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Auseinandersetzungen um die Besamungsstation Pinneberg

4 Die Einrichtung der Besamungsstation Pinneberg

4.1 Auseinandersetzungen um die Besamungsstation Pinneberg

In der Diskussion um die Künstliche Besamung, die durch die Gründung der Besa-mungsstation in Pinneberg angestoßen wird, verfasst Goerttler 1942 einen weiteren grundsätzlichen Artikel. In dem Artikel setzt er sich kritisch mit den Argumenten der Befürworter der Künstlichen Besamung auseinander. Der besseren Ausnutzung wert-voller Vatertiere durch die Künstliche Besamung stellt Goerttler die Einengung des Genpools gegenüber. Er schreibt dazu unter Verweis auf Butz, dass ein Vatertier mit der künstlichen Befruchtung acht bis zehnmal so viele weibliche Tiere besamen

kön-ne, woduch auch die Weitergabe unerwünschter Eigenschaften um diesen Faktor er-höht sei, denn: „kein Zuchttier, und sei es noch das wertvollste und beste, gibt in seiner Erbmasse nur gute und erwünschte Anlagen mit“ (GOERTTLER 1942 I, 207).

Für Goerttler stellt in diesem Zusammenhang bereits die Annahme des Phantoms durch das Vatertier bei der Samengewinnung eine „Entartung der Geschlechtskonstitution“

(ebd., 208) dar. Er fordert, sollte das männliche Tier, „ohne daß eine besondere ge-schlechtliche Enthaltsamkeit erzwungen wurde, oder gar regelmäßig und gern das Phan-tom annehmen und dort absamen [...]“ (ebd.), dieses von der Zucht auszuschließen.61 Die Ursache für höhere Befruchtungsergebnisse sieht Goerttler nicht in der Künstli-chen Besamung. Für ihn resultieren die besseren Trächtigkeitsquoten vor allem aus der besseren Untersuchung der weiblichen Tiere und des männlichen Samens.62

„[W]enn die gleiche Sorgfalt, die bei der künstlichen Besamung auf die Unter-suchung des Samens und vor allem auf die UnterUnter-suchung des Gesundheitszu-standes der zu besamenden weiblichen Tiere sowie auf den Zeitpunkt der Begattung innerhalb der Brunst verwandt würde, so wären die Ergebnisse der natürlichen Begattungen mindestens gleich gute wie bei der künstlichen Besa-mung [...]“ [im Original gesperrt] (ebd.).

Die Untersuchung des Sperma, wie sie bei der Künstlichen Besamung die Regel ist, fordert er auch von den „natürlich besamenden“ Vatertieren.63

Bei der möglichen besseren Bekämpfung von Deckseuchen verweist Goerttler auf die herkömmlichen Maßnahmen zur Behandlung, insbesondere die Decksperre. Der von Küst und Bonadonna vorgetragene Vorschlag, bei seuchenpolizeilichen Sperren, vor allem der Maul- und Klauenseuche, die künstliche Besamung durchzuführen, um den wirtschaftlichen Verlust durch Nichtbelegung abzufedern, lehnt er aufgrund der Gefahr der Verbreitung der Seuchen durch Personenverkehr entschieden ab.

Auch das Argument der Wirtschaftlichkeit wird von ihm angezweifelt. Er sieht in dem dänischen Modell einen unverhältnismäßigen Aufwand, der in Deutschland – auch in

61 Eine ähnliche Meinung vertritt Zwicky, Zürich, der diese Tiere als pervers und konstitutionell abwei-chend bezeichnet (ANONYM 1943, 37).

62 Die Künstliche Besamung wird, insbesondere in den Forschungen, von Tierärzten und akademischen Landwirten durchgeführt, in den osteuropäischen Ländern auch von speziell ausgebildeten Besamungs-technikern, während beim natürlichen Sprung keine Ausbildung verlangt wird.

63 Eine Forderung, die vom österreichischen Staatstierarzt Unzeitig bereits 1920 aufgestellt wurde (ME.

1922, 352-353).

Friedenszeiten – nicht geleistet werden könne. Bei einer Übertragung der künstlichen Besamung auf Nichttierärzte, wie es in der UdSSR bereits die Regel gewesen ist, sieht er die Gefahr, dass die hygienischen Vorteile entfallen würden.

Dass für Goerttler aber nicht nur wissenschaftliche Gründe für die Ablehnung verant-wortlich sind, hebt er in den Schlussworten nochmals hervor:

„Ich lehne deshalb aus biologischen und wirtschaftlichen und [...] aus ethi-schen und ästhetiethi-schen Gesichtspunkten heraus die künstliche Besamung als Mittel des praktischen Zuchtbetriebes auf das schärfste ab. [...] Unser Zucht-betrieb ist an sich schon so weit technisiert und mit Zivilisationsschäden be-haftet, wird zum Teil so naturfremd, starr und ohne jedes biologische Empfin-den durchgeführt, daß hier eine grundsätzliche Wandlung mit allem Nach-druck gefordert werden muß“ [im Original gesperrt] (ebd., 209).

Die Erwiderung Götzes erfolgt am 30. Januar 1943 in der Deutschen Tierärztlichen Wochenschrift 1943, Nr. 5/6. Götze warnt im Namen von Wissenschaft und Forschung davor, über ein „in der Entwicklung befindliches, noch keineswegs fertiges Verfahren den Stab zu brechen, bevor genügend Ergebnisse vorliegen“ (GÖTZE 1943, 49). In seinem Artikel argumentiert Götze gegen die häufig, nicht allein von Goerttler vorge-brachten Argumente. Dabei belehrt er Goerttler, der die Künstliche Besamung aus prak-tischer Erfahrung nicht kenne, mit dem Satz: „Richtiger ist es immer, erst zu studieren, zu forschen, zu beobachten und dann zu urteilen“ (ebd., 50). Den von Goerttler vorge-brachten Argumenten tritt er mit eigenen Thesen entgegen. Die Gefahr, durch Massen-besamungen eine Einengung des Genpools zu vollziehen, sei auch den Befürwortern der künstlichen Besamung bekannt. Auch die Frage, ob die Annahme eines Phantoms auf eine sexuelle Abweichung hinweise, die ausgemerzt werden müsse, wird von Göt-ze mit dem Hinweis abgeblockt, dass die Mehrzahl aller geschlechtsreifen Vatertiere , auch jene, die bei dem Sprung aus der Hand eingesetzt werden, Phantome annehme.

Die Kritik, dass die Vatertierzucht zurückgehen würde, da weniger Vatertiere benötigt würden, wird von Götze zurückgewiesen. Vielmehr werde seiner Ansicht nach die Zahl der züchterisch minderwertigen Vatertiere sinken. Trotzdem sieht Götze nicht, dass die Künstliche Besamung sich als allgemeine züchterische Methode durchsetzen und damit den Natursprung oder den Sprung aus der Hand ersetzen würde. Er schreibt:

„Die Fiktion einer allgemeinen Einführung der künstlichen Besamung anstatt der natürlichen Paarung stellt sich anscheinend unbewußt ebenso wie die der Massenbesamungen nur in den Köpfen der Gegner ein und bringt sie in den Harnisch. Es kann sich doch in absehbarer Zeit, soweit die Verhältnisse es

gestatten werden, lediglich darum handeln, die künstliche Besamung da ein-zusetzen, wo sie nach Ansicht der maßgeblichen Stellen nützlich und ange-bracht erscheint“ [Hervorhebung im Original] (ebd.).

Den von Goerttler angebrachten ethischen und ästhetischen Gründe begegnet Götze mit den Worten:

„Der Vorwurf, daß ich mich mit etwas Unethischem und Unästhetischem befasse, prallt von mir ab, weil ich in der Absicht und in der Überzeugung handele, meinem Volke in seiner Versorgung und seinem Existenzkampf zu helfen“ (ebd., 52).

Die Erwiderung Goerttlers auf den Artikel Götzes vom 30. Januar 1943 fällt verhältnis-mäßig scharf aus. Er schließt mit den Worten:

„Schließlich muß ich mich gegen den Ton der Ausführungen von Götze wen-den. [...] Sie beweisen nur, wie wenig Götze im Stande ist, eine von der seinen abweichende Meinung zu würdigen; weiter aber beweisen sie gar nichts. Ich stelle jedenfalls fest, daß Götze mit diesen Auslassungen das Gebiet der sach-lichen wissenschaftsach-lichen Aussprache verlassen und versucht hat, einen an-ders Denkenden wissenschaftlich und persönlich herabzusetzen“ [Hervorhe-bung im Original] (GOERTTLER 1943, S.145).

Auch in zwei anderen Artikeln, die sich mit der Künstlichen Besamung beim Pferd und beim Rind befassen, teilt Götze Seitenhiebe auf die Gegner der Künstlichen Besamung aus. So wirft er ihnen indirekt Unwissenschaftlichkeit vor, indem er schreibt:

„In weiten landwirtschaftlichen und tierärztlichen Kreisen bestehen heute noch allerlei Bedenken gegen die Einführung der künstlichen Besamung in die Tier-zucht. [...] Zu einem Teil beruhen diese Bedenken auf falschen, sehr gefühls-mäßigen Vorstellungen über die Fortpflanzungsphysiologie der Haustiere“

[Hervorhebung im Original] (GÖTZE 1943 I, 87).

Direkt gegen Goerttler gerichtet heißt es in der Fußnote zu einem Artikel über die Rinderbesamung in Pinneberg:

„Die neuerlichen überreizten Ausführungen Goerttlers [...] werden sicherlich von vielen Seiten als überflüssig und abwegig empfunden“ [Hervorhebung im Original] (GÖTZE 1943 II, 142).

Damit scheint diese Auseinandersetzung zwischen Goerttler und Götze, zumindest hin-sichtlich der Veröffentlichungen in den veterinärmedizinischen Periodika, beendet zu sein.