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4.   Zusammenfassung, Diskussion und Schlussfolgerungen

4.2 Diskussion der Ergebnisse

Der gesellschaftliche Wandel hat in den letzten 50 Jahren zu großen Veränderungen des Frauenbildes, der Mutter- und Elternschaft, des Begriffes der Familie und der Kindheit (VII.Familienbericht 2006, Bertram 2010) geführt. Im Rahmen der

Globalisierung hat gleichzeitig die Schnelllebigkeit und Auflösung zentraler sozialer Sicherheiten zugenommen. Folgt man der Gesundheitsberichterstattung des Bundes (Robert-Koch- Institut 2006), so ergibt sich aus diesen gesellschaftlichen Veränderungen eine „Neue Morbidität“, die mit einem starken Anstieg früh

einsetzender psychischer Störungen und verhaltensbasierter chronischer Erkrankungen einhergeht, von denen vor allem Frauen und auch Kinder, insbesondere (alleinerziehende) Mütter betroffen sind. Familienmedizinische Angebote, die den damit verbundenen neuen Bedürfnissen gerecht werden, sind aber rar und noch nicht ausreichend in die Gesundheitsversorgung integriert (Collatz 2010). Mütter haben trotz neuer gesetzlicher Regelungen einen erschwerten Zugang zu rehabilitativen Maßnahmen. Eine der wenigen, hoch effektiven

familienmedizinischen Angebote sind Mutter-Kind-Maßnahmen, die aber noch um die Anerkennung ihrer spezifischen Qualitäten und eine ausreichende Finanzierung in der Rehabilitationskommune, sowohl bei den Krankenkassen als auch

Rentenversicherungen ringen ( Sperlich, Collatz, Arnhold-Kerri 2002, Collatz,Barre, Arnhold-Kerri 2005). Unter diesem Gesichtspunkt hatte die Entwicklung eines familienmedizinisch orientierten Qualitätssicherungsprogramms im

Forschungsverbundes der Medizinischen Hochschule Hannover und die Evaluation der Qualitäten der Mutter-Kind-Maßnahmen eine besondere Bedeutung ( Sperlich, Collatz 2006).

Die im Rahmen dieser Dissertation vorgestellten Daten zeigen, dass die externe Qualitätssicherung in Mutter-Kind-Einrichtungen einen bemerkenswerten Stand erreicht hat und eine Verknüpfung mütterlicher und kindlicher Entwicklungszustände ermöglicht. Die Ergebnisse zeigen, dass diese familienbezogenen Analysen

weiterführend sind und bezüglich der interkurrenten Erkrankungen die Zuordnung von Erkrankungshintergründen ermöglichen.

Da die Ergebnisse belegen, dass interkurrente Erkrankungen sowohl bei Müttern als auch bei Kindern häufig auftreten, sollten die Dokumentationen in

Mutter-Kind-Kliniken interkurrente Erkrankungen zukünftig generell erfassen. Bei externen Vergleichsuntersuchungen sollten interkurrente Erkrankungen als Confounder Beachtung finden. Eine Vertiefung der Analysen wäre allerdings nur mit einer spezifisch erweiterten Dokumentation möglich, die den Zeitrahmen, Diagnosen und Behandlungen sowie Auswirkungen auf Mütter und Kinder genauer wiedergeben.

Darüber hinaus sollten sie praktischerweise auch eine Einschätzung des Bewältigungsaufwandes und der Kosten interkurrenter Erkrankungsprozesse ermöglichen.

In der bisher vorliegenden Rehabilitationsliteratur haben sich Forschungsergebnisse unter dem Konzept „psychischer Komorbidität bei somatischen Erkrankungen“

verdichtet (Faller 2005, Härter, Baumeister 2005, Baumeister, Härter 2005), die besonders auf die Bedeutung der chronischen Erschöpfung für Frauen im

Rehabilitationsprozess hinweisen (Gutenbrunner et al.2005, 2010). Danach wirken chronische Belastungszustände, Erschöpfung sowie psychische Probleme nachhaltig in die rehabilitative und medizinische Behandlung ein und mindern unbehandelt die Effekte. Von diesen Erkenntnissen und den Publikationen zum mütterlichen

Leitsyndrom (Collatz, Fischer, Thies-Zajonc 1994, Collatz 2011) ausgehend, lag die Annahme nahe, dass die mütterlichen interkurrenten Erkrankungen hauptsächlich auf Erschöpfung und anamnestisch erklärbaren Belastungen basieren.

Die empirischen Ergebnisse widerlegen diese Annahme. Dies mag daran liegen, dass die Mutter-Kind-Maßnahmen im Gegensatz zu anderen Rehabilitationsmaßnahmen auf die Behandlung von Stress-, Erschöpfungssituationen und psychischen Problemen der Mütter ausgerichtet sind und daher solche Probleme im Rahmen der rehabilitativen Behandlungen aufgefangen werden und nicht zu interkurrenten Erkrankungen führen.

Somit ist die Kernfrage dieser Untersuchung so zu beantworten: Anzahl und Auswirkungen interkurrenter Erkrankungen im Rahmen der Mutter-Kind-Maßnahmen werden durch die durch Hospitalisierung forcierten Ausbreitungen von Infektionen der Kinder dominiert. Die empirischen Ergebnisse bieten Hinweise auf Risikokonstellationen von Müttern und Kindern und auf Anforderungen von Struktur- und Prozessqualitäten der Einrichtungen, die bei der Indikation und Auswahl der Einrichtungen sowie der jahreszeitlichen und klimatischen Zuweisungen bedacht werden sollten.

Besondere Aufmerksamkeit muss den Kleinstkindern (unter drei Jahren) und ihren Müttern gewidmet werden. Von den Kleinstkindern erkranken rund 64% interkurrent gefolgt von den 3-6jährigen Kindern mit rund 48%. Entsprechend überhöht sind auch die interkurrenten Erkrankungen der Mütter dieser Kinder, deren Möglichkeiten und Motivation zur Mitarbeit an den rehabilitativen Maßnahmen tangiert wird. Die Daten zeigen, dass tangierte Mütter weniger an den Angeboten partizipieren können und ihre Zufriedenheit abnimmt. Der durch die Erkrankungen entstehende Aufwand, um die Maßnahmen dennoch erfolgreich abschließen zu können, ist für die

Einrichtungen und die Mütter erheblich. Entsprechend der aufgezeigten Problemlage sollten prophylaktische und therapeutische Voraussetzungen zur Verhinderung und zur Eindämmung interkurrenter Erkrankungen und ihrer Auswirkungen auf die Qualität der Maßnahmen in den Qualitätssicherungsprogrammen verankert werden.

Zur Verhinderung interkurrenter Erkrankungen wäre es am wirksamsten, die Mütter einfühlsam zu den Erkrankungsrisiken von Kindern mit nicht ausgereiften Immunfunktionen unter bestimmten jahreszeitlichen, klimatischen und Gruppenbedingungen (bei Antigenunerfahrenheit des Kindes) zu beraten und eine optimale Indikation und Wahl einer Maßnahme in einer adäquaten Einrichtung anzubahnen. Die Einrichtungen könnten durch Schärfung ihrer Indikationsprofile wesentlich zum Gelingen solcher Optimierung beitragen. Die Schärfung der Indikationsprofile könnte auch durch eine Obergrenze der Aufnahmen von Kleinkindern in bestimmten Jahreszeiten erfolgen. Zudem könnten die Einrichtungen bei den Aufnahmeverhandlungen durch umfassendere Anamnesen (z.B. zur Gruppenerfahrung und zur Infektanfälligkeit des Kindes) optimalere Bedingungen für die Zusammensetzung eines Kurdurchgangs schaffen.

Zur Eindämmung interkurrenter Erkrankungen sollten neben der Einhaltung der

„gesetzlichen Bestimmungen und Empfehlungen zur Verhütung und Bekämpfung übertragbarer Krankheiten“ (DGPI 2009, S. 57ff.) in den Qualitätssicherungsprogrammen Infektions- und Hygiene- Kontrollprogramme sowie Schulungen der Mitarbeiterinnen verankert werden. Vom Hygieneverhalten der Mütter, Kinder, vor allem auch der Mitarbeiter (innen) der Einrichtungen hängt es ab, ob es zur Weiterverbreitung von Erregern kommt. Risikobereiche sind besonders die Badeanstalten, die Essräume und die Gesamtheit der Nahrungszubereitung. Bei Auftreten infektiöser Erkrankungen sollten ausreichende Quarantänemöglichkeiten zur Verfügung stehen und sofort umgesetzt werden.

Die vorliegenden Daten zeigen aber auch, dass langfristig interkurrent erkrankte Kinder und auch die Mütter gesundheitlich von den Maßnahmen, den reizklimatischen Bedingungen und der dadurch erreichten Immunreifung profitieren und ihre Infektanfälligkeit nachhaltig rückläufig ist. Auch diese Ergebnisse sollten bei einer Verschärfung der Indikationen für Risikogruppen überdacht werden.

4.5. Schlussfolgerungen

Wenn auch der vorliegende Untersuchungsansatz methodische Schwächen nicht vermeiden konnte und deshalb die Ergebnisse vorsichtig interpretiert werden sollten, so können sie doch erste Erkenntnisse vermitteln und der Praxis einige Schlussfolgerungen zur Diskussion stellen:

 Interkurrente Erkrankungen tangieren in Mutter-Kind-Einrichtungen so häufig die präventiven und rehabilitativen Maßnahmen, dass Voraussetzungen gegeben sein müssen, sie einzudämmen und zu beherrschen. In reinen Mutter-Einrichtungen sind diese Probleme weniger relevant.

 Die Ergebnisse zeigen, dass es sinnvoll wäre, die Mütter, vor allem Mütter mit Begleitkindern unter drei Jahren, vorab über das erhebliche interkurrente Erkrankungsrisiko der Kinder und der Mütter zu informieren. Die Wirkungen dieser Informationen sollten evaluiert und qualitätsgesichert werden. Sie könnten die Zufriedenheit der betroffenen Mütter und letztlich die Wirksamkeit der Maßnahmen deutlich positiv beeinflussen.

 Sowohl Strukturqualitäten als auch Prozessqualitäten sollten qualitative Voraussetzungen zur Beherrschung interkurrenter Erkrankungen beinhalten.

Bei den Strukturqualitäten sind vor allem medizinische Vorbeugung und Versorgungsqualitäten, aber auch räumliche Möglichkeiten für eine Isolierung und Quarantäne infektiöser Familien zu sichern. Die Prozessqualitäten sollten Informationen, Prophylaxe und die Kompensation interkurrenter Erkrankungen sowohl bei Müttern als auch ihren Kindern umfassen. Die kompensatorischen Leistungen sollten darauf zielen, Müttern und Kindern, auch nach interkurrenter Erkrankung, eine weitere Teilnahme an den Angeboten zu sichern.

 Die erkennbaren Risikoprofile betreffen vor allem Mütter mit Begleitkindern unter drei Jahren und vorbelastete Familien mit medizinischen und sozialen Risiken. Bei solchen Familien sind die Indikationen für eine präventive oder rehabilitative Mutter-Kind-Maßnahme besonders sorgfältig zu prüfen und qualitativ sowie klimatisch geeignete Einrichtungen mit entsprechenden Angeboten indiziert.

 Letztlich sind die Dokumentationen interkurrenter Erkrankungen zu verbessern und interkurrente Erkrankungen generell standardisiert zu dokumentieren.

Sowohl interne als auch externe Qualitätssicherungskonzepte sollten interkurrente Erkrankungen erfassen und bei externen Vergleichen als Confounder auswerten, da ihre intervenierenden Wirkungen anhand der vorliegenden Ergebnisse deutlich hervortraten.