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Die Reproduktionsthese: Bildung als Mittel der sozialen Schließung

Zwei Paradigmen in der Ungleichheitsforschung: Industrialisierungs- versus Reproduktionsthese

2.4 Die Reproduktionsthese: Bildung als Mittel der sozialen Schließung

Es ist unbestritten, daß Bildung in modernen industriellen Gesellschaften - vielleicht mehr noch in

"postindustriellen" - eine überragende Bedeutung für die Allokation von Personen auf soziale Positionen hat. Durchaus unklar ist aber die Frage, welche Rolle Bildung im Allokationsprozeß spielt. Eine Reihe von Autoren bestreiten, daß Bildungstitel als Qualifikationsmerkmale zu interpretieren sind. Die starke Bedeutung der Bildung im Allokationsprozeß beweist auch keineswegs, daß sich in Industriegesellschaften Austausch- und Achievementprinzipien etabliert haben. Die Theorie der sozialen Schließung liefert eine völlig andere Interpretation der Funktion von Bildung im Ungleichheitsprozeß, was die Geltung anderer Verteilungs- und Allokations-mechanismen impliziert.

2.4.1 Die Theorie der sozialen Schließung

Parkin (1979, 1983) entwickelt seine Schließungstheorie in Auseinandersetzung mit dem Marxis-mus. Seine Kritik zielt auf die im ersten Kapitel skizzierte Schwäche des Marxschen Klassenmo-dells: Es ist zu undifferenziert, um die wesentlichen Aspekte der sozialen Ungleichheit in modernen Gesellschaften zu erfassen. Für Parkin ist die Untersuchung von Klassenkonflikten besonders wichtig. Eine der hauptsächlichen Zielsetzungen der Klassentheorie sei es gewesen, die wesentli-chen Konfliktlinien in einer Gesellschaft zu erfassen."One of the objects of class theory has been to identify the principal line of social cleavage within a given system - the "structural "fault" running through society..." (Parkin 1979: 3). Dies gelinge aber gerade nicht mit der Marxistischen Version der Klassentheorie, weil diese sich mit dem reichlich unklar definierten Konzept der

"Produktionsweise" zu sehr auf die Produktionssphäre konzentriere und wesentliche Diffe-renzierungen in der Distributionssphäre, deren Bedeutung im Marxismus unterschätzt werde, übersehe. Parkin hat hier vor allem ethnische Differenzierungen im Blick, die im Rahmen einer marxistischen Klassentheorie kaum eine Rolle spielen, obwohl sie Ausgangspunkt für tiefgreifende Konflikte darstellen. Die mangelnde Differenzierungsfähigkeit des Marxschen Konzeptes komme aber auch in dem Unvermögen zum Ausdruck, Phänomene wie die "Neue Mittelklasse" theoretisch zu verorten. Deren Expansion im Zuge sektoraler Umschichtungen führten zu einem

schwerwiegendem Abgrenzungsproblem der Klassen, das auch in umfangreichen Diskussionen in der neomarxistischen Literatur nicht gelöst werden konnte.23 Dort existieren sehr verschiedene Lösungsversuche, die zu ganz unterschiedlichen Klassen mit sehr unterschiedlichen Umfängen führen.

Alle diese Lösungsansätze haben jedoch ein Merkmal gemeinsam: Differenzierungen in einer Klasse werden nach ganz anderen Kriterien vorgenommen als Differenzierung zwischen den (Haupt)- Klassen, die sich aus der Stellung im Produktionsprozeß ergeben. Dies führe dazu, daß Konflikte zwischen den Klassen betont werden, Intraklassendifferenzen aber eher harmonisierend betrachtet würden. Parkin will hingegen Inter- und Intraklassendifferenzierungen auf der gleichen konzeptuellen Ebene vornehmen, womit auch Konflikte innerhalb der Klassen analysiert werden können.

23 Die in der "bürgerlichen" Soziologie gebräuchliche Unterscheidung zwischen "manuals" und

"nonmanuals" helfe allerdings auch nicht weiter.

Grundzüge der Schließungstheorie

Parkins Klassentheorie gründet auf dem von Weber eingeführten Begriff der sozialen Schließung.

"Eine soziale Beziehung (gleichviel ob Vergemeinschaftung oder Vergesellschaftung) soll nach außen "offen" heißen, wenn und insoweit die Teilnahme an dem an ihrem Sinngehalt orientierten gegenseitigen sozialen Handeln, welches sie konstituiert, nach ihren geltenden Ordnungen niemandem verwehrt wird, der dazu tatsächlich in der Lage und geneigt ist. Dagegen nach außen

"geschlossen" dann, insoweit und in dem Grade, als ihr Sinngehalt oder ihre geltenden Ordnungen die Teilnahme ausschließen oder beschränken oder an Bedingungen knüpfen" (Weber 1980:23).

Ziel der sozialen Schließung ist in der Regel die Monopolisierung von Ressourcen24. Der Wett-bewerb um "ökonomische Chancen" soll durch die Schließung eingeschränkt werden und dadurch den an der Schließung Beteiligten Chancenvorteile verschaffen. Ein "äußerlich feststellbares Merkmal" der Mitkonkurrenten wird als Anlaß genommen, diese vom Wettbewerb auszuschließen.

Dabei ist es völlig gleichgültig, um welches Merkmal es sich dabei handelt: "Rasse, Sprache, Konfession, örtliche oder soziale Herkunft, Abstammung, Wohnsitz usw. ... Welches im Einzelfall dies Merkmal ist, bleibt gleichgültig: es wird jeweils an das nächste sich darbietende angeknüpft."

(Weber 1980: 201).

Nach Parkins Auffassung versäumte es Weber, den Schließungsbegriff systematisch in seine Stratifikationstheorie einzubauen. "Surprisingly, Weber´s elaboration of the closure theme is not linked in any immediate way with his other main contributions to stratification theory" (Parkin 1979:

44). Genau dies aber möchte Parkin nachholen. Als ersten Schritt hierzu sieht er die Notwendigkeit, den Schließungsbegriff zu erweitern, indem er zwei Hauptarten der sozialen Schließung unterscheidet: Ausschließung und Usurpation.

"Ausschließung" entspricht dabei dem ursprünglichen Schließungsbegriff: Eine Gruppe versucht, sich auf Kosten anderer vorteilhafte Positionen zu sichern. Parkin betont hierbei, daß mit der sozialen Schließung stets ein asymmetrisches Machtverhältnis verbunden ist. Die ausschließende Gruppe muß über Machtvorteile verfügen, um die Schließung auch durchsetzen zu können. "The distinguishing feature of exclusionary closure is the attempt by one group to secure itself a privileged position at the expense of some other group through a process of subordination. ...

Expressed metaphorically, exclusionary closure represents the use of power in a "downward"

direction because it necessarily entails the creation of a group, class, or stratum of legally defined inferiors." (Parkin 1979: 45).

Unter "Usurpation" hingegen ist der Versuch der unterlegenen Gruppe zu verstehen, das

Ressourcenmonopol der ausschließenden Gruppe aufzubrechen und sich zumindest einen Teil der ökonomischen Vorteile zu erkämpfen, die ihnen vorenthalten werden. Usurpation ist stets als Reaktion auf Ausschließung zu verstehen, ganz im Sinne Webers, der schon feststellte, daß das (ausschließende) "Gemeinschaftshandeln der einen ... dann ein entsprechendes der anderen, gegen die es sich wendet, hervorrufen [kann]" (Weber 1980: 201). Usurpation ist dann eine Art Ausübung von Macht der unterlegenen Gruppe gegen die überlegene: "Countervailing action by the "negatively privileged", on the other hand, represents the use of power in an upward direction in the sense that collective attempts by the excluded to win a greater share of resources always

24 Genau genommen ist dies das Ziel der rationalen Schließung, insoweit Wirtschaftsbeziehungen betroffen sind. Dies ist immer gemeint, wenn im Folgenden von sozialer Schließung die Rede ist.

Bei Weber ist der Begriff allgemeiner angelegt: Er nennt auch die traditionale, affektuelle und die wertrationale Schließung (Weber 1980:23f), die sich auch auf nichtökonomische soziale

Beziehungen erstrecken können. Doch diese Formen der sozialen Schließung sind im Folgenden nicht von Interesse.

threaten to bite into the privileges of legally defined superiors" (Parkin 1979: 45).

Die Ausschließung in modernen Industriestaaten läßt sich in zwei Hauptmodi unterteilen, je nach Art der eingesetzten Mittel zur Ausschließung: Eigentum und Bildung.

Eigentum definiert sich geradezu über den Begriff der sozialen Schließung. Eigentum ist weniger als juristischer Besitztitel zu verstehen, auch nicht als Kontrollrecht von Besitz25, sondern eben als Möglichkeit zur Ausschließung: Der Eigentümer kann den Zugang zu seinem Besitz gewähren oder andere von der Nutznießung seines Besitzes ausschließen. Dabei ist aber nur eine besondere Form des Eigentums von Interesse, nämlich der Besitz von Produktionsmitteln. "Although personal possessions and capital both entail rights of exclusion, it is only the exclusionary rights embedded in the latter that have important consequences for the life-chances and social condition of the excluded" (Parkin 1979:53). Eigentum ist für eine Klassenanalyse moderner Gesellschaften deshalb so wichtig, weil es einigen wenigen erlaubt zu entscheiden, wer Zugang zu den

Produktionsmitteln und deren Früchten hat. In dieser Form ist der Eigentumsbegriff aber keinesfalls auf kapitalistische Gesellschaften beschränkt. "Once property is conceptualized as a form of exclusionary social closure there is no need to become entangled in semantic debates over wether or not workers in socialist states are "really" exploited. The relevant question is not whether surplus extraction occurs, but whether the state confers rights upon a limited circle of eligibles to deny access to "the means of life and labour" to the rest of the community" (Parkin 1979:53). Es spielt auch keine Rolle, ob die Ausschließung vom formalen Eigentümer oder von einem von ihm beauftragten Agenten ausgeübt wird - die sozialen Konsequenzen dieser beiden Fälle von Ausschließung sind ununterscheidbar.

Das andere wichtige Ausschließungsmittel in modernen Gesellschaften ist Bildung. "Of equal importance to the exclusionary rights of property is that set of closure practices sometimes referred to as "credentialsim" - that is the inflated use of educational certificates as a means of monitoring entry to key positions in the division of labour" (Parkin 1979:54). Bildung wird hier nicht als Indikator für das Vorliegen von Fertigkeiten, die Individuen zur Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeiten befähigen, aufgefaßt. Bildung ist keineswegs ein Synonym für Produktivität. Mit dem Begriff des

"Credential" ist vielmehr das "Vertrauen auf Prüfungszeugnisse, wenn es darum geht, den Zugang zu wichtigen Positionen in der Arbeitswelt zu kontrollieren" (Parkin 1983:127, Hervorhebung M.G.), gemeint.

Damit erhält Bildung eine völlig andere Bedeutung, als es die Industrialisierungsthese nahelegte.

Die durch die Industrialisierungsthese prominent gewordene Interpretation der Bildung als Qualifikation bedeutet, daß die mit der Bildung erworbenen Fertigkeiten zur Ausübung der beruflichen Fertigkeiten hinreichend und notwendig sind. Die Bezeichnung von Bildungstiteln als Credential impliziert, daß ein solcher Zusammenhang zwischen Bildung und beruflicher Tätigkeit keineswegs gegeben sein muß. Zwar wird von den Nutznießern der Bildungstitel behauptet, daß ein solcher Zusammenhang bestehe. In Wirklichkeit aber ist er, wenn er überhaupt existiert, keineswegs so eng, wie es vorgegeben wird. Die Etablierung von Bildungszertifikaten als

Zugangsvoraussetzung für bestimmte Berufe hat hauptsächlich den Sinn, potentielle Mitbewerber um begehrte Positionen, die zur Ausübung der zu dieser Position gehörenden Tätigkeiten befähigt sind, aber nicht über die entsprechenden Bildungstitel verfügen, von dem Zugang zu diesen Positionen auszuschließen. Es geht also um eine Kontrolle des Arbeitsangebotes, um die Konkurrenz um begehrte Positionen klein zu halten und dadurch die mit diesen Positionen verbundenen Belohnungen künstlich in die Höhe zu treiben. "Professionalization itself may be understood as a strategy designed, amongst other things, to limit and control the supply of entrants to an occupation in order to safeguard or enhance ist market value (Parkin 1979:54).

25 Zur Diskussion des Eigentumbegriffs vgl. auch Dahrendorf (1957).

"Musterbeispiele" für gelungene soziale Schließung via Credentialismus sind die freien Berufe (professions) wie Mediziner, Rechtsanwälte, Notare usw.26 Diesen Gruppen ist es gelungen, die Bildungsvoraussetzungen für den Zugang zu den von ihnen kontrollierten Domänen gesetzlich festschreiben zu lassen. Erst die gesetzliche Verankerung dieser Schließungsstrategie garantiert deren außerordentliche Wirksamkeit. Die Willkürhaftigkeit des Zusammenhangs zwischen Bildung und beruflicher Tätigkeit zeigt sich in der Tendenz, die als nötig erachteten Bildungsstandards zu erhöhen, wenn zunehmend Kandidaten mit ausreichenden Bildungstiteln vorhanden sind. "It would seem to be the professions' anxiety to control the supply side of labour that accounts, in part at least, for the qualifications epidemic referred to by Dore as "diploma disease". This is the universal tendency among professions to raise the minimum standards of entry as increasing numbers of potential candidates attain the formerly scarce qualifications" (Parkin 1979:55).

Credentials verschaffen Vorteile in dreierlei Weise. Erstens sind sie, wie bereits erwähnt, ein Mittel der Kontrolle des Arbeitsangebots. Indem hohe Bildungshürden vor eine Berufsausübung gesetzt werden, wird das Angebot an Arbeitskräften knapp gehalten und damit der Marktwert dieser Berufe in die Höhe getrieben. Zweitens schützen sie ihre Inhaber vor der Kontrolle ihrer tatsächlichen Fertigkeiten. Indem Nichtmitgliedern der Profession jede Kompetenz zur Kontrolle der

Berufsausführung abgesprochen wird, werden Leistungsunterschiede der Professionsmitglieder verdeckt. damit werden auch die Einkünfte selbst der Schlechtesten auf hohem Niveau gehalten.

"...[Credentialism] effectively masks all but the most extreme variations in the level of ability of professional members, thereby shielding the least competent from ruinous economic punishment"

(Parkin 1979: 56). Drittens bedeutet dies auch eine Langzeitgarantie eines lukrativen

Arbeitsplatzes: "... all those in possession of a given qualification are deemed competent to provide the relevant skills and services for the rest of their professional lives. There is no question of retesting abilities in a later stage in the professional career. The professional bodies' careful insistence that members of the lay public are not competent to sit in judgement on professional standards effectively means that a final certificate is a meal ticket for life" (Parkin 1979:56).27 Die institutionelle, insbesondere die gesetzliche Verankerung von Ausschließungspraktiken ist von außerordentlicher Wichtigkeit. Sie garantiert erst die Wirksamkeit von Schließungspraktiken und bildet die Grundlage der Macht der ausschließenden Gruppen. Einer Schließungspraxis, die Eingang in das Gesetz gefunden hat, kann kaum etwas entgegengestellt werden. So ist es denn auch eine wichtige Strategie für ausschließende Gruppen, ihre Schließungspraxis rechtlich

abzusichern. Parkin spricht hier von der legalistischen Schließungsstrategie. Eine besondere Rolle kommt hierbei dem Staat zu. Der Staat bestimmt, welche Schließungspraktiken gesetzlich

abgesichert werden; er garantiert die Unverletzlichkeit des Eigentums und die Übertragung desselben in der Erbfolge. Der Staat legt auch fest, welche Zugangsvoraussetzungen für wichtige Schlüsselberufe gelten und gibt damit den Credentials ein ganz besondere Gewicht für die Monopolisierung von Ressourcen. Der Staat schließlich zeichnet bestimmte Gruppen aus, die als unterlegen betrachtet werden können und die das Ziel von Ausschließungspraktiken von anderen Gruppen werden können. Im Gegensatz zu Webers Meinung, daß jedes beliebige Merkmal zum Kriterien für Ausschließungspraktiken werden kann, geht Parkin davon aus, daß es schon vor der Etablierung von Schließungspraktiken eine Rangordnung von Gruppen gibt, die überlegene und inferiore Gruppen definiert. Erst vor diesem Hintergrund ist erklärbar, warum zum Beispiel Weiße Schwarze ausschließen können und nicht umgekehrt: "Indeed, it is only through the action of the state that cultural groups become hierachically ranked in a manner that enables one to effect closure against another." (Parkin 1979:96).

26 Vgl. Collins (1979), der die historische Entwicklung der Professionen in den USA nachzeichnet.

Collins bestreitet vehement die These, daß Bildung aufgrund ihres Qualifikationsaspektes zur Stratifizierung beitrage (siehe auch Collins 1971).

27 Nach Collins (1979) eignet sich ein bestimmter Wissenstyp ganz besonders zum

Credentialsimus: der Erfolg einer beruflichen Praxis muß auf einem mittleren Level kontrollierbar sein. Kann überhaupt nicht deutlich gemacht werden, daß aus der Anwendung eines bestimmten Wissens ein gesellschaftlicher Nutzen gezogen werden kann, fehlt jede Begründungsbasis für die Etablierung einer Profession. Ist eine zu genaue Erfolgskontrolle möglich, kann sich die Profession nicht auf ihr Kompetenzmonopol berufen, was die Aneignung von Ressourcen erschwert. Daher seien zum Beispiel Chirurgen in den USA weniger als Profession etabliert als die innere Medizin.

Das Gegenstück zur legalistischen Schließungsstrategie ist die solidaristische Schließungspraxis.

Immer dann, wenn für eine Schließungsstrategie kein institutioneller Rückhalt gegeben ist, müssen sich Schließungsversuche ganz auf die Kraft des solidarischen Handelns stützen. Ein Beispiel hierfür sind wilde Streiks.

Eine weitere wichtige Unterscheidung ist die zwischen individualistischen und kollektivistischen Ausschließungsregelungen. Kollektivistische Ausschließung zieht stets ein Merkmal, das eine Gruppenzugehörigkeit symbolisiert, als Rechtfertigung für die Ausschließung heran. Beispiele hierfür sind die aristokratische Erbfolge, die die Gruppenzugehörigkeit qua Geburt als

Aus-schließungs kriterium zugrunde legt, oder die Apartheit, für die die Rassenzugehörigkeit wesentlich ist. Individualistische Ausschließungsmerkmale bestehen in rein individuellen Merkmalen und Fähigkeiten.

Bildung beziehungsweise Credentials zählt Parkin zu den individualistischen Ausschließungs-merkmalen, da Bildungstitel Personen zugeordnet werden, und prinzipiell jeder Zugang zu allen Bildungstiteln hat. Credentialismus ist daher das Paradebeispiel individualistischer Ausschließung.

Der Übergang von der Aristokratie zum Kapitalismus beinhaltet einen Übergang von

kollektivistischen zu individualistischen Ausschließungsregeln. Die Propagierung individualistischer Ausschließungspraktiken, die Forderung, daß individuelle Fähigkeiten über die Besetzung von Positionen und damit über die Allokation knapper Ressourcen entscheiden soll, war ein Kernpunkt der politischen Forderungen, die das Bürgertum gegen die kollektivistische Ausschließungspraxis des Adels durchzusetzen suchte. Auch heute noch bildet die Forderung einer solchen

individualistischen Ausschließung einen Hauptpunkt liberaler Ideologie. Was sich aber im Kampf gegen den Adel als wirksame Waffe erwies, wendete sich nach der Etablierung der Vorherrschaft der Bourgeoisie gegen sie selbst. Denn die Verwendung individualistischer

Ausschließungskriterien gefährdet ein wichtiges Ziel jeder dominanten Klasse: Ihre Reproduktion über die Generationenfolge hinweg. "...neither property nor credentials are altogether reliable as institutions for preserving family privileges intact over several generations" (Parkin 1979: 60). Mehr noch als das Eigentum erweist sich Credentialismus als reichlich unsichere Strategie zum

intergenerationalen Transport von Ressourcen. "The continous raising of academic hurdles and certification barriers as a means of controlling entry to the professions carries with it a strong element of risk that large numbers of children from professional families will not make the grade."

(Parkin 1979:61).

Bedeutet dies, daß im Wandel zum Kapitalismus der neuen dominanten Klasse ein fundamentaler Fehler unterlaufen ist, insoweit sie individualistische Schließungskriterien etablierte? Zwei Punkte sprechen nach Parkin gegen eine solche Interpretation des geschichtlichen Wandels von der Aristokratie zum Kapitalismus. Zum einen ist die Erbfolge für die Bourgeoisie kein erstrangiges Ziel mehr. Wichtiger ist der Transport bestimmter (liberaler) Wertvorstellungen. "There are ... powerful forces in capitalist society that are more dedicated to the perpetuation of bourgois values than bourgois blood". (Parkin 1979:63). Zu diesem Zweck ist es wichtig, die Nachfolger für die dominante Klasse sorgfältig auszusuchen und auf die zentralen Werte zu verpflichten. Dabei müssen die Nachfolger keineswegs die eigenen Kinder sein. Das System der individualistischen Schließung ist "designed to promote a class formation biased more in the direction of sponsorship and careful selection of successors than of heredity transmission" (Parkin 1979: 63). Auf der anderen Seite ist auch eine primär auf individualistischen Kriterien beruhende soziale Schließung durchaus in der Lage ein der kollektivistischen sozialen Schließung ähnelndes Schließungsmuster zu erzeugen. So ist die Bourgeoise viel eher in der Lage, sich an die Erfordernisse der

herrschenden Schließungsregeln anzupassen als die Arbeiter - mit dem Erfolg, daß Kinder der Bourgeoisie überproportional Credentials erwerben und damit wieder in die besseren Positionen rutschen. Ähnliches kann in den USA hinsichtlich der Rassenzugehörigkeit beobachtet werden. So herrscht zwar formal ein individualistisches Ausschließungsregime - der Credentialismus. Im Endeffekt aber werden Ausschließungen nach kollektiven Kriterien wie Rasse oder

Klassenzugehörigkeit vorgenommen.

So lassen sich denn sowohl in kapitalistischen wie in den sozialistischen Staaten stets beide Formen der Ausschließung beobachten. "... patterns of exclusionary social closure do not conform to any pure type but are a combination of individualist and collectivist criteria." (Parkin 1979: 67).

Credentialismus existiert in beiden Staatsformen als eine Variante der individualistischen

Schließung. In den kapitalistischen Staaten ist Eigentum, in den sozialistischen die Nomenklatura

als die andere wesentliche Variante der individualistischen Schließung zu erkennen. Als kollektivistische Schließungsform erweist sich in allen modernen Gesellschaften die Schließung nach der sozialen Herkunft, wie in den Mustern der intergenerationalen Mobilität erkennbar wird.

Ob die soziale Schließung sich vorwiegend an individualistischen oder an kollektivistischen Kriterien ausrichtet, hat wesentliche Konsequenzen für subjektive Phänomene und soziales Handeln. Eine ausschließlich kollektivistische Schließung führt dazu, daß die untergeordnete Gruppe eine Gemeinschaft bildet. Der Status von Individuen, die nach kollektivistischen Kriterien, also nach reiner Gruppenzugehörigkeit, ausgeschlossen werden, wird in jeder denkbaren Hinsicht als negativ deklariert. Die Ausschließung von Schwarzen unter dem Apartheitsregime wäre hier ein Beispiel. Hingegen führt eine rein individualistische Ausschließung zur völligen Fragmentierung der untergeordneten Gruppe, die höchstens als Gruppe in einem sehr anfänglichen Stadium

bezeichnet werden kann: "The polar archetypical case would be that of exclusion based solely on

bezeichnet werden kann: "The polar archetypical case would be that of exclusion based solely on