• Keine Ergebnisse gefunden

1 Diskussion um die Verdrängung des Pferdes

Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs steigt der Einsatz von Verbrennungsmotoren als Energiequelle sowohl im Personen- und Lastverkehr als auch in der Landwirtschaft.

Seit dem Einsatz des Fließbandes in der Automobilindustrie durch Henry Ford im Jahr 1917 und der damit verbundenen Massenproduktion werden Personenkraftwagen einem breiten Publikum zugänglich. Infolge dessen werden Pferde als Zug- und Transportkraft zunehmend aus ihren bisherigen Einsatzbereichen verdrängt.

Auf Seiten der Tierärzteschaft, der dadurch der Verlust eines ihrer bedeutenden Patien-ten droht, sind zwei Reaktionen zu beobachPatien-ten. Zu Beginn des bemerkbaren Rück-gangs der Pferde gibt es vereinzelte Stimmen, die dazu aufrufen, sich nun verstärkt den anderen Bereichen der Tiermedizin, namentlich dem Rind, zu widmen. Dabei wird argumentiert, dass es sich als vorteilhaft erwiesen habe, dass es nach dem Krieg bereits eine Suche nach neuen Bereichen der Tätigkeit unter den Tierärzten gegeben habe, ebenso wie es zu neuen Orientierungen in der Landwirtschaft gekommen sei.

Bereits 1919 weist Hartnack im Rahmen der Diskussionen um die Neubestimmung der tierärztlichen Tätigkeiten darauf hin, dass „das Interesse des auf Reisen usw. Angewie-senen [...] von der Beschäftigung mit Pferden weg in andere Bahnen gelenkt [wird]“

(HARTNACK 1919, 72). Dennoch wird in diesem Artikel nicht auf die Gefahr des Rückgangs des Pferdebestandes sondern, vielmehr auf den Konkurrenzdruck durch die rückkehrenden Fronttierärzte verwiesen.

Die erste Meldung über den Rückgang des Pferdes infolge der Motorisierung ist in einem Referat zu einem sowjetischen Artikel in der BTW zu finden. Dort wird berich-tet, dass in Kanada das Pferd in den Städten bereits durch das Automobil verdrängt worden sei. Auf dem Land sei davon jedoch nichts zu bemerken, dort sei die Zahl der Pferde nicht gesunken, obwohl die Zahl der Traktoren angestiegen sei, so dass gesagt wird: „ungeachtet der starken Verwendung von Maschinen hat die Pferdezucht Kana-das in den letzten Jahren einen starken Aufschwung genommen“ (BTW 1925, 756).

Die Situation in Deutschland zeigt hingegen keinen Aufschwung in der Pferdezucht. In seiner Antrittsrede als Rektor der Berliner Tierärztlichen Hochschule bemerkt Schöttler:

„[...] bei der zunehmenden Mechanisierung der landwirtschaftlichen und ge-werblichen Betriebe wird leider das Pferd immer mehr zurückgedrängt. In Berlin wird es heute scheinbar als ,Verkehrshindernis‘ empfunden“

(SCHÖTTLER 1926, 163).

Aus diesem Grund wird am 5. November 1926 in Berlin die „Reichsvereinigung der deutschen Pferdeinteressenten“ gegründet. Ganz euphemisch heißt es: „die Reichs-vereinigung will natürlich nicht die Kraftwagen oder den Motor verdrängen“ (ST.[ANG]

1926, 810).

In der Zeitschrift „Der Hufschmied“30 findet sich in der Folgezeit eine Sondernummer der Reichsvereinigung der Pferdeinteressenten zur Thematik „Pferd oder Motor“. Die-se wird von Schmidt als „Die-sehr geschickte Werbeschrift“ gelobt (SCHMIDT 1928, 230).

Wie es bei den folgenden Artikeln deutlich wird, kann sich die Tierärzteschaft über-haupt nur schwer vorstellen, dass das Pferd verdrängt werden könne. In dem Artikel von Wirbitzky mit der Überschrift „Stirbt das Pferd aus?“ wird berichtet, dass die Sattlereien sich vermehrt der Automobilindustrie zuwenden würden. Außerdem wür-den zunehmend weniger (Pferde-)Geschirre für die Landwirtschaft hergestellt, was auf die zunehmende Motorisierung zurückzuführen sei (WIRBITZKY 1927, 676). In dem direkt daran anschließenden Artikel, „Das Pferd stirbt nicht aus“, wird der englische Professor Woodbridge zitiert, der angibt, dass in London wieder mehr Lastpferde gehalten würden. Diese Aussage wird vom Verfasser als Beleg für die These benutzt, dass dies in Berlin ebenfalls zu beobachten sei (ANONYM 1927 I, 676).

Wirbitzky ist dabei kein fatalistischer Schwarzseher, er teilt lediglich nicht die Euphemie seiner Standeskollegen. So berichtet er, der Pferdemarkt habe in Spandau mangels Auftrieb nach 75 Jahren seine Arbeit eingestellt. Dies dient ihm zur Warnung, dass das Auto das Pferd verdrängen könne. Dass er nicht resigniert, aber auch keinen falschen Optimismus verbreiten will, zeigen seine Schlussworte: „Also wehren wir uns auch, daß das Pferd, das mit unsere Existenz bedeutet, nicht verdrängt wird. Wir waren eher da als die Autoindustrie. Das Handwerk hatte auch einst ,goldenen Boden‘, und jetzt?

Nun, es ist von den Fabriken verschlungen“ (WIRBITZKY 1927 I, 784). Passend

30 Nummer 11 des 45. Jahrgangs

dazu berichtet er im darauf folgenden Jahr, dass Ford seine Produktion wegen der großen Nachfrage von 8.000 auf 11.000 Automobile pro Tag erhöhen will (WIRBITZKY 1928, 95). Dies wird in einer Fußnote von S.[chmaltz] mit den Worten kommentiert:

„Die Berechnung der Betriebskosten wird trotz aller Vorteile das Auto nicht zur Allein-herrschaft gelangen lassen“ (S.[CHMALTZ] 1928, 95). Auf die Meldung, der Vatikan habe seinen Marstall zugunsten des Automobils aufgelöst, erfolgt dagegen kein Kom-mentar (WIRBITZKY 1928 I, 134).

Interessanterweise findet die Meldung der Münchener Tierärztlichen Wochenschrift, dass in den USA ein Mangel an Pferden und Maultieren bemerkbar sei, keine Erwäh-nung in anderen Zeitschriften (S. 1928, 329).

1.2 Reaktion der Pferdelobby auf die zunehmende Konkurenz durch Motoren Die überwiegende Reaktion der Tierärzteschaft besteht jedoch in einer Haltung, die die Verdrängung des Pferdes ignoriert. In den Diskussionen zum Ende der 1920er Jah-re wird darauf hingewiesen, dass mit dem Rückgang eine Qualitätssteigerung verbun-den gewesen sei und die Konkurrenz auf dem Acker durch Vielbespannung - hier sechs und mehr Pferde - für das Pferd entschieden werden könne. Angesichts der Wirtschafts-krise wird der Prozess der Motorisierung zunächst aufgehoben, da das Pferd mit eige-nen Futtermitteln unterhalten werden kann, während in einem motorisierten Betrieb Treibstoff zugekauft werden muss.

Im weiteren Verlauf der Berichterstattung konzentrieren sich die Artikel darauf, das Pferd als wirtschaftlichere Variante gegenüber dem Automobil darzustellen. Dies wird durch Überschriften, wie „Hafermotor oder Benzinmotor“ (ANONYM 1928 I, 779) deutlich gemacht. Dabei ist der Fokus, wie nicht anders zu erwarten, auf die landwirt-schaftliche Nutzung gerichtet. Allgemein wird dabei darauf hingewiesen, dass der Motorpfluganteil sehr gering und für den landwirtschaftlichen Kleinbetrieb, der 60%

der Betriebe ausmache, unrentabel sei (ebd.). Solche Ergebnisse werden ebenfalls bei Gegenüberstellungen von Pferden und Zugmaschinen beschrieben (BEDERKE 1930, 45-46). Hetzel warnt sogar, dass „die Forderung nach raschester und weitgehendster Mechanisierung und Motorisierung aller Betriebe“ [Hervorhebung im Original]

(HETZEL 1928, 503) sich zum Schaden der Landwirtschaft auswirken würde, da das Pferd immer noch die billigste Zugkraft sei (ebd., 503-505), besonders, da der

Land-wirt ein Interesse daran habe, „nur solche Zugkraft zu benutzen, deren Betriebsstoff er selbst produziert“ [im Original gesperrt] (ANONYM 1930 II, 472).

Von Seiten der Pferdelobby wird darauf hingewiesen, dass eine intensive Pferde-benutzung in Form der Vielbespannung (hier vier bis acht Pferde pro Gespann) dem Traktor überlegen sei (ebd.), eine These, die durch die Beiträge in den Sonderheften des Reichsverbandes für das deutsche Kaltblut verbreitet wird (S. 1930, 271). Allge-mein wird in den Beiträgen eine Rationalisierung der betrieblichen Abläufe favorisiert.

Die Vielbespannung wird dabei als Alternative zum Traktor immer wieder angepriesen (ANONYM 1931, 29), was auch von der DLG diskutiert wird (ANONYM 1931 I, 140). Dem Traktor wird nur bei einem Arbeitskräftemangel von 60% oder eiliger Ar-beit ein Wert zugeschrieben, da sich der ArAr-beitskräftemangel ausgleichen, beziehungs-weise Zeit einsparen lassen könne (ANONYM 1932, 28-29).

Die Weltwirtschaftskrise von 1929 verschont auch die Landwirtschaft nicht und die Pferdezucht wird ebenfalls von der Krise betroffen (ME. 1932, 393). In einem Bericht aus der Tschechoslowakei wird darauf verwiesen, dass durch den Mangel an Bar-kapital die Motorisierung der Landwirtschaft verlangsamt worden sei, nachdem die Verdrängung des Pferdes nicht nur in der Stadt Anlass zu wachsender Besorgnis gegeben habe (KIR.[CHNER] 1931, 618). So wird berichtet, in Paris sei ein absolutes Automobilmonopol durchgesetzt worden (ANONYM 1930, 78).

Den positiven Berichten aus der Landwirtschaft stehen Artikel gegenüber, in denen nicht nur darauf hingewiesen wird, dass das Pferd aus der Stadt verdrängt wird, son-dern auch eine Rationalisierung in der Landwirtschaft unabdingbar sei. Zwischen den Zeilen macht sich die Unruhe bemerkbar, durch Rationalisierung und Traktoren werde der Pferdepreis weiter nach unten getrieben. Auch der Hinweis, die Zahl der Zugma-schinen sei von 1925 bis 1930 lediglich um 5.000 Stück gestiegen, beruhigt nur dann, wenn nicht betrachtet wird, dass anders ausgedrückt die Zahl der Zugmaschinen um 50% - von 10.000 auf 15.000 Stück - zugenommen hat (SCHWERDT 1931, 709).

Stang verweist auf die DLG, die aufgrund von Landflucht und Geburtenausfall eine

„halbe Motorisierung“ ab 40 ha großen Betrieben für notwendig erachtet (STANG 1930, 139-140).

Stets ist jedoch der Hinweis zu finden, dass der Hauptrückgang der Pferdehaltung vor allem in den Großstädten stattgefunden habe (ANONYM 1932, 28-29) und die Moto-risierung der Landwirtschaft vor allem auf den Transport über 12 km Wegstrecke be-schränkt sei (ME. 1932, 393). Die Ignoranz bleibt aber spürbar, wenn darauf hinge-wiesen wird, dass der Pferdebestand zwar sinke, dafür jedoch die Qualität verbessert werde (MÜLLER 1931, 444). Ein Vergleich der Wirtschaftlichkeit von Pferd und Motor im Güternahverkehr kommt zu keinen eindeutigen Ergebnissen. Im Bericht über die Stellungnahme heißt es: „Nach dem Entwurf erscheint es nicht möglich, ganz allgemein die Wirtschaftlichkeitsgrenzen zwischen den einzelnen Fahrzeugen anzugeben“

(SCHWERDT 1933 I, 528).

1.3 Veränderung der Diskussion durch die Machtübertragung auf die Nationalsozialisten

An der positiven Grundstimmung, dass die Position des Pferdes als Arbeitskraft in der Landwirtschaft nicht gefährdet sei, ändert sich auch mit der Machtübertragung an die Nationalsozialisten nichts, sie wird im Gegenteil noch bestärkt, indem der neue Ober-landesstallmeister Rau davon ausgeht, dass die deutsche Wirtschaft und die Landes-verteidigung ohne das Pferd nicht denkbar seien. Für ihn stellt sich Hitler nicht nur als Retter Deutschlands dar, sondern auch als Retter der deutschen Landespferdezucht (SCHWERDT 1933, 527).

Dass die nationalsozialistische Regierung als Retter der Landwirtschaft und damit auch der Pferdezucht gesehen wird, wird auch in einem Erlass des Reichsinnenministeriums deutlich. In dem Erlass vom 20. 3. 1934 heißt es, es gelte nun, nachdem die Bedeutung der Pferdezucht von den vorangegangenen Regierungen verkannt worden sei, diese Fehler wieder auszugleichen. Dabei wird die volkswirtschaftliche und wehrpolitische Bedeutung der Pferdezucht ausdrücklich betont (ANONYM 1934 I, 365).

Dazu passt ein Referat zu einem rumänischen Artikel, in dem es heißt:

„In jenen Ländern, wo man, die Pferdezucht vernachlässigend, zur Feldarbeit nur Kraftfahrzeuge benutzen wollte (Amerika, Russland), ist man zur Einsicht gekommen, daß man ohne Pferde nicht auskommen kann“ (VAIDA 1934, 537).

Tatsächlich ist die Verdrängung des Pferdes besonders in den Städten nicht mehr aufzuhalten. Armbrustmacher wird mit den Worten wiedergegeben: „Dem Pferd wird seine Stellung als Kraftquelle im Wirtschaftsleben von anderen Arbeitstieren, neuer-dings vom Motor, streitig gemacht“ (ME. 1936 II, 605). Aber nicht nur durch die Motorisierung, sondern auch durch die Zunahme von Mietgespannen und den Einsatz von Rindern, vor allem in den kleinen Betrieben der Höhenlagen, werde das Pferd zurückgedrängt (ebd. 605-606). In einem weiteren Bericht heißt es, die Zahl der Pferde in Berlin sei von dem Höchststand im Jahr 1926 mit 46.000 Tieren auf 17.000 im Jahr 1937 abgefallen, während die Zahl der in der Stadt gehaltenen Nutztiere sich nicht verändert und beim Geflügel seit 1925 sogar verdoppelt habe (ANONYM 1938 II, 519).

Trotz dieser Ausagen und der darin festgehaltenen Zahlen behauptet Küst in einem Artikel über die Sicherstellung des Pferdezucht immer noch, dass der Pferdebedarf in Folge der Motorisierung nicht gesunken, sondern sogar gestiegen sei. In erster Linie habe eine übertriebene Zucht zu einer „Pferdeinflation“ geführt, die dann zu einem Schrumpfen der Bestände geführt habe (KÜST 1937, 14-16).