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Die „Allianz Schriftliches Kulturgut Erhalten“

Von BARBARA SCHNEIDER-KEMPF und URSULA HARTWIEG

Über 15 Jahre sind seit der Gründung der Allianz Schriftliches Kulturgut Erhalten vergangen – die Zeit wäre reif für einen umfassenden, also auch bibliographischen Rückblick auf das bisherige Wirken dieser Interessensgemeinschaft,wie sich die Allianz selbst1 bezeichnet. Hier aber wird gemäß dem Motto gemeinsame Stärke der Erfolg skizziert, den starke Allianzen für die Erhaltung des schriftlichen Kulturguts in den vergangenen Jahren erreichten. Allianz Schriftliches Kulturgut Erhalten – ein sehr sinnträchtiger Name, öffnet das Wort Allianz doch unmittelbar einen Assozi-ationsraum, in dem sich starke Partner gemeinsam in den Dienst einer guten Sache stellen.

Zumindest zur Orientierung ein kurzer Blick auf Entstehung und Ausrichtung der Allianz Schriftliches Kulturgut Erhalten: Die Gründungsidee formulierte Antonius Jammers, damals Generaldirektor der Staatsbibliothek zu Berlin, auf einem von der Bayerischen Staatsbibliothek organisierten Symposium zum Thema „Strategien der Bestandserhaltung.“ Unterstützt wurde diese Veranstaltung sowohl von der Bertelsmann Buch AG als auch von der AllianzVersicherung – zwei starke Partner im Kuratorium der Freunde und Förderer der Bayerischen Staatsbiblio-thek e. V. Und so trafen sich am 13./14. März 2001 über 30 BiblioStaatsbiblio-theks- und Archivfachleute in den Räumen der Allianz-Versicherung in Unterföhring, um sich konzeptionellen Fragen einer deutschlandweit organisierten Bestandserhaltung zu widmen2 – der Allianz-Gedanke war förm-lich greifbar. Die Expertinnen und Experten tauschten sich dabei über die vier bereits existie-renden Landesprogramme für Bestandserhaltung in Bayern, Berlin, Sachsen und Sachsen-Anhalt aus,3 mussten aber feststellen, dass die 1993 Richtung Bibliotheken formulierte Empfehlung der Kultusministerkonferenz, für Maßnahmen gegen den Papierzerfall rund ein Prozent des jewei-ligen Erwerbungsetats zusätzlich bereitzustellen,4 bundesweit nicht flächendeckend umgesetzt wurde – die öffentlichen Haushalte sahen sich überfordert. Um den Gefährdungen des schrift-lichen Kulturguts besser begegnen zu können, wurden deshalb einrichtungsübergreifende und arbeitsteilige Strategien erforderlich, die sowohl das Bewahren der Originale als auch – im Sinne

1 Vgl. Geschäftsordnung der Allianz Schriftliches Kulturgut Erhalten (Stand: 1. Januar 2013), hier § 1 Aufgabe.

2 Wilhelm R. Schmidt: Münchner Symposion zur bibliothekarischen Bestandserhaltung – Gründung einer Allianz zur Erhaltung von Kulturgut in Deutschland. In: ABI-Technik 21 (2001) S. 148.

3 Vgl. Wolfgang Schmitz: Allianz für die Rettung unserer bedrohten Schriftzeugnisse in Deutschlands Bi-bliotheken. Bericht zum Symposium Strategien der Bestandserhaltung – Was tun gegen den Zerfall von Büchern? In: Pro Libris (2001) S. 168.

4 Empfehlungen der Kultusministerkonferenz zur Erhaltung der vom Papierzerfall bedrohten Biblio-theksbestände (1993), vgl. http://www.kmk.org/fileadmin/Dateien/veroeffentlichungen_beschluesse /1993/1993_10_08-Empfehlung-Papierzerfall.pdf (aufgerufen am 03.01.2017).

einer Schonung der Originale – die Nutzung von Sekundärformen wie Mikrofilm oder Digitalisat berücksichtigten.

Mit einer programmatischen Rede5 zur Frage „Brauchen wir eine nationale Bestandserhal-tungsstrategie?“ eröffnete Antonius Jammers den zweiten Tag des Symposiums. Die das Schrift-gut bedrohenden fortschreitenden Schädigungsformen wie Tintenfraß und säurehaltiges Papier versetzten die Bestandserhaltung bundesweit in einen Wettlauf mit der Zeit6 und es gelte, zwei Hauptaufgaben zu lösen: erstens die Gewinnung der Öffentlichkeit und zweitens das arbeitsteili-ge Vorarbeitsteili-gehen bei den Maßnahmen der Bestandserhaltung – beispielsweise könnten sich die großen Einrichtungen bei der Ausschreibung von Entsäuerungsmaßnahmen abstimmen. Anstelle einer Fortführung der abstrakten Strategieerörterung schlägt Jammers die Bildung einer ‚Arbeitsge-meinschaft Bestandserhaltung in Bibliotheken und Archiven‘ [vor], wobei das Wort „Bestandser-haltung“ besser durch „Bewahrung des schriftlichen Kulturgutes“ ersetzt würde.7 In der anschlie-ßenden Diskussion findet sein Vorschlag allseitige Zustimmung.

Und tatsächlich trafen sich schon nach gut zwei Monaten auf die Empfehlung von Jammers elf Einrichtungen in der Staatsbibliothek zu Berlin. Zur Allianz Schriftliches Kulturgut Erhalten schlossen sich auf dieser Gründungssitzung am 21. Mai 2001 zusammen:

1. Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz

2. Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden 3. Die Deutsche Bibliothek Frankfurt am Main und Leipzig

4. Stadt- und Universitätsbibliothek Frankfurt am Main

5. Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen 6. Niedersächsisches Landesarchiv Hannover

7. Bundesarchiv Koblenz und Berlin 8. Deutsches Literaturarchiv Marbach a. N.

9. Bayerische Staatsbibliothek München 10. Landesarchiv Baden-Württemberg Stuttgart 11. Herzogin Anna Amalia Bibliothek Weimar

Große Archive und Bibliotheken reihen sich hier in ein Ortsalphabet, das gleich mehreres zum Ausdruck bringt: Es handelt sich um Einrichtungen, die über Deutschland verteilt sind und sich in staatlicher – nicht kommunaler – Trägerschaft befinden. Die Verantwortung für umfangreiche historische Bestände eint sie. Die Allianz beschränkte sich zu Beginn bewusst auf leistungsfähi-ge und aktive Einrichtunleistungsfähi-gen, die besondere Erfahrunleistungsfähi-gen im Bereich der Bestandserhaltung, der begleitenden Öffentlichkeitsarbeit sowie der notwendigen Mittelbeschaffung haben. Später wird die Allianz für weitere Teilnehmer durchaus offen sein.8 In entsprechend konzentrierter Runde suchen die Anwesenden über institutionelle und Spartengrenzen hinaus in der Allianz nach einer

5 Schmitz, wie Anm. 3, S. 169.

6 Antonius Jammers: Brauchen wir eine nationale Bestandserhaltungsstrategie? Vortrag auf dem Symposi-um „Strategien der Bestandserhaltung“ am 13. und 14. März 2001 in München. In: Mitteilungen SBB (PK) N.F. 10. (2001) S. 56.

7 Jammers, wie Anm. 6, S. 60.

8 Schmidt, wie Anm. 2, S. 150.

Organisationsform, die dem gemeinsamen Anliegen eine starke Stimme verleiht: Alle elf Einrich-tungen wollen die in ihrer Existenz gefährdeten Originale der reichen kulturellen und wissen-schaftlichen Überlieferung in Deutschland sichern und diese Überlieferung als nationale Aufgabe im öffentlichen Bewusstsein verankern.9 Eines der Hauptziele ist also Lobbyarbeit, was sich auch im Agieren der Allianz auf Direktorenebene ausdrückt. Zum ersten Sprecher wurde Hermann Leskien gewählt, damaliger Generaldirektor der Bayerischen Staatsbibliothek. Die Amtszeit be-trägt nach aktueller Geschäftsordnung regulär drei Jahre und das stellvertretende Amt ist von der Person wahrzunehmen, die zuletzt Sprecher war. Beide Ämter sind in der Form zu besetzen, dass sie von einem Archivar und einem Bibliothekar wahrgenommen werden.10

Die Reihe der Mitglieder ist über die Jahre recht stabil geblieben; sie wurde auf der 23. Sitzung der Allianz im November 2011 lediglich um die Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel ergänzt – aufgrund ihres besonderen Charakters als Forschungsbibliothek. Die Anzahl der Mitglieder ist per Geschäftsordnung inzwischen auf maximal zwölf festgeschrieben.11 Die von Jammers vorge-schlagene feste Geschäftsstelle12 wurde nicht eingerichtet; die entsprechenden Aufgaben werden stattdessen in der vom Sprecher geleiteten Einrichtung erledigt.13

Ihre regulären Frühjahrs- und Herbst-Sitzungen öffnet die Allianz auch Vertretern anderer Institutionen. In den ersten Jahren nahmen diesen Gaststatus ein:

• Der Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM)

• Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK)

• Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG)

• Deutscher Bibliotheksverband e. V. (dbv)

• Forum Bestandserhaltung, Universitäts- und Landesbibliothek Münster

• Verband deutscher Archivarinnen und Archivare e. V. (VdA)14

Bedingt durch fachliche und politische Entwicklungen der vergangenen Jahre alternieren die be-rücksichtigten Gäste geringfügig, derzeit werden hinzugeladen:

• Die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM)

• Kulturstiftung der Länder (KSL)

• Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG)

• Deutscher Bibliotheksverband e. V. (dbv)

• Forum Bestandserhaltung, Universitäts- und Landesbibliothek Münster

• Verband deutscher Archivarinnen und Archivare e. V. (VdA)

9 Zukunft bewahren. Eine Denkschrift der Allianz zur Erhaltung des schriftlichen Kulturguts. Hg. von Barbara Schneider-Kempf. Berlin 2009, S. 3. Als Download unter www.allianz-kulturgut.de/fileadmin/

user_upload/Allianz_Kulturgut/dokumente/2009_Allianz_Denkschrift_gedruckt.pdf (aufgerufen am 03.01.2017).

10 Vgl. Geschäftsordnung, wie Anm. 1, hier § 4 Sprecher und stellvertretender Sprecher.

11 Vgl. Geschäftsordnung, wie Anm. 1, hier § 3 Mitgliedschaft.

12 Jammers, wie Anm. 6, S. 60.

13 Vgl. Geschäftsordnung, wie Anm. 1, hier § 9 Geschäftsstelle.

14 Zukunft bewahren, wie Anm. 9, S. 3.

• Koordinierungsstelle für die Erhaltung des schriftlichen Kulturguts (KEK)15

Die in der Lobbygruppe Allianz gefundene gemeinsame Stärke wird nicht nur durch das Engage-ment der jeweiligen Einrichtungsleiterinnen und -leiter generiert – mit dieser Besetzung wird nebenbei betont, dass der Originalerhalt des schriftlichen Kulturguts auch und besonders eine Führungsaufgabe darstellt: Der Fachaustausch über die eigene Spartengrenze hinaus stärkt die Allianz-Stimme in exklusiver Weise, da ein derartiger bundesweiter Zusammenschluss von Ar-chiven und Bibliotheken bis dato nicht praktiziert wurde.

Ein Blick in die Geschäftsordnung der Allianz unter „§ 2 Aktivitäten“ erhellt, auf welchen Wegen die von Jammers formulierte erste Hauptaufgabe, die Gewinnung der Öffentlichkeit für das Thema Originalerhalt, erfüllt werden soll:

Zur Erreichung ihrer Ziele erstellt die Allianz insbesondere Denkschriften und Stellungnah-men, um politische Entscheidungsträger und die Öffentlichkeit anzusprechen. Mit dieser Zielset-zung veranstaltet sie den Nationalen Aktionstag für die Erhaltung des schriftlichen Kulturguts, für dessen Durchführung jeweils ein Mitglied die Federführung übernimmt.

Das Format Nationaler Aktionstag – am 2. September 2005 erstmals in Erinnerung an den Brand der Herzogin Anna Amalia Bibliothek organisiert – sei hier nicht behandelt: Einerseits benötigt eine erschöpfende Darstellung aller zwölf Aktionstage16 einen größeren Rahmen, ande-rerseits befindet sich das Format derzeit in der prinzipiellen Bewertung – 2017 wird kein solcher Aktionstag ausgerichtet. Die Verabschiedung der Denkschrift Zukunft Bewahren im Jahr 2008 steht hingegen voll und ganz im Dienst des grundsätzlichen Ziels der Allianz – nämlich den Ori-ginalerhalt im digitalen Zeitalter effizienter zu organisieren und nachhaltig zu fördern17 – und ist auch nach nunmehr knapp neun Jahren von anhaltend durchgreifender Wirkung.

Auf nur 16 Seiten wurden knapp und konzis dargestellt: die Allianz selbst, die Bedeutung des Originalerhalts des schriftlichen Kulturguts, das ergänzende Verhältnis von original und digital, die Aufgaben der Archive und Bibliotheken – bei Bibliotheken mit besonderer Sicht auf die He-rausforderung der Mehrfachüberlieferung gedruckter Werke – sowie das Ausmaß der endogenen wie auch exogenen Schäden. In das abschließende siebte Kapitel, „Defizite erkennen – gemein-sam handeln,“ legte die Allianz ihre zentralen Handlungsempfehlungen an Bund und Länder.

Adressaten der Denkschrift waren also Bund und Länder – und in Hervorhebung der nationalen Bedeutung des Themas wurde das Positionspapier von vier Mitgliedern der Allianz Schriftliches Kulturgut Erhalten (Barbara Schneider-Kempf, damalige Sprecherin der Allianz, Thomas Bürger, Bernd Kappelhoff und Michael Knoche) am 28. April 2009 im Schloss Bellevue dem damaligen Bundespräsidenten Horst Köhler offiziell überreicht. Passend ist der Denkschrift ein Diktum Horst Köhlers vom 24. Oktober 2007 in Weimar vorangestellt: Die kulturelle Überlieferung in Bibliotheken, Archiven und Museen ist eine geistige Heimat für die Nation. Wir brauchen sie, auch und gerade wenn wir nach vorne schauen und unseren Weg in die Zukunft gehen wollen.18

15 Vgl. www.allianz-kulturgut.de/gemeinsam-handeln/ (aufgerufen am 03.01.2017).

16 Für die Reihenfolge vgl. www.allianz-kulturgut.de/nationaler-aktionstag/ (aufgerufen am 03.01.2017).

17 Zukunft bewahren, wie Anm. 9, S. 4.

18 Zukunft bewahren, wie Anm. 9, S. 2.

Und so nahm Horst Köhler die Denkschrift mit großer Sympathie entgegen: Knicken Sie nicht ein, lassen Sie sich von Rückschlägen nicht entmutigen19 – spornte er die Allianz-Mitglieder an.

Abb. 1: Übergabe der Denkschrift Zukunft Bewahren an den Bundespräsidenten am 28. April 2009, v.l.n.r. Dr. Michael Knoche, Barbara Schneider-Kempf, Horst Köhler, Dr. Bernd Kappelhoff und Prof. Dr. Thomas Bürger. Aufnahme: Jörg F. Müller.

Vorbild für die strategische Idee der Denkschrift Zukunft Bewahren ist der Denkmalschutz, wie Barbara Schneider-Kempf nach dem Termin beim Bundespräsidenten formulierte: Allein schon durch die Bündelung der zahlreichen regionalen Aktivitäten erhalte der Denkmalschutz eine ganz andere Kraft und Präsenz.20 Bei der Erhaltung des schriftlichen Kulturguts seien diese Sy-nergien noch nicht zum Tragen gekommen. Mit der Übergabe dieses Positionspapiers an den Bundespräsidenten zielte die Allianz erfolgreich auf maximale politische und pressewirksame Öffentlichkeit. Nicht einzuplanen hingegen war der Einsturz des Historischen Archivs der Stadt

19 Thomas Bürger: Zukunft bewahren. Vertreter der Allianz Schriftliches Kulturgut Erhalten beim Bundes-präsidenten. In: BIS. Das Magazin der Bibliotheken in Sachsen 2 (2009) S. 87.

20 Barbara Scheider-Kempf im Interview mit dem Goethe-Institut am 8. September 2009, vgl. www.

allianz-kulturgut.de/aktuelle-informationen/ (aufgerufen am 03.01.2017). Auf dem Onlineportal des Goethe-Instituts ist das Interview nicht mehr archiviert.

Köln: Der frische Eindruck dieser Katastrophe vom 3. März 2009 hatte den politischen Hand-lungsdruck in Sachen Schutz vor Verlust schriftlichen Kulturguts extrem verschärft. Und so fand das Positionspapier einen weiteren starken und überaus engagierten Fürsprecher im damaligen Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, Bernd Neumann, der zum Thema Zukunft Bewahren im Mai 2010 einen unmissverständlichen Appell formulierte:

Wir dürfen nicht tatenlos zusehen, wie sich unersetzliche Dokumente allmählich auflösen. Wir müssen etwas gegen den schleichenden Papierzerfall tun, wir müssen aber auch dafür sorgen, dass sich Katastrophen wie der Brand in der Herzogin Anna Amalia Bibliothek oder der Einsturz des Kölner Stadtarchivs nicht wiederholen. Die Erhaltung des kulturellen Erbes ist zunächst einmal die Aufgabe jedes Unterhaltsträgers kultureller Einrichtungen. Die Erhaltungsaufgabe ist jedoch zugleich eine Herausforderung von nationaler Dimension. Deshalb habe ich den an den Bundes-präsidenten gerichteten Appell der „Allianz Schriftliches Kulturgut erhalten“ aufgegriffen und Vertreter der großen Archive und Bibliotheken zu einem Runden Tisch ins Bundeskanzleramt ge-beten. Unsere Beratungen dienen dem Ziel, den Erhalt des schriftlichen Kulturgutes im digitalen Zeitalter in gesamtstaatlicher Verantwortung – unbeschadet der besonderen Verantwortung der Länder – effizienter zu organisieren, zu koordinieren und zu fördern.21

Parallel zu den besagten Runden Tischen im Kanzleramt, an die 2009/2010 dreimal Mitglie-der Mitglie-der Allianz sowie die Vertreter Mitglie-der Verantwortungsebenen Land und Kommune eingeladen waren, bot nach der Bundestagswahl im Herbst 2009 der Koalitionsvertrag vom 26. Oktober 2009 eine weitere Folie, um das starke Engagement des Bundes abzubilden. Als Wahlsieger for-mulierten CDU, CSU und FDP ihre Ziele für die kommende Legislaturperiode – auch hinsicht-lich des Originalerhalts des überlieferten Schriftguts: Gemeinsam mit den Ländern wollen wir ein nationales Bestandserhaltungskonzept für gefährdetes schriftliches Kulturgut erarbeiten. Zum verstärkten Schutz schriftlichen Kulturgutes wird eine Koordinierungsstelle eingerichtet.22

Das zum exakt richtigen Zeitpunkt in die politische Öffentlichkeit gebrachte Positionspapier der Allianz vermochte mit seinen sieben Handlungsempfehlungen dank günstiger Konstellati-onen starke Bündnisse zu generieren, die den 2009 angestoßenen, fachlich-politischen Prozess großenteils nach wie vor tragen. In seinem Beitrag „Aktionstage und eine Denkschrift. Zur Lob-byarbeit für die Erhaltung schriftlichen Kulturguts“ blickte Robert Kretzschmar – Sprecher der Allianz Schriftliches Kulturgut Erhalten von 2010 bis 2013 und damit Vorsitzender des Fach-beirats der KEK seit ihrer Gründung bis März 2013 – bereits 2012 kommentierend auf diese konkreten Handlungsempfehlungen mit der Maßgabe, dass diese Punkte Realität werden, das muss in den nächsten Jahren das Ziel jeder weiteren Lobbyarbeit für den Erhalt des schriftlichen

21 Tätigkeitsbericht 2009/2010. Wissen bereitstellen. Quellen erschließen. Geschichtsverständnis fördern.

Hg. vom Bundesarchiv. Koblenz 2010. S. 3.

22 Koalitionsvertrag von CDU, CSU und FDP für die 17. Wahlperiode des deutschen Bundestages vom 26. Oktober 2009: Wachstum. Bildung. Zusammenhalt. S. 96, vgl. https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/

Downloads/DE/Ministerium/koalitionsvertrag.pdf?__blob=publicationFile (aufgerufen am 03.01.2017).

Kulturguts sein.23 Für einen Realitätsabgleich fünf Jahre später ist eine erneute kurze Erkundung der sieben Handlungsempfehlungen24 sinnvoll und aufschlussreich.

1. Der Bund sollte in Abstimmung mit den Ländern die Federführung für eine nationale Konzep-tion zur Erhaltung des schriftlichen Kulturguts übernehmen.

Mit der Idee einer nationalen Strategie knüpfte die Allianz an die vom Deutschen Bundestag eingesetzte Enquete Kultur in Deutschland an, die in ihrem Abschlussbericht 2007 dem Bund und den Ländern empfahl, gemeinsam eine nationale Bestandserhaltungskonzeption für gefährdetes schriftliches Kulturgut zu erarbeiten.25 Da der 2009 angestoßene Prozess bekanntermaßen dazu führte, dass Bund und Länder 2011 die Koordinierungsstelle für die Erhaltung des schriftlichen Kulturguts (KEK) gründeten und diese – gemäß ihrem Hauptauftrag der ersten Jahre26 – im Ok-tober 2015 die Bundesweiten Handlungsempfehlungen für die Erhaltung des schriftlichen Kul-turguts in Archiven und Bibliotheken in Deutschland27 publizierte, wurde diese zentrale Empfeh-lung umfassend umgesetzt. Durch die partielle Personalunion zwischen der Allianz Schriftliches Kulturgut Erhalten und dem von Bund und Ländern einberufenen Fachbeirat der KEK – Vorsitz und stellvertretender Vorsitz werden automatisch durch die Sprecher der Allianz bekleidet28konnte die Allianz die Erarbeitung der Bundesweiten Handlungsempfehlungen begleiten. Da im Fachbeirat der KEK qua Geschäftsordnung auch ein Sachverständiger der Bundeskonferenz der Kommunalarchive beim Deutschen Städtetag sitzt, konnte über Bund und Länder hinaus die Perspektive der kommunalen Unterhaltsträger das Gesamtbild ergänzen – in der Allianz ist diese Ebene nicht vertreten. Damit basiert die vorgelegte nationale Konzeption sogar auf einer breite-ren Allianz als ursprünglich empfohlen.

23 Robert Kretzschmar: Aktionstage und eine Denkschrift. Zur Lobbyarbeit für die Erhaltung schriftlichen Kulturguts. In: Eine Zukunft für saures Papier. Perspektiven von Archiven und Bibliotheken nach Ab-schluss des KUR-Projekts „Nachhaltigkeit der Massenentsäuerung von Bibliotheksgut.“ Hg. von Rein-hard Altenhöner u. a. Frankfurt am Main 2012, S. 189.

24 Zukunft bewahren, wie Anm. 9, S. 14 f.

25 Schlussbericht der Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland.“ BT Dr.-S. 16/7000, S. 132, vgl. http://

dip21.bundestag.de/dip21/btd/16/070/1607000.pdf (aufgerufen am 03.01.2017).

26 Vgl. dazu Konzept einer „Koordinierungsstelle für die Erhaltung des schriftlichen Kulturguts“ (BKM K 43 330/390/173, Stand: 17. Mai 2011). In: Tätigkeitsbericht der Koordinierungsstelle für die Erhaltung des schriftlichen Kulturguts (KEK), 2010 bis 2014. Berlin 2014. S. 33.

27 Die Erhaltung des schriftlichen Kulturguts in Archiven und Bibliotheken in Deutschland. Bundesweite Handlungsempfehlungen für die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien und die Kul-tusministerkonferenz. Berlin 2015. Als Download unter http://kek-spk.de/fileadmin/user_upload/pdf_

Downloads/KEK_Bundesweite_Handlungsempfehlungen.pdf (aufgerufen am 03.01.2017).

28 Vgl. dazu Geschäftsordnung des Fachbeirats der Koordinierungsstelle für die Erhaltung des schriftlichen Kulturguts. In: Tätigkeitsbericht, wie Anm. 26, S. 37.

Abb. 2: Gruppenfoto anlässlich der 3. Sitzung des Fachbeirats der KEK am 14. Juni 2012, v.l.n.r. Prof. Dr. Robert Kretzschmar, Carolin Kolbe, Dr. Martin Hoernes, Susanne Bie-ler-Seelhoff, Prof. Dr. Mario Glauert, Dr. Ingeborg Berggreen-Merkel, Barbara Schnei-der-Kempf, Dr. Ursula Hartwieg. Foto: Staatsbibliothek zu Berlin.

2. Die Länder sollten miteinander abgestimmte Landeskonzepte erarbeiten bzw. ausbauen. Es fehlen Übersichten, in welcher Prioritätenfolge nach Quellenbedeutung und Schadensdringlich-keit vorzugehen ist. Die zentralen Gedächtnisinstitutionen sollten auch in ihrer Infrastruktur so ausgestattet werden, dass sie ihrer Verantwortung für die schriftliche Überlieferung gerecht wer-den können.

In den vergangenen Jahren sind zu den im März 2001 in Unterföhring besprochenen Landes-konzepten einige hinzugekommen, weitere befinden sich in der Entwicklung. Dennoch verfügt noch nicht jedes Land über ein eigenes Konzept für den Originalerhalt, geschweige denn für beide Sparten. Und so fehlen mancherorts noch die für eine bundesweit koordinierte Bestands- erhaltung erforderlichen Infrastrukturen. Dafür liegt mit den Handlungsempfehlungen erstmals eine bundesweite und spartenübergreifende Bestandsaufnahme zu den Gefährdungen und Schä-digungen des schriftlichen Kulturguts in den Einrichtungen des Bundes, der Länder und der Kommunen vor. Anhand dieser Übersichten – und unter Anwendung der allgemeinverbindlichen drei Auswahlkriterien Gefährdung, Bedeutung und Nutzung – kann die über die Ländergrenzen hinaus abgestimmte Priorisierung der zu behandelnden Originale erfolgen. Die Erarbeitung die-ser Übersichten lag in den Händen eines bundesweiten und flächendeckenden Netzwerks von ministeriell benannten Expertinnen und Experten für Bestandserhaltung. Ohne die

gemeinsa-me Stärke dieses spartenübergreifenden Netzwerks wäre diese flächendeckende Bilanz nicht so schnell erreichbar gewesen.

Zur Realisierung des bundesweit koordinierten Originalerhalts konzipieren die Bundesweiten Handlungsempfehlungen eine sogenannte Phase I, innerhalb derer während drei bis fünf Jahren die technischen Infrastrukturen zu ertüchtigen sind. Damit soll gewährleistet werden, dass die Empfehlung der Sicherung von mindestens einem Prozent der zu erhaltenden, bereits geschädig-ten oder gefährdegeschädig-ten Originale geleistet werden kann. Dieses Ziel ist noch nicht greifbar, aber die Sitzungsroutinen der vergangenen Jahre belegen, dass die Stärkung der zentralen Gedächtnisin-stitutionen inzwischen zu einem Thema wurde, das – wie Robert Kretzschmar noch projiziert – von der KMK kontinuierlich in regelmäßigen Abständen aufgegriffen wird.29

3. Der Bund sollte mit einer Summe in der Größenordnung von jährlich 10 Mio. Euro den Ori-ginalerhalt des national bedeutsamen Kulturguts stärken. Dieser Betrag entspricht ungefähr den Aufwendungen, der Bibliotheken und Archiven bislang für diesen Zweck bereits aus Unterhalts-mitteln der Träger zur Verfügung steht.

Der Einsatz von Bundesmitteln in dieser jährlichen Höhe ist noch nicht erfolgt. Aber dennoch können erste Erfolge verbucht werden: Von der finanziellen Ausstattung der KEK in der

Der Einsatz von Bundesmitteln in dieser jährlichen Höhe ist noch nicht erfolgt. Aber dennoch können erste Erfolge verbucht werden: Von der finanziellen Ausstattung der KEK in der