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VIII. Rechtspolitische Fragen und Praktikabilität künftiger Regelungen zur Vermeidung mehrfacher Staatsangehörigkeit Vermeidung mehrfacher Staatsangehörigkeit

2. Der Generationenschnitt (§ 4 Abs. 4 StAG)

a) Inhalt der Regelung, Gesetzeszweck und verfassungsrechtliche Zulässigkeit

Die zum 1.1.2000 neu eingeführte Regelung des § 4 Abs. 4 StAG schränkt den Staatsangehö-rigkeitserwerb nach dem Abstammungsprinzip bei Auslandsgeburten ein, wenn bereits der deutsche Elternteil des Kindes nach dem 31.12.1999 im Ausland geboren wurde und dort sei-nen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Besitzen beide Elternteile die deutsche Staatsangehörigkeit, tritt diese Rechtsfolge nur dann ein, wenn beide die genannten Voraussetzungen erfüllen (S. 3). Die deutsche Staatsangehörigkeit bleibt hingegen erhalten, falls das Kind sonst staaten-los wird (S. 1 a.E.). Setzt auch das ausländische Recht voraus, daß die ausländische Staatsan-gehörigkeit nur erworben wird, wenn das Kind andernfalls staatenlos wird, erwirbt das Kind die deutsche Staatsangehörigkeit512. Des weiteren kann der Staatsangehörigkeitserwerb auch dadurch herbeigeführt werden, daß der deutsche Elternteil die Geburt innerhalb eines Jahres gegenüber der zuständigen Auslandsvertretung anzeigt (S. 2). Erfolgt die Anzeige der Geburt rechtzeitig, wird die deutsche Staatsangehörigkeit rückwirkend mit dem Zeitpunkt der Geburt erworben513. § 4 Abs. 4 StAG gilt im übrigen entsprechend für den Erwerb der Deutschen-eigenschaft durch Kinder von Statusdeutschen514.

Im Grundsatz wurde die Begrenzung des Abstammungsprinzips bei Auslandsgeburten bereits im Asylkompromiß der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P. vom 6.12.1992 verein-bart515. Infolge der unbeschränkten Geltung des ius sanguinis nach § 4 RuStAG konnte die deutsche Staatsangehörigkeit auch nach einer Auswanderung ins Ausland über Generationen hinweg an die Nachkommen weitergegeben werden, selbst wenn keinerlei Verbindungen zu Deutschland mehr vorhanden waren516. Ziel der in das StAG aufgenommenen Einschränkung des Abstammungserwerbs ist es, diese unbegrenzte „Vererbung“ der Staatsangehörigkeit an die Folgegenerationen bei fehlendem Bezug zum Staatsgebiet zu verhindern. Insofern sollte der Generationenschnitt auch dazu dienen, die Problematik einer dauerhaften Rückkehr Ein-gebürgerter in den ausländischen Herkunftsstaat zu steuern517. Darüber hinaus will die

511 Unabhängige Kommission „Zuwanderung“ a.a.O., S. 249.

512 Nr. 4.4.1 StAR-VwV, auf die auch nach dem 1.1.2005 noch zurückgegriffen werden kann.

513 Nr. 4.4.2 StAR-VwV, auf die auch nach dem 1.1.2005 noch zurückgegriffen werden kann. - Kritik an § 4 Abs. 4 S. 2 StAG aus rechtsvergleichender Sicht äußert von Mangoldt, StAZ 2000, 285, 292.

514 Nr. 4.4.3 StAR-VwV, auf die auch nach dem 1.1.2005 noch zurückgegriffen werden kann.

515 Vgl. die Einzelbegründung zu § 4 StAG, BT-Drs. 14/533, S. 14.

516 Vgl. Renner, ZAR 1999, 154, 159; Weber, DVBl. 2000, 369, 370; Martenczuk, KritV 2000, 194, 199.

517 Meireis, StAZ 2000, 65, 70.

schrift zur Verminderung mehrfacher Staatsangehörigkeit beitragen518, wenngleich dieser Effekt durch die Möglichkeit, den Staatsangehörigkeitserwerb aufgrund einer Anzeige der Geburt bei der Auslandsvertretung zu bewirken, nicht unerheblich eingeschränkt wird519. Dogmatisch bemerkenswert bleibt gleichwohl, daß durch die Einführung des Generationen-schnitts das bislang unbeschränkt geltende Abstammungsprinzip erstmals angetastet wurde520. In verfassungsrechtlicher Hinsicht begegnet die Vorschrift des § 4 Abs. 4 StAG keinen Be-denken. Insbesondere verstößt die Regelung nicht gegen das Verbot des Art. 16 Abs. 1 GG, da sie weder eine Entziehung der Staatsangehörigkeit noch einen Verlusttatbestand, sondern lediglich einen Nichterwerbsgrund darstellt. Aufgrund des Generationenschnitts wird keinem Deutschen die Staatsangehörigkeit genommen, vielmehr wird diese bei bestimmten Auslands-geburten gar nicht erst erworben521. Infolgedessen ist die Beschränkung des Abstammungser-werbs mit Art. 16 Abs. 1 GG vereinbar.

b) Regelungslücken

Die Vorschrift des § 4 Abs. 4 StAG erfaßt nicht alle Fallkonstellationen einer Weitergabe der Staatsangehörigkeit an die Folgegenerationen trotz fehlender Beziehung zum Staatsgebiet.

Unvollständig ist die Regelung vor allem hinsichtlich der „Vererbung“ durch die Nachkom-men junger optionspflichtiger Ausländer, deren eigene deutsche Staatsangehörigkeit verloren-gegangen ist. Denn die Kinder behalten die deutsche Staatsangehörigkeit auch dann, wenn ihre Eltern sie zu einem späteren Zeitpunkt verlieren, etwa weil sie für die ausländische Staatsangehörigkeit optiert oder bis zur Vollendung des 23. Lebensjahres keine Erklärung ab-gegeben haben522. Da die Kinder deutsch-ausländischer Mehrstaater die deutsche Staatsange-hörigkeit nicht kraft Geburt, sondern durch Abstammung erworben haben, unterliegen sie auch nicht der Optionspflicht. Der Generationenschnitt nach § 4 Abs. 4 StAG, der nur die Fälle der Auslandsgeburten betrifft, findet hier selbst dann keine Anwendung, wenn sich der gewöhnliche Aufenthalt des Kindes nunmehr im Ausland befindet, weil seine Eltern dauerhaft in ihren Heimatstaat zurückgekehrt sind. Dies führt dazu, daß die im Ausland lebenden Kin-der die deutsche Staatsangehörigkeit nach dem Abstammungsprinzip uneingeschränkt an ihre Nachkommen weitergeben können, ohne selbst irgendeine Verbindung zur Bundesrepublik Deutschland zu besitzen.

518 Vgl. Renner a.a.O.

519 Vgl. Martenczuk, KritV 2000, 194, 200; kritisch auch Meireis, StAZ 2000, 65, 70. Vgl. zur Funktion der Vor-schrift auch Marx, in: GK-StAR, § 4 StAG Rn. 289-291.

520 Renner, ZAR 2002, 265, 266.

521 Meireis, StAZ 2000, 65, 70. Zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit auch Hailbronner, NVwZ 2001, 1329, 1334.

522 Vgl. dazu Dornis, ZRP 2001, 547, 548; Hailbronner, NVwZ 1999, 1273, 1279.

c) Folgerungen

Der Generationenschnitt ist in § 4 Abs. 4 StAG nur unvollständig geregelt, da die Vorschrift den Fall nicht erfaßt, daß die optionspflichtigen Eltern eines im Inland geborenen Kindes nach dem Verlust ihrer deutschen Staatsangehörigkeit wieder in ihren Herkunftsstaat zurückkehren.

Für ihre dauerhaft im Ausland lebenden Kinder sollte die Weitergabe der Staatsangehörigkeit nach dem Abstammungsgrundsatz ausgeschlossen werden, sofern keine tatsächlichen Bindun-gen an Deutschland mehr vorhanden sind523.

Es bleibt abzuwarten, welche Auswirkungen der Generationenschnitt ab den Jahren 2018-2020 in der Praxis tatsächlich haben wird. Über die Zahl der Betroffenen können keine zuver-lässigen Prognosen abgegeben werden. Zum einen ist davon auszugehen, daß die Eltern in zahlreichen Fällen die Geburt bei der zuständigen Auslandsvertretung anzeigen werden, um den Staatsangehörigkeitserwerb des Kindes herbeizuführen524. Des weiteren existieren keine präzisen Statistiken zu der Frage, wieviele Deutsche ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Aus-land haben bzw. bereits dort geboren wurden525. Der Wanderungsstatistik kann lediglich ent-nommen werden, wieviele Deutsche jährlich nach Deutschland zu- bzw. fortziehen. So sind im Jahr 2003 127.267 Deutsche aus Deutschland fortgezogen und 167.216 Deutsche nach Deutschland zugezogen; dies entspricht 20,3 % aller Fortzüge und 21,7 % aller Zuzüge526. Hierzu werden allerdings auch Personen gezählt, die im Rahmen des Spätaussiedlerzuzugs in Deutschland Aufnahme finden. So sind im Jahr 2003 72.885 Spätaussiedler nach Deutschland zugezogen527. Nur im übrigen handelt es sich bei der Zuwanderung von Deutschen um aus dem Ausland rückwandernde deutsche Staatsangehörige, die jederzeit das Recht auf Rückkehr nach Deutschland haben528. Darüber hinaus ist anzunehmen, daß sich ein hoher Anteil von aus dem Ausland zurückkehrenden Personen vor ihrer Ausreise aus Deutschland nicht bei den Be-hörden abmeldet, da bei nur kurzzeitigem Auslandsaufenthalt der inländische Wohnsitz häu-fig beibehalten wird529.

523 Ob auch für die Kinder optionspflichtiger Eltern, deren deutsche Staatsangehörigkeit verlorengegangen ist, ein entsprechender Verlusttatbestand eingeführt werden könnte, erscheint im Hinblick auf das Entziehungsverbot des Art. 16 Abs. 1 GG zweifelhaft; ausführlich dazu unten D.VIII.4 und 6.

524 Vgl. Renner, ZAR 2002, 265, 267.

525 Ebenda.

526 Migrationsbericht des Sachverständigenrates für Zuwanderung und Integration im Auftrag der Bundesregie-rung, November 2004, S. 10. Siehe zur Entwickung der Zu- und Fortzüge von Deutschen und Ausländern seit 1991 das Jahresgutachten 2004 des Sachverständigenrates für Zuwanderung und Integration („Migration und Integration - Erfahrungen nutzen, Neues wagen“), S. 54 ff.

527 Migrationsbericht a.a.O., S. 29.

528 Migrationsbericht a.a.O., S. 11.

529 3. Migrationsbericht der Integrationsbeauftragten, Januar 2004, S. 72.

3. Ergebnis

Die Neuregelung des Staatsangehörigkeitsrechts wirft eine Vielzahl praktischer Fragen auf, die überwiegend erst ab den Jahren 2008 bzw. 2018 beantwortet werden können. Vor allem im Hinblick auf das Optionsmodell und den Generationenschnitt können über die tatsäch-lichen Auswirkungen der Reformgesetzgebung derzeit nur Vermutungen angestellt werden.

In einigen Bereichen wurden indes bereits erste Erfahrungen mit der Anwendung der neuen Regelungen gewonnen, so etwa hinsichtlich des Staatsangehörigkeitserwerbs durch Geburt im Inland oder der reformierten Einbürgerungsvorschriften. Von Bedeutung sind darüber hinaus die Hinnahme von Mehrstaatigkeit, die Überleitung von Statusdeutschen und Spätaussiedlern in die deutsche Staatsangehörigkeit wie auch das Verwaltungsverfahren einschließlich der Kosten. Diese Fragen sollen im folgenden Gegenstand einer näheren Betrachtung sein.

C. PRAKTISCHE HANDHABUNG DER NEUEN VORSCHRIFTEN UND

AUSWIRKUNGEN DER REFORM