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Bildungssysteme und Muster der intragenerationalen Mobilität

Im Dokument Bildungssysteme und soziale Ungleichheit (Seite 116-138)

Bildungssysteme und die Strukturierung sozialer Ungleichheit

4.1 Bildungssysteme und Muster der intragenerationalen Mobilität

Wie wir sahen, behauptet die "Industrialisierungsthese", daß ökonomisch-technische Erfordernisse der Industriegesellschaft das System der sozialen Ungleichheit weitgehend determinieren, so daß Form und Ausmaß der Ungleichheit in allen modernen Gesellschaften im Wesentlichen

übereinstimmen. Auch die Organisationsforschung wird bis in die siebziger Jahre von der Idee eines industriellen Universalismus beziehungsweise Determinismus dominiert. Technisch-ökono-mische Produktionsbedingungen, so die Annahme, legen Arbeitskräftestruktur, Formen der betrieblichen Organisation und der Arbeitsteilung sowie der Qualifikationsanforderungen weit-gehend fest (Lutz 1976:90). Ein Vergleich von Betrieben aus Deutschland und Frankreich zeigte

jedoch, daß gleiche Arbeitsaufgaben bei gleichem technologischen Stand in sehr unterschiedlichen betrieblichen Organisationsformen gelöst werden können, was auch in Unterschieden in

Entlohnungsstrukturen und Mobilitätsmustern resultiert (Brossard und Maurice 1974, Maurice, Sellier und Silvestre 1979).120 Die Studie besteht im Wesentlichen aus Paarvergleichen

ausgesuchter Betriebe, wobei die korrespondierenden Organisationen hinsichtlich ökonomisch-technischer Variablen wie Branche, Produkt, Produktionstechnologie und Betriebsgröße homogen sind.121 Die Generalisierbarkeit der Ergebnisse ist damit eingeschränkt, doch liefern sie wichtige Hinweise für die Strukturierung des Systems der sozialen Ungleichheit durch die

Bildungssysteme.122

4.1.1 Formen der Arbeitsteilung im internationalen Vergleich

Die Unterschiede in der Arbeitsteilung zwischen Frankreich, Großbritannien und Deutschland lassen sich im Grad ihrer vertikalen wie horizontalen Differenzierung nachzeichnen.

Die Arbeitsteilung in den französischen Betrieben ist am stärksten vertikal differenziert. Das zeigt sich zum Beispiel am Anteil der Führungskräfte, der in Frankreich bei allen Paarvergleichen am höchsten ist (Lutz 1976:100ff). Die Führungsdichte ist in den deutschen Betrieben am geringsten, insbesondere auf der unteren Ebene: ein deutscher Meister beaufsichtigt deutlich mehr Arbeiter als seine französischen beziehungsweise englischen Kollegen. Großbritannien nimmt hinsichtlich der Führungsdichte eine Mittelstellung ein, jedenfalls hinsichtlich der unmittelbar mit der Produktion befaßten Abteilungen (Maurice, Sorge und Warner 1980:67).123 Die stärkere vertikale

Differenzierung in Großbritannien und vor allem in Frankreich läßt sich nicht nur an der Verteilung der beruflichen Positionen, sondern auch an der Definition der Jobs ablesen. So sind in

Deutschland kleinere, alltägliche Supervisionsfunktionen den Vorarbeitern überlassen - die ebenso wie ihre Kollegen mit der Produktion befaßt sind - während in Frankreich und England auch schon solche Aufsichtstätigkeiten an nicht mehr in der Produktion beschäftigten, hauptsächlich mit der Supervision befaßten Jobs angegliedert sind. (Maurice, Sorge und Warner 1980:71). Die

Kompetenzen der Arbeiter, insbesondere aber des mittleren Managements in Gestalt der Meister sind damit deutlich umfangreicher in Deutschland als in den beiden anderen Ländern.

Insbesondere in Frankreich führt die klarere hierarchische Strukturierung zu einer größeren Zahl von Hierarchieebenen in der Verteilung der beruflichen Positionen. Aber nicht nur das

Supervisionsverhältnis der Jobs ist verschieden, auch das Verhältnis ganzer Abteilungen zueinander ist unterschiedlich definiert: In Frankreich und Großbritannien sind die technischen Stäbe weitgehend mit Aufsichtsfunktionen gegenüber der Produktion betraut, während in Deutschland die Stäbe eher Dienstleistungsfunktionen für die Produktion und Instandhaltung übernehmen.

Auch die horizontale Differenzierung ist in den Betrieben der drei Länder sehr unterschiedlich ausgeprägt. In Frankreich bedeutet dies, daß Planung und Ausführung stärker voneinander

abgeschottet sind als in Deutschland. Konzeption, Planung und Vorbereitung von Arbeitsprozessen werden in Frankreich in speziellen Abteilungen gebündelt. Hochqualifiziertes technisches Personal der Stäbe erarbeitet hier die Leitlinien der Produktion, während in Deutschland Planung und vorbereitende Tätigkeiten in weit höherem Maße in den Produktionsabteilungen selbst

120 Eine umfassende Darstellung der Studie und eine vertiefte Diskussion des Einfusses der Bildungssysteme auf die Organisationsstrukturen findet sich in Lieb (1982).

121 Zum Design der Studie siehe Lutz (1976:95-99).

122 Eine spätere Studie weitete darüber hinaus den Vergleich auf Großbritannien aus (Maurice, Sorge und Warner 1980, Sorge (1983).

123 Dies gilt nicht für die Abteilungen der technischen und kommerziellen Dienstleistungen, die in Deutschland etwas stärker hierarchisiert sind als in den britischen Betrieben (Maurice, Sorge und Warner 1980:68).

vorgenommen werden (Lutz 1976:102ff). Diese horizontale Differenzierung von Planung und Ausführung korrespondiert zu der vertikalen Differenzierung zwischen den Abteilungen, da die Planungsbüros auch die Kontrolle der Arbeitsabläufe übernehmen und dadurch mehr Gewicht in der innerbetrieblichen Hierarchie bekommen. Die technischen Stäbe sind am umfangreisten in Frankreich, am kleinsten in Deutschland, Großbritannien nimmt eine Mittelstellung ein (Maurice, Sorge und Warner 1980:68). Auch in der britischen Industrie ist der Grad der Professionalisierung weitaus größer als in Deutschland in dem Sinne, daß Funktionen zu eigenständigen Jobs

gebündelt werden, die in deutschen Firmen den Jobs in der Produktion zugeteilt werden. Auch hier begründen diese strikte Funktionstrennungen eine stärkere Hierarchisierung und damit

einhergehend Statusdifferentiale zwischen den Jobs, wobei die Barrieren nicht so sehr zwischen Planung und Ausführung, sondern zwischen Produktion und Instandhaltung verlaufen. Darüber hinaus begründet aber auch in Großbritannien die stärkere Professionalisierung von Management-Jobs einen klareren Gegensatz zwischen Produktion und Management als in Deutschland (Child, Fores, Glover und Lawrence 1983).124

Der höhere Differenzierungsgrad der Arbeitsteilung in britischen und französischen Betrieben engt den Austausch von Arbeitern zwischen Jobs ein. Ein Wechsel zwischen Jobs ist hier nur möglich, wenn Vakanzen auftreten, während in Deutschland die Zuteilung anderer Arbeitsaufgaben flexibler gehandhabt wird und schon für die Weiterbildung von Arbeitern eine große Rolle spielt. Die

schärfere Differenzierung zieht auch einen deutlich höheren bürokratischen Aufwand nach sich, da zwischen den Hierarchieebenen beziehungsweise zwischen den spezialisierten Abteilungen Informationsvermittlung und Kontrollbefugnisse formal geregelt werden müssen. Das zeigt sich in französischen Betrieben nicht nur in der Produktion, sondern auch im kaufmännischen und im administrativen Bereich (Lutz 1976:105ff). Die größere Flexibilität der Arbeitsteilung zwischen den Jobs in deutschen Betrieben geht Hand in Hand mit einer größeren Autonomie der Arbeiter (Maurice, Sorge und Warner 1980:70). Der höhere Bürokratisierungsgrad in Frankreich und Großbritannien erschwert wiederum die Konfliktbewältigung: Während Beschwerden in deutschen Betrieben größtenteils von den Meistern abgearbeitet werden, dringen auch kleinere Konflikte in Frankreich und in Großbritannien schnell auf die höheren Hierarchieebenen vor, so daß das Management in weitaus größerem Maße mit Konfliktregulierungen belastet wird.

Organisationsformen und Mobilitätsmuster: Organisatorischer versus qualifikatorischer Raum

Die oben dargestellten Unterschiede in der innerbetrieblichen Arbeitsteilung bleibt nicht ohne Folgen für die Muster intragenerationaler Mobilität in den verschiedenen Ländern.

Die klarer konturierte horizontale wie vertikale Arbeitsteilung in Frankreich impliziert Jobs mit engen Aufgabenbereichen. Der Arbeitsplatzzuschnitt wird ganz nach den Erfordernissen des

Arbeitsablaufs ausgerichtet, die Arbeiter werden durch "Training on the Job" an die Ausführung der erforderlichen Tätigkeiten herangeführt. Es ist leicht möglich, auch Arbeiter ohne Vorkenntnisse in diese klar umrissenen Aufgabenbereiche einzuarbeiten. Das Einarbeiten in komplexere

Aufgabenfelder vollzieht sich durch graduelle Progression von einfachen Jobs zu Jobs mit anspruchsvolleren Tätigkeiten nach Maßgabe der Seniorität. Die Jobs in den französischen Betrieben bilden damit typische tief gestaffelte Karriereleitern, entlang derer intragenerationale Mobilität als Wechsel zwischen den Jobs in unterschiedlichen Hierarchielevels leicht möglich ist.

Die Leiter umfaßt dabei durchaus Positionen vom ungelernten Arbeiter bis hin zu anspruchsvollen Jobs in den technischen Stäben.

In den deutschen Betrieben herrscht hingegen eine eher breite Aufgabendefinition der Jobs vor,

124 Hier ist zu beachten, daß aus dieser Perspektive das Design von Jobs in Betrieben mit der Bündelung von Tätigkeiten in Berufe in Zusammenhang gebracht wird.

woraus sich nur flache Karriereleitern mit deutlich weniger Progressionsmöglichkeiten ergeben.

Flexibilität des Arbeitskräfteeinsatzes wird weniger durch Zuweisung von Arbeitern zu ver-schiedenen Jobs als durch Zuweisungen von verver-schiedenen Aufgaben zu gegebenen Jobs erreicht. Diese Art der Arbeitsorganisation setzt qualifiziertes Personal voraus, das umfangreiche Aufgabengebiete bearbeiten kann. Dies ist in Deutschland durch die Lehre gegeben, die Arbeiter für eine vergleichsweise geringe Zahl von Grundberufen mit breiter Qualifikationsbasis ausbildet.

Daher können auch anspruchsvolle Tätigkeiten der Planung oder Instandhaltung von den Produktionsarbeitern ausgeführt werden, was auch eine größere Autonomie der deutschen Arbeiter beinhaltet. Der Arbeitsplatzzuschnitt richtet sich in deutschen Betrieben mehr nach den vorhandenen Qualifikationen der Arbeiter als in Großbritannien oder Frankreich. Der Wechsel zwischen Arbeitsplätzen bedeutet hier nicht unbedingt ein Fortschreiten in einer Kette hierarchisch geordneter Jobs, sondern eine Zuweisung andersartiger, aber gleichrangiger Tätigkeiten, was durchaus als eine Form der betrieblichen Weiterbildung aufgefaßt werden kann - eine

Weiterbildung, die als "Perfektionierung in der ursprünglichen Kategorie" (Maurice, Sellier und Silvestre 1979:311) verstanden werden kann.125 Doch auch wenn vertikale Mobilität stattfindet, etwa vom Arbeiter- zum Nichtarbeiterstatus, vollzieht sie sich in Deutschland als eine Aufstockung der Qualifikation durch berufliche Weiterbildung, wie zum Beispiel durch Meisterkurse. In

Frankreich hingegen ist ein Wechsel zwischen Qualifikationsniveaus viel eher vom Gutdünken der Betriebsführung und von den Erfordernissen der Organisation als von der Bildung abhängig. Auch Seniorität spielt eine große Rolle. Damit werden berufliche Kategorien viel heterogener hinsichtlich der Qualifikationsniveaus der Arbeiter, die in diesen Kategorien zu finden sind. Das Ausmaß intra-wie intergenerationaler Mobilität nimmt zu (Maurice, Sellier und Silvestre 1979:307).

Der unterschiedlichen Differenzierung von Jobs in Betrieben entspricht also ein unterschiedliches Design von Berufen. Maurice, Sorge und Warner (1980) beschreiben dieses Design mit dem Begriff der Professionalität: "By the degree of professionality, we mean the extent to which a set of activities is organized into a full-time-occupation, and taught in a systematic training schedule. The concept has several dimensions, and one can differentiate between a formal knowledge base, mastery of practical skills, membership in an association, and formal recognition of qualifications"

(Maurice, Sorge und Warner 1980:73). Die geringe Professionalität der französischen Arbeiter zwingt die Betriebe, "Training on the Job" in Karriereketten durchzuführen und Funktionen vertikal wie horizontal stärker zu differenzieren. Die hohe Professionalität deutscher Arbeiter erlaubt hingegen eine breite Definition von Jobs in den Betrieben. Großbritannien nimmt hinsichtlich der Job-Designs und der Mobilitätsmuster eine Mittelstellung ein: Der Grad der Professionalität ist hoch in der Instandhaltung und zum Teil in den technischen Stäben, aber gering in der Produktion. Hier sind, ähnlich wie in Frankreich, Karriereleitern, verbunden mit gradueller Progression der Arbeiter zwischen den eng definierten Jobs in diesen Leitern, zu beobachten (Maurice, Sorge und Warner 1980:81).

In den betrachteten Ländern sind nicht nur unterschiedliche innerbetriebliche Mobilitätsprozesse am Werke. Auch die Grenzen zwischen Arbeitsmarktsegmenten verlaufen in Frankreich anders als in Deutschland. In Deutschland ist der industrielle Arbeitsmarkt stärker gegen den Rest der

Wirtschaft abgegrenzt als in Frankreich. Intern ist dieser Arbeitsmarkt sehr homogen: ein Wechsel zwischen Betrieben ist für deutsche Industriearbeiter leicht möglich. In Frankreich sind die Arbeiter stärker an den Betrieb gebunden, aber ein Wechsel zwischen industriellem Sektor und anderen Sektoren ist viel leichter möglich als in Deutschland.

Maurice, Sellier und Silvestre (1979) fassen die Unterschiede in den betrieblichen Arbeitsteilung, den innerbetrieblichen Mobilitätsprozessen und der Segmentierung der Arbeitsmärkte in dem Begriff unterschiedlicher Räume zusammen, die durch unterschiedliche Art der Qualifikations-bildung gekennzeichnet sind: "Im Falle Deutschlands eine im Hinblick auf die Gesamtgesellschaft spezifische Qualifikation, deren allgemeine Verbreitung und Einheitlichkeit zur Konstitution eines

125 Trotz zielgerichtetem "Training on the Job" in den französischen Betrieben sind die

Weiterbildungseffekte durch die Progression in der Karriereleiter eher begrenzt, da gerade die interessanten und anspruchsvollen Aspekte der industriellen Tätigkeiten von der Produktion weg in die Planungsabteilungen verlegt werden. Anspruchsvolle Jobs finden sich eher in den

Kleinbetrieben, in denen die Arbeitsteilung nur gering fortgeschritten ist.

"qualifikatorischen Raumes" beiträgt; im Falle Frankreichs eine im allgemeinen wenig spezifische Qualifikation, die aber sehr abhängig ist von dem "organisatorischen Raum", in dem sie sich bildet"

(Maurice, Sellier und Silvestre 1979:308, Hervorhebung im Original). Großbritannien, das in der Studie von Maurice, Sellier und Silvestre noch nicht einbezogen ist, wäre wohl zwischen diesen Extremen einzuordnen.

Entlohnungsstrukturen und Statusdifferentiale

Die unterschiedlichen Formen der Arbeitsteilung und die unterschiedlichen Mobilitätsregimes spiegeln sich nach Meinung der genannten Autoren auch in unterschiedlichen Entlohnungs-strukturen und Statusdifferentialen wider.

In Frankreich war in den untersuchten Betrieben die Differenzierung der Verdienste wesentlich höher als in den deutschen. Das Verhältnis der Spitzenverdienste zu den niedrigsten Verdiensten zum Beispiel betrug in den französischen Firmen 3,7-5,5, in den deutschen verdienten die Top-Manager nur 2,0-2,8 mal so viel wie die einfachen Arbeiter (Lutz 1976:109). Auch andere

Indikatoren der Einkommensungleichheit zeigen eindeutig eine stärkere Spreizung der Einkommen in Frankreich126. Aus mikroökonomischer Perspektive paradox erscheint die Tatsache, daß die höherbezahlten Berufspositionen in den französischen Betrieben auch zahlenmäßig stärker vertreten sind. Bei Annahme gleicher durchschnittlicher Arbeitskosten folgert daraus, daß die größeren Einkommensdifferentiale nicht nur relative, sondern auch absolute

Einkommens-unterschiede zwischen den Berufsgruppen zum Ausdruck bringen: "Etwas simplifiziert könnte man sagen, daß den französischen Arbeitern im Vergleich zu ihren deutschen Kollegen das am Lohn abgezogen wird, was notwendig ist, um die weitaus höheren Lohn- und Gehaltskosten für

Führungskräfte und für Angestellte in der kaufmännischen Verwaltung und im technischen Büro zu finanzieren" (Lutz 1976:114).

Nicht nur die Einkommenshöhen sind verschieden, auch die Determinanten des Einkommens sind nicht dieselben: während in Frankreich die Einkommenshöhe mehr von der Dauer der Betriebs-zugehörigkeit - deutliches Kennzeichen des Senioritätsprinzips - und der Stellung in der Füh-rungshierarchie abhängt, ist in den deutschen Betrieben Qualifikation der wichtigste Einkom-mensfaktor (Maurice, Sellier und Silvestre 319-321).

Auch die Statusbarrieren verlaufen anders. In Frankreich läuft die entscheidende Grenze zwischen Führungs- und Nichtführungskräften. In deutschen Betrieben ist diese Distanz gemildert durch die starke Stellung des Meisters: Als besonders qualifizierter Arbeitskraft in der Produktion verfügt er auch über umfangreiche Managementkompetenzen, so daß er ein Bindeglied zwischen Produktion und Management darstellt. In Frankreich hingegen verläuft zwischen Produktion und Management eine wesentlich größere Kluft. In deutschen Betrieben ist andererseits die Grenze zwischen Angestellten und Arbeitern schärfer gezogen - eine Grenze, die sich eher an beruflichen Tätigkeiten (Produktion vs. Verwaltung) orientiert und weniger eine Statusbarriere darstellt.127

Wie oben beschrieben, verringern die Tätigkeits- und qualifikationsbestimmten Mobilitätsregimes in Deutschland das Ausmaß der intragenerationalen Mobilität. Die eher an der Führungshierarchie orientierten Karrierebahnen erlauben jedem den Aufstieg, der entsprechende Führungsqualitäten

126 Für einen Vergleich auf der Makroebene vgl. Maurice, Sellier und Silvestre (1979:294).

127Aufstiege von der Produktion ins Management werden in Frankreich auch eher als

Emporhangeln an einer Statusgrenze wahrgenommen. In deutschen Betrieben sind Aufstiege viel mehr mit Qualifikationsentwicklung verbunden, die Status- und Einkommensgewinne fallen eher mager aus.

aufweist. Da in Deutschland umfangreiche Qualifikationsentwicklung Voraussetzung zur Mobilität ist, sind insgesamt die beruflichen Kategorien sowohl stabiler als auch hinsichtlich Qualifikation homogener als in Frankreich. Relativ homogene Qualifikation auf hohem Niveau und damit ein hoher Grad an Professionalität und Autonomie ermöglichen aber zusammen mit der hohen Stabilität die Ausbildung eines ausgeprägten Klassenbewußtseins der Arbeiter. In Frankreich hingegen wird die Ausbildung eines Klassenbewußtseins durch die Instabilität der Arbeiterklasse und ihrer hinsichtlich Herkunft und Qualifikation eher heterogene Zusammensetzung verhindert (Maurice, Sellier und Silvestre 1979:312ff).

Maurice et al. zeichnen damit ein völlig unterschiedliches System der sozialen Differenzierung in den beiden Ländern: In Deutschland existiert ein Klassensystem mit klaren Grenzen zwischen den beruflichen Stellungen und Tätigkeiten. Die Grenzen zwischen diesen Positionsgruppen sind nur schwer zu überschreiten. Die vertikale Differenzierungen in und zwischen diesen Gruppen ist aber relativ gering: Die Einkommensungleichheit ist gering, auch die Qualifikationsunterschiede fallen eher mäßig aus. Vom Arbeiter bis zum leitender Manager haben die meisten die gleiche

Qualifikationsbasis, nämlich eine Lehrausbildung. Die Führungskräfte haben diese Basis aber durch eine Meisterausbildung ergänzt, die Topmanager unter Umständen durch ein Fachhoch-oder Hochschulstudium. Die Lehrausbildung und praktische Erfahrung selbst leitender Angestellter schafft eine Verbindung zum qualifizierten Arbeiter, die das Ausmaß der Statusdifferenzierung relativ gering erscheinen läßt. Insgesamt läßt sich das System der Ungleichheit also als stabiles Klassensystem mit klaren Klassengrenzen, aber geringer vertikaler Differenzierung zwischen den Klassen beschreiben.

In Frankreich sind die Stausdifferentiale hingegen viel stärker ausgeprägt, wie sich an den Einkommensdifferenzen aufzeigen läßt. Gleichwohl ist der Aufstieg im "organisatorischen" Raum viel leichter möglich, da er weniger an eine Qualifikationsentwicklung gebunden ist, jedenfalls innerhalb bestimmter Segmente des Statussystems. Auch ein unqualifizierter kann sich bis zum Meister hocharbeiten. Für das mittlere Management erlangen Zertifikate des allgemeinen Bil-dungssystems zunehmend Bedeutung, Leitende Positionen setzen vielfach Hochschulabschlüsse voraus. Wir haben es also mit einem streng hierarchisch differenzierten System zu tun, das aber weniger klare Klassengrenzen aufweist, da Aufwärtsmobilität stärker stattfindet. Nur im oberen Segment des System grenzt sich die Elite vom Rest der Beschäftigten ab.128

Organisationsstruktur und Bildungssysteme

Die Unterschiede in der Berufsstruktur, in der Entlohnung und in den Mobilitätsregimes sind nach Maurice et al. nicht mit individualistischen Arbeitsmarktmodellen effizienter Produktion zu erklären.

Sie sehen diese Differenzen nicht als Ausdruck von Unterschieden in der Produktionsweise, die mit fortschreitender ökonomischer Entwicklung verschwinden würden. Sie sehen sie vielmehr als Indikatoren systematischer, permanenter Differenzen in der gesellschaftlichen Organisationsweise der Produktion, als Ausdruck eines "gesellschaftlichen Effekts" (Maurice, Sellier und Silvestre 1979). Der gesellschaftliche Effekt besteht in je typischen Konstellationen von

Organisationsstruktur, industriellen Beziehungen und Bildungssystemen. Vor allem letzteren schreiben sie eine zentrale Rolle zu: Unterschiede der Bildungssysteme sind für die unterschiedli-chen Arbeitsorganisationen verantwortlich.129

In Frankreich ist das Bildungssystem deutlich weniger ausgebaut als in der Bundesrepublik. Ein

128 Leider fehlen Vergleiche der Einkommensverteilung mit den britischen Betrieben. Hinsichtlich der Statusdifferentiale scheint Großbritannien aber eine Mittelstellung zwischen Frankreich und Deutschland einzunehmen (Maurice, Sorge und Warner 1980:66).

129 Vgl. Lutz (1976:115-118), Maurice, Sellier und Silvestre (1979:300-305), Sorge (1983).

hoher Anteil der Bevölkerung tritt nach dem Abschluß der Primarstufe direkt in das Arbeitsleben ein. Vor allem die berufliche Ausbildung steht auf äußerst schwache Beinen: Sie findet aus-schließlich in Berufsschulen statt und hat einen äußerst geringen Status. Die Berufsschule besucht nur, wer den Übergang in die Sekundarschulen nicht schafft. Das sekundäre allgemeinbildenden Schulwesen ist allerdings umfangreicher als in Deutschland. Es gliedert sich aber in deutlich voneinander abgeschottete, hierarchische Ebenen, an deren Spitze die "Grand Écoles" stehen.

Die Bundesrepublik setzt hingegen mit dem "dualen System" bestehend aus Berufsschule und berufspraktischer Ausbildung im Wesentlichen auf eine umfangreiche Berufsausbildung. Für zahlreiche Berufe wird eine Lehre angeboten. Die Lehre bildet oft auch eine Grundlage für die höhere Ausbildung: Viele Fach- und Fachhochschüler verfügen über einen Gesellen- oder Facharbeiterbrief. Das duale System hat für die auszubildenden Arbeitskräfte zwei wichtige Eigenschaften: Es vermittelt nicht nur eine umfangreiche theoretische Berufsausbildung, sondern durch den hohen Anteil der Ausbildungszeit in den Betrieben auch eine breite praktische Erfah-rung, vergleichbar dem "Training on the Job". Anders als dieses aber werden die Auszubildenden nicht nur mit den Tätigkeiten vertraut gemacht, die für einen bestimmten Arbeitsplatz relevant sind, sondern mit allen wichtigen Tätigkeiten, die zu einem Berufsfeld gehören. Schließlich wird die Lehre mit einem allgemein anerkannten Zertifikat abgeschlossen, welches signalisiert, daß Auszubildende sich in allen Bereichen ihres Berufes - und nicht nur in für einen Betrieb spezi-fischen Tätigkeiten - auskennen.

Nach Maurice et al. wird erst aufgrund der Unterschiede in den Bildungssystemen die unter-schiedliche Arbeitsorganisation in den Betrieben verständlich. In Deutschland steht ein Reservoir aus gut ausgebildeten Fachkräften zur Verfügung, die in einem breiten Tätigkeitsspektrum selbständig arbeiten können. Daher genügt ein kleiner Führungsstamm, der die Rahmenplanung der Arbeitsabläufe übernimmt, innerhalb deren die Arbeiter eigenständig tätig werden können. In Frankreich hingegen ist der größte Teil der Arbeiterschaft nach Verlassen des Bildungssystems als

Nach Maurice et al. wird erst aufgrund der Unterschiede in den Bildungssystemen die unter-schiedliche Arbeitsorganisation in den Betrieben verständlich. In Deutschland steht ein Reservoir aus gut ausgebildeten Fachkräften zur Verfügung, die in einem breiten Tätigkeitsspektrum selbständig arbeiten können. Daher genügt ein kleiner Führungsstamm, der die Rahmenplanung der Arbeitsabläufe übernimmt, innerhalb deren die Arbeiter eigenständig tätig werden können. In Frankreich hingegen ist der größte Teil der Arbeiterschaft nach Verlassen des Bildungssystems als

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