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Die Beteiligung der Tierärzte an Körungen

5 Konflikt mit den Landwirten

5.2 Die Beteiligung der Tierärzte an Körungen

Durch den Umstand, dass die Körordnungen in der Regel von den Zucht-genossenschaften und Züchtervereinigungen erlassen wurden und auf Grund der förderalistischen Stuktur des Deutschen Reichs existierte keine reichseinheitliche Ge-setzgebung zur Tierzucht. Dies wurde erst nach der Machtübertragung an die Natio-nalsozialisten mit dem Erlass des Gesetzes zur Förderung der Tierzucht 1936 geändert.

Die Tierärzte waren wegen jener Uneinheitlichkeit auf verschiedenste Weise an Körungen beteiligt. Bei den regionalen Neuregelungen einiger Körordnungen in den 1920er Jah-ren wurde von Seiten der akademischen Landwirte zunehmend versucht, die Tierärzte als stimmberechtigte Mitglieder der Körkommissionen zu verdrängen (vgl. dazu Kapi-tel III 1 - Änderungen der Körordnungen bis 1934). Der Tierarzt sollte nur noch als Gesundheitsgutachter ohne Stimmrecht in Erscheinung treten – so zum Beispiel in Brandenburg 1924 (vgl. SCHMALTZ 1924, 718). Durch die auf das Reichs-tierzuchtgesetz von 1936 folgenden Verordnungen wurde die Rolle des Tierarztes da-hingehend gestärkt, dass eine Beteiligung des zuständigen Amtstierarztes als stimmbe-rechtigter Gutachter für Konstitution, Erbfehler und allgemeine Gesundheit vorgeschrie-ben wurde (vgl. dazu Kapitel III 2.2 - Gesetz zur Förderung der Tierzucht vom 17.

März 1936 (Reichstierzuchtgesetz)).

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass sich Tierärzte durch die wissenschaftli-chen Erkenntnisse im Bereich der Nutztierzucht sowie durch die Auseinandersetzung um die Zugangsvoraussetzung zum Tierzuchtinspektorenexamen in den 1920er Jahren und die Gesetzgebung unter den Nationalsozialisten mehr oder weniger freiwillig zu Spezialisten für tierzüchterische Gesundheit entwickelt haben. Die Stellung der Tier-ärzte in der gegenwärtigen Tierzucht ist maßgeblich auf diese Entwicklung zurückzu-führen.

6 Gesetzgebung

Die ersten reichseinheitlichen Körordnungen für landwirtschaftliche Nutztiere wurden auf Grund des Gesetzes zur Förderung der Tierzucht vom 16. März 1936 erlassen, welches auf dem Gesetz zur Förderung der Tierzucht in Preußen vom 24. August 1934

aufbaute. Mit den daraus resultierenden Verordnungen gelang es, reichseinheitliche Körordnungen für Pferd, Rind, Schwein, Schaf und Ziege zu schaffen. In den Regelun-gen wurden die Grundsätze der bestehenden KörordnunRegelun-gen, die ForderunRegelun-gen der Interessenverbände – insbesondere der Züchtergenossenschaften – und die neuesten Erkentnisse der Genetik vereinigt. Dabei waren im wesentlichen die allgemeine Körpflicht, auch bei der „privaten“ Nutzung im eigenen Betrieb, für alle landwirtschaft-lichen Nutztiere - was bis dahin nur in Bayern galt - und die Einführung verschiedener an die Tierrasse gebundener Deckerlaubnisscheine von besonderer Bedeutung. Des Weiteren wurde die Anwesenheit von Amtstierärzten bei Körungen festgeschrieben und der Einfluss der staatlichen Vertreter in den Körkommissionen erhöht.

Für die Rinderzucht wurden am 23. Dezember 1938 und am 1. Oktober 1940 weitere Verordnungen erlassen, in denen bestimmt wird, dass nur noch Bullen angekört wer-den dürfen, deren Mütter eine bestimmte Milchleistung aufweisen. Damit wurwer-den die modernsten Ergebnisse der Genetik zur Grundlage der gesetzlichen Verordnung ge-macht. Hier findet die These von Puhle Bestätigung, dass, wenn die auf Kriegsvorbe-reitung und Aufrüstung ausgelegten Anstrengungen außer Acht gelassen werden könn-ten,

„der einzige, wenn auch in der praktischen Durchführung keineswegs befrie-digende Versuch, die landwirtschaftliche Dauerkrise durch strukturelle Maß-nahmen, die über bloße Subventionen hinausgehen, zu bewältigen, im Deut-schen Reich vor 1945 von den Nationalsozialisten unternommen wurde“

(PUHLE 1975, 97).

Die strikten Verordnungen zur Körung der Bullen in der Rinderzucht wurden 1943 wieder gelockert. Die Formulierung, „die Durchführung der Hauptkörung muß den heutigen Verhältnissen weitgehend Rechnung tragen“ (ANONYM 1943 IV, 209), und die Vergabe von Deckerlaubnissen für Bullen auf Lebenszeit lassen vermuten, dass es kriegsbedingt bereits zu einer Verknappung von Vatertieren, die den Anforderungen des Gesetzes genügen, gekommen ist. Möglicherweise ist hier auch ein Zusammen-hang mit der Einrichtung der Besamungsstation Pinneberg zu sehen (vgl. dazu Kapitel XII 4 - Die Einrichtung der Besamungsstation Pinneberg).

7 Autarkie

Unter dem Eindruck der Folgen des Ersten Weltkrieges, der Nahrungsmittelknappheit in den letzten Kriegs- und den ersten Friedensjahren, sowie der Reparationsforderungen an Deutschland wurde die Schaffung eines in der Lebensmittelversorgung autarken Deutschlands auch im Rahmen der tierärztlichen Tierzucht diskutiert. Im Mittelpunkt stand dabei die Steigerung der Leistung durch Verbesserung der Zucht.

Mit der Machtübertragung auf die Nationalsozialisten wurde versucht, die Autarkie als

„Erzeugungsschlacht“ praktisch umzusetzen. Dabei steht in erster Linie die Steigerung der Leistung durch Zuchtwahl nach den neuesten Erkenntnissen der Genetik im Vor-dergrund. Im Bereich der Schafzucht wurde außerdem eine Steigerung des Viehbe-standes angestrebt. Auch wurde der Fokus nicht nur auf die landwirtschaftlichen Nutztiere und die Geflügelzucht, sondern ebenfalls auf die Kleintierzucht inklusive der Hunde-94 und Katzenhaltung gerichtet (vgl. dazu Kapitel XI 2.2 Auswirkungen der Autarkiebe-strebungen auf die einzelnen Nutztiere). Auffallend ist in den untersuchten Artikeln – nach den scharfen Auseinandersetzungen in der Weimarer Republik – die Beschwö-rung der nationalen Einheit von Landwirten und Tierärzten im Rahmen der Autarkiebe-strebungen. In einer Rede auf dem Jahrhunderttreffen der Naturforscher und Ärzte 1923 in Leipzig betont zum Beispiel Ostertag, dass nur die Geschlossenheit der Stän-de Stän-den WieStän-deraufbau Deutschlands bewältigen könne (OSTERTAG 1924, 1-5 & 13-17), und nach der Machtübertragung heißt es dann entsprechend:

„Tierärzte aller Gruppen stellen sich einmütig hinter die nationale Regierung und betrachten es für eine Ehrenpflicht gegenüber Volk und Vaterland, an der im Rahmen der Staatspolitik unseres Führers Adolf Hitler vorgesehenen Wie-deraufrichtung der deutschen Landwirtschaft mitzuarbeiten“ [Hervorhebung im Original] (KUHLISCH 1933, 385).

Die von den Nationalsozialisten angestrebte Autarkie ist dabei zweifellos als Kriegs-vorbereitung zu sehen. In der illegal im Untergrund vertriebenen Zeitung „Die Interna-tionale” wurde bereits 1934 darauf hingewiesen,

„eine der wichtigsten Zielsetzungen des Nationalsozialismus auf diesem Ge-biete [der Wirtschaftspolitik] ist die Einstellung der Landwirtschaft und

Volks-94 Zur Einstellung der Nationalsozialisten in der Hundehaltung siehe das Kapitel „Hunde im Dritten Reich“

in: WIPPERMANN / BERENTZEN 1999, 74-87.

ernährung auf eine durch Krieg verursachte Blockade” (H.[einrich] R.[euß]

1934, 29).

Dies ist eine Sichtweise, die in der historischen Analyse Bestätigung findet:

„Die nationalsozialistische Autarkiepolitik kam nicht aus einem Geist der Ge-nügsamkeit, sondern war ein Mittel der Kriegsvorbereitung unter Berücksich-tigung der Devisenknappheit“ (RADKAU 2002, 298).

Trotzdem muss mit Heim betont werden, dass die Diskussion um die Autarkiepolitik an sich nicht spezifisch für das Deutsche Reich gewesen ist, was sie mit den folgenden Worten ausdrückt:

„Sie war vielmehr politische Konsequenz, die auch in anderen Ländern aus der Agrarkrise und der Weltwirtschaftskrise der 1920er Jahre gezogen wurde und ihre Entsprechung im Denken in voneinander abgeschlossenen Groß-wirtschaftsräumen hatte. In Deutschland wurde diese Forderung jedoch vor dem Hintergrund der Niederlage im Ersten Weltkrieg und des damit verbun-denen Verlusts der Kolonien mit besonderem Nachdruck vertreten“ (HEIM 2002, 7).

Entsprechend der Fragestellung dieser Arbeit sind wesentliche Teile der Diskussion zum Themenkomplex Autarkie innerhalb der Tiermedizin, unter anderem die Frage der Deckung des Fleisch- und Fettbedarfs, die Diskussion um Futtermittelimporte oder auch die Mitarbeit bei der Schädlingsbekämpfung, außer Acht gelassen worden. Die Kontinuitätslinien innerhalb der Autarkie-Diskussion von der Zeit der Weimarer Repu-blik zum Dritten Reich und die Bedeutung, welche die Schaffung der Autarkie in der Politik der Nationalsozialisten besessen hat, verlangt eine intensiverere Forschungsar-beit. Im Rahmen einer solchen Arbeit kann außerdem untersucht werden, ob mögli-cherweise ein Zusammhang zwischen den gesetzlichen Neuerungen der Tierzucht und der Idee einer Autarkie des Deutschen Reichs sowie der Propaganda des „Volks ohne Raum“ der Nationalsozialisten hergestellt werden könnte.