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2. Menschen und Gegenstände

3.3 Ein Wechselverhältnis

Ich habe versucht, die Wohnung als einen Ort zu skizzieren, an den bestimmt Erwartungen und Vorstellungen geknüpft sind. Gerade der Wunsch nach Zufriedenheit prägt das Wohnen.

Auch habe ich versucht, zu verdeutlichen, dass das Wohnen mehr ist als ein „Sich-Aufhalten“. Es ist das Eingehen einer längerfristigen Beziehung zu einem Ort, den man als den seinen betrachten, und als den seinen prägen kann. Einstellungen und Ideale, Wünsche und Abneigungen, gewissermaßen das Innenleben eines Menschen, geben der Wohnung Gestalt. Und zugleich gestaltet das Wohnumfeld das „Innen“, das Denken, Fühlen und Wollen. Diese Verbindung ist so eng, dass das Wohnumfeld als Teil des Selbst empfunden werden kann. Beschafft sich nun ein anderer gewaltsamen Zutritt zu dieser Wohnung, so verschafft er sich gewissermaßen gewaltsam Zutritt zum Menschen selbst. Einbruchsopfer schildern ihre Erfahrungen teils ganz ähnlich wie Opfer direkter, körperlicher Gewalt: „Der Eingriff in die private dingliche Umgebung […] erhält den Aussagen der Befragten zufolge den Charakter einer Vergewaltigung…“184. Der Einbrecher ist nicht nur Eindringling in die Intimsphäre, sieht vielleicht Dinge, die niemand sehen soll, er tritt auch mit den persönlichen Gegenständen in Kontakt, fasst sie an, hinterlässt Spuren. Er kontaminiert einen Ausschnitt der Welt, der von bestimmten Menschen als Teil ihrer selbst erfahren wird, dessen Gestaltung ihnen vorbehalten sein sollte und dies bisher auch war. So wie sich das Opfer einer Vergewaltigung beschmutzt fühlen kann, so auch das Opfer eines Wohnungseinbruches.

Eine Bedingung für die Aneignung von Raum, die zu der skizzierten engen Beziehung führen kann und auch zum Schmerz, wenn jemand in diese Beziehung einbricht, ist die Exklusivität, die ich im vorigen Kapitel behandelt habe. Über die Wohnung regelt der Mensch gewissermaßen sein Verhältnis zur Welt, er erschafft sich einen Weltausschnitt, der seinen Ansichten entspricht, der das enthält, was er für wertvoll erachtet und das ausschließt, mit was er nichts zu tun haben möchte. Was alles zur „Welt“ gehört, das ist Sache des persönlichen Weltbildes. Beschränkt sich der eine auf Menschen und Dinge, so gehören für andere transzendente Wesen oder Wirklichkeiten dazu. Wo der eine nur ungeliebte Dinge und Menschen nicht bei sich zuhause haben will, da möchte der andere auch negative Energien oder böse Geister ausschließen.

Ein Aspekt von „Welt“ aber ist immer dabei. Der seiner selbst bewusste Mensch erlebt sich selbst als Teil der Welt, als Teil, zu dem er in Beziehung steht, gegenüber dem er handeln und den er in begrenztem Maße gestalten kann. Und er erlebt sich als jemanden,

184 Kritzmöller: Von Schneckenhaus bis Adlerhorst, S. 56

82 der seinem Umfeld ausgeliefert ist, der in seinen Stimmungen, seiner Aufmerksamkeit und seinem Wollen von diesem Umfeld beeinflusst wird.

Bezogen auf die Wohnung: Die Art, wie ich wohne, die Gestalt dieses Umfeldes, ebenso die Dinge mit denen ich mich umgebe, all das wirkt auf mich zurück. Nicht nur die Gestaltung der Wohnung, dieses exklusiven Terrains, ist einem Menschen überlassen, er ist in gewisser Weise auch diesem Terrain ausgeliefert, manchmal hilflos ausgeliefert.

Für Erfahrungen dieses Ausgeliefert-Seins lassen sich ganz verschiedene Beispiele denken: Warum etwa kann man bei Menschen, die zuhause arbeiten, beobachten, dass sie sich eine ablenkungsfreie Umwelt schaffen wollen, vielleicht gar einen eigenen Arbeitsraum einrichten? Warum halten manche einen separaten Computer ohne Internet-Anschluss bereit, an dem sie arbeiten? Warum bringen manche Studenten, die an einer größeren Arbeit schreiben, den Fernseher in den Keller oder zerschneiden gar das Antennenkabel? Warum kann es vorkommen, dass man Dinge nicht in seiner Nähe erträgt, während man ohne andere nicht auskommt? Warum achten manche so darauf, morgens neben Dingen aufzuwachen, die sie als schön oder persönlich wertvoll empfinden?

Man kann davon ausgehen, dass der Mensch nie gänzlich Herr seiner Selbst ist, immer steht er unter dem Einfluss seiner Umgebung. Aber er weiß um diesen Einfluss und mit diesem Wissen geht die Möglichkeit einher, Einflüsse zu planen, sich selbst auf dem Umweg über die sinnlich wahrnehmbare Umgebung zu erreichen. Man schafft sich ein schönes Zuhause, weil man annimmt, dass diese Schönheit das eigene Gefühlsleben verschönert.

Man erinnert sich an seine Ideale, indem man sich Dinge aufstellt, die eben dieses Erinnern erst auslösen. Einfach erinnern kann man sich nicht, man muss sich schon eine Umwelt schaffen, die dies gewährleistet. Über die Gestaltung seiner Umgebung gestaltet sich der Mensch selbst.

Damit liegt es nahe, an einer Wohnung erkennen zu wollen, was jemand sein will, was er fühlen und denken will, welcher Stimmung er sein will und welche Aktivitäten er für sinnvoll hält, welche er sich selbst durch die Gestaltung seiner Wohnung nahe legt. Es reicht nicht, davon auszugehen, dass in einer Wohnung Vorlieben und Abneigungen zum Ausdruck kommen weil die Wohnungen – und speziell in dieser Arbeit: Die Religiösen Ecken – eben ein Resultat menschlichen Tuns sind. Auch das menschliche Tun, die Vorlieben und Abneigungen, Empfindungen und Motivationen stehen unter dem Einfluss der Wohnung und für gewöhnlich wird um diesen Einfluss gewusst. Es ist also keine einseitige Beziehung, die der Mensch mit seiner Umwelt eingeht. Sie ähnelt eher einer sozialen Beziehung. Man wirkt in die Umwelt in der Erwartung, dass diese Umwelt zurückwirkt. Bei einem Menschen verhält man sich ganz ähnlich: Man handelt gegenüber jemandem in der Erwartung, dass die eigene Handlung zurückwirkt, etwa indem der andere auf sie reagiert und selbst etwas tut. Die Wohnung tut vielleicht nichts, sie wirkt aber zurück.

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Zweiter Teil: Der Forschungsprozess

84 1. Suchen und Finden Religiöser Ecken

Meine Beschäftigung mit den Religiösen Ecken reicht bis ins Jahr 2005 zurück. Damals studierte ich Soziologie an der Universität Konstanz und stand vor der Frage, zu welchem Thema ich meine Magisterarbeit schreiben sollte. Fest stand: Ich wollte keine rein theoretische Arbeit schreiben, nicht Monate am Schreibtisch verbringen und einen Text produzieren, der sich ausschließlich aus anderen Texten speist. Ich wollte hinaus ins „Feld“, etwas entdecken, etwas erforschen. Und ich wollte nach Möglichkeit nicht nur schreiben sondern auch fotografieren. Mein Interesse für die Fotografie war damals rund sieben Jahre alt, angefangen hatte ich mit 19.

Nun lassen sich aber die Gegenstände der Soziologie eher beschreiben als fotografieren. Wer ein soziales System entdecken möchte, der zieht nicht mit der Kamera los. Wer den Sinn sozialen Handelns verstehen möchte, der kann die Beteiligten befragen oder die Kontextbedingungen erforschen. Das soziale Handeln bzw. ein Ausschnitt solch einer Handlung ließe sich vielleicht fotografieren, nicht aber der Sinn dahinter. Die Soziologie ist ein Fach, in dem die Fotografie keine große Rolle spielt. Eine etwas größere kommt ihr in benachbarten Disziplinen wie der Ethnologie oder der Geschichtswissenschaft zu, wobei auch dort Fotografien oft nur illustrativ eingesetzt werden. Der Gegenstand meiner Untersuchung sollte aber fotografiegeeignet sein, schon dadurch schränkte sich das Feld ein, auf dem ich mich bewegen konnte.

Nun könnte man meinen, dass sich gerade der Bereich der Religion der Fotografie wiedersetzt. Von Religion spricht man ja gemeinhin dann, wenn es um etwas Übernatürliches, nicht Sichtbares geht, um etwas, an das man eben glauben muss, auch wenn man es normalerweise nicht sieht. Andererseits aber tritt der Mensch im Sehen, Hören, Riechen, Schmecken und Greifen ins Verhältnis zu seiner Umwelt und hier kommen die Gegenstände ins Spiel, die die Religionen in ihrer Geschichte massenweise hervorgebracht haben und immer noch hervorbringen. Diese Gegenstände – ob nun das christliche Kreuz, die Buddhastatue, das Natursymbol... – symbolisieren nicht nur religiöse Inhalte, sie können auch als in Verbindung stehend mit höheren Mächten betrachtet werden oder gar als Werkzeuge zur Beeinflussung dieser Mächte. Religion als reines Wort- und Gedankenspiel ist die Sache Weniger. Dinge machen das Transzendente anschaulich und greifbar.

Nach Monaten der Literaturrecherche und theoretischen Vorarbeit begann ich Juni 2005 mit der Suche nach Religiösen Ecken bzw. Interviewpartnern. Dabei stand ich nicht nur vor der Frage, wie ich Menschen erreichen könnte, die bei sich zuhause solche Religiösen Ecken haben, ich stand auch vor dem Problem, dass ich inspiriert durch Thomas Luckmanns

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„Unsichtbare Religion“185 und andere eher funktionalistisch ausgerichtete Beschäftigungen mit Religion eine recht weite Vorstellung von dem hatte, was „religiös“ ist. Wenn ich nun ausdrücklich nach religiösen Orten in Wohnungen gesucht hätte, hätte ich – so meine Sorge – nur das gefunden, was traditionellerweise als „religiös“ gilt: Den klassischen Herrgottswinkel und andere Zusammenstellungen von Dingen ganz offensichtlich religiösen Ursprungs. Doch ich wollte auch Menschen erreichen, die sich und die für sie Besonderen Orte in ihrer Wohnung nicht ohne weiteres als „religiös“ oder gar zu einer bestimmten Religion gehörend einordnen würden.

Daher wählte ich als Überschrift für meine Handzettel und Aushänge – diese waren meine ersten Bemühungen, Menschen mit Religiösen Ecken zu finden – eine Formulierung, die mir weit genug erschien und sprach von „Besonderen Orten“ statt von Religiösen Ecken.

Im nachfolgenden Text versuchte ich dann etwas konkreter zu schildern, was und wen ich suchte, nämlich: „...Menschen, die in ihren Wohnungen Orte haben, die für sie von besonderer Bedeutung sind – seien dies nun Hausaltäre, Schreine oder einfach Zusammenstellungen besonderer Gegenstände.“186

Dass ich diese Besonderen Orte fotografieren wollte, das erwähnte ich nicht. Ich befürchtete, das könnte abschreckend wirken. Schließlich hatten die Menschen, die für meine Arbeit in Frage kamen, sowieso einige Hürden zu überwinden. Sie mussten nicht nur Zeit für ein Interview opfern, in dem möglicherweise auch intime und unangenehme Dinge zur Sprache kommen, sie mussten auch einen Fremden in die Wohnung lassen und diesem Dinge zeigen, die vielleicht sonst eher versteckt, nur für wenige sichtbar sind. So holte ich mir die Erlaubnis zum Fotografieren immer erst am Telefon. Erstaunlicherweise hatte niemand etwas gegen mein Vorhaben einzuwenden.

2005 besuchte ich insgesamt elf Personen und fotografierte deren Besondere Orte. Meine Gesprächspartner fand ich in der Mehrzahl nicht über die erwähnten Aushänge und Handzettel sondern über Bekannte und Verwandte, denen ich von meinem Vorhaben erzählte und die wiederum ihren Bekannten und Verwandten davon berichteten. Mit meinen späteren Interviewpartnern selbst war ich in keinem Falle bekannt. Auch kam ich über einige meiner Interviewpartner zu weiteren Kontakten. Sie hatten das Interview bzw. meinen Besuch als angenehm oder interessant empfunden und so empfahlen sie mich weiter. Auf diese Weise kam es zu insgesamt sieben Besuchen, bei denen Interviews und Fotografien entstanden. Silke Bäumler z.B. ist die Arbeitskollegin einer Verwandten, die ihr von meinem Vorhaben erzählte. Frau Bäumler wiederum vermittelte mir den Kontakt zu Linda Dieterle und Margarete Lange-Dietrich. Günther Erb lernte ich über seine Tochter kennen, Anna Kleis

185 Thomas Luckmann: Die unsichtbare Religion

186 Bestimmte Einschränkungen bzgl. Geschlecht, soziale Herkunft, Alter oder z.B. Herkunftsnationalität habe ich nicht vorgenommen. Allen gemein ist nur, dass sie in Deutschland leben.

86 über eine Bekannte, die auch meine Bekannte ist. Und zu Thorsten Brandt und Katrin Szepinski kam ich über eine Sozialarbeiterin, die von einer gemeinsamen Bekannten von meinem Projekt erfahren hatte und die in dem Viertel arbeitet, in dem die beiden leben.

Als ein weiterer lohnender Weg zur Gewinnung von Interviewpartner erwies sich ein kleiner, einspaltiger Artikel in einer süddeutschen Lokalzeitung. Den Artikel schrieb ich selbst187, die Möglichkeit, ihn in der Zeitung unterzubringen, hatte ich, weil ich als Schüler einige Jahre für die Zeitung geschrieben hatte. Man kannte mich also. Auf den Artikel hin meldeten sich drei Personen bei mir: Hilda Möller, Ludwig Burkhardt und Marcel Weinbrecht, den ich zusammen mit seiner Frau interviewte.

Ich ging noch andere Wege um Interviewpartner zu finden, die sich aber als nicht lohnend erwiesen. So schaltete ich eine Anzeige in einer größeren Lokalzeitung, auf die sich niemand meldete. Ich warf Handzettel in Briefkästen, die wahrscheinlich direkt im Müll landeten. Und ich brachte Aushänge in Kneipen, Bibliotheken, Buchhandlungen und Volkshochschulen an, auf die ebenfalls niemand reagierte.

Obwohl ich 2005 elf Personen (darunter ein Ehepaar) besuchte, fanden nur sieben ausführliche Interviews statt. Die Gründe dafür sind unterschiedlich. So litt etwa Katrin Szepinski am Tag meines Besuches unter starkem Asthma und das Sprechen fiel ihr sehr schwer. Eine Tonbandaufnahme wäre kaum zu verschriftlichen gewesen. Und als ich mich mit Thorsten Brandt und Günther Erb traf, war die Materialerhebung eigentlich schon abgeschlossen. Die Magisterarbeit musste fertig werden, ich stand unter Zeitdruck und wollte mich nicht mit neuem Material und neuer Transkribierarbeit belasten. Deshalb entstanden in diesen Fällen nur Fotografien und Gesprächsnotizen. Dass ich meinem Thema noch eine Dissertation widmen würde, das ahnte ich 2006 noch nicht.

Ende 2006 war meine Magisterarbeit fertig und bewertet. Die Vorarbeiten für die Dissertation begannen. Die Suche nach weiteren Interviewpartnern wurde 2007 aufgenommen, zunächst über den bewährten Weg des „Rumerzählens“ meines Vorhabens im Bekannten- und Verwandtenkreis. So kam es zu insgesamt vier neuen Kontakten: Über eine Bekannte lernte ich Miriam Pfeiffer kennen, welche nach unserem Treffen ihren Bekannten Silke Maurer und Ulrike Fischer-Benscheid von meinem Projekt erzählte. Kurze Zeit, nachdem ich bei Frau Pfeiffer war, besuchte ich diese beiden. Auch zu Gertrud Frey kam ich über eine Bekannte, die mich empfahl.

Anfang 2008 ergab sich dann die Gelegenheit, in einer etwas größeren süddeutschen Lokalzeitung einen halbseitigen Artikel zu meiner Arbeit über Religiöse Ecken

187 Die Überschrift des Einspalters lautete „Student sucht besondere Orte“. Im Artikel selbst schilderte ich kurz mein Vorhaben und bat darum, mich bei meinem Projekt zu unterstützen und sich bei der angegebenen Telefonnummer oder E-Mail-Adresse zu melden.

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unterzubringen. Ich hatte bei dieser Zeitung ein Praktikum absolviert und mir mit dem Redakteur, der den Artikel schrieb, ein Büro geteilt. Auf diesen mit zwei Fotos illustrierten Artikel hin meldeten sich insgesamt acht Personen: Kerstin Holtz, Katharina Mahler, Lisa Bittner, Petra Denzinger, Catrin Vollmer, Clara Schulze-Furet, Eva Leutner sowie Gustav Zähringer.188

Die Personen, die ich 2007 und 2008 besuchte, interviewte ich bis auf eine Ausnahme alleine. Diese Ausnahme war Lisa Bittner, beim Gespräch war ihre Mutter anwesend.

Obwohl diese nicht viel sagte und das Interview mit rund 20 Minuten das kürzeste ist, das ich führte, erlaubt der Fall einige interessante Einblicke in familiäre Konflikte was Herkunftsreligion und religiöse Eigenständigkeit der Kinder angeht. Ich werde darauf noch zurück kommen.

Mitte 2008 hatte ich also „Material“ von 24 Personen, 23 hatte ich persönlich kennen gelernt.

Mir standen 19 Interviewaufzeichnungen sowie 22 Besuchsprotokolle zur Verfügung.

Insgesamt hatte ich bei meinen Gesprächspartnern rund 250 Fotos aufgenommen, teils von Hausaltären bzw. Religiösen Ecken, teils auch von bestimmten Bereichen innerhalb des Wohnumfeldes, die mir aussagekräftig erschienen oder auf die mich meine Gesprächspartner hinwiesen.

Auffällig ist, dass lediglich fünf Männer auf meine Bemühungen reagierten. Ich hatte dies nicht unbedingt erwartet, erstaunt aber hat es mich auch nicht. Schließlich lässt schon die Alltagserfahrung vermuten, dass Religion und Spiritualität eher „weibliche“ Themen sind.

Wer Gottesdienste besucht, der wird meist mehr Frauen als Männer sehen. Gleiches gilt für Esoterik-Messen oder Seminare von „Heiligen“ oder Gurus. Und auch in spirituellen Buchhandlungen trifft man meiner Erfahrung nach eher Frauen. Ich werde auf die Tatsache, dass sich bei mir viel mehr Frauen als Männer meldeten, in einem der hinteren Kapitel ausführlicher eingehen.

188 Außer bei Herrn Zähringer fanden bei allen Personen Besuche und Interviews statt. Herr Zähringer schickte mir per Mail zwei Bilder eines Wegkreuzes, das bei ihm und seiner Frau in der Küche hängt, sowie einen kurzen Text, in dem er sein Verhältnis zu diesem Kreuz schildert. Der Text befindet sich im Bildband neben den beiden Fotos.

88 2. Besuchsablauf

Die meisten meiner 22 Besuche verliefen ähnlich. Zunächst wurde telefonisch ein Termin vereinbart. Ich wollte fürs Fotografieren Tageslicht haben und versuchte, die Termine nicht zu spät zu legen. Nach der Begrüßung folgte meist ein kurzes Gespräch über mein Projekt, teils auch über mein Studienfach und über meinen Studienort. Wenn Fragen zu meiner Arbeit gestellt wurden, versuchte ich, nicht zu sehr ins Detail zu gehen, um meine Gesprächspartner vor dem Interview nicht zu beeinflussen.

Dann bat ich darum, mich in der Wohnung herumzuführen und mir die wichtigen Orte zu zeigen, die Orte, über die wir uns unterhalten könnten. Manchmal folgte ein längerer Rundgang durch die Wohnung, manchmal wurde mir auch nur ein einziger Ort gezeigt. Oder mir wurde gesagt, dass manche Bereiche der Wohnung für Fremde tabu seien oder dass sich alle wichtigen Orte in einem Zimmer befänden, man also nicht herumlaufen müsse. Falls sich aber die Religiösen Ecken bzw. Besonderen Orte auf mehrere Zimmer verteilten, machte ich mit einer Sofortbildkamera von Polaroid Bilder dieser Orte189 und begründete dies damit, dass wir uns so anhand der Fotos über die Orte unterhalten könnten ohne in der Wohnung herum zu laufen. Bei dieser Gelegenheit erwähnte ich auch, dass ich später noch Fotos mit einer „besseren Kamera“ machen würde.

Bei den „Rundgängen“ durch die Wohnungen gerieten die meisten meiner Gastgeber ins Erzählen. Ihnen fielen Geschichten zu den Dingen ein, die in den Religiösen Ecken vereint sind, sie erklärten mir Herkunft, Bedeutung und persönlichen Wert der Dinge. Doch eben dies wollte ich nicht. Meine Gastgeber sollten warten, bis das Tonbandgerät eingeschaltet war und das Interview offiziell begonnen hatte. Einige Male bat ich darum, jetzt noch nicht zu viel zu erzählen. Diese vorsichtige Ermahnung erwies sich meist als wirkungslos, mir blieb nur, behutsam zum Weitergehen zu drängen. Falls schon vor dem Interview viel zu den Dingen berichtet wurde, merkte ich an, dass es sein könne, dass ich im Interview noch einmal Fragen zu Themen stellen würde, die schon zur Sprache gekommen waren, einfach damit ich alles „auf Band“ hätte. Meine Gesprächspartner zeigten Verständnis dafür, ich hatte den Eindruck, dass sie sich teils gar freuten, dass ich sie in die Zwänge meines Vorgehens einweihte.

Die Interviews selbst fanden an Küchen- oder Wohnzimmertischen statt. Zwischen mir und meinen Gegenübern lag ein kleines Tonbandgerät, mit dem ich das Gespräch aufzeichnete.

Während der ersten Interviews hatte ich ein Blatt Papier vor mir liegen, auf dem

189 Scans der Polaroids befinden sich im Bildband neben den jeweiligen Einführungstexten. Wo die Scans fehlen, wurden keine Polaroids aufgenommen.

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stichwortartig die Themen vermerkt waren, die zur Sprache kommen sollten.190 Bei späteren Interviews verzichtete ich dann auf diesen schriftlichen Leitfaden. Zum einen hatte ich die mir wichtigen Themen irgendwann „im Kopf“. Auch hatte ich den Eindruck, dass sich durch den schriftlichen Leitfaden eine Art Verkrampfung der Gesprächssituation ergab, eine Art

„Abfrage-Situation“. Ich wusste, wozu ich etwas wissen wollte und diese Liste musste

„Abfrage-Situation“. Ich wusste, wozu ich etwas wissen wollte und diese Liste musste