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V. Verfassungsrechtliche Aspekte

2. Die Verfassungsmäßigkeit des Optionsmodells

a) Fragestellung

Die im Zuge der Staatsangehörigkeitsreform neu eingeführte Regelung des § 29 StAG bein-haltet eine Optionspflicht deutsch-ausländischer Mehrstaater, die die deutsche Staatsangehö-rigkeit durch Geburt im Inland erworben haben, und sieht für bestimmte Fallkonstellationen den Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit vor276. Die Vorschrift war im Gesetzgebungs-verfahren unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten umstritten. Erhebliche Bedenken wurden in erster Linie im Hinblick auf Art. 16 Abs. 1 GG geltend gemacht, der eine Entzie-hung der deutschen Staatsangehörigkeit - im Gegensatz zu deren zulässigem Verlust - verbie-tet. Darüber hinaus leiteten einzelne Gegner des Optionsmodells einen Verfassungsverstoß aus dem Gebot der Einheitlichkeit der Staatsangehörigkeit her. Des weiteren wurde die Ver-einbarkeit des § 29 StAG mit dem Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG und der Rechtsweg-garantie des Art. 19 Abs. 4 GG erörtert. Die im Zusammenhang mit der Optionslösung disku-tierten verfassungsrechtlichen Aspekte sollen im folgenden den Gegenstand einer näheren Untersuchung bilden.

b) Entziehung oder Verlust der Staatsangehörigkeit (Art. 16 Abs. 1 GG)

aa) Gemäß § 29 Abs. 3 S. 2 StAG geht die deutsche Staatsangehörigkeit verloren, wenn der Erklärungspflichtige die Aufgabe oder den Verlust der ausländischen Staatsangehörigkeit nicht bis zur Vollendung des 23. Lebensjahres nachweist, es sei denn, daß er vorher auf An-trag eine Beibehaltungsgenehmigung erhalten hat. Der kraft Gesetzes eintretende Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit wirft im Hinblick auf die Vereinbarkeit mit Art. 16 Abs. 1 GG die Frage auf, ob es sich hierbei um eine unzulässige Entziehung der Staatsangehörigkeit oder um eine zulässige Verlustregelung handelt.

bb) Art. 16 Abs. 1 GG beinhaltet eine individualrechtliche Garantie der deutschen Staatsange-hörigkeit und schützt deren Inhaber vor einer Zwangsausbürgerung. Die Entscheidung des Verfassungsgebers, ein absolutes Entziehungsverbot in das Grundgesetz aufzunehmen, wurde vor dem Hintergrund der zahlreichen diskriminierenden Massenausbürgerungen getroffen, die unter der nationalsozialistischen Herrschaft aus politischen, rassischen oder religiösen Grün-den vorgenommen wurGrün-den277. Das Verbot richtet sich an Verwaltung und Gerichte wie auch an den Gesetzgeber, und zwar nicht nur für Maßnahme- und Einzelfallgesetze, sondern eben-so für generelle Gesetze278. Dies folgt daraus, daß die ursprünglich im Textentwurf zu Art. 16 Abs. 1 S. 1 GG enthaltene Einschränkung, es müsse sich um eine "willkürliche" Entziehung handeln, in der Endfassung der Vorschrift gestrichen wurde, um tatsächlich jede Entziehung

276 Zu den Einzelheiten der Regelung siehe oben B.IV.2.

277 Vgl. Randelzhofer, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 16 Abs. I Rn. 5; Schnapp, in: von Münch/Kunig, GG, Art. 16 Rn. 2.

278 Antoni, in: Seifert/Hömig, GG, Art. 16 Rn. 1.

der Staatsangehörigkeit auszuschließen. In der ursprünglichen Fassung wäre die Entziehung

dagegen durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt gewesen279. Nach Art. 16 Abs. 1 S. 1 GG darf die deutsche Staatsangehörigkeit nicht entzogen werden.

Der Verlust der Staatsangehörigkeit darf nur auf Grund eines Gesetzes280 und gegen den Willen des Betroffenen nur dann eintreten, wenn der Betroffene dadurch nicht staatenlos wird (Art. 16 Abs. 1 S. 2 GG). Die Entziehung der deutschen Staatsangehörigkeit ist demnach ver-boten, wohingegen ihr Verlust selbst gegen den Willen des Betroffenen zulässig ist, vorausge-setzt, er beruht auf einer gesetzlichen Grundlage und führt nicht zur Staatenlosigkeit281. In die-sem Zusammenhang stellt sich die Frage, wie die Abgrenzung beider Tatbestände vorzuneh-men ist. Bei der Unterscheidung zwischen Entziehung und Verlust sind u.a. Entstehungsge-schichte sowie Sinn und Zweck der Vorschrift zu berücksichtigen.

cc) Nach verbreiteter Auffassung liegt ein Verlusttatbestand vor, wenn es sich um vom Be-troffenen selbst willentlich gesetzte, also vermeidbare und ihrem Wesen nach auf Abkehr vom deutschen Staatsverband gerichtete Tatbestände handelt282. Diese sind gegeben, wenn jemand seine Entlassung aus der Staatsangehörigkeit beantragt, auf Antrag eine ausländische Staats-angehörigkeit erwirbt, auf die deutsche StaatsStaats-angehörigkeit verzichtet, von einem Ausländer als Kind angenommen wird oder in ausländische Streitkräft eintritt283. Dagegen soll eine Ent-ziehung grundsätzlich bei jedem Hoheitsakt vorliegen, der den Wegfall der Staatsangehörig-keit ohne oder gegen den Willen des Betroffenen zur Folge hat284, also aus Gründen, die der einzelne nicht beeinflussen kann285. Gleichbedeutend mit Entziehung sind Ausbürgerung und Aberkennung der Staatsangehörigkeit286.

Soweit der Unterscheidung zwischen Entziehung und Verlust der Umstand zugrundegelegt wird, ob das Erlöschen der Staatsangehörigkeit ohne oder gegen bzw. mit dem Willen des Be-troffenen eintritt (Willenstheorie)287, ist dieses Abgrenzungskriterium im Hinblick auf Art. 16 Abs. 1 S. 2 GG nicht unproblematisch, da hier der Verlust der Staatsangehörigkeit gegen den

279 Vgl. von Doemming/Füßlein/Matz, JöR Band 1 (1951), S. 160, 162.

280 Der Fall des Verlustes „durch Gesetz“ ist aufgrund eines Redaktionsversehens nicht genannt, wird aber von Art. 16 Abs. 1 S. 2 GG ebenfalls erfaßt, vgl. Randelzhofer, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 16 Abs. I Rn. 56; ebenso Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 16 Rn. 10.

281 Auch: de facto-Staatenlosigkeit, vgl. BVerwG vom 7.7.1959, DÖV 1959, 866 f.

282 Antoni, in: Seifert/Hömig, GG, Art. 16 Rn. 2.

283 Vgl. den Katalog des § 17 StAG.

284 Hofmann, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG, Art. 16 Rn. 13; Kimminich, in: Bonner Kommentar zum GG, Art. 16 Rn. 34.

285 Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 16 Rn. 8; Antoni, in: Seifert/Hömig, GG, Art. 16 Rn. 1; jeweils unter Hin-weis auf BVerfG vom 22.6.1990, NJW 1990, 2193.

286 Randelzhofer, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 16 Abs. I Rn. 49; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 16 Rn. 5.

287 Kimminich, in: Bonner Kommentar zum GG, Art. 16 Rn. 34 und 36; a.A. nunmehr Schnapp, in: von Münch/

Kunig, GG, Art. 16 Rn. 12.

Willen des Betroffenen gerade zulässig ist288. Es ist daher eine Ergänzung dahingehend erfor-derlich, daß der Wille nicht unmittelbar auf den Verlust gerichtet sein muß, sondern es viel-mehr ausreicht, wenn er den gesetzlichen Verlusttatbestand umfaßt289.

Als maßgebendes Abgrenzungskriterium wird weiterhin die Vermeidbarkeit bzw. die Unver-meidbarkeit des Wegfalls der deutschen Staatsangehörigkeit in Betracht gezogen. Nach der Vermeidbarkeitstheorie liegt ein Verlust der Staatsangehörigkeit vor, wenn er für den Betroffenen vermeidbar ist; die Entziehung hingegen ist unvermeidbar290. Hiergegen bestehen indes ähnliche Vorbehalte, wie sie auch hinsichtlich der Willenstheorie geltend gemacht wer-den. Gegen das Kriterium der Vermeidbarkeit wird etwa eingewandt, daß beispielsweise der Verlust der Staatsangehörigkeit beim Antragserwerb einer fremden Staatsangehörigkeit für den Betroffenen ebenso vermeidbar oder unvermeidbar sei, wie man ihn auch als gewollt oder ungewollt bezeichnen könne291.

Eine vermittelnde Auffassung unternimmt den Versuch, mehrere absichtsrelevante Merkmale zu verbinden (kombinierter Entziehungsbegriff). Als Entziehung soll demnach jeder Wegfall der Staatsangehörigkeit gegen oder ohne den Willen des Betroffenen anzusehen sein, der durch Einzelakt der Exekutive oder der Rechtsprechung erfolgt oder den der Betroffene nicht beeinflussen kann oder der auf einem nicht in der Staatenpraxis aktuell üblichen und als mit Art. 15 Abs. 2 AEMR anerkannten Verlustgrund beruht292. Eine andere Literaturmeinung will den Verlust gegen den Willen des Betroffenen auf die traditionellen Verlusttatbestände be-schränken und weitergehende Verlusttatbestände unter die Entziehung i.S.d. Art. 16 Abs. 1 S. 1 GG subsumieren (Traditionstheorie)293.

Die ebenfalls in der Literatur vertretene Ansicht, unter Entziehung der Staatsangehörigkeit sei nur die "individuelle, einzelaktsmäßige oder allgemeinverfügungsartige Zwangsausbürge-rung" zu verstehen294, überzeugt allerdings nicht. Die Beschränkung auf Einzelakte ist - wie auch die Einschränkung, eine unzulässige legislative Entziehung liege nur beim Erlaß von Sondergesetzen vor - im Hinblick auf die Entstehungsgeschichte des Art. 16 Abs. 1 GG als zu eng abzulehnen295. Dies gilt gleichermaßen für die Auffassung, als Entziehung der Staatsange-hörigkeit sei lediglich die Aberkennung durch Verwaltungsakt anzusehen, die nicht auf An-trag des Betroffenen erfolgt296.

288 Kokott, in: Sachs, GG, Art. 16 Rn. 15; Lübbe-Wolff, Jura 1996, 57, 60 f.

289 Renner, in: Hailbronner/Renner, Art. 16 GG Rn. 30.

290 Randelzhofer, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 16 Abs. I Rn. 49; ebenso Schnapp a.a.O.; Becker, in: von Mangoldt/

Klein/Starck, GG, Art. 16 Rn. 33.

291 Renner a.a.O. m.w.N.; kritisch auch Lübbe-Wolff, in: Dreier, GG, Art. 16 Rn. 40; dies., Jura 1996, 57, 61.

292 Lübbe-Wolff a.a.O., 61 f; dies., in: Dreier, GG, Art. 16 Rn. 40.

293 Pieroth/Schlink, Rn. 964.

294 Kokott, in: Sachs, GG, Art. 16 Rn. 16.

295 Renner, in: Hailbronner/Renner, Art. 16 GG Rn. 29 m.w.N.

296 So das Rundschreiben des Bundesministeriums des Innern vom 27.3.1950, StAZ 1950, 122.

dd) Das BVerfG befaßt sich in seinem Beschluß vom 22.6.1990 mit der Abgrenzung von unzulässiger Entziehung und zulässigem Verlust im Zusammenhang mit dem Antragserwerb einer ausländischen Staatsangehörigkeit nach §§ 17 Nr. 2, 25 Abs. 1 RuStAG. Es handle sich hierbei nicht um eine Entziehung der deutschen Staatsangehörigkeit i.S.d. Art. 16 Abs. 1 S. 1 GG. Zwar trete der Verlust ohne Antrag als automatische Rechtsfolge ein, wenn der Betroffe-ne den gesetzlichen Tatbestand des § 25 Abs. 1 RuStAG verwirklicht habe und keiBetroffe-ne Ausnah-men nach § 25 Abs. 1 und 2 RuStAG gegeben seien. Der Verlust der deutschen Staatsangehö-rigkeit sei jedoch nicht die Folge eines allein auf dem Willen des Staates zur Wegnahme der deutschen Staatsangehörigkeit beruhenden Aktes, sondern er trete aufgrund von Handlungen des Betroffenen ein, die auf einem selbstverantwortlichen und freien Willensentschluß ge-gründet sind. Der Betroffene habe es selbst in der Hand, die deutsche Staatsangehörigkeit zu behalten, sei es, daß er auf den Erwerb der ausländischen Staatsangehörigkeit verzichtet, sei es, daß er in Deutschland einen Wohnsitz oder seinen dauernden Aufenthalt aufrechterhält (§ 25 Abs. 1 RuStAG) bzw. eine Genehmigung zur Beibehaltung der deutschen Staatsangehö-rigkeit vor Erwerb der ausländischen StaatsangehöStaatsangehö-rigkeit einholt (§ 25 Abs. 2 StAG)297. Das BVerwG hat sich dieser Auffassung angeschlossen298.

Nach Ansicht des BVerfG ist somit für das Vorliegen einer zulässigen Verlustregelung ent-scheidend, ob der Verlust aufgrund von Handlungen des Betroffenen eintritt, die auf einem freien und selbstverantwortlichen Willensentschluß beruhen. Für den Fall des Erwerbs einer ausländischen Staatsangehörigkeit auf Antrag bedeutet dies, daß es sich um einen zulässigen Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit handelt, denn es bleibt dem Betroffenen selbst überlassen, diese Rechtsfolge anhand der vom BVerfG aufgezeigten Möglichkeiten selbst zu verhindern. Eine Entziehung der Staatsangehörigkeit läge dagegen nur dann vor, wenn der Betroffene den Verlust nicht hätte beeinflussen können299.

ee) Die dargelegten Grundsätze zur Abgrenzung von Entziehung und Verlust der Staatsange-hörigkeit sind nun auf die Erklärungspflicht des § 29 StAG anzuwenden. Es stellt sich somit die Frage, ob der deutsche Staatsangehörige das gesetzliche Tatbestandsmerkmal, an das der Verlust der Staatsangehörigkeit geknüpft ist, willentlich erfüllt hat bzw. er dessen Verwirk-lichung hätte vermeiden können, bzw. ob der automatische Verlust der deutschen Staatsange-hörigkeit mit Vollendung des 23. Lebensjahres auf einem freien und selbstverantwortlichen Willensentschluß des Erklärungspflichtigen beruht oder aber auf Umständen, die seiner Ein-flußnahme entzogen sind.

Der Gesetzgeber weist darauf hin, daß im Hinblick auf diese verfassungsrechtlichen Anforde-rungen die Regelung des § 29 StAG so ausgestaltet wurde, daß ein Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit nur eintritt, wenn er dem erklärten Willen des Betroffenen entspricht oder Handlungen zur Aufgabe der ausländischen Staatsangehörigkeit unterlassen werden, obwohl

297 BVerfG vom 22.6.1990, NJW 1990, 2193.

298 BVerwG vom 12.12.1995, BVerwGE 100, 139, 145; vgl. auch BVerwG vom 13.10.2000 - 1 B 53/00.

299 So ausdrücklich BVerfG a.a.O.

sie möglich und zumutbar wären300. Gemäß § 29 Abs. 3 S. 2 StAG tritt der Verlust der deut-schen Staatsangehörigkeit nur dann mit Vollendung des 23. Lebensjahres ein, wenn der Be-troffene nicht vorher auf Antrag die schriftliche Genehmigung der zuständigen Behörde zur Beibehaltung der deutschen Staatsangehörigkeit erhalten hat. Diese Beibehaltungsgenehmi-gung ist zu erteilen, wenn die Aufgabe oder der Verlust der ausländischen Staatsangehörigkeit nicht möglich oder nicht zumutbar ist oder bei einer Einbürgerung nach § 12 StAG Mehrstaa-tigkeit hinzunehmen wäre oder hingenommen werden könnte (§ 29 Abs. 4 StAG).

ff) Um für die verfassungsrechtliche Beurteilung des § 29 StAG eine sachgerechte Abgren-zung von Entziehung und Verlust der Staatsangehörigkeit i.S.d. Art. 16 Abs. 1 GG vorneh-men zu können, ist eine differenzierte Betrachtung der möglichen Fallkonstellationen erfor-derlich. Im einzelnen sind die folgenden Alternativen zu unterscheiden:

(1) Der Erklärungspflichtige entscheidet sich für die ausländische, optiert also gegen die deutsche Staatsangehörigkeit: Diese geht aufgrund eines selbstverantwortlichen und freien Willensentschlusses des Betroffenen verloren. Der Verlust ist auf seinen ausdrück-lich erklärten Willen zurückzuführen und damit zulässig, ohne mit dem Entziehungsver-bot des Art. 16 Abs. 1 GG in Konflikt zu geraten.

(2) Der Optionspflichtige bleibt untätig und gibt bis zur Vollendung des 23. Lebensjahres keine Erklärung gegenüber der zuständigen Behörde ab mit der Folge, daß die deutsche Staatsangehörigkeit zu diesem Zeitpunkt automatisch verlorengeht: Hier ist davon auszu-gehen, daß kein Interesse an ihrer Beibehaltung besteht und der Betroffene sich auch nicht darum bemüht hat, die ausländische Staatsangehörigkeit aufzugeben. Dies rechtfer-tigt die Annahme, daß der Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit ebenso seinem Ein-verständnis entspricht, wie dies auch bei Abgabe einer ausdrücklichen Erklärung der Fall wäre.

(3) Der Erklärungspflichtige optiert für die Beibehaltung der deutschen Staatsangehörigkeit und gibt eine dahingehende Erklärung ab: Grundsätzlich ist der Betroffene verpflichtet, die Aufgabe oder den Verlust der ausländischen Staatsangehörigkeit nachzuweisen (vgl.

§ 29 Abs. 3 S. 1 StAG). Kommt er dieser Obliegenheit bis zur Vollendung des 23. Le-bensjahres nach, hat er den Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit erfolgreich abge-wendet. Erbringt er den Nachweis über das Ausscheiden aus der ausländischen Staatsan-gehörigkeit jedoch nicht bzw. nicht fristgerecht, obwohl ihm dies möglich und zumutbar wäre, und geht infolgedessen die deutsche Staatsangehörigkeit verloren, handelt es sich gleichwohl um einen zulässigen Verlust und nicht um eine Entziehung i.S.d. Art. 16 Abs. 1 S. 1 GG. Denn der Betroffene hat es hier allein in der Hand, die ausländische Staatsangehörigkeit aufzugeben bzw. deren Verlust eintreten zu lassen und dadurch den Wegfall der deutschen Staatsangehörigkeit zu verhindern.

300 Einzelbegründung zu § 29 StAG, BT-Drs. 14/533, S. 16.

(4) Anders ist der Sachverhalt jedoch zu beurteilen, wenn der Erklärungspflichtige sich für die deutsche Staatsangehörigkeit entscheidet, die Aufgabe bzw. der Verlust der ausländi-schen Staatsangehörigkeit ihm jedoch nicht möglich oder nicht zumutbar ist. In diesem Fall kann nicht angenommen werden, daß der Verlust der Staatsangehörigkeit für den Be-troffenen vermeidbar ist bzw. von ihm beeinflußt werden kann. Von Bedeutung ist in die-sem Zusammenhang allerdings die in § 29 Abs. 3 S. 4 StAG vorgesehene Möglichkeit, eine Genehmigung zur Beibehaltung der deutschen Staatsangehörigkeit zu erhalten. Auf die Erteilung der Beibehaltungsgenehmigung besteht bei Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen (Unmöglichkeit; Unzumutbarkeit; Tatbestand des § 12 StAG) ein Rechtsanspruch.

Der automatische Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit tritt also nur dann ein, wenn es der Erklärungspflichtige auch tatsächlich in der Hand hat, die Aufgabe oder den Verlust der ausländischen Staatsangehörigkeit herbeizuführen. Ist dies dagegen seinem Einfluß entzogen, ist ihm die Aufgabe oder der Verlust der anderweitigen Staatsangehörigkeit nicht möglich bzw. nicht zumutbar mit der Folge, daß der Betroffene einen Anspruch auf Erteilung einer Beibehaltungsgenehmigung hat. Im Hinblick darauf, daß die Regelung des § 29 StAG weitrei-chende Ausnahmeregelungen für diese Fälle vorsieht (vgl. auch die Erweiterung der Fallgrup-pen des § 12 StAG), handelt es sich bei der Regelung des § 29 StAG nicht um eine unzulässi-ge Entziehung der Staatsanunzulässi-gehörigkeit i.S.d. Art. 16 Abs. 1 S. 1 GG, sondern um einen zuläs-sigen Verlust i.S.d. Art. 16 Abs. 1 S. 2 GG301. Hinzu kommt, daß die zuständige Behörde ge-mäß § 29 Abs. 5 StAG verpflichtet ist, den Erklärungspflichtigen auf seine Verpflichtungen und die möglichen Rechtsfolgen nach § 29 StAG hinzuweisen. Dadurch soll insbesondere sichergestellt werden, daß die deutsche Staatsangehörigkeit nicht aus Unkenntnis der Rechts-lage verlorengeht302.

Auch der Umstand, daß der Verlust der Staatsangehörigkeit in den Fällen, in denen der Opti-onspflichtige bis zur Vollendung des 23. Lebensjahres keine Erklärung abgibt, aus einer blo-ßen Untätigkeit resultiert, begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Denn bei der Verleihung der Staatsangehörigkeit durch ius soli liegt insofern ein Sonderfall vor, als den Berechtigten mit der Geburt im Inland die Möglichkeit zur vollen Integration und Zugehörig-keit zum Staatsvolk eröffnet werden soll. Es ist daher nicht als sachwidrig anzusehen, wenn

301 Vgl. dazu auch Hailbronner; in: Hailbronner/Renner, Einl. F Rn. 80; Renner, ebenda, Art. 16 GG Rn. 44 und 54; ders., § 29 StAG Rn. 10 f, 32 ff. Ausführlich zum Optionsmodell und dem Verbot der Entziehung der deut-schen Staatsangehörigkeit Hailbronner, NVwZ 1999, 1273, 1277 f; für die Vereinbarkeit mit Art. 16 Abs. 1 GG auch Göbel-Zimmermann/Masuch, DÖV 2000, 95, 97 f; Masing, S. 47 ff; ders., Recht in Europa, S. 171, 179 ff;

Weber, DVBl. 2000, 369, 372 f; mit abweichender Begründung wohl auch Huber/Butzke, NJW 1999, 2769, 2770 f, 2773; ähnlich von Mangoldt, ZAR 1999, 243, 250 f. Vgl. zu Art. 16 Abs. 1 GG auch Scholz/Uhle, NJW 1999, 1510, 1515. In der öffentlichen Anhörung vom 13.4.1999 wurde die Vereinbarkeit mit Art. 16 Abs. 1 GG außerdem bejaht von Gusy, in: Reform des Staatsangehörigkeitsrechts - Die parlamentarische Beratung, S. 276 ff, und Renner, ebenda, S. 247 ff, 261 ff.

302 Einzelbegründung zu § 29 StAG, BT-Drs. 14/533, S. 16.

von den Betroffenen mit Erreichen der Volljährigkeit eine bewußte Entscheidung für die eine oder die andere Staatsangehörigkeit verlangt wird303.

gg) Nachdem bereits festgestellt wurde, daß die Optionslösung des § 29 StAG keine unzuläs-sige Entziehung der Staatsangehörigkeit i.S.d. Art. 16 Abs. 1 S. 1 GG beinhaltet, müssen für ihre verfassungsrechtliche Zulässigkeit überdies die Voraussetzungen des Art. 16 Abs. 1 S. 2 GG hinzukommen. Nach dieser Vorschrift darf der Verlust der Staatsangehörigkeit nur auf-grund eines Gesetzes und gegen den Willen des Betroffenen nur dann eintreten, wenn der Be-troffene dadurch nicht staatenlos wird. Vorliegend beruht der Verlust auf einer gesetzlichen Grundlage (§ 29 StAG). Des weiteren kann die Regelung, da sie von ihren begrifflichen Voraussetzungen her nur auf mehrfache Staatsangehörige anwendbar ist, auch nicht zur Staa-tenlosigkeit des Betroffenen führen. Im Ergebnis liegt somit ein zulässiger Verlusttatbestand vor, der mit Art. 16 Abs. 1 S. 1 und 2 GG vereinbar ist.

c) Gebot der Einheitlichkeit der Staatsangehörigkeit (Art. 16 Abs. 1 GG)

Vereinzelt wurden gegen die Optionspflicht des § 29 StAG Bedenken im Hinblick auf das Gebot der Einheitlichkeit der Staatsangehörigkeit geltend gemacht. Begründet wurde dies damit, daß die institutionelle Garantie der Staatsangehörigkeit in Art. 16 Abs. 1 GG auch die Gewährleistung einer einheitlichen und gleichen Staatsangehörigkeit beinhalte304. Da das Staatsangehörigkeitsrecht dem Erfordernis demokratischer Gleichheit Rechnung tragen müsse, könne es unter der Herrschaft des Grundgesetzes nur eine einzige Form der Staatsan-gehörigkeit geben305.

Die in Art. 16 Abs. 1 GG verankerte institutionelle Garantie wäre indes nur dann tangiert, wenn mit dem Optionsmodell tatsächlich eine weitere Rechtsform der Staatsangehörigkeit eingeführt worden wäre, die nach ius soli erworbene Staatsangehörigkeit also ein aliud gegen-über dem Regelfall der Staatsangehörigkeit i.S.d. Art. 16 Abs. 1 GG darstellte. Vereinzelt wurde dazu die Auffassung verteten, daß mit der Einführung der Optionslösung ein mit Art. 16 Abs. 1 GG unvereinbarer zweiter Typ Staatsangehörigkeit begründet werde306. Dies sei zumindest dann der Fall, wenn man die Staatsangehörigkeit mit der h.M. als Bereitschafts-status begreife, aus dem sich Rechte und Pflichten mittelbar erst dadurch ergeben, daß andere Rechtsvorschriften an die Staatsangehörigkeit anknüpfen, und der seinem Träger grundsätz-lich unbedingt und lebenslang zukommt307. Richtigerweise ist jedoch davon auszugehen, daß die Rechtsstellung derjenigen Personen, denen die Staatsangehörigkeit durch Geburt im In-land verliehen wurde, vollkommen identisch ist mit der Position derer, die die Staatsange-hörigkeit kraft Abstammung oder aufgrund Einbürgerung erworben haben. Die in § 29 StAG

303 Ausführlich dazu Hailbronner, in: Hailbronner/Renner, Einl. F Rn. 81.

304 So Scholz/Uhle, NJW 1999, 1510, 1511.

305 Huber/Butzke, NJW 1999, 2769, 2771.

306 Vgl. Huber, in: Reform des Staatsangehörigkeitsrechts - Die parlamentarische Beratung, S. 231.

307 Huber/Butzke a.a.O., 2773 f.

vorgesehene Erklärungspflicht schmälert diesen Status nicht, weshalb die nach ius soli erwor-bene Staatsangehörigkeit keine Staatsangehörigkeit minderen Rechts begründet308. Auch die Tatsache, daß die Optionspflicht im Personalausweis und Reisepaß des Betroffenen zu ver-merken ist, wodurch seine Abstammung von ausländischen Eltern nach außen erkennbar

vorgesehene Erklärungspflicht schmälert diesen Status nicht, weshalb die nach ius soli erwor-bene Staatsangehörigkeit keine Staatsangehörigkeit minderen Rechts begründet308. Auch die Tatsache, daß die Optionspflicht im Personalausweis und Reisepaß des Betroffenen zu ver-merken ist, wodurch seine Abstammung von ausländischen Eltern nach außen erkennbar