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1 Artikel ohne direkten tiermedizinischen Bezug

Insgesamt finden sich in den untersuchten Publikationen wenige Artikel, die offen ras-sistisch sind oder sich für menschliche Eugenik74 aussprechen. Trotzdem sind einige Artikel unter den Rubriken Tierzucht oder Vererbungslehre nachweisbar, in denen kein praktischer Bezug zur Tiermedizin hergestellt wird oder die deutlich positive Bezüge zur humanen Eugenik aufweisen. Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten werden einige Artikel veröffentlicht, die entsprechend des geänderten Zeitgeistes rassi-stische Elemente aufweisen. Lediglich zwei Texte sind als nachweisbar als wirklich eugenisch zu bezeichnen

Obwohl es keine eigene Rubrik gibt, werden häufig Artikel veröffentlicht, die keinen direkten Bezug zur Tiermedizin haben. Aber auch in Artikeln mit tiermedizinischem Bezug wird das Feld der Tiermedizin des Öfteren verlassen.

Bauer merkt in seinem Bericht über den 5. internationalen Kongress für Vererbungs-wissenschaften vom 11. bis 17. September 1927 in Berlinan, „besonders zahlreich waren die Vorträge über die Vererbung beim Menschen“ (BAUER 1927, 728). Die Aufzählung dieser Vorträge nimmt gut ein Drittel des Artikels ein. Damit widmet Bauer diesem Thema ebensoviel Platz wie den Vorträgen über tierzüchterische Vererbungs-lehre.75 Ähnlich verhält es sich mit dem Bericht über die 90. Versammlung der Natur-forscher und Ärzte 1928 in Hamburg. Unter der Überschrift „Aus den medizinischen Abteilungen“ heißt es von Schmidt, „erwähne ich ferner einige [Sitzungen], die mir besonders wichtig erscheinen“ (SCHMIDT 1928 I, 762). Er beginnt daraufhin mit

74 Im untersuchten Zeitraum wird häufig keine klare Trennung zwischen den Begriffen Eugenik, Rasse-hygiene und RassenRasse-hygiene vollzogen. Im Folgenden wird der Begriff Eugenik benutzt, da dieser der weitergehende Begriff ist und Rasse(n)hygiene mit einschließt (vgl. dazu auch Kapitel XIV Beeinflus-sungen der tiermedizinischen Vererbungslehre und der Tierzucht durch die Anthropologie und die Rasse(n)hygiene).

75 Drei der Beiträge sind besonders zu nennen. Zum einen Ploetz über „private und staatliche Förderung der Rassehygiene“, in dem „die Sterilisation von Verbrechern und Minderwertigen, wie sie in den Vereinigten Staaten geübt wird“ (BAUER 1927, 729), gefordert wird, da dieser im Gegensatz zu den übrigen nicht einen speziellen Aspekt der Vererbungslehre behandelt. Des weiteren zwei Beiträge zum Thema der Zwillingsforschung: Hirschfeld „Erforschung auf dem Gebiet der Intersexualität“ und Wein-berg „Vererbung bei Eineizwillingen“, da die Zwillingsforschung beim Menschen Kronacher als Vorbild seiner Zwillingsforschung beim Rind gedient hat.

dem Vortrag „Unfruchtbarmachung oder Internierung“.76 Der Autor scheint dabei ei-nen allgemeiei-nen Überblick geben zu wollen, in dem zu dieser Zeit die Rassenhygiene nicht fehlen darf.

Dies scheint auch auf den Bericht über die Eröffnung des Instituts für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik in Berlin am 1. Oktober 1927 zuzutreffen. Dort wird mit Freude darauf hingewiesen, dass bis zu diesem Zeitpunkt außer Schweden kein Land über eine solche Einrichtung verfüge (ANONYM 1927, 660). In einem Aufruf zu einem Kongress der Internationalen Gesellschaft für Sexualforschung (Ingese), bei dem auch eine Abteilung für Eugenik und Erbfragen eingerichtet ist, wird um eine Teilnahme möglichst vieler Natur- und Geisteswissenschaftler geworben (MARCUSE 1929, 811). Inwieweit der Aufruf, einen Tierärztebund für Sexualethik zu bilden, um der Verbreitung von Geschlechtskrankheiten durch den Verfall der Sitten Einhalt zu gebieten, da Deutschland eine „widerstandsfähige, tüchtige Jugend“ (AB-DERHALDEN 1920, 163) brauche, zu den vorher genannten Artikeln zu zählen ist, bleibt uneindeutig.

Die Herbsttagung der Deutschen Gesellschaft für Züchtungskunde von 1930 weist bei der Hälfte ihrer Vorträge humanmedizinische Bezüge auf. Fischer referiert über die menschliche Erblichkeitsforschung, Verschuer über die Tuberkulose-Disposition des Menschen (ANONYM 1930 III, 523).

Im Bericht der Tagung der (humanmedizinischen) Gesellschaft für Vererbungs-wissenschaften vom 6. bis 8. September 1933 in Göttingen, welcher ursprünglich in der Deutschen Medizinischen Wochenschrift erschienen ist, wird in der Abschlussresolution deutlich, wie sehr mit der Machtübernahme die Ideologie der Nationalsozialisten in den Wissenschaftsbetrieb Eingang findet. Dort heißt es, dass

„biologisch erbkundliches Wissen und Denken Allgemeingut der deutschen Bildung werden muss und [die Gesellschaft für Vererbungswissenschaften]

erklärt sich bereit, an dieser seit Jahren ersehnten und leider bisher immer vergeblich erstrebten Aufgabe mit allen Kräften mitzuwirken“ (ANONYM 1933 IV, 650).

76 In diesem Vortrag wird die These aufgestellt, Deutschland könne die Lasten der Versorgung „internier-ter“ geistig Behinderter kaum mehr tragen. Die angegebene Lösung, Sterilisation, wie sie in den USA und der Schweiz bereits angewendet werde, käme für Deutschland aber aus juristischen Gründen (noch) nicht in Frage.

Demgegenüber steht die Meldung, dass das Kaiser Wilhelm Institut für Züchtungs-forschung am 1. Oktober 1933 aus wirtschaftlichen Gründen geschlossen wurde (ANONYM 1933 III, 652).

Im August 1933 wird mit Dr. Friedrich Weber, dem späteren Reichtierärzteführer, ein Tierarzt in den Sachverständigenbeirat für Volksgesundheit berufen. Der Beirat soll sich in erster Linie mit den Fragen der Gesundheit des Volkes und insbesondere mit Erbbiologie und Rassenhygiene beschäftigen (Ph. A. 1933, 563).

Die Häufung der Themen in der Eröffnungsveranstaltung zu Erbbiologie und Verer-bung sowie zur Züchtungsforschung und Landwirtschaft auf der 93. Versammlung der Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Aerzte vom 16. bis 19. September in Hannover ist dagegen vermutlich mehr als Hommage an das neue System zu sehen (SCHMIDT 1934, 742-745). Gleiches ist auch bei den Beiträgen über Zwillingsfor-schung und Erbbiologie der 95. Versammlung der „Gesellschaft Deutscher Naturfor-scher und Aerzte“ 1938 in Stuttgart anzunehmen (SCHMIDT 1938 I, 744 –748).

1.1 Sprachliche Ähnlichkeiten

Sprachliche Verwischungen zwischen Anthropologie und Tiermedizin lassen sich häu-fig nachweisen. In der Regel werden dabei Begriffe aus der Tierzucht unverändert auf die Anthropologie übertragen. Ebenso werden die eugenischen Begriffe der Anthropo-logie auf Seiten der Tiermedizin angewandt.

In einem Artikel zur (humanen) Rachitis wird diese als „Verkümmerungs-“ bzw.

„Domestikationskrankheit“ bezeichnet. Dort heißt es:

„Es kommt somit auf den Grad der Domestikation an. Schädlich ist sie da, wo aus der Wohnstätte des Menschen eine Einpferchung, eine Mietskaserne ge-worden ist“ (W.[EHRLE] 1920 I, 364).

In der Rubrik „Geburtshilfe, Tierzucht, Fütterung“ der Deutschen Tierärztlichen Wo-chenschrift wird ein Artikel referiert, der die erbliche Komponente des humanen Dia-betes darlegt. Dies ist besonders interessant, da die Forschung nicht am Tiermodell erfolgte, sondern mit Hilfe der Genealogie und der Zwillingsforschung und an keiner Stelle ein Bezug zur Tierzucht hergestellt wird (FROEHNER 1940, 211). Im gleichen

Jahr wird ein weiterer Artikel aus der anthropologischen Forschung referiert. Darin wird jedoch vor allem die Aussagekraft der Korrelationsmethode77 und der Zwillings-methode78 diskutiert, die auch für die Tiermedizin der untersuchten Zeit interessant ist (FROEHNER 1940 I, 222).

Prosaisch und ganz im Stil der Propaganda heißt es zur Mitarbeit der Tierärzte in der Leistungstierzucht:

„Befriedigung gibt schon, wenn ein guter Rat den Wohlstand des einzelnen Volksgenossen fördert, wie viel mehr, wenn die Mitarbeit dazu beiträgt, mehr Milch für die Aufzucht eines starken Geschlechts, mehr Fleisch und Fett für das schaffende Volk, mehr Rohstoffe für die Industrie und Wehrmacht zu er-zeugen, wichtig schon in glücklichen Friedensjahren, entscheidend in der Zeit des Kampfes um die Nahrungsfreiheit, entscheidend für den Erfolg des Vier-jahresplanes“ (GUTBROD 1937, 421).

Ähnlich formuliert wird dies von dem Landesbauernführer der Kurmark79Wendt:

„Je mehr unser Volk wächst, desto mehr braucht es Nahrungsmittel aus dem Tierreich, die in unserem Klima und bei unserer angespannten, aufreibenden Arbeitsweise nicht durch Pflanzenkost zu ersetzen sind. Desto mehr braucht es Milch zur Aufzucht einer gesunden, kräftigen Jugend, braucht es Fleisch, Fett, Leder, Wolle usw., um die Schlagkraft des Heeres zu sichern“ (WENDT 1938, 58).

Aber auch andersherum werden Begrifflichkeiten, die anthropologisch kodiert sind, auf die Tiermedizin übertragen. So fordert Hillerbrandt:

„Die Berufscharakterisierung der Tierzuchtbeamten müßte eigentlich

‚Rassehygieniker’ heißen, und die praktische Vorbildung des Rassehygienikers müsste in jahrelanger ‚tierärztlicher’ Berufstätigkeit erworben werden“

(HILLERBRANDT 1929, 656).80

Auch die Tendenz zur „Vermenschlichung“ von Tieren wird sichtbar, wenn in einem Artikel zur Katzenzucht dort die Gründe, die gegen Qualzuchten sprechen, als

77 Erblichkeit wird bei dem Auftreten von Ähnlichkeiten in der Familie angenommen.

78 Vergleiche von Ähnlichkeiten zwischen ein- und mehreiigen Zwillingen.

79 Teil der Mark Brandenburg.

80 Besonders auffällig ist jedoch, dass er im Zusammenhang mit der „Leistungssteigerung durch Zucht“ von ärztlichem statt von tierärztlichem Wissen spricht. Eine sprachliche Ungenauigkeit, die in dieser Zeit des erhöhten Standesbewusstseins zumindest als unbewusste Übertragung des angelesenen anthropologi-schen Wissens angesehen werden könnte.

hygienisch und humanitär bezeichnet werden (GRAU 1939, 88-89).

Koßmag spricht sich dafür aus, Tiere, die bestimmte „charakterliche Eigenschaften“

zeigen, von der Zucht auszuschließen. Um seine Behauptungen zu untermauern, zieht er mehrere Vergleiche aus der Anthropologie heran. Mit drastischen Worten wird ge-fordert: „Die Verbrecher und Schädlinge müssen ausgemerzt werden“ (KOSSMAG 1944, 12).