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Diskussion um die Bedeutung der Vererbungsregeln für die praktische Tierzucht

1 Entwicklungen durch die Kenntnisse der Vererbungsregeln

1.2 Diskussion um die Bedeutung der Vererbungsregeln für die praktische Tierzucht

Für die veterinärmedizinische Tierzucht, und damit für die Forschungen in der Verer-bungslehre, sind in erster Linie wirtschaftliche Aspekte ausschlaggebend. Daher hat die Untersuchung, inwiefern es möglich ist, die Erbgänge der wirtschaftlich interessan-ten Leistungsmerkmale bestimmen zu können und diese für die praktische Tierzucht nutzbar zu machen, eine besondere Bedeutung. Neben den Untersuchungen und Ver-suchen, die an Hand von Nachzuchtprüfungen und Zuchtbuchuntersuchungen (vgl.dazu auch VIII – Stammbuchzucht & Leistungsprüfungen) stattfinden, existieren noch an-dere Felder, in denen Antworten gesucht werden.

Bereits 1921 wird von den Pferdezüchtern Sachsens diskutiert, dass das Gewicht der Zuchtwahl zu häufig auf die Form statt auf die Leistung gelegt wurde, und die Forde-rung aufgestellt, Stammbücher zu schaffen (S.M. 1921, 662-663). Hadjidimitroff sieht in der Ergänzung der äußeren Beurteilung durch die mittelbare Leistungskontrolle die größte Garantie für den Erfolg der Tierzucht. Für ihn stehen sich mit Form und Leis-tung als Schwerpunkte Formalisten und Genetiker gegenüber (HADJIDIMITROFF 1934, 70).

Butz stellt in seinen Vortrag „Erbbiologie und Rassenforschung“ auf der 93. Versamm-lung der Naturforscher und Ärzte 1934 in Hannover die These auf:

„[...] in der Tierzucht bildet die einfache Leistungszucht, ohne übertriebenen Formalismus das richtige Verfahren, wobei Empirie sich nie ganz umgehen läßt, und die Konstitution die Grundlage aller Zuchterfolge darstellt“

(SCHMIDT 1934, 760).

Von Seiten der Erbfehlerforschung wird weiterhin darauf hingewiesen, dass ein günsti-ges „Erscheinungsbild“ nicht mit einem günstigen „Erbbild“ identisch und somit die Bewertung der Nachkommen wichtiger sei als die des „Erscheinungsbildes“ (HEYN 1937 I, 8). Dennoch wird für nicht geprüfte oder nicht prüfbare Leistungen weiterhin nur in der Formbeurteilung eine Möglichkeit gesehen, diese für die Zucht nutzbar zu machen (SCHMIDT 1940 I, 130).

Laut Zorn lassen sich an Hand der Ausbildung von Haut und Haaren Art-, Rasse- und Zuchteigenschaften bei Haustieren erkennen (SONNENBRODT 1920, 280-281),

wäh-rend Rosenberg zu keinem eindeutigen Ergebnis kommt. In der Schlussbetrachtung seiner Dissertation über das Rinderhaar als Rassemerkmal heißt es, er könne nicht sagen, dass

„durch meine Untersuchungen ein abschließendes Ergebnis erzielt worden ist, um ohne weiteres die einzelnen Rinderrassen auf Grund der histologi-schen Forschungsmethode zu unterscheiden und um die verwandtschaftlichen Beziehungen zueinander herzustellen zu können [...]“ (ROSENBERG 1924, 535).

Er geht aber davon aus, dass es durch weitere Forschung insbesondere mit serologi-schen Untersuchungen durchaus möglich sein könnte,

„[...] in die Abstammungs- und Vererbungslehre vollständige Klarheit zu brin-gen und manchen Punkt der Konstitutions- und Beurteilungslehre zu klären“

(ebd.).

Identisches wird von Cussel über eine Untersuchung berichtet (CUSSEL 1924, 568-569). In dem Referat zu einem Artikel von Munckel wird über die Untersuchung der Farben und Abzeichen der Pferde als Ergebnis genannt, dass die Verwandtschaft an Hand der Merkmale festgestellt werden könne, nicht aber Aussagen über Leistungen getroffen werden könnten (HINK 1930 IV, 815-816).

Für eine weniger strenge Beurteilung von Formfehlern spricht sich die Frühjahrs-versammlung der Tierzuchtinspektoren der Deutschen Gesellschaft für Züchtungskunde vom 28. Februar 1921 aus. Sie fordert, dass allein der Rassetyp und die Leistung für eine wirtschaftliche Zucht entscheidend sein dürften. Die von der Versammlung ange-sprochenen Farbfehler hätten allenfalls in der Sport- und Liebhaberzucht Berechtigung als Kriterium für die Zucht (SO.[NNENBRODT] 1921 I, 169).

Versuche, ob über die Körperform von Hühnern auf die Legeleistung geschlossen wer-den kann, werwer-den mit dem Ergebnis durchgeführt, dass die Körperform zwar einen Einfluss habe, aber nicht die entscheidende Rolle für die Legeleistung spiele (HINK 1924 II, 506-507).33

Zu einem äquivalenten Ergebnis kommen die Untersuchungen, inwieweit Körper-merkmale des Rindes mit der Milchleistung korrelieren. Wörtlich heißt es: „[...] es

33 Ein Umstand, der Hink insofern freut, als hier nach Methoden zur Korrelation zwischen Körpermerkmalen und Leistung seines „Intimfeindes“ Duerst vorgegangen wurde.

bestehen starke individuelle Schwankungen“ und „ein unbedingt sicheres Urteil über Milchleistungen lässt sich aufgrund der Körpereigentümlichkeiten nicht ermitteln“ (A.

1926 I, 381).

Wenig überraschend sind auch die Ergebnisse einer Untersuchung von Nacke, nach denen der Duerst’sche Vertikal- und Gesichtskrümmungsindex34 mit Leistungsmerk-malen in Verbindung gebracht werden kann. Die Untersuchung kommt zu dem Ergeb-nis, dass innerhalb einer Rasse oder eines Schlages ebenso wenig signifikante Diffe-renzen zu erkennen sind, wie zwischen den Geschlechtern. Dagegen bestehen zwi-schen verschiedenen Rassen und Schlägen große Unterschiede (A. 1927, 277).

Kronacher et al. untersuchen bei Rindern den Zusammenhang zwischen dem Duerst’schen Rippenwinkel und der Milchleistung und kommen zu dem Ergebnis, dass kein messbarer Zusammenhang zu erkennen ist (HINK 1928, 875). Trotzdem wird weiterhin erforscht, inwieweit sich aus den mit dem Duerst’schen „Goniometer“35 durchgeführten Messungen, Beziehungen zu Leistungsmerkmalen herleiten lassen (VAIDA 1936, 509).

Von Zorn et al. wird berichtet, dass sie beim Rind einen Zusammenhang zwischen Bluttrockensubstanz und Alkaligehalt einerseits und Leistung und Konstitution ande-rerseits gefunden haben wollen. In dem Referat wird jedoch nicht deutlich, wie die angesprochenen Wechselbeziehungen aussehen (HINK 1929, 29). Ein entgegengesetztes Ergebnis wird bei der Untersuchung von Merkmalen wie Blutzusammensetzung oder Haarpigmenten erzielt, die nach Duerst Merkmale für Leistung oder Konstitution sein sollen. Kronacher et al. kommen zu dem Ergebnis, dass keinerlei verwertbarer Zusam-menhang zu erkennen ist (HINK 1930 III, 347).36

Gegen die Benutzung des Begriffs „Blut“ für die Erbanlagen wehrt sich Arcularius. Er sieht darin einen missverständlichen Begriff, der die beliebige Mischbarkeit von Erb-anlagen suggeriere. Er plädiert dafür, das moderne Wissen über Chromosomen und

34 Zwei von Duerst entwickelte Methoden zur Vermessung des Schädels.

35 Ein Gerät zur Rippenwinkelmessung, das zur Bestimmung und Einteilung des Rindes in Konstitutions-typen dienen soll.

36 Hink kommentiert dies mit dem fast schon hämisch zu nennenden Satz: „Nachdem Duerst-Bern und seine Schule aus gewissen körperlichen Merkmalen, Blutbeschaffenheit usw. voreilig sicher Schlüsse ziehen zu können glauben [...]“ [Hervorhebung im Original] (HINK 1930 III, 347)

Gene als Träger der Erbinformationen zu verwenden (ME. 1930, 460).

Die Bedeutung der Geschlechts-Chromosomen wird von Henking et al. erforscht. In einem 1923 erschienenen Artikel stellt Hink die Bedeutung der X- und Y-Chromoso-men sowohl für Säugetiere als auch für Vögel dar. Dass das Geschlecht willkürlich beeinflusst werden könnte, wird von dem Referenten Hink dagegen kritisch gesehen (HINK 1923, 138). Für Ziegen wird von Otto Lang die Ansicht vertreten, dass der Zeitpunkt zwischen Bedeckung und Brunftsymptomen die Geschlechtsbildung beein-flusse (A. 1923, 166), während für das Rind ein „antimaskulines“ Gen vermutet wird, welches die Geschlechtsverteilung zugunsten der weiblichen Tiere verschieben soll (ANDREESEN 1941, 77). Schäper führt an, dass er bei Versuchen mit Natrium-bikarbonat-Scheidenspülungen bei Mäusen eine signifikante Verschiebung des Ge-schlechts erreicht habe. Dabei stützt er sich auf Bluhm und Unterberger, die ähnliche Ergebnisse in anderen Versuchsreihen erzielt haben wollen (HEYN 1938 I, 189). Dem gegenüber kann Brüggemann bei seiner Untersuchung die Ergebnisse Schäpers sowie die Ergebnisse Unterbergers beim Schwein nicht bestätigen (HEYN 1939, 315).

Der Zusammenhang von Tierzucht, Fütterung und Haltung wird von Stockklausner herausgestellt. Er verweist darauf, dass Hochleistungstiere besondere Anforderungen an ihre Umwelt vor allem in der Fütterung und der Haltung stellen, die allerdings häufig hinter den Zuchterfolgen zurückstehen. Eine Rückkehr zu weniger leistungsstarken, aber robusteren Tieren sieht er als unmöglich an, da dies aus wirtschaftlichen Gründen nicht mehr tragbar sei (STOCKKLAUSNER 1928, 653-655).

Durch Wriedt wird die These aufgestellt, die wirtschaftlich motivierte Zucht der soge-nannten Doppellender beim Rind sei eine Zucht auf Missbildung, die auf Grund der Schwergeburten und der häufig mangelhaft ausgebildeten Geschlechtsorgane nach Ansicht des Referenten zu merzen sei (HINK 1930, 45).

Für Wille steht fest, dass ein Allround-Rind im wörtlichen Sinne ein züchterischer Unsinn ist. Er fordert eine Zucht, die sich auf die Nutzungstypen - Milch- oder Fleisch-leistung - konzentrieren solle (ANONYM 1938, 105-106). Das Ziel, Gesundheit, Lei-stung und Form zu verbinden, soll für Schäper durch die enge Zusammenarbeit von Tierarzt und Tierzüchter erreicht werden (HEYN 1939 I, 362). Krisch fasst es mit den

Worten Peters zusammen:

„Die ersten 25 Jahre der Züchtung unserer Rinderrassen haben vorwiegend der Verbesserung der Körperform, die letzten 25 Jahre der Steigerung der Leistungen gegolten. Die nächsten 50 Jahre werden einer weiteren Steigerung der Konstitution zu widmen sein“ (KOTHE 1941, 45).