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2 Technische Hilfsmittel zur Verbesserung der Tierzucht

2.1 Besamungsstation Pinneberg

Die Eröffnung der ersten deutschen Besamungsstation erfolgte auf Initiative Götzes im September 1942 in Pinneberg. Damit wurden die akademischen Erkenntnisse der Künst-lichen Besamung in Deutschland praktisch umgesetzt. Mit diesem Schritt wurde eine heftige Debatte zwischen Goerttler und Götze hervorgerufen, in der auf emotionale Weise die Argumente zwischen Befürwortern und Gegnern der Künstlichen Besamung ausgetauscht wurden. Innerhalb der Diskussion betonte Götze, entgegen seiner

frühe-ren Argumentation, dass die künstliche Besamung nicht die „natürliche Besamung“

ersetzen würde. So schrieb Götze noch 1942: „Eines Tages wird die künstliche Besa-mung unentbehrlich sein“ [im Original fett und zentriert] (GÖTZE 1942, 326), argu-mentierte aber kaum ein halbes Jahr später in der Erwiderung auf Goerttler:

„Die Fiktion einer allgemeinen Einführung der künstlichen Besamung anstatt der natürlichen Paarung stellt sich anscheinend unbewußt ebenso wie die der Massenbesamungen nur in den Köpfen der Gegner ein und bringt sie in den Harnisch. Es kann sich doch in absehbarer Zeit, soweit die Verhältnisse es gestatten werden, lediglich darum handeln, die künstliche Besamung da ein-zusetzen, wo sie nach Ansicht der maßgeblichen Stellen nützlich und ange-bracht erscheint“ [Hervorhebung im Original] (GÖTZE 1943, 49).

Götze sparte in der Diskussion nicht mit polemischen Seitenhieben auf seine Gegner und warf ihnen Rückwärtsgewandtheit und Unwissenschaftlichkeit vor.

Die Eröffnung der Besamungsstation in Pinneberg mitten im Krieg wirft die Frage auf, inwieweit die Künstliche Besamung als kriegswichtig anerkannt wurde, und – falls dem so ist – welche Gründe möglicherweise zu dieser Einschätzung geführt hatten. Beson-ders ist dabei die Tatsache zu beachten, dass das für die Eröffnung der Station und für die Durchführung der Betreuung notwendige Fachpersonal nicht nur einen erheblichen Kostenfaktor darstellte, es mussten hierfür auch Tierärzte und tiermedizinisches Fach-personal vom Fronteinsatz freigestellt werden.

Diese Fragestellung läßt sich an Hand der untersuchten Quellen nicht beantworten.

Nur die wissenschaftliche Untersuchung der Unterlagen der Besamungstation Pinne-berg und die Sichtung des Nachlasses Götze des fraglichen Zeitraums können hier Antwort geben. Eine Sichtung der Unterlagen, die zum Teil im Archiv der Tierärztli-chen Hochschule Hannover aufbewart werden, verlässt den Rahmen dieser Untersu-chung und muss daher Gegenstand einer eigenständigen wissenschaftlichen ForsUntersu-chung sein.

3 Vererbungslehre

Trotz der zunehmenden Kenntnis der Zusammenhänge der Vererbung hielt sich die so genannte Lamarck’sche Evolutionstheorie – die These der Vererbung erworbener Ei-genschaften – noch lange in der tierzüchterischen Diskussion. Bis zum Ende der 1930er Jahre finden sich regelmäßig Artikel, die gegen den Lamarckismus argumentieren. Ins-besondere Hink wandte sich dabei immer wieder gegen den Schweizer Professor

Duerst, der als einer der eifrigsten Verfechter des Lamarckismus angesehen werden kann (HINK 1919, 122; HINK 1924 I, 478-479; HINK 1937 I, 654-659; HINK 1939, 479).

Der wirtschaftliche Aspekt der Leistungsteigerung nimmt innerhalb der Tierzucht eine entscheidende Rolle ein. Daher wurden Wege gesucht, von dem Exterieur und anderen äußeren Merkmalen auf die Wege der Vererbung zu schließen. Diese Methode, der die Tierzucht seit Jahrhunderten gefolgt war, wurde durch die Erkenntnisse der Genetik in Frage gestellt. An Stelle der als Formalismus bezeichneten Zucht nach äußeren Merk-malen trat zunehmend eine Zucht, deren tierzüchterische Selektion mit Hilfe von Er-gebnissen der Leistungsprüfungen und Auswertung von Stammbüchern vorgenom-men wird (vgl. dazu Kapitel VII 1.2 - Diskussion um die Bedeutung der Vererbungs-regeln für die praktische Tierzucht ). Ab den 1930er Jahren kam in der Rinderzucht die Prüfung der Nachkommen als weiteres Kriterium der Zuchtwahl in der Diskussion auf (vgl. dazu Kapitel VIII 2.1.2 - Nachkommen).

Angeregt durch Diskussionen in der Humanmedizin wurde innerhalb der Tierzucht ab Mitte der 1920er Jahre das Thema Konstitution aufgegriffen. Als eine Gegentendenz zur Leistungszucht löste der Begriff Konstitution den Begriff der Bodenständigkeit zunehmend ab. Die Vertreter einer Zucht auf Konstitutionsmerkmale – zu nennen sind hier insbesondere Schäper und Heyn – argumentierten dabei, dass Widerstandsfähig-keit gegen Krankheiten, FruchtbarWiderstandsfähig-keit und Gesundheit ebenso berücksichtigt werden müssten wie die Hochleistung der Tiere, um größere Wirtschaftlichkeit zu erreichen.

Mit der Definition und Erforschung von Konstitutionskrankheiten, die heute als Faktoren-krankheiten bezeichnet werden, fand eine weitere Diskussion innerhalb der Konstitutionslehre statt. Eine führende Rolle übernahm dabei ab Mitte der 1930er Jahre Schäper (vgl. dazu Kapitel IX 2 - Konstitutionskrankheiten).

Versuche, mit denen von körperlichen Merkmalen auf die Konstitution geschlossen werden soll, erfüllten die Erwartungen nur begrenzt. Vor allem die von Duerst Mitte der 1920er Jahre entwickelten Methoden, von Konstitutionstypen auf Merkmale der Vererbung von Leistungsmerkmalen zu schließen, namentlich das „Goniometer“92,

92 Ein Gerät, mit dem der Winkel zwischen dem Rippenbogen und der Rückenlinie gemessen werden kann.

zeigten in verschiedenen Versuchen, vor allem durch Kronacher, dass sie nur zur Einteilung in die verschiedenen Konstitutionsgruppen „Verdauungstyp“ oder „Atmungs-typ“ geeignet sind. Die breite Erwähnung der Duerst’schen Versuche durch Comberg (COMBERG 1984, 123-124) verwundert daher ins besondere.

Hervorgehoben werden muss die Berichterstattung über die Tuberkulose als Konstitutionskrankheit. In der Diskussion wurde die Möglichkeit, dass es apathogene Stämme der Tuberkulose geben könne, von den Konstitutionsforschern – zu nennen sind insbesondere Ruppert (1935, 209-211), aber auch Hansen und Schäper (HEYN 1942, 143) – verneint und Forschungsergebnisse, die darauf deuteten, wurden igno-riert. Daher wurde davon ausgegangen, dass einige Rinderzuchten aufgrund ihrer Kon-stitution tuberkuloseresistent seien. Ähnlich wurde bei Krankheiten argumentiert, von denen heute bekannt ist, dass sie virusinduziert sind – so zum Beispiel Rotlauf, Maul-und Klauenseuche sowie Staupe. Aber auch bei der Traberkrankheit (Scrapie) wurde von einer konstitutionsbedingten Resistenz einzelner Tierarten oder Bestände ausge-gangen (HINK 1924 I, 478-480).

Erst nachdem Erbkrankheiten Mitte der 1920er Jahre als Krankheiten, die durch Verän-derung in der Erbsubstanz hervorgerufen werden (für das Pferd zum Beispiel Disposi-tion zur periodischen Augenentzündung oder Herzfehler), von den Krankheiten der neugeborenen Jungtiere, die durch Infektionen oder durch Mangelernährung des Mut-tertieres ausgelöst werden (z um Beispiel Rachitis oder „Kümmern“), unterschieden worden waren, konnte über Konsequenzen für die Zucht diskutiert werden. Wie bei der Diskussion um die Konstitutionskrankheiten entbrannte ein Disput um die Frage, inwieweit Tiere bei bestimmten Krankheiten von der Zucht ausgeschlossen werden sollen oder hygienische Prophylaxe in der Haltung betrieben werden soll.

Durch die Schaffung der Zentralstelle für Erbfehlerforschung 1936 an der Tierärztli-chen Hochschule Hannover unter der Leitung von Butz wurde der Versuch unternom-men, die Forschung auf diesem Gebiet zu bündeln. Die Zentralstelle übernahm dabei die Aufgabe einer Anlaufstelle, bei der Tierärzte tatsächliche und vermutete Erfehler melden sollten. Damit konnte vor allem die empirische Grundlage für die Erforschung und Definition von Erbfehlern vergrößert werden.