der Wortakzentzuweisung eingeordnet werden (vgl. Wiese 2000:

119-127). Die in Sproat (1993) referierten Ergebnisse zeigen unter anderem, dass die Grenzstärke systematischen Einfluss auf die Dauer des Silbenreims vor der Grenze hat. Während die ersten drei Stufen bei keinem der Sprecher zu signifi-kanten Dauerunterschieden führen, werden die Elemente der Stufe vier, d.h. der Komposita, mit einer Ausnahme von allen Sprechern mit signifikant längeren Reimdauern realisiert als die drei niedrigeren Grenzstärken. Die Lautsequenz /i:l/

weist somit in Komposita höhere Dauern auf als in den komplexen derivierten Wörtern beider Affixklassen oder in den Simplizia (vgl. Sproat 1993: 175-176).

Die Tatsache, dass die graduelle Dauervariation systematisch auf wortinter-ne Information reagiert, steht nun in Konflikt mit dem oben erwähnten Prin-zip der bracket erasure, da sie verdeutlicht, dass der phonetischen Implemen-tierung Informationen zur wortinternen Struktur zur Verfügung stehen müs-sen (vgl. Sproat 1993: 174, 180). Als Lösung für dieses Problem verweist Sproat (1993): 180-181) nun, wie zu Beginn des Abschnitts bereits erwähnt, auf die proso-dische Domäne des phonologischen Wortes. Die Einführung dieser prosoproso-dischen Domäne ermöglicht es, die Komposita systematisch von den Derivationen (mit vokalinitialem Suffix) und den Simplizia zu unterscheiden und die wortinterne Struktur für die phonetische Realisierung sichtbar zu machen: „[…] some of the morphological structure becomes visible via smuggling through metrical struc-ture.“ (Sproat 1993: 181). Basierend auf Sproat (1993) kann somit gesagt werden, dass die phonetische Realisierung der morphologisch komplexen Wörter syste-matisch mit deren prosodischer Struktur variiert: Vor einer pWortgrenze sind die Reimdauern höher als innerhalb eines pWorts.

Scheinbar vergleichbar sind auf den ersten Blick die Ergebnisse von Sugaha-ra & Turk (2009). Auch sie stellen fest, dass die pWortstruktur in komplexen Wörtern im Englischen einen Einfluss auf die Dauerrealisierung des Reims im ersten Element des Wortes hat. Es ist allerdings zu beachten, dass ihre Ableitung der pWortstruktur nicht mit der bei Sproat (1993) übereinstimmt. Ausgangspunkt ihrer Studie ist – wie bei Sproat – die Differenzierung in Suffixklassen gemäß

der Lexikalischen Phonologie, wobei sie monomorphemische Wörter mit Suffi-xen der Klasse I (z.B. -ance inattendance) und Suffixen der Klasse II (z.B. -ing inattending) kontrastieren; Komposita betrachten sie nicht. Im Unterschied zu Sproat (1993) gehen sie nun jedoch davon aus, dass die Wörter mit Suffixen der Klasse II – unabhängig davon, ob diese konsonant- oder vokalinitial sind – durch eine wortinterne pWortgrenze gekennzeichnet sind.18 Die Suffixe der Klasse II weisen demnach eine eingebettete pWortstruktur auf, bei der der Stamm ein ei-genes pWort bildet, so dass dem Suffix eine einfache pWortgrenze vorangeht:

[[tun]PWd(stem)ɪŋ]PWd (vgl. Sugahara & Turk 2009: 488). Die Suffixe der Klasse I werden hingegen in das pWort des Stamms integriert und entsprechen pro-sodisch somit den monomorphemischen Wörtern (vgl. Sugahara & Turk 2009:

479-485, 501).

Die Ergebnisse der experimentellen Produktionsstudie zeigen nun, dass sich die Suffixe der Klasse II systematisch von den monomorphemischen Wörtern und von den Suffixen der Klasse I unterscheiden. Der Unterschied tritt allerdings nur dann auf, wenn die Wörter in langsamer Sprechgeschwindigkeit gesprochen werden. So sind also die Reimdauern bei langsamer Sprechgeschwindigkeit in Wörtern wiebakingoderraising(Klasse II-Suffix) höher als in Wörtern wie ba-conoderraisin(monomorphemisches Wort), ebenso wie sie in Wörtern wie emer-gingoderacceptinghöher sind als inemergenceoderacceptance(Klasse I-Suffix) (vgl. Sugahara & Turk 2009: 495-499; 503-505). Es ist somit letztendlich festzu-stellen, dass die Ergebnisse von Sugahara & Turk (2009) jenen von Sproat & Fu-jimura (1993) bzw. Sproat (1993) gerade nicht entsprechen. Beide konstatieren zwar einen Einfluss der pWortstruktur, diese Gemeinsamkeit ist aber nur darauf zurückzuführen, dass diese bei ihnen unterschiedlich aus der morphologischen Struktur abgeleitet wird. Wie Sugahara & Turk (2009: 507) selbst diskutieren, sind ihre Ergebnisse letztendlich auch mit einer sogenanntendirect reference hypothe-sisvereinbar, die das unterschiedliche Dauerverhalten im Reim unmittelbar auf die morphologische Differenzierung in Klasse I- und Klasse II-Suffixe bezieht.

Die Frage, wodurch die lautliche Variation in komplexen Wörtern reguliert wird, und ob womöglich die morphologische Struktur einen direkten Einfluss auf die Realisierung ausübt, ist bis heute bei weitem noch nicht geklärt. Pluy-maekers u. a. (2010) greifen diese Frage auf, indem sie die Dauervariation in komplexen Wörtern mit-igheid im Niederländischen betrachten. Dieses Suffix hat im Niederländischen ähnlich wie im Deutschen die Besonderheit, dass es je

18Für eine ausführliche Diskussion dieser Entscheidung, für die das Diagnostikum der Resilbifi-zierung herangezogen wird, und die nicht im Einklang mit Hall (1999b) und Raffelsiefen (2005) steht, siehe Sugahara & Turk (2009): 480-484

nach Stamm unterschiedlich zu segmentieren ist. Nach Pluymaekers u. a. (2010:

512) lassen sich drei verschiedene Typen der Bildungen mit -igheididentifizieren:

einen Typ, der sich ausschließlich als -igheidsegmentieren lässt, da es keinen auf -igauslautenden Stamm gibt, so etwa in ndl.vastigheid‚Sicherheit‘, dessen Stamm nurvast ‚fest‘ sein kann, da *vastigkein existierendes Wort ist. Der zweite Typ umfasst Bildungen, für die das Umgekehrte gilt; es existiert also ausschließlich der Stamm auf -ig, nicht aber jener ohne -ig, z.B. in ndl.zuinigheid‚Sparsamkeit‘

mit dem Stammzuinigund dem nicht existierenden Wort *zuin. Als dritten Typ gibt es Bildungen, die in dieser Hinsicht ambig sind, da sowohl das Wort auf -igals auch jenes ohne existiert. Als Beispiel geben Pluymaekers u. a. (2010) hier das Wortbazigheit ‚Rechthaberei‘, dem als Stammbaas‚Boss‘ oder auchbazig

‚herrisch‘ zugrunde liegen könnten.

Der zentrale Punkt ist nun, dass mit diesen drei morphologischen Typen unter-schiedliche phonologische Wortstrukturen korrespondieren: Während der zwei-te Typ als zwei phonologische Wörzwei-ter zu analysieren sei (also(zuinig)𝜔(heid)𝜔), müsse der erste Typ als ein einfaches pWort behandelt werden. Dies begrün-det sich daraus, dass das Suffix -igheiddes ersten Typs nicht zwischen <ig>und

<heid>getrennt werden könne, denn das phonologische Wort umfasst immer nur vollständige morphologische Einheiten. Es könne aber auch kein eigenständiges pWort bilden, da diese im Niederländischen nicht mit einem Schwa beginnen dürften (-əxhEIt). Es ergibt sich für die Bildungen dieses Typs somit die Struktur (vastigheid)𝜔. Für die ambigen Typen wird auf der Basis der relativen Frequenz von Stammform (baas) und abgeleiteter Form (bazig) geschlossen, dass sie sich wie der erste Typ verhalten sollten, da für gewöhnlich die Stammform häufiger vorkomme als die abgeleitete Form. Die ambigen Bildungen nähern sich dadurch eher jenen Formen an, bei denen gar keine abgeleitete Form auf -igexistiert (vgl.

Pluymaekers u. a. 2010: 514-515). Die morphologischen Typen entfallen folglich auf zwei verschiedene phonologische Wortstrukturen, bei denen von besonderer Bedeutung ist, dass die Lautsequenz /xh/ nun einmal pWort-intern vorkommt, ein anderes Mal aber mit intervenierender pWortgrenze. Daran lässt sich die Hy-pothese anschließen, dass die Sequenz in jenen Wörtern mit intervenierender Grenze eine höhere Dauer haben sollte als in den einfachen pWörtern.

Kontrastiert wird diese pWort-bezogene Hypothese daraufhin mit einer ande-ren Hypothese, die sich auf den Informationsgehalt der Lautsequenz /xh/ im mor-phologischen Paradigma bezieht. Der Faktor der Informativität führt dabei zu ei-ner anderen Gruppierung der drei-igheid-Typen als die prosodische Struktur, so dass die beiden Hypothesen gezielt gegeneinander getestet werden können. Die morphologische Informativität bezieht sich auf die Anzahl der Wortformen im

Paradigma, bei denen die Lautsequenz unterscheidende Funktion ausübt. Kurz gefasst kann gesagt werden, dass in dieser Hinsicht die Bildungen mit+heid, die wiezuinigheidmit einer intervenierenden pWortgrenze korrespondieren, dieje-nigen sind, bei denen /xh/ den geringsten Informationsgehalt im Paradigma auf-weist. Dies resultiert bereits daraus, dass es in diesen Bildungen im Gegensatz zu den anderen beiden Typen keine Flexionsformen des Stamms gibt, wie etwa in vaste(Flexionsform vonvast‚fest‘), wo die folgende Lautsequenz den ersten Hin-weis auf die Identität des Wortes liefert. Das gleiche gilt für Komposita, die mit dem entsprechenden Stamm gebildet werden, z.B.vasteland‚Festland‘ (vgl. Pluy-maekers u. a. 2010: 516-517). Somit ergibt sich auf der Basis der Informativität im Paradigma die der pWortstruktur entgegenstehende Hypothese, dass die Bildun-gen mit +heid stärkerer Dauerreduktion in der Lautsequenz /xh/ unterworfen sind, da der Informationsgehalt der Sequenz hier geringer ist als in den anderen Typen. Die divergierenden Hypothesen lassen sich in Anlehnung an die tabella-rische Darstellung in Pluymaekers u. a. (2010) folgendermaßen zusammenfassen:

Tabelle 2.2: Hypothesen der Dauerrealisierung des /xh/ in Bildungen mit -igheid(nach Pluymaekers u. a. 2010: 515, 518)

Typ Beispiel Vorhersage für die Lautsequenz /xh/

nach pWortstruktur nach morphologischer Informativität

+heid zuinig+heid nicht verkürzt verkürzt +igheid vast+igheid verkürzt nicht verkürzt

ambig baz+ig+heid verkürzt nicht verkürzt

Die Ergebnisse basieren auf 432 Belegen aus spontansprachlichen Äußerun-gen. Sie zeigen zunächst, dass die Dauer der Lautsequenz in den komplexen Wör-tern unter Kontrolle von Kovariaten wie Alter, Geschlecht und regionaler Her-kunft tatsächlich systematisch variiert. Als signifikant kürzer stellen sich in der Analyse die Sequenzen in Wörtern des Typs +heid(zuinigheid) heraus. Dies be-stätigt somit die Hypothese zur morphologischen Informativität. Die prosodische Struktur hingegen spiegelt sich nicht in der Dauervariation wider, denn es wären hier aufgrund der intervenierenden pWortgrenze längere Dauern in Wörtern des Typszuinigheidzu erwarten gewesen. Pluymaekers u. a. (2010) schließen daraus, dass „[…] contrary to received wisdom, morphological effects on fine phonetic detail cannot always be accounted for by prosodic structure“ (Pluymaekers u. a.

2010: 523).

Die Ergebnisse von Auer (2002) sprechen demgegenüber für einen Einfluss des phonologischen Wortes auf die Realisierung von morphologisch komplexen Wörtern. Den Gegenstand der Produktionsstudie mit Lesesprache bildeten V-initiale und C-V-initiale Suffixe im Deutschen, den üblicherweise ein unterschied-licher pWortstatus zugeschrieben wird (vgl. Kap. 2.3). Das Ziel der Studie war es zu überprüfen, ob die in den formalen Arbeiten zum phonologischen Wort ver-tretene Annahme, dass die pWortstruktur mit dem Auftreten der Auslautverhär-tung korreliere, sich empirisch bestätigen lässt. Erwartbar wäre dann bei komple-xen pWörtern (d.h. den C-initialen Suffikomple-xen) das Vorkommen der Auslautverhär-tung, etwa in (lie[p])𝜔(lich)𝜔, während in den einfachen pWörtern aufgrund von Resilbifizierung keine Auslautverhärtung auftreten sollte, z.B. in (ne[b]lig)𝜔. Die Auswertung basiert auf den in einer Leseaufgabe gewonnenen Daten. Zu lesen war ein kurzer zusammenhängender Text sowie eine Wortliste. Die Ergebnisse zeigen, dass sich die beiden Suffixtypen nicht in erwartbarer Weise hinsichtlich der Auslautverhärtung unterscheiden; beide Typen sind überwiegend durch das Auftreten stimmloser Plosive gekennzeichnet. Trotzdem werden die prosodisch einfachen und komplexen Wörter offenbar nicht identisch produziert, denn Au-er (2002) stellt fest, dass die beiden Gruppen sich in Bezug auf den „ÜbAu-ergang zwischen Plosiv und Sonorkonsonant“ (Auer 2002: 79) unterscheiden, der als lo-se oder enge Junktur charakterisiert wird. Kennzeichen für eine enge Junktur ist dabei zum einen eine gegenüber der losen Junktur geringere Dauer der Ver-schlusslösung des Plosivs und zum anderen das Auftreten von Koartikulation, die sich in einer lateralen Geräuschbildung bei der Lösung des Verschlusses äußert (vgl. Auer 2002: 80). Während die prosodisch einfachen Wörter des Typsneblig zu über 80% mit enger Junktion realisiert werden, gilt dies bei den prosodisch komplexen Wörtern des Typslieblichnur zu knapp 50%. Dies bedeutet, dass die prosodisch einfachen Wörter mit V-initialem Suffix überwiegend mit kürzeren Dauern und einem höheren Koartikulationsaufkommen realisiert werden. Die prosodisch komplexen Wörter mit C-initialem Suffix weisen im Vergleich dazu ein höheres Ausmaß an Variation auf; die enge Junktur ist dabei nicht die vor-herrschende Realisierungsform.

Wie in den zuvor referierten Studien kristallisiert sich somit die Dauer von lautlichen Einheiten als relevante abhängige Variable für den Einfluss von mor-phologischer und / oder prosodischer Struktur heraus. Die Ergebnisse stehen damit jedoch im Gegensatz zu Pluymaekers u. a. (2010), die im Niederländischen keinen Einfluss der pWortstruktur feststellen konnten. Zunächst ist zu beach-ten, dass die beiden Studien sich hinsichtlich des Datenmaterials unterscheiden.

Während Pluymaekers u. a. (2010) Spontansprache analysieren, handelt es sich

bei Auer (2002) um Lesesprache. Weiterhin unterscheiden sich die Studien in der gemessenen lautlichen Einheit; bei Auer ist dies nur die Dauer der Verschluss-lösung, bei Pluymaekers u.a. floss die Dauer der gesamten Lautsequenz in die Analyse ein. Darüber hinaus diente bei Auer (2002) ein kategorischer Schnitt bei den Dauerwerten dazu, zwischen losem und engem Anschluss zu differenzieren, wohingegen Pluymaekers u. a. (2010) die Dauer als kontinuierliche Variable be-handeln. Schließlich ist noch hinzuzufügen, dass in der statistischen Auswertung bei Pluymaekers u. a. (2010) im Gegensatz zu Auer (2002) zusätzliche potentielle Einflussfaktoren wie die Sprechgeschwindigkeit oder die Vorkommenshäufigkeit des Wortes als Kovariate kontrolliert werden. Es ist nicht auszuschließen, dass sich dies auf die Ergebnisse der Daueranalyse auswirkt. Ein Ziel der vorliegenden Arbeit wird daher sein, die Differenzierung von V-initialen und C-initialen Suf-fixen systematisch unter Einbeziehung verschiedener Kovariate zu analysieren (siehe Abschnitt 4.2 und Abschnitt 6).

Vor dem Hintergrund der skizzierten Studien zur phonetischen Realisierung von morphologisch komplexen Wörtern lässt sich zunächst festhalten, dass als eine systematisch variierende Variable die wortinterne Dauer zu betrachten ist.

Im Zentrum des Interesses steht dabei die Dauer grenznaher Einheiten, also et-wa des Silbenreims vor einer morphologischen und / oder prosodischen Grenze oder der Lautsequenz, die eine Grenze überschreitet bzw. nicht überschreitet. Kri-tisch ist anzumerken, dass die Aussagekraft der Studien von Sproat (1993) und Sugahara & Turk (2009), die den Einfluss des phonologischen Wortes stützen, dadurch geschwächt wird, dass die morphologische Struktur unterschiedlich auf die pWortstruktur abgebildet wird. Obwohl also in beiden Studien ein Einfluss der pWortgrenze postuliert wird, weichen die Ergebnisse doch grundsätzlich von-einander ab. Dieser Einwand ließe sich sogar auf Pluymaekers u. a. (2010) über-tragen, deren prosodische Analyse der Bildungen mit -igheidnicht mit jener der Bildungen auf-igkeitim Deutschen nach Wiese (2000: 290) übereinstimmt. Dort wird am WortArbeitslosigkeit gezeigt, dass sowohl die Sequenz -losigals auch -keitjeweils ein eigenes pWort bilden – eine Analyse, die nach Pluymaekers u. a.

(2010) nicht möglich ist. Weiterhin ist zu beachten, dass der angesprochene di-rekte Einfluss der morphologischen Struktur ganz verschiedene Dinge umfasst.

Während bei Sugahara & Turk (2009) ebenso wie bei Sproat (1993) vor dem Hin-tergrund der Lexikalischen Phonologie auf den Einfluss von morphologischen Grenzen Bezug genommen wird, bezieht sich die bei Pluymaekers u. a. (2010) diskutierte morphologische Struktur auf die Informativität der Lautsequenz im morphologischen Paradigma. Diese Lautsequenz ist zwar an einer morphologi-schen Grenze lokalisiert, der getestete Einflussfaktor selbst bezieht sich aber nur indirekt auf diese Grenze.

Im Dokument Morphologisch komplexe Wörter (Seite 94-102)