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V. Verfassungsrechtliche Aspekte

1. Die Verfassungsmäßigkeit des Geburtsortsprinzips

a) Fragestellung

Die Vorschrift des infolge der Reform des Staatsangehörigkeitsrechts zum 1.1.2000 neu ein-gefügten § 4 Abs. 3 StAG sieht unter bestimmten Voraussetzungen den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit durch ein Kind ausländischer Eltern mit dessen Geburt im Inland vor. Im allgemeinen wird die Verleihung der deutschen Staatsangehörigkeit durch ius soli zur Mehr-staatigkeit des Berechtigten führen, da regelmäßig zugleich auch ein Erwerb der ausländi-schen Staatsangehörigkeit(en) der Eltern nach dem Abstammungsprinzip stattfindet.

Die Einführung des Geburtsortsprinzips wirft nicht allein im Hinblick auf die Entstehung mehrfacher Staatsangehörigkeit eine Reihe verfassungsrechtlicher Fragen auf, die im folgen-den Gegenstand einer näheren Betrachtung sein sollen. Zu berücksichtigen sind dabei insbe-sondere Einwände hinsichtlich des Begriffs und der Funktion des Staatsvolkes im Grundge-setz, des in der Verfassung verankerten Demokratieprinzips, des Schutzes von Ehe und Fami-lie sowie weiterer grundlegender Verfassungsprinzipien, die für die Beurteilung staatsangehö-rigkeitsrechtlicher Regelungen von Bedeutung sind.

b) Der Begriff des Staatsvolkes im Grundgesetz (Art. 116 Abs. 1 GG)

aa) Art. 116 Abs. 1 GG definiert den Begriff "Deutscher" im Sinne des Grundgesetzes unter Berücksichtigung ethnischer und ethnosoziologischer Gesichtspunkte215. Den deutschen Staatsangehörigen gleichgestellt sind Flüchtlinge und Vertriebene deutscher Volkszugehörig-keit sowie deren Ehegatten und Abkömmlinge, die im Gebiet des Deutschen Reiches nach dem Stand vom 31.12.1937 Aufnahme gefunden haben (sog. Statusdeutsche). Die Deutschen i.S.d. Art. 116 Abs. 1 GG bilden das Staatsvolk der Bundesrepublik Deutschland, von dem die Staatsgewalt i.S.d. Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG ausgeht216. Alle Normen des Grundgesetzes, die für Deutsche gelten, sind auch auf die Statusdeutschen („Deutsche ohne deutsche Staatsangehö-rigkeit“) anwendbar217.

bb) Die Einbeziehung der Statusdeutschen in Art. 116 Abs. 1 GG dient dem Zweck, deutsche Flüchtlinge und Vertriebene des Zweiten Weltkriegs wie Staatsangehörige behandeln zu kön-nen, ohne sie - mit Rücksicht auf ihre Rechtsposition in den Vertreibungsstaaten - zur Annah-me der deutschen Staatsangehörigkeit zu zwingen218. Im Hinblick auf die besondere Situation,

215 Hofmann, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG, Art. 116 Rn. 8.

216 Vgl. BVerwG vom 12.5.1992, BVerwGE 90, 181, 183. Zur historischen Entwicklung des deutschen Staats-volkbegriffs Hobe, JZ 1994, 191, 192.

217 Bedeutsam insbesondere für das Wahlrecht, vgl. Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 16 Rn. 6.

218 Antoni, in: Seifert/Hömig, GG, Art. 116 Rn. 1.

die sich infolge der Flucht und Vertreibung zahlreicher Volksdeutscher nach Kriegsende ergab, war die Vorschrift ursprünglich als Übergangsrecht konzipiert, wenngleich sie ihre Be-deutung bis in die Gegenwart hinein nicht verloren hat219. Der Wiedergutmachungscharakter des Art. 116 GG ergibt sich insbesondere aus Abs. 2, der Personen, denen unter der Herr-schaft des Nationalsozialismus die Staatsangehörigkeit aus politischen, rassischen oder religi-ösen Gründen entzogen worden ist, sowie ihren Abkömmlingen einen Anspruch auf Wieder-einbürgerung gewährt und damit der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts im Staatsangehörigkeitsrecht dient220.

Berücksichtigt man die Entstehungsgeschichte und Funktion des Art. 116 GG, so stellt sich allerdings die Frage, inwieweit die Norm für die verfassungsrechtliche Beurteilung eines Er-werbstatbestandes der deutschen Staatsangehörigkeit überhaupt herangezogen werden kann.

Die Vorschrift stellt eine Ausnahmeregelung dar, mit der den spezifischen Umständen der Nachkriegszeit begegnet werden sollte221. Dies folgt auch aus ihrer systematischen Stellung im Grundgesetz als Übergangs- und Schlußbestimmung222. Sie erscheint daher im Grundsatz nur bedingt geeignet, um allgemeingültige Aussagen über die Grundlagen des deutschen Staatsangehörigkeitsrechts treffen zu können.

cc) Selbst wenn man Art. 116 GG im vorliegenden Zusammenhang als aussagefähig betrach-ten will, so folgt daraus jedoch nicht die prinzipielle Ablehnung des Geburtsortsprinzips223. Insbesondere kann aus dieser Vorschrift auch nicht hergeleitet werden, daß das Grundgesetz eine Identifizierung der Staatsnation mit der Kulturnation fordere224. Vielmehr zeigt die Ein-beziehung der Ehegatten und Abkömmlinge in den Kreis der Statusdeutschen, die nach dem Wortlaut der Vorschrift die deutsche Volkszugehörigkeit nicht voraussetzt, daß es sich bei den Deutschen im Sinne des Grundgesetzes auch um Personen handeln kann, die nicht der deutschen Kulturnation angehören225. Die gegenteilige Auffassung, wonach Art. 116 Abs. 1 GG die Verankerung des Abstammungsgrundsatzes enthalte, da er die Statuseigenschaft auf die Abkömmlinge der unmittelbar Betroffenen erstreckt226, überzeugt demgegenüber nicht.

Dem Grundgesetz liegt auch nicht die Vorstellung von der deutschen Nation als einem Ver-band, dem ausschließlich Personen bestimmter kultureller Prägung angehören, zugrunde227. Eine verfassungsrechtliche Beschränkung des Gesetzgebers in der Weise, daß die deutsche

219 Näher dazu Renner, in: Hailbronner/Renner, Art. 116 GG Rn. 4; siehe auch §§ 7, 40 a StAG.

220 BVerfG vom 10.7.1958, BVerfGE 8, 81, 86, 88; BVerfG vom 15.4.1980, BVerfGE 54, 53, 69.

221 Smaluhn, StAZ 1998, 98, 102 f unter Hinweis auf BVerwG vom 9.6.1959, BVerwGE 8, 340, 342.

222 Smaluhn a.a.O., 103.

223 So aber Scholz/Uhle, NJW 1999, 1510, 1512; vgl. auch Bleckmann, NJW 1990, 1397, 1398 f, und im An-schluß daran Blumenwitz, ZAR 1993, 151, 153.

224 Vgl. Göbel-Zimmermann/Masuch, DÖV 2000, 95, 100; a.A. Blumenwitz a.a.O.

225 Vgl. Smaluhn a.a.O., 102, Göbel-Zimmermann/Masuch a.a.O.

226 So Ziemske, ZRP 1994, 229.

227 Vgl. Hailbronner, ZAR 1999, 51, 53. Ausführlich zum Volksbegriff des Grundgesetzes Schlüter, ZAR 2000, 210, 215 ff.

Staatsangehörigkeit ausschließlich an Personen verliehen werden darf, die der Gemeinschaft der Volksdeutschen angehören, kann daher aus Art. 116 GG nicht entnommen werden228. Auch aus der Änderung der Präambel des Grundgesetzes im Zuge der Wiedervereinigung229 ergibt sich, daß der gesamtdeutsche Gesetzgeber nicht auf den Erhalt der überkommenen deutschen Kulturnation verpflichtet ist230.

dd) Im Ergebnis steht die Begriffsbestimmung in Art. 116 Abs. 1 GG der Einführung eines ergänzenden ius-soli-Erwerbstatbestandes im deutschen Staatsangehörigkeitsrecht nicht ent-gegen.

c) Das Demokratieprinzip (Art. 20 Abs. 1 und 2 GG)

aa) Nach dem Grundprinzip der demokratischen Staatsform, die im Grundgesetz für die Bun-desrepublik Deutschland festgeschrieben ist, geht alle Staatsgewalt vom Volke aus; sie wird vom Volk in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt (vgl. Art. 20 Abs. 2 S. 1 und 2 GG, mittelbare Demokratie). Es muß eine Volksvertretung vorhanden sein, die umfassende Ge-setzgebungsbefugnisse besitzt, die Regierung kontrolliert und vom Volk in regelmäßigen, im voraus bestimmten Abständen durch Wahlen abgelöst und neu legitimiert wird (repräsentative Demokratie)231. Der Grundsatz der Volkssouveränität fordert weiterhin, daß die Ausübung der Staatsgewalt der demokratischen Legitimation bedarf. Die Willensentscheidung des Volkes muß die Grundlage jeder Staatsbildung sein232. Erforderlich ist eine ununterbrochene Legiti-mationskette vom Volk zu den staatlichen Organen233. Weitere Wesensmerkmale der Demo-kratie sind das Öffentlichkeitsgebot, das Gleichheitsprinzip, das Mehrheitsprinzip sowie ein gewisser Minderheitenschutz234. Das Volk, von dem die Staatsgewalt in der Bundesrepublik Deutschland ausgeht, wird nach dem Grundgesetz von den deutschen Staatsangehörigen und den ihnen nach Art. 116 Abs. 1 GG gleichgestellten Personen gebildet. Damit wird auch für das Wahlrecht, durch dessen Ausübung das Volk in erster Linie die ihm zukommende Staats-gewalt wahrnimmt, die Eigenschaft als Deutscher vorausgesetzt235.

bb) Befürworter der Staatsangehörigkeitsreform weisen darauf hin, daß es das demokratische Prinzip des Grundgesetzes gebiete, eine Kongruenz zwischen der tatsächlichen

228 Ebenso Göbel-Zimmermann/Masuch a.a.O., 100.

229 Einigungsvertragsgesetz vom 23.9.1990 (BGBl. II, S. 885). Die Worte „seine nationale und staatliche Einheit zu wahren“, die in der Präambel a.F. enthalten waren, sind entfallen. Dies deutet darauf hin, daß sich diese For-mulierung nur auf das Wiedervereinigungsgebot bezogen hat.

230 Ausführlich Smaluhn a.a.O., 103; zustimmend Göbel-Zimmermann/Masuch a.a.O.

231 BVerfG vom 23.10.1951, BVerfGE 1, 14, 33; vom 27.7.1964, BVerfGE 18, 151, 154; vom 9.3.1976, BVerfGE 41, 399, 414.

232 BVerfG vom 23.10.1951, BVerfGE 1, 14, 41.

233 BVerfG vom 24.5.1995, BVerfGE 93, 37, 67; sog. personelle Legitimation.

234 Ausführlich Antoni, in: Seifert/Hömig, GG, Art. 20 Rn. 3.

235 BVerfG vom 31.10.1990, BVerfGE 83, 37, 51 f.

rung und dem Kreis der wahlberechtigten Staatsbürger zu schaffen. Dieser Aspekt wurde bereits in der Diskussion um das Kommunalwahlrecht für Ausländer236 hervorgehoben, wel-ches Ende der achtziger Jahre einige Bundesländer einzuführen beabsichtigten, um auf diese Weise der rechtmäßig und dauerhaft in der Bundesrepublik niedergelassenen ausländischen Wohnbevölkerung eine Teilhabe am politischen Willensbildungsprozeß zu ermöglichen.

Auch dem ius-soli-Erwerbstatbestand des § 4 Abs. 3 StAG liegt die Zielsetzung zugrunde, langfristig die angestrebte Kongruenz zwischen inländischer Wohnbevölkerung und Staats-volk (Staatsangehörigen) zu sichern237.

Zur Übereinstimmung von Wohnbevölkerung und Wahlvolk im demokratischen Staat hat das BVerfG in seiner Entscheidung zum kommunalen Ausländerwahlrecht vom 31.10.1990 ausge-führt, "es entspreche der demokratischen Idee, insbesondere dem in ihr enthaltenen Freiheits-gedanken, eine Kongruenz zwischen den Inhabern demokratischer politischer Rechte und den dauerhaft einer bestimmten staatlichen Herrschaft Unterworfenen herzustellen. Das ist im Ausgangspunkt zutreffend (...)“238.

Dem ist zuzustimmen. Es erscheint nicht wünschenswert, einen erheblichen Anteil der tat-sächlichen Wohnbevölkerung, der von der Ausübung der Staatsgewalt in gleicher Weise be-troffen wird, von den Mitwirkungsmöglichkeiten bei der demokratischen Willensbildung auf Dauer gänzlich auszunehmen. Dies gilt insbesondere für die Ausländer der dritten und der nachfolgenden Generationen. Kein Staat kann es auf Dauer hinnehmen, daß ein zahlenmäßig bedeutender Teil seiner Bürger über Generationen hinweg außerhalb der staatlichen Gemein-schaft steht und von den Rechten und Pflichten eines Bürgers gegenüber dem Staat ausge-schlossen bleibt239. Aus dem Demokratieprinzip ergibt sich daher ein Verfassungsauftrag, die Lücke zwischen der der deutschen Staatsgewalt unterworfenen Wohnbevölkerung und der Gemeinschaft der aktiven Staatsbürger möglichst weitgehend zu schließen240.

cc) Aus der Entscheidung des BVerfG zum Kommunalwahlrecht kann nicht ohne weiteres ab-geleitet werden, der Gesetzgeber sei auf die Verleihung der Staatsangehörigkeit im Wege des Abstammungserwerbs beschränkt241. Vielmehr betont das Gericht gerade in bezug auf die Ausgestaltung von Erwerbs- und Verlusttatbeständen die - freilich nicht unbeschränkte - gesetzgeberische Regelungsfreiheit im Staatsangehörigkeitsrecht: Das Grundgesetz überlasse, wie Art. 73 Nr. 2 und Art. 116 GG belegten, die Regelung der Voraussetzungen für Erwerb und Verlust der Staatsangehörigkeit und damit auch der Kriterien, nach denen sich die Zuge-hörigkeit zum Staatsvolk des näheren bestimme, dem Gesetzgeber. Das StaatsangeZuge-hörigkeits-

236 Ausführlich zum Kommunalwahlrecht für Ausländer unten D.VI.1.a).

237 Einzelbegründung zu § 4 StAG-E vom 16.3.1999, BT-Drs. 14/533, S. 18.

238 BVerfG vom 31.10.1990, BVerfGE 83, 37, 52. - Kritisch zu dieser Entscheidung Wallrabenstein, S. 112 ff.

239 Allgemeiner Teil der Begründung des Gesetzentwurfs vom 16.3.1999, BT-Drs. 14/533, S. 11.

240 Vgl. Oeter, in: Davy, Politische Integration, S. 30, 48 ff; vgl. weiterhin zu dem Gebot, das Staatsvolk den ge-sellschaftlichen Entwicklungen anzupassen, Schrötter/Möhlig, ZRP 1995, 374, 376.

241 So auch Marx, in: GK-StAR, IV-2 Einführung Rn. 334.

recht sei daher auch der Ort, an dem der Gesetzgeber Veränderungen in der Zusammen-setzung der Einwohnerschaft der Bundesrepublik Deutschland im Blick auf die Ausübung politischer Rechte Rechnung tragen könne. Es bleibe unter diesen Umständen nach geltendem Verfassungsrecht nur die Möglichkeit, auf eine derartige Lage mit entsprechenden staatsange-hörigkeitsrechtlichen Regelungen zu reagieren, etwa dadurch, daß denjenigen Ausländern, die sich auf Dauer in der Bundesrepublik Deutschland niedergelassen haben, sich hier rechtens aufhalten und deutscher Staatsgewalt mithin in einer den Deutschen vergleichbaren Weise unterworfen sind, der Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit erleichtert werde242.

Das BVerfG hat die Frage der Erwerbstatbestände dabei ausdrücklich offengelassen243. Dem-gemäß kommt dem Gesetzgeber bei der Ausgestaltung staatsangehörigkeitsrechtlicher Rege-lungen ein gewisser Ermessensspielraum zu. Ihm ist zum einen die Möglichkeit eröffnet, durch eine Änderung der Einbürgerungsvorschriften die Verleihung der deutschen Staatsange-hörigkeit im Wege der Einbürgerung zu erleichtern. Dies ist jedoch nur eine von mehreren Gestaltungsmöglichkeiten, mit der auf die Veränderung in der Zusammensetzung der Wohn-bevölkerung reagiert werden kann244. In gleicher Weise zulässig ist die Entscheidung des Ge-setzgebers, das Abstammungsprinzip um Elemente des ius soli zu ergänzen.

dd) Auch aus den Entscheidungsgründen des Maastricht-Urteils des BVerfG läßt sich kein Verstoß des in § 4 Abs. 3 StAG eingeführten ius soli gegen das demokratische Prinzip des Grundgesetzes herleiten. Das Gericht beschreibt dort die verfassungsrechtlich vom Demokra-tieprinzip vorausgesetzte "geistige, soziale und politische Homogenität", ohne die eine Demo-kratie nicht funktionsfähig sei245. Daraus läßt sich einerseits schon nicht ableiten, daß das de-mokratische Prinzip auch das Erfordernis einer ethnisch-kulturellen Homogenität aufstelle246. Des weiteren kann den Bedenken hinsichtlich der tatsächlichen Funktionsfähigkeit der Demo-kratie, die vereinzelt der Reform des Staatsangehörigkeitsrechts entgegengehalten wurden, durch die Verknüpfung des Geburtserwerbs mit gewissen Integrationsanforderungen begegnet werden247. Der Erwerbsgrund des § 4 Abs. 3 StAG trägt diesem Erfordernis Rechnung, indem die Vorschrift den Staatsangehörigkeitserwerb durch Geburt im Inland davon abhängig macht, daß ein Elternteil bestimmte Mindestzeiten eines rechtmäßigen gewöhnlichen Aufenthalts in der Bundesrepublik vorweisen kann. Die Verfestigung des elterlichen Aufenthaltsrechts läßt die Prognose zu, daß auch eine entsprechende Integration des im Inland geborenen Kindes in die hiesigen Lebensverhältnisse erwartet werden kann.

242 BVerfG vom 31.10.1990, BVerfGE 83, 37, 52.

243 Ebenso Marx, in: GK-StAR, IV-2 Einführung Rn. 371; ders., ZAR 1997, 67, 72.

244 Vgl. Marx a.a.O.; ähnlich Meireis, StAZ 1994, 241, 248.

245 Vgl. BVerfG vom 12.10.1993, BVerfGE 89, 155, 186. Ausführlich zur Interpretation des Maastricht-Urteils Oeter, in: Davy, Politische Integration, S. 30, 48 ff.

246 Hailbronner, NVwZ 1999, 1273, 1275 m.w.N.; zustimmend Schlüter, ZAR 2000, 210, 216; ebenso Oeter a.a.O., S. 50 f.

247 Näher dazu Hailbronner a.a.O., 1276 m.w.N. Ausführlich zur Bedeutung des Staatsangehörigkeitsrechts für die tatsächliche Funktionsfähigkeit der Demokratie Oeter a.a.O., S. 48 ff.

ee) Der Mehrstaater-Entscheidung des BVerfG vom 21.5.1974 sind ebenfalls keine verfas-sungsrechtlichen Einwände gegen die Einführung des Geburtsortsprinzips zu entnehmen.

Nach der Entscheidungsbegründung möge es „jedoch schon zweifelhaft sein, ob ein Übergang zum reinen ius soli ohne Sonderregelungen für Auslandsgeburten - das praktisch in keinem Staat existiert - im Hinblick auf das Wesen der Staatsangehörigkeit im demokratischen Staat und mit Rücksicht auf Art. 6 Abs. 1 und 2 GG verfassungsrechtlich zulässig wäre"248. Re-formgegner, die daraus die Verfassungswidrigkeit eines Staatsangehörigkeitserwerbs durch Geburt im Inland herleiten wollen, übersehen, daß sich diese Ausführungen ihrem eindeutigen Wortlaut zufolge lediglich auf die Einführung eines alleinigen ius soli beziehen. Verfassungs-rechtliche Bedenken gegenüber einer ergänzenden Einführung des Geburtsortsprinzips - parallel zum weitergeltenden Abstammungsgrundsatz - werden vom BVerfG hingegen nicht erhoben249.

ff) Das BVerfG hat im Mehrstaater-Beschluß weiterhin festgestellt, die Vorstellung, es hande-le sich bei der Zuerkennung der Staatsangehörigkeit um eine Abgrenzung des Staatsvolkes unter ordnungspolitischen Gesichtspunkten, die der Staat nach seinem Ermessen – allenfalls eingeschränkt durch das Willkürverbot - vornehmen könne, entspreche nicht dem Verständnis des demokratischen und sozialen Rechtsstaats im Sinne des Grundgesetzes. Denn damit sei die Auffassung unvereinbar, die Entscheidung über den Erwerb eines derart bedeutsamen Sta-tus könne im freien Belieben von Staatsorganen stehen; auch würde es nicht genügen, die Re-geln darüber lediglich sach- und systemgerecht auszugestalten. Vielmehr müßten die entspre-chenden Gesetze die Grundentscheidungen der Verfassung, wie sie vor allem in den Grund-rechten zum Ausdruck kommen, beachten und ihrerseits zu deren Verwirklichung beitra-gen250. Daraus wurde gefolgert, daß die Staatsangehörigkeit nicht an Personen verliehen wer-den darf, die keine hinreichende Verbindung mit Deutschland aufweisen. Vielmehr ist der Ge-setzgeber verpflichtet, das Vorliegen ausreichender Anknüpfungspunkte bei der Verleihung der Staatsangehörigkeit sicherzustellen, z.B. durch herkömmliche Integrationsbedingungen wie langer Aufenthalt und Geburt bzw. Ausbildung im Inland251. Diesen Erfordernissen hat der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des Reformgesetzes angemessen Rechnung getragen.

d) Die institutionelle Garantie der Staatsangehörigkeit (Art. 16 Abs. 1 GG)

Art. 16 Abs. 1 GG enthält über seinen abwehrrechtlichen Regelungsgehalt hinaus zugleich eine institutionelle Garantie der Staatsangehörigkeit252. Aus dieser Garantie des Art. 16 Abs. 1 GG wurden vereinzelt verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Einführung des ius soli her-geleitet253. Demnach soll die institutionelle Verbürgung deutscher Staatsangehörigkeit unter anderem den Geburtserwerb nach dem Abstammungsprinzip umfassen, welches den ge-schichtlich überkommenen Kernbereich des deutschen Staatsangehörigkeitsrechts darstelle254.

248 BVerfG vom 21.5.1974, BVerfGE 37, 217, 249.

249 Vgl. Hailbronner a.a.O.

250 BVerfG a.a.O., 239.

251 Hailbronner, ZAR 1999, 51, 53 m.w.N.

Die Prinzipien des ius sanguinis und der Vermeidung mehrfacher Staatsangehörigkeit bildeten die historisch tradierten Grundlagen des deutschen Staatsangehörigkeitsrechts. Da beide Grundsätze seit nunmehr annähernd zwei Jahrhunderten Geltung beanspruchten, sei die prin-zipielle Ablehnung des ius soli unübersehbar255.

Gegen diese Auffassung wurde zu Recht eingewandt, daß sie auf eine unzulässige Vorweg-nahme des gewünschten Ergebnisses hinausläuft256. Vielmehr obliegt es dem parlamentari-schen Gesetzgeber, auf Veränderungen der tatsächlichen Gegebenheiten in Staat und Gesell-schaft zu reagieren und die geltenden Rechtsvorschriften einem Wandel der Lebensverhältnis-se anzugleichen. Die Einführung des ius soli mit dem Ziel, das Staatsangehörigkeitsrecht an die veränderte Zusammensetzung der Wohnbevölkerung anzupassen, verstößt daher nicht ge-gen die institutionelle Garantie der Staatsangehörigkeit.

e) Verfassungsrechtliches Gebot der Einzelstaatigkeit (Art. 16 Abs. 1 GG)?

aa) Im Zusammenhang mit den zur institutionellen Garantie der Staatsangehörigkeit erhobe-nen Einwänden gegen das Reformgesetz wurde weiterhin vertreten, daß über das Abstam-mungsprinzip hinaus auch der Grundsatz der Vermeidung von Mehrstaatigkeit im Grundge-setz verankert sei mit der Folge, daß die mit der Neuregelung verbundene verstärkte Hinnah-me doppelter Staatsangehörigkeit verfassungsrechtlich als unzulässig anzusehen sei257. Zum Wesensgehalt der deutschen Staatsangehörigkeit zähle der Grundsatz der Einzelstaatigkeit;

eine Durchbrechung dieses Grundsatzes müsse dessen Kerngehalt wahren und verfassungs-rechtlich legitimiert sein258. Der Grundsatz der Einzelstaatigkeit sei in die institutionelle Ga-rantie des Art. 16 Abs. 1 GG eingegangen und in der Gesetzgebungspraxis bis in die jüngste Zeit bestätigt worden, weshalb ein Verzicht auf dieses Prinzip nur aufgrund eines allmähli-chen Verfassungswandels denkbar sei, nicht aber durch einen Federstrich des Gesetzgebers259. bb) Diese Auffassung übersieht zunächst, daß das Reformgesetz vom 15.7.1999 - im Gegen-satz zum ersten Arbeitsentwurf des Bundesinnenministeriums - mehrfache Staatsangehörig-keit nicht generell zuläßt, sondern, wie sich etwa aus der Einführung der Optionspflicht in

§ 29 StAG ergibt, ausdrücklich am Grundsatz der Vermeidung von Mehrstaatigkeit festhält.

Zu berücksichtigen ist weiterhin, daß bereits unter der Geltung des RuStAG von 1913

252 Kimminich, in: Bonner Kommentar zum GG, Art. 16 Rn. 33; kritisch Becker, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 16 Rn. 16 ff; einschränkend auch Lübbe-Wolff, in: Dreier, GG, Art. 16 Rn. 52.

253 Insbesondere von Scholz/Uhle, NJW 1999, 1510 ff.

254 Scholz/Uhle a.a.O., 1511 f.

255 Ebenda.

256 Hailbronner, in: Hailbronner/Renner, Einl. F Rn. 74; ablehnend auch Schlüter, ZAR 2000, 210, 212, und Weber, DVBl. 2000, 369, 373; vgl. auch von Mangoldt, ZAR 1999, 243, 247.

257 Vgl. Scholz/Uhle, NJW 1999, 1510, 1512.

258 Ziemske, S. 317 f; ähnlich von Mangoldt, JZ 1993, 965, 969 ff; Blumenwitz, ZAR 1993, 151, 154.

259 Huber/Butzke, NJW 1999, 2769, 2772.

fache Staatsangehörigkeit unter bestimmten Voraussetzungen hingenommen wurde260. Die Ansicht, daß aus dem Grundgesetz ein Gebot der Einzelstaatigkeit herzuleiten sei, läßt sich im übrigen weder mit dem Demokratieprinzip noch mit der Funktion der Staatsangehörigkeit be-gründen261.

cc) Im Laufe der Diskussion um die Reform des Staatsangehörigkeitsrechts wurde wiederholt der Mehrstaater-Beschluß des BVerfG vom 21.5.1974 herangezogen, um die daraus abgelei-tete "Übel-Theorie" zu rechtfertigen. Das BVerfG hatte in dieser Entscheidung ausgeführt,

"daß innerstaatlich und international doppelte oder mehrfache Staatsangehörigkeit als ein Übel betrachtet wird, das sowohl im Interesse der Staaten wie im Interesse der betroffenen Bürger nach Möglichkeit vermieden oder beseitigt werden sollte: Die meisten internationalen Konventionen auf dem Gebiet der Staatsangehörigkeit betreffen diesen Gegenstand oder wollen wenigstens die aus dem Besitz mehrerer Staatsangehörigkeiten erwachsenden Schwie-rigkeiten mildern (...)"262. Bei der Bewertung dieser Entscheidung wird jedoch meist nicht be-achtet, daß diese Ausführungen des BVerfG, wie ihr Zusammenhang in den Entscheidungs-gründen zeigt, lediglich eine Beschreibung der völkerrechtlichen Lage enthalten, wie sie aus den im Entscheidungszeitpunkt geltenden Konventionen ersichtlich war263. Das BVerfG beab-sichtigte hingegen nicht, gleichzeitig ein unveränderliches verfassungsrechtliches Prinzip auf-zustellen264. Daß sich die Entscheidung nicht generell gegen die Zulässigkeit mehrfacher Staatsangehörigkeit richtet, folgt ferner bereits daraus, daß das BVerfG den Gesetzgeber dort dazu verpflichtet hat, doppelte Staatsangehörigkeit unter bestimmten Voraussetzungen aus verfassungsrechtlichen Gründen zuzulassen.

dd) Im Ergebnis ist festzuhalten, daß die institutionelle Garantie des Art. 16 Abs. 1 GG mehr-fache Staatsangehörigkeit nicht verbietet und ein Gebot der Einzelstaatigkeit dementspre-chend nicht in der Verfassung vorgesehen ist.

f) Staatsangehörigkeitsrechtliche Einheit der Familie (Art. 6 Abs. 1 GG)

Im Mehrstaater-Beschluß vom 21.5.1974 hat das BVerfG das Abstammungsprinzip als

Im Mehrstaater-Beschluß vom 21.5.1974 hat das BVerfG das Abstammungsprinzip als