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2.6.1. Kalorische Restriktion im Tierversuch

In der Gerontologie wird nach Interventionen gesucht, die die speziesspezifische maximale Lebensdauer erhöhen können. Die einzige Maßnahme, die deutlich die maximale Lebensspanne durch Verlangsamung altersassoziierter pathologischer und biologischer Veränderungen verlängern kann, ist die kalorische Restriktion (KR) – auch genannt „dietary- , food- oder caloric restriction”–, das heißt, die tägliche verminderte Aufnahme von Kalorien mit der Nahrung. Das Ziel hierbei ist es, Defizite essentieller Nährstoffe zu vermeiden – im Sinne von „undernutrition without malnutrition”.

Studien wurden bisher vor allem an Mäusen und Ratten durchgeführt, aber auch bei Nicht-Nagetieren, zum Beispiel bei Fischen und Spinnen, konnte die Verlängerung der Lebensspanne durch KR beobachtet werden. Um eine Fehlernährung zu verhindern (erreicht werden soll Unterernährung), werden die Diäten mit Proteinen, Vitaminen und Mineralien angereichert, und die Tiere werden langsam an die Diät gewöhnt (WEINDRUCH, 1996).

Verschiedene Formen von KR werden eingesetzt. WEINDRUCH verglich die Auswirkung (a) nicht-aufgereinigter ad libitum gefütterter Diäten, (b) aufgereinigter Diäten mit 25%

Restriktion, (c) aufgereinigter Diäten angereichert mit Proteinen, Vitaminen und Mineralien mit 55% Restriktion, (d) Restriktion wie in Gruppe (c), die aber schon vor dem Absetzen von der Mutter begonnen wird, (e) Vitamin- und Mineralstoff-angereicherte Diät mit

verminderten Proteingehalt und 50% Restriktion, sowie (f) Vitamin-, Mineralstoff- und Protein-angereicherte Diäten mit 65% Restriktion bei weiblichen Hybridmäusen. Nicht aufgereinigte Diäten („nonpurified diets”, NPD) bestehen aus weniger veredelten Inhaltsstoffen (z. B. Getreideschrot, Fischöl, Weizensamen ect.), als sogenannte aufgereinigte bzw. halbaufgereinigte Diäten („semipurified diets”, SPD). Die Zusammensetzung aufgereinigter Diäten ist sehr viel besser definiert und als Inhaltsstoffe werden unter anderem Kasein, Laktalbumin, Sukkrose und Getreideöle eingesetzt (PUGH et al., 1999). Dabei wird die Restriktion immer auf die durchschnittliche ad-libitum-Aufnahme vergleichbarer Tiere bezogen. WEINDRUCH konnte beobachten, dass mit zunehmender Restriktion die mittlere und maximale Lebenslänge deutlich zunahm. Gruppe (a) zeigte eine mittlere Lebensspanne von 27 Monaten, Gruppe (f) von 45 Monaten. KR begonnen vor dem Absetzen unterschied sich hinsichtlich der Lebenserwartung nicht von KR, die nach dem Absetzen begonnen wurde. Tiere mit Restriktion in Kalorien und Proteinen zeigten kürzere Lebensspannen als jene mit gleicher Kalorienaufnahme einer Protein-angereicherten Diät. Die Tumorinzidenz und die altersabhängige Abnahme der T-Zell-Proliferation zeigten deutliche Unterschiede zur Gruppe (f). Die 65% restriktiv gefütterten Tiere nahmen mehr Kalorien / (Gramm x Lebenszeit) auf als die Kontrollgruppen (WEINDRUCH et al., 1986).

Andere Gruppen konnten an Mäusen zeigen, dass durch Kalorienreduktion das Körpergewicht deutlich gesenkt (um 26%) und die maximale Lebensspanne deutlich erhöht (um 15%) werden konnten, die Tumorinzidenz der am häufigsten vorkommenden Tumore im Vergleich zu einer Normfuttergruppe jedoch erhöht war. Männliche SPF Fischer 344 Ratten, die kalorienreduziert gefüttert wurden, zeigten erhöhte durchschnittliche Lebensdauern und später einsetzende, sowie langsamer verlaufende altersbedingte pathologische Nierenveränderungen (YU et al., 1982). Keinen Einfluss auf Körpergewicht, maximale Lebensspanne oder Tumorinzidenz hatten dagegen DHEA-Gaben im Trinkwasser (PUGH et al., 1999). Dihydroepiandrosteron (DHEA) und Dihydroepiandrosteron-Sulfat (DHEAS) sind adrenale Steroide, deren Serumkonzentration beim Menschen im Alter deutlich absinkt.

Durch KR kann die Abnahme dieser Hormone verlangsamt werden. Man kann DHEAS als Biomarker des Alterns einsetzen (LANE et al., 1997). Kalorienreduktion um 30-50% bei Nagetieren führte zu vermindertem Wachstum und Zunahme der maximalen Lebensspanne um 30-50% (WANAGAT et al., 1999).

An der Universität Wisconsin läuft seit 1989 eine Studie mit Rhesusaffen, von denen eine Gruppe eine um 30% kalorienreduzierte Diät erhält. Es konnte gezeigt werden, dass die Tiere ohne Probleme auf eine restriktive Diät mit 20-30% weniger Energieaufnahme gesetzt werden

können. Die Tiere dieser Gruppe zeigten bereits eine erhöhte Insulinsensitivität und erniedrigte Insulin- und Glukosespiegel im Gegensatz zur Kontrollgruppe. Veränderte Zusammensetzungen zirkulierender LDLs könnten die Atherogenese inhibieren. Das Körpergewicht der Tiere war deutlich vermindert mit verringertem totalem und abdominalem Körperfett. Der totale Energieverbrauch (kJ/min.) war signifikant verringert. KR scheint in dieser Studie keinen Einfluss auf die DHEA-, DHEAS- und Melatonin-Konzentrationen zu haben, wobei abnehmende Leptin-Konzentrationen beobachtet werden konnten (RAMSEY et al., 2000). Am „National Institute on Aging” in Maryland werden ähnliche Versuche mit Rhesus- und Eichhörnchenaffen mit vergleichbaren Ergebnissen durchgeführt. Weitere Versuche an Rhesusaffen ergaben im physiologischen Rahmen deutlich erniedrigte rektale und subkutane Körpertemperaturen bei 30% KR (LANE et al., 1996).

Die Beobachtungen an nichthumanen Primaten decken sich mit vielen Befunden, die an Nagetieren erhoben wurden. Erst in den nächsten Jahren wird der Effekt von KR auf die maximale Lebensspanne und das Auftreten altersabhängiger Erkrankungen bei Primaten beurteilt werden können. Dies ist von entscheidender Bedeutung, da Langzeitdaten über KR beim Menschen nicht vorliegen und zwischen nichthumanen Primaten und Menschen noch die naheste Verwandtschaft besteht. Die entscheidende Frage wäre: Könnte KR also auch beim Menschen die altersbedingten Erkrankungen hinauszögern und damit die Lebensspanne eventuell sogar verlängern?

2.6.2. Mechanismen kalorischer Restriktion

Die Mechanismen, durch den KR zur Verlangsamung des Alterungsprozesses führt, sind nicht bekannt. Erklärungsansätze reflektieren die verschiedenen Alterungstheorien. Eine mögliche Rolle könnten hormonelle Veränderungen, Reduktion der Körpertemperatur und Veränderungen des gesamten Metabolismus, Inhibition freier Radikalbildung, Retardierung des Körperwachstums, Zunahme der Gehirngröße relativ zum Körper, Reduktion des Körperfetts oder Verbesserung der Immunfunktion spielen. Einige dieser Theorien, wie die Zunahme der Gehirngröße relativ zum Körper und die Retardierung des Körperwachstums, besitzen heute keine Gültigkeit mehr.

Einige Gruppen gehen davon aus, dass KR zu einer reduzierten metabolischen Rate (Rate des Sauerstoffverbrauchs) pro Einheit Körpermasse führt (SACHER, 1977). Es konnte jedoch beobachtet werden, dass restriktiv gefütterte Ratten und Mäuse gegenüber ad libitum

gefütterten Tieren sogar etwa 30% mehr Kalorien pro Gramm Körpergewicht und Lebensdauer aufnehmen, aber 30-55% weniger pro Maus und Lebensdauer (WEINDRUCH et al., 1986, MASORO et al., 1982). Die totale Energiemenge, die pro Gramm Körpergewicht während der Lebenszeit aufgenommen wird, ist das metabolische Potential. Das heißt, KR führt nicht zu einer reduzierten Kalorienaufnahme pro Gramm Körpergewicht, die Tiere nehmen sogar während ihres gesamten Lebens mehr Kalorien pro Gramm Körpergewicht auf und leben länger. MASORO geht davon aus, dass ein durch KR ausgelöster moderater Hyperadrenokortizismus zur Verlängerung der Lebensdauer beiträgt. Ein erhöhter Glukokortikoidspiegel soll demnach eine überschießende Aktion des Abwehrsystems auf schädliche intrinsische und extrinsische Schäden regulieren. Dies wird im Rahmen einer Hormesis gesehen, das heißt, schädliche Einflüsse können sich in niedriger Dosis positiv auf den Organismus auswirken (MASORO, 1998). Bei Ratten und Rhesusaffen konnte beobachtet werden, dass KR die Körpertemperatur absenkt, was zu einem reduzierten Sauerstoffverbrauch führt. Gleichzeitig war die Triiodthyronin- und Growth Hormone-Konzentration erniedrigt. Das heißt, die Verlängerung der Lebensspanne durch KR könnte mit einem hypometabolischen Zustand assoziiert sein. Beobachtungen an poikilothermen Tieren und überwinternden Säugetieren zeigten, dass die Lebensspanne durch reduzierte Umgebungstemperatur verlängert werden konnte (LANE et al., 1996; SOHAL u.

WEINDRUCH, 1996). Überwinternde Säugetiere wie der türkische Hamster lebten länger als nicht überwinternde Hamster (LYMAN et al., 1981). KR scheint die Empfänglichkeit von Geweben auf akuten oxidativen Stress zu verringern. An Nagetieren wurde gezeigt, dass KR deutlich die altersassoziierte Ansammlung mitochondrialer Radikale verringert (vor allem in Komplex І), die Akkumulationen oxidativer Schäden an der mtDNA verlangsamt und die nachlassende Membranfluidität verbessert. Der stärkste oxidative Schaden im Alter kann in postmitotischen Geweben wie Gehirn, Herz und Skelettmuskel beobachtet werden, also Geweben, die mit vielen altersabhängigen degenerativen Erkrankungen in Zusammenhang stehen. Die Verringerung von oxidativem Stress könnte also ein grundlegender Mechanismus für die verlangsamte Alterungsrate von KR-Tieren sein (BARJA, 2002; SOHAL u.

WEINDRUCH, 1996). Altersbedingter oxidativer Schaden an Proteinen wird ebenfalls durch kalorienreduzierte und proteinreduzierte Diät vermindert (YOUNGMAN et al., 1992). Die KR-bedingte Hypoglykämie und Hypoinsulinämie könnte eine weitere Erklärung sein (MASORO, 2000). Studien an Nagetieren zeigten, dass kalorische Restriktion zu einer Inhibition der Zellproliferation vieler Gewebe um 30-60% führt (LOK et al., 1990).

Besonders deutlich war der Effekt im Milchdrüsengewebe. Da gezeigt werden konnte, dass

Zellproliferation in verschiedenen Stadien der Karzinogenese involviert ist, könnte kalorische Restriktion eine Schlüsselrolle in der Inhibition der Tumorbildung spielen und so zur Verlängerung der Lebensspanne beitragen. Verschiedene Arbeitsgruppen beschreiben eine verlangsamte Entwicklung der Immunseneszenz bei KR-gefütterten Nagetieren (WEINDRUCH et al., 1982) und sehen darin einen wichtigen Mechanismus kalorischer Restriktion.

2.6.3. Kalorische Restriktion und Melatonin

Eine Hypothese ist, dass Altern eine sekundäre Folge abnehmender Epiphysenfunktion ist (ROZENCHWAIG et al., 1987). MAC GIBBON konnte an Ratten zeigen, dass KR keinen Effekt auf die altersassoziierte Abnahme der Melatoninsekretion hat (MAC GIBBON et al., 2001), wohingegen die Arbeitsgruppe um ROTH an KR-gefütterten Rhesusaffen eine altersabhängige Abnahme der Melatoninsekretion KR-gefütterter Affen im Vergleich zu konventionell gefütterten Tieren nicht beobachten konnte (ROTH et al., 2001). In ersterem Fall wurde in Urinproben der Melatoninmetabolit 6-Sulphatoxymelatonin gemessen, im zweiten Fall Melatonin in Serum-Proben.

STOKKAN berichtet über eine um 30% abnehmende AA-NAT-Aktivität und einen um etwa 40% abnehmenden Melatoninplasmaspiegel bei alternden ad libitum gefütterten Ratten.

Beides konnte bei KR-gefütterten Tieren signifikant verlangsamt werden. AA-NAT- und Melatonin-Spiegel waren bei alten KR-Tieren fast doppelt so hoch wie bei alten ad libitum Tieren. Er sieht zwei Möglichkeiten, in welcher Weise die Funktion der Epiphyse durch KR beeinflusst werden könnte. Zum einen könnte nach einer initialen Depression die Aktivität der Epiphyse auf ein normales Niveau zunehmen, um dann im Alter graduell abzunehmen, nur langsamer als bei ad libitum gefütterten Tieren. Eine andere Möglichkeit wäre, dass die Epiphysen-Aktivität bei jungen und erwachsenen KR-Tieren niedriger ist, im Alter jedoch stabil bleibt und nicht wie bei ad libitum-Tieren progressiv abnimmt. Ad libitum gefütterte alte Tiere zeigten vermehrt pathologische Erscheinungen, wie Tumore oder Katarakte (STOKKAN et al., 1991). Die Epiphyse könnte einen neuroendokrinen Mediator zwischen kalorischer Restriktion und altersabhängigen Veränderungen darstellen. Möglicherweise gewinnt auch die extrapineale Melatoninproduktion im Alter an Bedeutung. KR-gefütterte Ratten zeigten eine „histologisch junge Epiphyse”.

NORDIO berichtet über Versuche an präpubertären weiblichen Ratten, in denen gezeigt werden konnte, dass restriktive Fütterung die neuroendokrine Achse gegenüber Melatonin sensibilisiert. Kalorische Restriktion kann die Effekte einer frühabendlichen Melatoninbehandlung auf endokrine Organe, vor allem des Reproduktionssystems, potenzieren. Untersucht wurden FSH-, LH- und PRL-Konzentrationen der Hypophyse (NORDIO et al., 1989).

Die meisten KR-Effekte scheinen jedoch eher eine Verlangsamung oder partielle Verbesserung als eine komplette Prevention altersabhängiger Veränderungen zu sein (ROTH et al., 2001).