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Dimensionen von Bildungssystemen und die Kopplung zwischen Bildungs- und Beschäftigungssystem

Im Dokument Bildungssysteme und soziale Ungleichheit (Seite 138-154)

Bildungssysteme und die Strukturierung sozialer Ungleichheit

4.2 Dimensionen von Bildungssystemen und die Kopplung zwischen Bildungs- und Beschäftigungssystem

Die zitierten Studien geben einige Hinweise darauf, daß die Struktur von Bildungssystemen die Muster intragenerationaler Mobilität nachhaltig beeinflussen, was auf die Implementierung unterschiedlicher Allokations- und Verteilungsprinzipien hindeutet. Die dieser Prinzipien aber prägen - so die These - individuelle Interessen und Handlungsstrategien. Also ist es durchaus zu erwarten, daß Bildungssysteme sich auch hinsichtlich der Strukturierung kollektiven Handelns bemerkbar machen.

Im Folgenden Abschnitt wird in vier Schritten versucht, Hypothesen zu entwickeln, die die bisher vorgetragenen Argumente systematisch zusammenfassen.

(i) Die Funktion von Bildungstiteln im Allokationsprozeß ist für die zu entwickelnden Hypothesen zentral. Verteilungs- und Allokationsmechanismen, die auf der Makroebene Gesellschaften charakterisieren, verwenden Bildungstitel als Allokations- und Verteilungskriterien. Auf der Mikroebene heißt das, daß das Individuenmerkmal Bildung eine bestimmte Bedeutung für die individuelle soziale Lage, für Interessen und Handlungsalternativen erhält. Welche Funktion Bildungstitel aber im Ungleichheitsprozeß haben, wird von den Eigenschaften der Bildungstitel festgelegt, die in einem ersten Schritt betrachtet werden.

(ii) Die Eigenschaften der Bildungstitel hängen wiederum von Charakteristiken der Bildungs-systeme ab. Im zweiten Abschnitt wird deshalb versucht, eine möglichst umfassende Typologie von Bildungssystemen zu entwickeln und den Einfluß der verschiedenen Dimensionen, mit deren

Hilfe sich Bildungssysteme beschreiben lassen, auf die Eigenschaften der Bildungstitel auf-zuzeigen.

(iii) Bildungstitel charakterisieren die Angebotsseite des Matching-Prozesses auf dem Arbeitsmarkt, in dem sich Allokation und Verteilung abspielen. Doch auch die Nachfrageseite prägt die

Implementierung spezifischer Allokations- und Verteilungsprinzipien entscheidend. Im dritten Abschnitt wird dargelegt, wie Arbeitsmarktstrukturen auf die Eigenschaften der Bildungstitel reagieren.

(iv) Schließlich werden zunächst sehr allgemeine Hypothesen darüber aufgestellt, wie Bildungs-systeme die Muster intragenerationaler Mobilität prägen und sich auf die Strukturierung sozialen Handelns auswirken.38

4.2.1 Eigenschaften von Bildungstiteln

Die Unterschiede in den intragenerationalen Mobilitätsmustern, die durch die genannten Studien aufgezeigt werden konnten, zeigen, daß die Funktionsweise von Bildungstiteln als Qualifikations-signal einerseits, als Ausschließungsmerkmal andererseits zwischen Gesellschaften und über die Zeit hinweg variieren. Offensichtlich wird diese Variation von der Struktur der Bildungssysteme beeinflußt. Die nächsten beiden Abschnitte versuchen, den Einfluß von Bildungssystemen auf die Funktionsweise von Bildungstitel etwas näher zu beleuchtet. Damit Bildungstitel als Qualifika-tionssignale beziehungsweise als Ausschließungsmerkmale fungieren können, müssen sie gewisse Eigenschaften aufweisen, die im Folgenden näher beschrieben werden. Im nächsten Abschnitt wird die Struktur von Bildungssystemen und deren Einfluß auf die Eigenschaften der Bildungstitel näher betrachtet.

Bildungstitel als Qualifikationssignale

Wie wir sahen, wird die Qualifizierungsfunktion von Bildungssystemen von einigen Theorien sozialer Ungleichheit, wie der funktionalistischen Schichtungstheorie oder des Statusattainment-Ansatzes, hervorgehoben. Im Bereich der Arbeitsmarktforschung sind es vor allem die neoklassi-schen Ansätze wie die Humankapitaltheorie, aber auch die "Screening"- Ansätze, die den Qualifizierungsaspekt von Bildungssystemen betonen.

Aus der Sicht dieser Theorien sind Bildungsabschlüsse deshalb für die Besetzung von beruflichen Positionen wichtig, weil sie für funktional wichtige berufliche Tätigkeiten erforderliche Qualifika-tionen signalisieren. Die Brauchbarkeit von Bildungstiteln als Signale für Qualifikation basiert aber auf bestimmten Eigenschaften der Bildungszertifikate. Bildungstitel sind umso besser als

Qualifikationssignale interpretierbar, je eindeutiger Bildungstitel mit bestimmten Lerninhalten verknüpft sind, je spezifischer die Lerninhalte sind und je selektiver das Bildungssystem ist.39

38 Eine Spezifizierung dieser Hypothesen erfolgt nach der Darstellung der Bildungssysteme der im empirischen Teil untersuchten Länder, die im Kapitel 5 erfolgt.

39 Vgl. auch Lieb (1986:105-109), der neben den hier genannten Aspekten auch die

Brauchbarbarkeit von Bildungstiteln als Signale für die Akzeptanz von bestimmten Werten und Normen betont.

• Die Verbindung zwischen bestimmten Bildungstiteln und bestimmten Qualifikationen muß eindeutig sein. Das ist dann der Fall, wenn ein bestimmter Bildungstitel nur durch den Nachweis klar definierter Fertigkeiten erreicht werden kann. Der Zusammenhang zwischen Bildungstitel und beruflicher Qualifikation wird uneindeutig, wenn der gleiche Bildungstitel auf sehr unterschiedlichen Wegen, das heißt durch den Nachweis sehr unterschiedlicher Fertigkeiten vergeben wird. In diesem Falle ist es für den Arbeitgeber nicht mehr klar, über welche Fertigkeiten ein Titelträger verfügt, was den Wert dieses Titels als "Screening-Merkmal" schmälert.

• Bildungstitel können umso besser als Qualifikationssignale eingesetzt werden, je spezifischer sie sind. Bildungstitel können sehr allgemeine Fertigkeiten, wie schreiben, lesen, rechnen nachweisen, oder aber auf ganz bestimmte Berufe zugeschnitten sein -als bestes Beispiel dient hier der Gesellenbrief. Ein solches Zertifikat indiziert, daß der Titelträger mit hoher Wahrscheinlichkeit über alle für einen bestimmten Beruf relevanten Fertigkeiten verfügt.

• Bildungssysteme haben auch die Aufgabe, Schüler nach ihren individuellen Fähigkeiten -Talent einerseits, Leistungsbereitschaft andererseits - zu selektieren. Wenn Bildungstitel nur an besonders befähigte Kandidaten vergeben werden, die nachweisen können, daß sie die erforderlichen Fertigkeiten in hohem Maße beherrschen, können diese Titel besonders gut als Screening-Merkmale eingesetzt werden. Die Güte von Bildungstiteln als Indikator für beruflich relevante Qualifikationen geht einher mit der Selektivität der Bildungstitel.

Bildungstitel als Schließungskriterien

Die Theorien des "Reproduktionsansatzes" betonen die Machtfunktion von Bildungstiteln:

Bildungstitel sind hier nicht in erster Linie als Qualifikationsindikatoren, sondern Mittel der sozialen Schließung. Bildungstitel können aber nur dann als Ausschließungskriterien fungieren, wenn sie in irgendeiner Weise als Zugangsvoraussetzungen zu bestimmten Berufen institutionalisiert werden.

Am wirksamsten ist die Institutionalisierung in Form einer gesetzlichen Verankerung der Zugangsvoraussetzungen, wie es etwa bei Medizinern oder Juristen der Fall ist. Aber auch berufsständische Organisationen oder Gewerkschaften können unter Umständen einen

weitreichenden Einfluß auf die Festschreibung von Bildungstiteln als Eingangsvoraussetzungen für Berufe oder für Jobs in einer Firma nehmen. Für die Institutionalisierung von Bildungszertifikaten als Zulassungsvorausetzungen zu bestimmten Berufen sind vor allem zwei Eigenschaften wichtig.

• Bildungstitel müssen als Eingangskriterium eligibel sein. Der Begriff "Eligibilität" zielt darauf ab, daß die Institutionalisierung von Bildungstiteln als Ausschließungskriterium der Legitimation bedarf - die dadurch hergestellt wird, daß der Zusammenhang zwischen Bildungstiteln und beruflicher Qualifikation behauptet wird. Insofern ist auch für die Implementierung von Bildungstiteln als Ausschließungskriterien die Verbindung zwischen Bildungstiteln und beruflicher Qualifikation wichtig - auch wenn weniger der tatsächliche Zusammenhang interessiert als der Glaube daran. Prinzipiell gilt hier aber das gleiche wie für die Funktionsweise von Bildungstiteln als Qualifikationsmerkmal: Bildungstitel können umso leichter als Ausschließungskriterien implementiert werden und sind umso eligibler, je eindeutiger, spezifischer und selektiver sie sind.

Bildungstitel können umso besser als Ausschließungskriterium dienen, je exklusiver sie sind. Der Aspekt der "Exklusivität" bezieht sich stärker auf die Logik der Exklusion: Das Ziel der Ausschließung anderer besteht ja gerade darin, durch künstliche Verknappung des Arbeitsangebots die Einkommen möglichst hoch zu halten. Institutionalisierte Bildungstitel sind als Ausschließungskriterien umso wirkungsvoller, je seltener sie

vergeben werden: Nur wenige Kandidaten stehen dann für die Besetzung begehrter Jobs zur Verfügung, was deren Verhandlungsspielraum bezüglich der Einkommen deutlich erhöht.40

40 Die Exklusivität von Bildungstiteln korrespondiert in hohem Maße zu ihrer Selektivität: Je

Die Parallelität von Qualifikationsfunktion und Schließungsfunktion

Die beiden Funktionen von Bildungstitel Qualifikationssignal und Ausschließungskriterium -wurden bislang immer gegenübergestellt, weil sie sich auf den ersten Blick zu widersprechen scheinen. Theorien der Ungleichheit betonen meist nur eine der beiden Funktionen und kommen, je nachdem welche sie in den Vordergrund stellen, zu konträren Auffassungen über die Struktur der Ungleichheit und ihre Folgen für individuelles soziales Handeln. Der Blick auf die Eigen-schaften von Bildungstiteln sollte jedoch deutlich gemacht haben, daß sich beide Funktionen nicht nur nicht widersprechen, sondern geradezu aufeinander aufbauen. Genau genommen hängt die Schließungsfunktion von Bildungstiteln in hohem Maße von ihrer Qualifikationsfunktion ab.

Qualifikationsaspekt und Schließungsaspekt von Bildungstitel scheinen sogar völlig zusammen-zufallen: Die Möglichkeit, Bildungstitel als Ausschließungskriterium zu implementieren, hängt weitgehend von ihrer Güte als Bildungstitel ab - je eher Bildungstitel als Indikatoren für berufs-relevante Qualifikationen betrachtet werden können, desto eher kann auch ihre Institutionalisierung als Ausschließungskriterien legitimiert werden. Aus diesem Grunde werden diese beiden Aspekte in vielen der genannten Studien vermutlich nicht explizit unterschieden. Und doch ist meines Erachtens diese Unterscheidung aus zwei Gründen wichtig:

(i) Die beiden Aspekte von Bildungstiteln können sehr wohl auseinandertreten. Zum einen können zum Beispiel Berufsverbände immer höhere Anforderungen an die Vergabe von Zertifikate durchzusetzen versuchen, um die Exklusivität der nötigen Bildungszertifikate zu erhalten.41 Dies zeigt aber gerade, daß es keine "eins zu eins"- Entsprechung zwischen Zertifikat und

nachzuweisenden beruflichen Fertigkeiten gibt. Zum anderen ist es möglich, daß Zertifikate in ihrer qualifikatorischen Dimension "veralten", wenn beispielsweise technologische Entwicklungen bestimmte, mit den Eingangszertifikaten verbundenen Fertigkeiten überflüssig machen und andere nötig werden, die nicht durch die bestehenden Zertifizierungsverfahren abgedeckt sind.

Bildungssysteme reagieren auf technologische Änderungen, indem sie ihre Lehrinhalte verändern, unter Umständen können auch die institutionalisierten Zulassungsvorschriften geändert werden, um sich den neuen Gegebenheiten anzupassen. Aber beide Anpassungsstrategien brauchen Zeit, und insbesondere hinsichtlich der Änderung institutionalisierter Zulassungsvoraussetzungen darf mit dem Widerstand der von diesen Voraussetzungen profitierenden Berufs- und Bildungsgruppen gerechnet werden. Die Verwendbarkeit von Bildungstiteln als Qualifikationsindikatoren erleichtert zwar die Implementierung dieser Titel als Ausschließungskriterium, doch ist die Wahrscheinlichkeit groß, daß diese Institutionalisierung ihre eigenständige Entwicklung nimmt und eine

Ausschließungsfunktion durchgesetzt wird, die im Zeitverlauf zunehmend von Qualifikationsaspekten losgelöst erscheint.

Aus der Sicht der Betriebe ergibt sich das gleiche Argument. Zwar ist es denkbar, daß Alloka-tionsentscheidungen, die auf der Basis von Credentials getroffen werden, dem Effizienzkriterium genügen. Dieses bleibt gewahrt, insoweit Allokationen sich an dem Qualifikationsaspekt der Bildungstitel orientieren. Gleichzeitig wird aber damit die Basis für Ausschließungsprozesse und damit für das Unterlaufen des Effizienzprinzips geschaffen: Die verstärkte Orientierung von Allokationsentscheidungen an Bildungstiteln ebnet den Weg zur Institutionalisierung credentiali-stischer Auschließungspraktiken, die sich im Zeitverlauf verfestigen können42.

schwerer Bildungstitel zu erreichen sind, desto seltener sind sie.

41 In dieser Richtung lassen sich beispielsweise jüngere Bestrebungen deuten, die Zulassungspraxis zum Medizinstudium weiter zu verschärfen. Auch der Versuch der

Handwerkskammern, neue Informationstechnologien unter Meistervorbehalt zu stellen, deuten auf credentialistische Schließungspraktiken.

42 Etwa so könnte man Collins' (1979) Beschreibung der Heraufkunft der "Credential society"

Mit anderen Worten: Die Funktionsweisen der Bildungstitel können ineinander transformiert werden. Die Qualifikationsfunktion kann durch die Schließungsfunktion substituiert werden.

Qualifikationsunterschiede, die mit Bildungstiteln eingergehen, können in Machtbeziehungen umgesetzt werden

(ii) Im nächsten Abschnitt wird gezeigt, daß die Eigenschaften von Bildungstiteln als Qualifika-tionsindikator beziehungsweise als Ausschließungskriterium von der Gestaltung der Bildungs-systeme abhängt. Der Einfluß der BildungsBildungs-systeme auf diese Eigenschaften verläuft in den beiden Dimensionen nicht völlig synchron: es ist durchaus möglich, daß bestimmte Eigenheiten des Bildungssystems die Eligibilität beziehungsweise Exklusivität von Bildungstiteln mehr betreffen als die Verwendbarkeit der Titel als Qualifikationsmerkmal.

4.2.2 Charakteristiken von Bildungssystemen und ihr Einfluß auf die Eigenschaften von Bildungstiteln

Die im Abschnitt (4.1) genannten Studien über den Einfluß von Bildungssystemen auf intragene-rationale Mobilitätsmuster zeigen, daß die beschriebenen Eigenschaften von Bildungstiteln von der Gestaltung des Bildungssystems, das die jeweiligen Bildungstitel produziert, abhängen. Allerdings ist die Beschreibung der in dieser Hinsicht relevanten Merkmale der Bildungssysteme sehr uneinheitlich. Nicht nur, daß verschiedene Studien unterschiedliche Charakteristiken betonen, oft werden auch für die gleichen Merkmale verschiedene Terminologien benutzt oder umgekehrt, derselbe Begriff wird für sehr unterschiedliche Charakteristika verwendet.43

Meines Erachtens reichen vier Dimensionen zur Beschreibung von Bildungssystemen aus, um ihre für die Funktionsweise von Bildungstiteln im Allokationsprozeß wichtigen Merkmale zu erfassen.

Diese Dimensionen werden in der einen oder anderen Form in den genannten Studien verwendet, allerdings nie alle gleichzeitig und häufig nicht klar getrennt. Ich bezeichne diese vier Dimensionen mit "Standardisierung", "Stratifizierung", "Horizontale Differenzierung" und "vertikale

Differenzierung".

(i) Standardisierung ist eine Eigenschaft von Bildungssystemen, der in nahezu allen genannten Untersuchungen zur Bedeutung von Bildungssystemen im Allokationsprozeß eine wichtige Rolle zugeschrieben wird. Gemeint ist das Ausmaß, in dem das Bildungssystem dafür sorgt, daß ein bestimmter Bildungstitel immer das gleiche Spektrum von Kenntnissen zertifiziert. Standardisierte Bildungssysteme zeichnen sich vor allem durch einheitliche Curricula und Prüfungsverfahren, aber auch durch eine einheitliche Lehrausbildung und schulische Infrastruktur aus. Eine zentralistische Organisation des Bildungssystems fördert dessen Standardisierung44.

interpretieren.

43 Man betrachte sich Archers Terminologie zur Beschreibung von Bildungssystemen: "State systems of education universally display four characteristics: unification (development of a national framework of educational asministration), systematization (transition from the summativity of parts to a coordinated whole, differentiation (separation from other parts of society), and specialization (diversification of education inputs, processes, and outputs).The configuration in which

differentiation and specialization predomainate represents the decentralized system (as in England, the United States, or Denmark); the predominance of unification and systematization signifies a centralized system of education (as in France, the Soviet Union or Japan)" (Archer 1989:251-252, Hervorhebungen im Original). Parallelen und Differenzen zu bereits genannten Begrifflichkeiten sind unschwer zu erkennen.

44 Der Zusammenhang zwischen der Zentralisierung der Verwaltung eines Bildungssystems und dessen Standardisierungsgrad spielt schon bei Hopper (1968) eine große Rolle. Genau genommen verwendet Hopper Standardisierungsgrad und Zentralisierungsgrad als zwei unterschiedliche, aber stark miteinander korrelierende Dimensionen von Bildungssystemen, die sich danach bestimmen

(ii) Die Bedeutung der Spezifität von Bildungstiteln und ihre Abhängigkeit von der Gestalt des Bildungssystems wurde ebenfalls schon von Hopper hervorgehoben. "Since people entering different types of occupations require, in part, different types of skills, and since educational systems are expected to play an important role in the development of such skills, almost all educational systems are likely to be characterized by some degree of internal differentiation and specialization, at least in those phases immediately prior to entry into the labour market" (Hopper 1968:32-33).

Allerdings hat Hopper hier nicht ein differenziertes Berufsbildungssystem im Auge. Vielmehr geht es ihm um die Tatsache, daß auch die allgemeine Bildung unterschiedliche Ausbildungsgänge umfaßt, die sich in unterschiedlichen, mehr oder weniger voneinander abgeschotteten Routen widerspiegeln. So verfügen die meisten Bildungssysteme unterschiedliche Typen von

Sekundarschulen, die nicht unbedingt in spezifische Berufe, aber in unterschiedliche Berufsberei-che einmünden. Im deutsBerufsberei-chen Bildungssystem etwa führt das Gymnasium traditionell zum Universitätsstudium und damit zu höheren Angestellten- beziehungsweise Beamtenpositionen, während die Realschule mit Berufen im mittleren Bereich der Statusskala verknüpft ist. Die Hauptschule führt zunehmend zu Berufen am unteren Ende des Schichtungssystems.

Eine hierarchische Abstufung des Bildungssystems führt also unmittelbar zu korrespondierenden, hierarchisch angeordneten Bereichen des Beschäftigungssystems. Ich spreche von vertikaler Differenzierung, insofern Ausbildungsbereiche unterschieden werden können, die in statusmäßig vertikal differenzierbare Berufsbereiche münden. Hinsichtlich der vertikalen Differenzierung ist nicht nur die Abgrenzung formal ausdifferenzierter Ausbildungsrouten wichtig, sondern auch der

Zeitpunkt, zu dem die Selektion der Schüler auf diese unterschiedliche Routen stattfindet (vgl.

Hopper 1968:33).45

(iii) Diese vertikale Differenzierung von Bildungssystemen ist zu unterscheiden von einer rein horizontalen Differenzierung, die ebenfalls eine Untergliederung des Bildungssystems in inhaltlich unterschiedliche, auf bestimmte Berufe oder Berufsfelder zugeschnittene Ausbildungsgänge beinhaltet, die aber weder von den vermittelten Zertifikaten noch von den Zielberufen her hierarchisch gegliedert sind. Eine solche horizontale Differenzierung ist zum Beispiel durch das

"duale System" (Münch 1979) der Lehrausbildung gegeben: Es bietet äußerst differenzierte Ausbildungsgänge an, die für eng zugeschnittene Berufe spezifische Kenntnisse und Fertigkeiten vermitteln. Die resultierenden Facharbeiter- und Gesellenbriefe sind grosso modo aber als

gleichwertig zu betrachten. In gewissem Sinne sind sie nur Varianten des gleichen Zertifikats. Auch die Zielberufe unterscheiden sich hinsichtlich ihres Status', Prestiges oder Einkommens nur wenig.

(iv) Während sich die Frage nach der Differenzierung von Bildungssystemen auf die Zahl der unterschiedlichen angebotenen Lehrgänge und Zertifikate bezieht, geht es bei der Stratifikation von

lassen, ob es eine eigene Bildungsbehörde, ein nationenweites Bildungsprogramm oder regionale Variationen der Bildungsinstitutionen gibt (Hopper 1968:31). Ich beziehe den Begriff

"Standardisierung" jedoch auf die mit den Bildungstiteln verknüpften Bildungsinhalte,

"Zentralisierung" hingegen auf institutionelle Charakteristiken des Bildungssystems. Weiterhin wird angenommen daß Zentralisierung als eine Ursache der Standardisierung fungiert. Da sich letztere relativ leicht, der Standardisierungsgrad von Bildungstiteln aber nur schwer beobachten läßt, wird im empirischen Teil der Zentralisierungsgrad der Bildungsinstitutionen als ein Indikator für den Standardisierungsgrad von Bildungstiteln herangezogen (vgl. auch Allmendinger 1989a).

45 Je nach Grad der Differenzierung und des Selektionszeitpunktes implizieren Bildungssysteme zwei entgegengesetzte Risiken hinsichtlich ihrer Allokationsfunktion: Je früher die Selektion stattfindet und je differenzierter das System ist, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, daß ein für eine bestimmte Funktion geeignetes Individuum nicht adäquat eingesetzt werden kann, da es vorzeitig die falsche Laufbahn einschlägt. Je weniger differenziert ein Bildungssystem ist und je später die Selektion stattfindet, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, daß ein Individuum eine Stelle erhält, für die es eigentlich nicht geeignet ist. (Hopper 1968: 33).

Bildungssystemen um die Frage, wie sich diese Zertifikate verteilen. Bildungssysteme sind stratifiziert, wenn die höheren Bildungsabschlüsse im Vergleich zu den niedrigeren eher selten vorkommen.46

Die Ausprägungen von Bildungssystemen auf den vier Dimensionen beeinflussen die Verwen-dungsmöglichkeit von Bildungstiteln als Qualifikationssignal einerseits und als Exklusionskriterium andererseits.

Der Einfluß von Bildungssystemen auf die Brauchbarkeit von Bildungstiteln als Qualifikations-indikator ist leicht ersichtlich. Die Standardisierung von Bildungssystemen betrifft die Eindeutigkeit von Bildungstiteln: Je höher der Grad der Standardisierung eines Bildungssystems ist, desto eindeutiger signalisiert ein bestimmter Bildungstitel einen bestimmten Kenntnisstand. Die vertikale, mehr noch die horizontale Differenzierung betreffen die Spezifität von Bildungstiteln: Je stärker ein Bildungssystem in unterschiedliche Laufbahnen gegliedert ist, vor allem aber je differenzierter Ausbildungswege für bestimmte Berufe angeboten werden, desto spezifischer ist die Signalwirkung von Bildungstiteln. Die Stratifikation von Bildungssystemen schließlich betrifft in erster Linie die Selektivität der Bildungstitel: Seltene Abschlüsse sind als Qualifikationssignal besser verwendbar als weiter verbreitete, da sichergestellt ist, daß diese Abschlüsse nur an fähige Bewerber vergeben wurden.

Weniger offensichtlich, aber gleichwohl nachhaltig, beeinflussen Bildungssysteme auch die Brauchbarkeit von Bildungstiteln als Ausschließungskriterien. So ist in nichtstandardisierten Bildungssystemen nur schwer zu begründen, warum bestimmte Bildungstitel Zugangsvorausset-zungen für bestimmte Berufe sein sollen. Die Forderung nach Bildungstiteln als Berufseingangs-kriterien beruht ja auf der Behauptung, daß für die Ausübung eines bestimmten Berufes bestimmte Kenntnisse notwendig seien, die durch den entsprechenden Ausbildungsgang vermittelt werden.

Auch wenn diese Behauptung nicht stimmt, wird sie doch zur Legitimation der institutionalisierten Selektion herangezogen. Dies fällt natürlich umso schwerer, je weniger standardisiert ein

Bildungssystem ist: Wenn es unklar ist, welche Kenntnisse mit einem bestimmten Bildungstitel überhaupt verbunden sind, dann läßt sich nur schwer begründen, warum dieser Bildungstitel für die Ausübung eines Berufes notwendig sein soll. Die Etablierung von Medizin und Jura als

Professionen mit entsprechenden Zertifizierungsverfahren gelang in den Vereinigten Staaten zum Beispiel erst nach der Ausarbeitung national standardisierter Ausbildungsgänge (Collins 1979).

Am Rande weist Collins (1979:7) darauf hin, daß mit dem zunehmenden Credentialismus der USA auch die Spezialisierung von Bildungstiteln zugenommen hat. Auch die knappen Hinweise auf den stärker ausgebildeten Credentialismus in Ländern mit einer spezialisierten Berufsausbildung (zum Beispiel Müller, Lüttinger, König und Karle 1990) legen den Schluß nahe, daß horizontale

Differenzierung von Bildungssystemen die Eligibilität von Bildungstiteln als

Aus-schließungskriterium erleichtert. Für diesen Zusammenhang sprechen auch bloße Plausibilitäts-erwägungen: Je genauer ein Bildungstitel für einen bestimmten Beruf zugeschnitten sind, desto leichter fällt die Begründung, daß genau dieser Titel auch für die Ausübung dieses Berufes nötig ist. Das prononcierteste Beispiel für die Verankerung differenzierter Bildungstitel als Berufs-zugangskriterien findet sich in der bundesrepublikanischen, auch heute noch fast zunftmäßig organisierten Handwerkerschaft: Nur zertifizierte Meister ihres Faches dürfen einen Handwerks-betrieb selbständig führen.

46 Allmendingers Definition der Stratifikation (Allmendinger 1989a:46) umfaßt nicht nur die Verteilung der Bildungstitel, sondern auch die hierarchische Staffelung der Bildungssysteme. Ich

46 Allmendingers Definition der Stratifikation (Allmendinger 1989a:46) umfaßt nicht nur die Verteilung der Bildungstitel, sondern auch die hierarchische Staffelung der Bildungssysteme. Ich

Im Dokument Bildungssysteme und soziale Ungleichheit (Seite 138-154)