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Archivpädagogik in Baden-Württemberg

4. Archivische Initiativen

Anstatt einen aussichtlos erscheinenden Kampf um neue Strukturen zu beginnen, wurden von Archivseite einzelne Projekte der Kooperation angeboten, um letztlich durch eine erfolgreiche Praxis den Weg zu neuen Kooperationsformen zu ebnen. Dabei waren Stadt- und Staatsarchive gefragt, Vorhandenes weiterzuentwickeln und Neues zu entwerfen. Aufbauen konnten man z. B.

auf Archivführungen für Schüler, aufbereitete Quellensammlungen und Begleitveranstaltungen zu Geschichtswettbewerben.

Für diese neuen Wege sei beispielhaft die Arbeit im Staatsarchiv Ludwigsburg genannt, des-sen Konzept schon 2007 im Archivar vorgestellt wurde.46 Peter Müller und Elke Koch fächerten unter dem provokanten Titel Archivpädagogik ohne Archivpädagogen? die Möglichkeiten auf, die auch ohne eine aktive Unterstützung der archivpädagogischen Arbeit durch partielle Freistel-lung von Pädagogen realisiert werden können. Ausgangspunkt der Überlegungen von Müller und Koch war die Verbindlichkeit der Bildungspläne, in denen auf die Bedeutung des Lernorts Archiv hingewiesen wird.47

Kernidee ihres Ansatzes ist die Standardisierung der Angebote. Ähnlich wie in Museen wer-den im Archiv feste Programmelemente entwickelt, die gebucht werwer-den können. Für das Archiv bedeutet das vor allem eine nur einmalige Ausarbeitung des Angebots. Bei der Umsetzung

kön-44 Vgl. z. B. Quellen zur Ulmer Stadtgeschichte: Die freie Reichsstadt Ulm in Mittelalter und Neuzeit:

Stadtentwicklung, Verfassung und Zünfte, Ulm 1980. „Ulmer Geschichte im Netz“ unter www.ulm.de/

kultur_tourismus/stadtgeschichte/ulmer_geschichte_im_netz.35003.3076,3963,4236,34709,34992.htm (aufgerufen am 28.02.2017).

45 Z. B. in der Außenstelle des Bundesarchivs bei der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg: https://www.bundesarchiv.de/

oeffentlichkeitsarbeit/historische_bildungsarbeit/angebote_schulen_ludwigsburg/index.html.de (aufge-rufen am 28.02.2017).

46 Müller/Koch, wie Anm. 38.

47 Zuletzt ein Überblick über pädagogische Ansätze bei Hoffmann, wie Anm. 40. Aufschlussreich und auch einer eigenen Untersuchung wert wäre eine chronologische Betrachtung des Lernorts Archiv und der dort für geeignet erachteten Themen und Kompetenzen anhand von Lehr- und Bildungsplänen.

nen dann „angelernte“ Kräfte mitwirken. Solche Mitwirkende können über Programme wie das Freiwillige Soziale Jahr Kultur (FSJ-K) und inzwischen auch über die Bundesfreiwilligendienste eingeworben werden.

Ganz bewusst werden in den Programmen auch schon auf Grundschulklassen als Ansprech-partner gesetzt. Zum einen können so alle Schülerinnen und Schüler vor der schulischen Diffe-renzierung erreicht werden, also nicht nur künftige Gymnasiasten, zum anderen können gerade bei solchen Gruppen FSJ-ler wirksam sein, weil sie alters- und erfahrungsmäßig der Schülerwelt noch nah sind.

Dass auch ein Angebot für Vorschulkinder ertragreich sein kann, zeigte eine Veranstaltung 2005 im Generallandesarchiv Karlsruhe. Auch hier konnte die Vermittlung über die Faszination des Mittuns – das Erlebnis – junger Menschen registriert werden.48 Die sinnliche Komponente in Form des unmittelbaren Kontakts mit authentischen Geschichtszeugnissen wird dabei – neben den Inhalten – ganz bewusst eingesetzt.49

Solche attraktiven, niederschwelligen Angebote sind nicht mit Schulunterricht, der einfach an einem anderen Ort stattfindet, zu verwechseln. Sowohl die Handlungsorientierung als auch der spielerische Erlebnischarakter sind wesentlich für den Erfolg dieser Konzepte. Für das Archiv bedeutet dies, „Fertigprodukte“ – oft in Zusammenarbeit mit engagierten Lehrkräften – zu ent-wickeln und eine Dienstleistungsorganisation aufzubauen, auf die die schulischen Partner verläss-lich zugreifen können, wie z. B. Öffnungszeiten für Schulen an einem definierten Tag.50

Vergleichbare Angebote können Schulen bei Kommunalarchiven erhalten. Die Bundeskon-ferenz der Kommunalarchive (BKK) hat 2012 Handreichungen zur Historischen Bildungsarbeit

48 Rainer Brüning: Vom Kindergarten ins Generallandesarchiv. 2005. https://www.landesarchiv-bw.de/

web/45276 (aufgerufen am 29.12.2016); vgl. auch Antweiler, wie Anm. 37.

49 Müller/Koch, wie Anm. 38, S. 349.

50 Ein Überblick zum Landesarchiv „Angebote für Schulen und Gruppen“ (https://www.landesarchiv-bw.

de/web/49330). Zum Staatsarchiv Ludwigsburg Müller/Koch, wie Anm. 38, S. 352–354 und http://www.

landesarchiv-bw.de/web/46839; für Grundschulen: Räuberjagd, Forschen für Geschichtsdetektive, Hei-matland – Fremdes Land (http://www.landesarchiv-bw.de/web/44616); für weiterführende Schulen: Die RAF ist Geschichte, Kommen und Gehen (Migration), Massenmörder vor Gericht (Ulmer Einsatzgrup-penprozess), Lingua Latina – Latein lebt, Entnazifizierung, L’histoire en français (http://www.landes archiv-bw.de/web/44682 ). Das Hauptstaatsarchiv Stuttgart bietet archivpädagogische Modu-len zu Themen vom Mittelalter bis zur Zeitgeschichte vor allem für weiterführende SchuModu-len an.

Themen sind z. B.: Die Schreibstube – Buchherstellung im Mittelalter, Umweltgeschichte der Frühen Neuzeit, Politische Plakate, Rote Fahnen über dem Wilhelmspalais (http://www.landes-archiv-bw.de/web/42253). Das Staatsarchiv Wertheim hat vor allem für Gymnasialklassen ver-schiedene zum Unterrichtsstoff passende Module entwickelt, wie z. B. Revolution 1848/49, Nati-onalsozialismus (http://www.landesarchiv-bw.de/web/42619). Auf der Basis von Quellen aus dem Staatsarchiv Sigmaringen wurden von einem Landeskundebeauftragten Unterrichtsmodule entwickelt (http://www.landesarchiv-bw.de/web/51375, alle aufgerufen am 29.12.2016). Das Generallandesarchiv Karlsruhe ist für Themenprojekte individuell anzusprechen. Zu Bayern vgl. die Beiträge beim Bayeri-schen Archivtag 2001 in der Sektion „Archiv und Schule“. In: Archive in Bayern 1 (2003) S. 303–351.

veröffentlicht, in denen dezidiert auf die Archivpädagogik eingegangen wird.51 Aufgrund der un-terschiedlichen personellen und infrastrukturellen Voraussetzungen ist bisher noch keine syste-matische und flächendeckende kommunale Archivpädagogik in Baden-Württemberg entstanden, wiewohl die ersten Ansätze auf kommunaler Ebene in Ulm in den späten 1970er Jahren began-nen; Ulm ist bis heute einer der „Leuchttürme“.52 Die meisten Stadtarchive und Kreisarchive in Baden-Württemberg bieten Führungen für Schulklassen an und unterstützen Schülerinnen und Schüler bei ihren Recherchen für den Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten und für re-gionale Geschichtswettbewerbe.53 Einige Stadtarchive in größeren Städten wie z. B. Heilbronn,54

51 Handreichung der Bundeskonferenz der Kommunalarchive beim Deutschen Städtetag vom 26. April 2012. Handreichung zur Historischen Bildungsarbeit, Punkt 7 Archivpädagogik. S. 31–34. http://www.

bundeskonferenz-kommunalarchive.de/empfehlungen/Handreichung_Historische_Bildungsarbeit.pdf (aufgerufen am 29.12.2016).

52 In Ulm besteht seit 1978 der Arbeitskreis Schule und Archiv, der sich aus Lehrerinnen und Lehrern und Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Stadtarchivs zusammensetzt und Materialien und Quellen zur Ulmer Stadtgeschichte für schulische Zwecke didaktisch aufbereitet. Früher erschienen diese Veröffentli-chungen als gedruckte Publikationen, seit 2006 werden die Arbeitsergebnisse online über die Homepage veröffentlicht. Angebote können u. a. zu den Themen Stadt im Mittelalter, Schwörakt und Demokratie, Industrialisierung, gebucht werden; Leseübungen und eine Einführung in die Aufgaben eines Archivs werden ebenfalls angeboten (http://www.ulm.de/kultur_tourismus/stadtgeschichte/archivpaedagogik.

3634.3076,3963,4236,3577,3634.htm und http://www.ulm.de/kultur_tourismus/stadtgeschichte/

arbeitskreis_schule_und_archiv.100789.3076,3963,4236,3577,100789.htm, beide aufgerufen am 29.12.2016).

Würdigung der aktuellen Angebote in Kultur 2020, wie Anm. 25, S. 417: Das am Ulmer Haus der Stadtge-schichte angesiedelte Projekt „Ulmer GeStadtge-schichte im Netz“ stellt darüber hinaus eine kommentierte Quellen-sammlung in digitaler Form für den Einsatz im projektorientierten Geschichtsunterricht bereit.

53 Exemplarisch für Führungsangebote das Stadtarchiv Karlsruhe (http://www.karlsruhe.de/b1/stadt geschichte/stadtarchiv/aufgaben.de) und für Unterstützung bei Geschichtswettbewerben das Stadtarchiv Stuttgart und das Stadtarchiv Freiburg (http://www.stuttgart.de/item/show/483957/1 und http://www.

freiburg.de/pb/,Lde/235788.html, alle aufgerufen am 29.12.2016).

54 Das Stadtarchiv Heilbronn bietet ein umfangreiches archivpädagogisches Angebot an. Z. B. werden der-zeit für die Dauerausstellung „Heilbronn historisch! Menschen, Plätze, Geschichten“ zur Stadtgeschich-te UnStadtgeschich-terrichtsmaStadtgeschich-terialien und ArbeitsblätStadtgeschich-ter entwickelt (http://www.stadtarchiv-heilbronn.de/stadt geschichte/unterricht/). Unterrichtsbausteine mit Quellenmaterialien zu unterschiedlichen Epochen der Stadtgeschichte, z. B. Die Heilbronner Waldheide als Pershing-Standort, Arbeit und Freizeit im Wandel, Bauernkrieg und Reformation, 4. Dezember 1944 (http://www.stadtarchiv-heilbronn.de/stadtgeschichte/

unterricht/bausteine/, beide aufgerufen am 29.12.2016).

Mannheim,55 Pforzheim56 und Stuttgart57 bieten darüber hinaus ein weitgefächertes archivpäda-gogisches Angebot an.

Der hohe Bekanntheitsgrad des Geschichtswettbewerbs des Bundespräsidenten wurde auch in baden-württembergischen Archiven früh genutzt und Lehrkräften und Mentoren für das je-weilige Thema einschlägiges Archivmaterial vorgestellt sowie Hinweise zu Arbeitsmöglichkeiten für Schülerinnen und Schüler in Archiven gegeben. Diese Veranstaltungen, oft mit Unterstüt-zung der den Wettbewerb ausrichtenden Körber-Stiftung durchgeführt, sind ein von Kommu-nal- und Staatsarchiven bewährtes Format, archivpädagogische Projekte anzuregen. Darüber hinaus werden regionale Wettbewerbe ebenfalls gern angenommen: Das „Freiburger Netzwerk Geschichte“ – ein Zusammenschluss von Geschichtslehrerinnen und Geschichtslehrern – hat sich der Förderung der eigenständigen Beschäftigung der Schülerinnen und Schülern mit Geschichte verschrieben.58 Dafür wird seit 2008 der Wettbewerb Freiburger Schulen im Archiv ausgeschrie-ben. Wegen seines innovativen regionalgeschichtlichen Ansatzes wurde der Wettbewerb von der Robert-Bosch-Stiftung in die Förderlinie Denkwerk aufgenommen.59

Insgesamt werden diese Angebote ebenso wie spezielle Führungen für Schülerinnen und Schü-ler regelmäßig nachgefragt; manche davon gehören inzwischen zum archivischen Standardpro-gramm und werden von den schulischen Partnern geradezu als selbstverständlich vorausgesetzt.

Die bei den Archiven erhobenen Besucherzahlen zeigen, dass die Ansprache an den Schulen gelingt. In den letzten acht Jahren wurden allein im Landesarchiv 27 000 Schülerinnen und Schü-ler bei organisierten Veranstaltungen gezählt;60 nicht separat erfasst werden die Schüler, die als Nutzer von Archivgut in den Lesesälen arbeiten. Gesamtzahlen aus dem Bereich der Kommunal-archive liegen nicht vor, dürften aber auf die Gesamtfläche gesehen auch nicht unerheblich sein, denn erfahrungsgemäß erfolgt ein Erstkontakt von Schülerinnen und Schülern mit Archiven auf der kommunalen Ebene.

Insofern kann heute aus archivischer Sicht von einem etablierten Bemühen um eine archivpä-dagogische Kultur im Land gesprochen werden.

55 Das Stadtarchiv Mannheim lädt unter „Junges Archiv“ Kinder und Jugendliche zur Spurensuche in der Stadtgeschichte (https://www.stadtarchiv.mannheim.de/junges_archiv) ein und bietet Module für Schul-klassen an (https://www.stadtarchiv.mannheim.de/angebot_lehrer, beide aufgerufen am 29.12.2016).

56 Das Stadtarchiv Pforzheim hat Bildungspartnerschaften mit dem Theodor-Heuss-Gymnasium und der Konrad-Adenauer-Realschule abgeschlossen und unterstützt Projektarbeiten im Stadtarchiv.

57 Das Stadtarchiv Stuttgart bietet u. a. Unterstützung bei der Erstellung von GFS, Referaten und Semi-narkursen (http://www.stuttgart.de/item/show/460677/1) und Modulen. Es kooperiert mit anderen Kul-turinstitutionen in Stuttgart, z. B. mit der Stuttgarter Jugendhaus Gesellschaft – lernort gedenkstätte: Mo-dul für Schulklassen ab der Jahrgangstufe 10 zur Judenverfolgung in Stuttgart 1933 bis 1945 (http://www.

stuttgart.de/item/show/396248/1, beide aufgerufen am 29.12.2016).

58 http://www.wp.freiburger-netzwerk-geschichte.de/ (aufgerufen am 29.12.2016).

59 http://www.bosch-stiftung.de/content/language1/html/27218.asp (aufgerufen am 29.12.2016).

60 Seit 2009 werden im Landesarchiv die geführten Schülerinnen und Schüler separat erfasst. In den Jah-ren 2009 bis 2016 wurden durchschnittlich 3 400 Schülerinnen und Schüler geführt, das entspricht einem Anteil von 20% aller geführten Personen; vgl. die veröffentlichten Statistiken https://www.landesarchiv- bw.de/web/46744 (aufgerufen am 29.12.2016).