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Assimilation und Degeminierung

Im Dokument Morphologisch komplexe Wörter (Seite 85-94)

2.3 Diagnostika des phonologischen Wortes im Deutschen

2.3.5 Assimilation und Degeminierung

Zu den phonologischen Prozessen, die über das phonologische Wort reguliert werden, gehören nach Wiese (2000) auch die Nasalassimilation und die Degemi-nierung. Die Nasalassimilation wird auch von Yu (1992) in diesem Zusammen-hang erläutert.

Beide Prozesse werden zwar über das pWort reguliert, finden aber auch pWort übergreifend optional statt. Eine wesentliche Bedingung, die die Assimilation und die Degeminierung befördere, wird in erhöhter Sprechgeschwindigkeit gese-hen (Wiese 2000: 221, 231). Die Tatsache, dass beide Prozesse trotz pWortgrenze auch optional stattfinden können, machen sie allerdings als Diagnostikum für das pWort etwas schwierig. Finden zwischen zwei angrenzenden Lauten, die normalerweise der Assimilation oder der Degeminierung unterliegen würden, diese Prozesse nicht statt, ist allerdings mit Sicherheit davon auszugehen, dass eine pWortgrenze vorliegen muss. Kommt es zur Assimilation bzw. Degeminie-rung, ist dagegen ohne Hinzuziehung weiterer Information zur morphologischen Struktur nicht mit Sicherheit zu sagen, ob bei den betreffenden Segmenten eine pWortgrenze vorlag oder nicht. Dies gilt zumindest, wenn beide Prozesse als kate-gorisch begriffen werden, sie also keine graduellen Übergänge aufweisen, wovon bei den regelbasierten Darstellungen in Yu (1992) und Wiese (2000) auszugehen ist.

Relevante Beispiele für obligatorische und optionale Assimilationen sind die Folgenden (vgl. auch Wiese 2000: 68, 218 ff):

(70) Ba[ŋ]k, U[ŋ]garn

(71) u[n/ŋ]gern, Ei[n/ŋ]gabe, A[n/m]pfiff, i[n/m] Bonn, i[n/ŋ] Köln

Wie die Beispiele in (70) zeigen, wird die obligatorische regressive Assimilati-on des alveolaren Nasals durch anschließende velare Segmente ausgelöst. Dieser phonologische Prozess operiert pWort-intern obligatorisch. Formen wie(Ba[n]k)𝜔 oder (U[n]garn)𝜔 sind also unmöglich. Die Beispiele in (71) veranschaulichen demgegenüber die optionale Assimilation vor velarem oder bilabialem Folgeseg-ment in Wörtern, bei denen normalerweise eine pWortgrenze interveniert. Es fällt auf, dass in der Liste keine Komposita vorkommen. Dies ist nicht zufällig so, denn laut Wiese (2000: 221) können offenbar nur sogenannte „kleine“ Wörter den pWortstatus verlieren:

Apparently, only ‚small‘ words such as prepositions, pronouns, and prefixes can be reanalysed as losing their status as phonological words […]. (Wiese 2000: 221)

Entsprechend sei auch bei der Abfolgema[ŋ] kommt eher mit einer Assimi-lation zu rechnen als bei der Abfolgeder Ma[n] kommt (vgl. Wiese 2000: 221).

Allerdings, so räumt Wiese ein, sei erstens auch hier eine Assimilation unter erhöhter Sprechgeschwindigkeit möglich und zweitens sei mangels systemati-scher Studien insgesamt noch wenig bekannt über die tatsächlich auftretenden Assimilationen in solchen Fällen.17 Interessant ist aber dennoch, dass hier wie-der eine Trennung zwischen lexikalischen Einheiten und (eher) grammatischen Einheiten wie den Funktionswörtern oder Präfixen gezogen wird. Letztere gelten in Hinblick auf ihren pWortstatus durchweg als labiler oder konstituieren gene-rell Streitfälle hinsichtlich ihres prosodischen Status, wie die vorangegangenen Abschnitte gezeigt haben. Auch innerhalb der grammatischen Einheiten werden dabei noch Abstufungen gemacht. So schreibt Wiese (2000: 221) in Bezug auf die Assimilation: „I assume that the reanalysis [d.h. der Verlust des pWortstatus, PB]

is the preferred option for prefixes but not for pre-positions.“ Im Abschnitt zur Phonotaktik weiter unten (Abschnitt 2.3.6) wird die Differenzierung in lexikali-sche und grammatilexikali-sche Einheiten erneut eine Rolle spielen, diesmal auf der Basis der Arbeiten von Hall (1999a).

Für den Moment genügt es festzuhalten, dass die regressive Nasalassimilati-on zumindest vNasalassimilati-on Wiese (2000) und Yu (1992) mit der Domäne des pWorts in Zusammenhang gebracht wird. Eine auftretende Assimilation wird auf eine Re-analyse der pWortstruktur zurückgeführt, deren Konsequenz es ist, dass die be-troffenen Konstituenten ein gemeinsames pWort bilden, beispielsweise in „[in + Berlin] ~ [in] [Berlin]“ (Wiese 2000: 221). Zur näheren Erläuterung dieser Reana-lyse verweist Wiese auf einen Abschnitt zur phonologischen Phrase. Dort (Wiese 2000: 75) wird eine Reanalyse im Zusammenhang mit phonologischen Phrasen beschrieben, die zu wenig Material dominieren. Diese können getilgt werden, woraufhin das verbleibende Material in die angrenzende Domäne eingegliedert wird. Entsprechend wäre bei den phonologischen Wörtern davon auszugehen, dass das „schwächere“, nicht-lexikalische pWort getilgt werden kann und dann in das benachbarte pWort integriert wird.

Wie das Beispielin Berlinund zwei der obigen Beispiele unter (71) zeigen, kann die Assimilation auch über syntaktische Wörter hinweg stattfinden; die

Assimi-17Es sei an dieser Stelle aber darauf hingewiesen, dass die Assimilation unter anderem in Arbei-ten im Umfeld der Artikulatorischen Phonologie einige Aufmerksamkeit erhalArbei-ten hat, siehe etwa Local (1992), Nolan (1992), Hardcastle (1995) oder Ellis & Hardcastle (2002), um nur eini-ge zu nennen. Auch eini-gebrauchsbasierte Einflüsse wie die Frequenz werden in diesem Kontext zum Teil thematisiert (z.B. Stephenson 2003; Jaeger & Hoole 2007). Für einen ausführlicheren Literaturüberblick und eine EPG-Studie zur Velarnasalassimilation im Deutschen siehe Berg-mann (2012).

lationsregel wird deshalb bei Wiese (2000: 221) weder der lexikalischen noch der postlexikalischen Ebene fest zugeordnet. Die Beispiele stehen außerdem im Zu-sammenhang mit der Klitisierung, auf die unter 2.3.6 noch näher eingegangen wird.

Als ein besonderer Fall der Assimilation soll in diesem Kapitel noch die soge-nannteich-/ach-Allophonie oder auchDorsal Fricative Assimilationbesprochen werden, die zu einer großen Menge an phonologischer Auseinandersetzung ge-führt hat (vgl. Hall 1999b; 1999a; Wiese 2000; Yu 1992, sowie einen knappen For-schungüberblick bei Smith 2003: 207-211). Ein zentraler Aspekt bei dieser Aus-einandersetzung betraf die Frage, welches der Elemente als zugrundeliegend be-trachtet werden soll. Neuere Arbeiten gehen zumeist von einer Unterspezifika-tion aus, bei der sich das entsprechende Merkmal des angrenzenden Vokals auf den nachfolgenden, in dieser Hinsicht unterspezifizierten Frikativ ausbreitet.

Ein weiterer Aspekt, der hier von besonderem Interesse ist, betrifft die Frage der Anwendungsdomäne der Assimilationsregel. Das WortpaarKuh[ç]en gegen-über Ku[x]enwird in der Regel herangezogen, um die Problematik zu verdeut-lichen. Die Anwendung der Regel findet wortintern ausnahmslos statt, so dass es zur komplementären Distribution der beiden Allophone kommt. Im morpho-logisch komplexen WortKuh[ç]enallerdings kommt die Regel nicht zur Anwen-dung, sondern wird durch eine Grenze blockiert. Die Annahme, dass dabei eine phonologische Wortgrenze interveniert, liegt im gegebenen Kontext natürlich nahe. Bei Wiese (2000) und Yu (1992) gilt dabei aber das Suffix -chenals eigen-ständiges pWort. Es wird dort argumentiert, dass dies bereits unabhängig durch das Verhalten von -chenbei der Koordinationsreduktion motiviert sei. Trotz der Schwahaltigkeit, die den Minimalitätsanforderungen an das phonologische Wort widerspricht, wird das Suffix somit als wenn auch etwas problematisches pWort klassifiziert (vgl. Wiese 2000: 68, 70, 217; Yu 1992: 211).

Mit Hall (1999b) muss hier allerdings eingeräumt werden, dass das Testver-fahren der Koordinationsreduktion für -chennicht als gültig betrachtet werden kann, da es sich auf das getilgte Element und nicht auf das verbleibende Ele-ment bezieht. Wie auch bei der Diskussion der schwahaltigen Präfixe (vgl. Ab-schnitt 2.3.3) gilt außerdem, dass -chenkeinen Wortakzent tragen kann und somit auch nicht pWort-fähig ist. Eine Analyse von -chen als nicht pWort-fähig tut au-ßerdem der Annahme keinen Abbruch, dass die Anwendungsdomäne derDorsal Fricative Assimilationdas phonologische Wort sei. Da der Stamm ein eigenständi-ges pWort konstituiert, liegt eine den Prozess blockierende Grenze in jedem Fall vor. Das Suffix darf dann nur nicht in das pWort integriert werden, sondern es muss wie die Präfixe und andere Suffixe eine auf dieser Ebene ungeparste Silbe

darstellen, die auf höherer Ebene an das pWort (oder eine andere übergeordnete Konstituente) angebunden wird.

Ganz ähnlich wie bei der Assimilation wird auch bei der Degeminierung an-genommen, dass sie innerhalb eines phonologischen Wortes obligatorisch auf-tritt, während sie über eine pWortgrenze hinweg optional ist. Wiederum gelten dabei Abstufungen der angenommenen Wahrscheinlichkeit des Auftretens der Degeminierung, auf die sogleich noch eingegangen wird (vgl. Wiese 2000: 69, 229-232). Unter einer Geminate ist die Abfolge identischer Segmente über eine morphologische Grenze hinweg zu verstehen, wobei Stimmhaftkeitsunterschie-de zwischen Stimmhaftkeitsunterschie-den Segmenten ignoriert werStimmhaftkeitsunterschie-den (vgl. Wiese 2000: 230).

Obligatorische Degeminierung lässt sich bei den Flexionsmorphemen feststel-len, die nicht-silbisch sind, und folglich in das pWort des Stamms integriert wer-den, etwa bei (du) lies+st, das obligatorisch als lie[s]t realisiert wird. Bei den Derivations- und Kompositionselementen treten demgegenüber optional Dege-minierungen auf, was wiederum auf eine Reanalyse der (ursprünglich komple-xen) pWortstruktur zurückgeführt wird, die mit höherer Sprechgeschwindigkeit wahrscheinlicher wird.

Einen Sonderfall bildet hier das Suffix -lein, das nach /l/-finaler Basis obliga-torisch degeminiere, wie beispielsweise inEnge[l]einoderVöge[l]ein(vgl. Wiese 2000: 230-231). Darin unterscheidet es sich etwa von den Suffixen -losoder -bar.

Auch das Präfixin- werde der Degeminierung (und auch der Assimilation) obli-gatorisch unterzogen. Morphologisch gleichartige Elemente werden somit – wie schon bei den konsonantinitialen gegenüber den vokalinitialen Suffixen – phono-logisch unterschiedlich behandelt, was wiederum die Notwendigkeit belegt, den Prozess nicht direkt aus der Morphologie abzuleiten, sondern auf das phonologi-sche Wort zu beziehen. Interessanterweise bestehen für andere Suffixe wie -lich und -samganz generell Produktivitätsrestriktionen, die /l/-finale Stämme als Ba-sis verbieten und somit die Bildung von Geminaten von vornherein vermeiden.

Interessant ist weiterhin, dass Wiese auch hier wieder Abstufungen hinsicht-lich der Wahrscheinhinsicht-lichkeit der Degeminierung bei morphologisch unterschied-lichem Status vermutet. So sei bei präfigierten Wörtern wieun+nahbar, an+neh-menoder Ver+rat eine Degeminierung im Gegensatz zu Komposita wieSchiff+

fahrt möglicherweise die „preferred option“ (Wiese 2000: 231). Etwas weiter un-ten wird dann vermutet, dass dies eventuell nicht nur bei Präfixen, sondern auch bei ‚kürzeren‘ („shorter“, Wiese 2000: 231) Kompositionsbestandteilen der Fall sei.

Zusammenfassend kann für beide Prozesse gesagt werden, dass die Darstel-lung bei Wiese Spielraum für viel Variation lässt. Bedingt wird die Variation

da-bei zunächst durch die Sprechgeschwindigkeit und offenbar aber auch durch die Länge der Konstituenten sowie den lexikalischen bzw. grammatischen Status der betroffenen Einheiten. Wie Wiese (2000) selbst immer wieder betont, sind empi-rische Studien in diesem Zusammenhang noch ausgesprochen rar. Dies betrifft insbesondere die Degeminierung, die in der vorliegenden Arbeit aus empirischer Perspektive beleuchtet wird (siehe Kap. 3).

2.3.6 Phonotaktik

Obwohl die Phonotaktik als „Grenzsignal“ im Sinne von Trubetzkoy (1939/1958) zu den frühesten Anzeichen für Wort- bzw. Morphemgrenzen gehört, wird sie in wenigen der neueren, generativ orientierten Studien als prominentes Diagnosti-kum für das phonologische Wort behandelt (siehe aber Booij 1999; Hall 1999a,b).

Trubetzkoy (1939/1958) schreibt dazu:

Phonematische Gruppensignale sind Verbindungen von Phonemen, die nur an einer Grenze zwischen zwei Bedeutungseinheiten vorkommen, wobei der erste Teil dieser Verbindung zum Ausgang der vorhergehenden und der zweite Teil zum Beginn der folgenden Bedeutungseinheit gehört. (Trubetz-koy 1939/1958: 247)

Betroffen ist hier also die lineare Abfolge von Segmenten, die ein legales oder illegales wortinternes Cluster darstellen kann und somit einen Hinweis auf eine möglicherweise vorliegende Grenze gibt.

Diesem Kriterium wendet sich im Rahmen der Diagnostika für das phonolo-gische Wort Booij (1999) explizit zu. Das Kriterium wird dabei allerdings noch um das Silbenkontaktgesetz nach Vennemann (1982) erweitert, das den bevor-zugten Übergang zwischen zwei Silben als eine Abfolge von einem sonoreren Element zu einem weniger sonoren Element auffasst. Übergänge wieat.las gel-ten entsprechend als weniger gut als beispielsweiseal.ter. Booij (1999: 55) führt für das Holländische aus, dass die Domäne, innerhalb derer das Silbenkontaktge-setz wirkt, das phonologische Wort sei, so zu erkennen bei Komposita, an deren interner Grenze Verstöße gegen das Silbenkontaktgesetz häufig und unproble-matisch seien.

Weitere für das Deutsche gültige, lineare Abfolgeregularitäten, die als Domäne das phonologische Wort haben, beziehen sich auf die Verteilung des Schwa so-wie auf die Abfolge verschiedener Vokaltypen, so-wie sogleich ausgeführt wird (vgl.

Hall 1999a). Phonotaktische Beschränkungen betreffen außerdem die Ränder des phonologischen Wortes und die minimale Substanz, d.h. also die Minimalitätsan-forderungen, die in Abschnitt 2.3.2 bereits besprochen wurden.

Die folgende Darstellung geht zunächst auf die phonotaktischen Kriterien bei Hall (1999a) ein, die im übergeordneten Zusammenhang mit der Diskussion um die prosodische Einordnung von Klitika und Funktionswörtern steht. Als Mini-malitätsanforderung für das phonologische Wort gilt die Bimoraizität, die Hall (1999a: 106-107) anhand der Koordinationsstrukturen beibe- und entladenbelegt.

Wie in 2.3.2 ausführlich beschrieben wurde, manifestiert sich der pWortstatus bei diesen Fällen nicht im getilgten, sondern im verbleibenden Element, das entspre-chend in der Lage ist, isoliert zu stehen. Dass dies im gegebenen Beispiel jedoch nur mit Veränderung des Schwa-haltigen Präfixbe- zum bimoraischen[be:] und entladenmöglich ist, untermauert die Bimoraizität als Minimalitätsanforderung an das phonologische Wort.

Weitere phonotaktische Restriktionen, die das pWort betreffen, stehen in Zu-sammenhang mit der Verteilung der „short full lax nonlow vowels“ (Hall 1999a:

109), also der kurzen, ungespannten und nicht-tiefen Vollvokale [ɪ ʏ ɛ œ ʊ ɔ]. Für diese gilt, dass sie nicht am Ende eines pWorts vorkommen können, wie folgende native und nicht-native Wörter veranschaulichen (vgl. dazu Hall 1999a: 109):

(72) Büro [by.ˈroː], zäh [tsɛː], Mutti [ˈmʊti]

(73) aber nicht: *[by.ˈrɔ], *[tsɛ], *[ˈmʊtɪ]

Dass diese Regularität weder silbenbezogen noch auf das lexikalische Wort bezogen sein kann, zeige zum einen die Existenz reduzierter Funktionswörter wiedu[dʊ] odersie[zɪ], die Silben bilden, und zum anderen die Tatsache, dass die Restriktion auch bei Präfixen wie anti-, re- oderpro- gelte (vgl. Hall 1999a:

108, 111). Diese Präfixe verhalten sich somit wie die lexikalischen Wörter, so dass als relevante Bezugsdomäne das phonologische Wort anzunehmen ist.

Neben der grenzbezogenen Restriktion unterliegt die erwähnte Gruppe an Vo-kalen auch pWort-internen Restriktionen, da sie dort nicht prävokalisch auftre-ten können, wie Wörter wie [muˈze:ʊm] oder [ˈdro:ʊŋ] zeigen, wo zwar der zwei-te Vokal zu dieser Gruppe zählt, nicht aber der erszwei-te (vgl. Hall 1999a: 111-112).

Außer der Verteilung der kurzen, ungespannten, nicht-tiefen Vokale ist vor al-lem die Distribution des Schwa relevant für die Diagnostik des phonologischen Worts. Dass es nicht als alleiniger Vokal in einem pWort auftreten kann, wurde als Minimalitätsanforderung bereits genannt. In diesem Zusammenhang treten Konflikte bei der Beurteilung des Suffixes -chenauf, das nach Wiese ein eigenstän-diges pWort bildet. Auf diese Kontroverse wurde im vorangegangenen Abschnitt zurich-/ach-Allophonie bereits eingegangen, weshalb es an dieser Stelle bei der bloßen Erwähnung des Konflikts bleibt. Über die Relevanz des Schwa im

Rah-men der Minimalitätsanforderung hinaus, sind jedoch zwei weitere Restriktio-nen von Bedeutung: Zum eiRestriktio-nen kann ein phonologisches Wort nicht mit einem Schwa beginnen, und zum anderen gilt wie bei den oben besprochenen kurzen, ungespannten und nicht-tiefen Vollvokalen auch, dass das Schwa innerhalb ei-nes pWorts nicht prävokalisch auftreten kann. Laut Hall gilt diese Restriktion auch, wenn zwischen den beiden Vokalen ein Glottalverschluss steht. Die Tatsa-che, dass diese Abfolge an der Junktur in Komposita ebenso wo Präfixbildungen aufbe- oderge- durchaus üblich ist, belegt, dass dort gleichermaßen eine pWort-grenze interveniert (vgl. Hall 1999a: 115-116). Ergänzend muss hier hinzugefügt werden, dass diese Intervention einer pWortgrenze noch nichts darüber aussagt, ob die Elemente bzw. welches der Elemente pWortstatus innehat. Bei Wörtern wiebearbeiten, gearbeitet oderKäseauflauf müssen noch zusätzliche Kriterien zur Beurteilung des pWortstatus herangezogen werden. Die Phonotaktik dient hier somit tatsächlich lediglich als Grenzsignal.

Wie oben erwähnt wurde, dienen die phonotaktischen Restriktionen bezüg-lich des pWorts Hall (1999a) in erster Linie als Diskussionsgrundlage, um die Kli-tika mit Funktionswörtern unterschiedlichen segmentalen Aufbaus in Hinblick auf ihren prosodischen Status zu überprüfen. Darauf soll an dieser Stelle jedoch nicht im Detail eingegangen werden. Von Interesse ist allerdings, dass die Funk-tionswörter aufgrund ihrer „schwachen“, reduzierten Formen grundsätzlich von den pWort-fähigen lexikalischen Wörtern, Präfixen und Suffixen unterschieden werden und generell kein eigenes pWort konstituieren. Die prosodischen Vor-kommensweisen der Funktionswörter beschränken sich entweder auf die Inte-gration in das pWort des Hosts, wenn dadurch keine Verstöße gegen die pho-notaktischen Restriktionen vollzogen werden, oder auf die Assoziation mit der höherrangigen phonologischen Phrase, wobei das Funktionswort auf pWortebe-ne ungeparst bleibt. Die rekursive pWortstruktur scheidet aufgrund der pWort-bezogenen phonotaktischen Restriktionen für die klitisierten Funktionswörter als mögliche Struktur aus.

Eine oberflächennahe Auflistung des typischen segmentellen Aufbaus von Prä-fixen und SufPrä-fixen im Vergleich zu Lexemen liefert Smith (2003: 202-207). Die Aufstellung der nativen pWort-fähigen Präfixe umfasst neben den betonbaren Präfixen wieüber- oderunter- auch die unbetonbarenver- oderzer-, jedoch nicht be- undge-. Smith charakterisiert sie gegenüber den freien Lexemen zum einen als weniger häufig zweisilbig und zum anderen als phonotaktisch einfacher: „The onsets and codas of the prefixes are particularly simple.“ (Smith 2003: 203). Kom-plexe Anfangs- und Endränder finden sich mit Ausnahme vonzer- undzu- (wenn man die Affrikate als komplex auffasst) undent- underz- nicht. Die Komplexität

von Lexemen wieStrumpf oderArzts wird niemals erreicht. Die Präfixe seien aufgebaut wie die „least complex wordforms“ (Smith 2003: 204). Bezüglich der Affixoide schreibt Smith:

Some affixoids come closer to this kind of phonological complexity, e.g.

haupt- [hau̯pt] which is also homophonous to a freely occurring wordform.

But the fully grammaticalized prefixes are not like this. (Smith 2003: 203) Mit der Erwähnung der Grammatikalisierung stellt Smith eine Verbindung zu diachronen Fragestellungen her, die auch von anderen Autoren wie Booij (1999) oder Raffelsiefen (2005) in Zusammenhang mit der Phonotaktik gezogen wird.

Darauf wird weiter unten noch eingegangen. Zunächst seien noch die phonotak-tischen Besonderheiten der konsonantinitialen Suffixe nach Smith (2003) ange-führt, die sich allerdings kaum von jenen der Präfixe unterscheiden. Auch hier beschreibt Smith ihre Struktur als ähnlich zu den einfachst gebauten Simplizia:

„[…] a phonological structure which is similar to the phonological structure of the simplest underived words.“ (Smith 2003: 205). Eine Ausnahme bilden dabei die konsonantinitialen, aber Schwa-haltigen Suffixe -chen, -lerund -ner, die er in Hinblick auf den pWortstatus als “poor candidates” (Smith 2003: 207) charakte-risiert, wobei er sich in erster Linie auf die fehlende Betonbarkeit bezieht.

Die Darstellung bei Smith (2003) bringt mit sich, dass phonotaktische Beson-derheiten wie die Clusterkomplexität auch innerhalb des pWorts als systematisch variabel betrachtet werden. Die phonotaktische Komplexität der grammatischen Einheiten gilt gegenüber den lexikalischen Einheiten als eingeschränkt, und das, obwohl die Einheiten allesamt pWortstatus aufweisen. Dies rückt die Arbeit von Smith (2003) (erneut) in die Nähe der funktional-typologischen Arbeiten zum phonologischen Wort, die dieses als optimierbar und graduierbar auffassen (sie-he dazu besonders Auer 1993; 1994; Nübling & Szczepaniak 2008; Szczepaniak 2007). In diesem Sinne wird die Clusterkomplexität weniger zu einem Diagno-stikum für das phonologische Wort als vielmehr zu einer typischen Eigenschaft eines „stärkeren“ oder „schwächeren“ bzw. eines „besseren“ oder „schlechteren“

phonologischen Worts. Die mehr oder weniger stark ausgeprägte pWorthaftig-keit korreliert dabei möglicherweise mit dem lexikalischen oder grammatischen Status des morphologischen Elements.

Der Zusammenhang zwischen Wandelerscheinungen und phonotaktischen Ei-genschaften wird auch von Booij (1999: 68–70) erörtert. Er bespricht dabei so-wohl Änderungen im Zusammenhang mit dem Silbenkontaktgesetz als auch Än-derungen, die einen phonologischen Substanzverlust und eine Vereinfachung der

prosodischen Struktur mit sich bringen. Außerdem führt er die Rolle der prosodi-schen Struktur bei Reanalysen („reinterpretation“, Booij 1999: 69) an. Ein Beispiel für die Rolle des Silbenkontaktgesetzes ist die Entwicklung des niederländischen Worteslelijk/leːlək/ ‚hässlich‘, das aufleed-lijk‚Sorge / Leid bringend‘ zurückzu-führen ist (Booij 1999: 68). Der Verlust der semantischen Transparenz hätte hier zu einem Abbau des schlechten Silbenübergangs geführt.

Es ist interessant, dass der semantischen Transparenz eine große Rolle bei den Wandelerscheinungen beigemessen wird, die einen Verlust oder eine Verände-rung der pWortstruktur nach sich ziehen. So schreibt Booij:

Compounds that have been semantically opaque also exhibit phonological erosion: their phonotactic structure gradually changes in such a way that they conform to the canonical structure of prosodic words, in some cases they change into minimal prosodic words. (Booij 1999: 68)

Beispiele sind niederländischwingerd undbongerdauswijngaard und

Beispiele sind niederländischwingerd undbongerdauswijngaard und

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