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Aufgaben des Landesarchivs Nordrhein-Westfalen im Kontext des E-Government-Prozesses

Programmverantwortlicher für das E-Government-Projekt der nordrhein-westfälischen Landes-verwaltung ist der Beauftragte der Landesregierung Nordrhein-Westfalen für Informationstech-nik (CIO).40 Als Betreiber der E-Government-Infrastruktur kommt dem zentralen IT-Dienst-leister des Landes, IT.NRW, eine bedeutende Rolle zu. Innerhalb von IT.NRW ist ein eigenes Competence Center Digitalisierung (CCD) eingerichtet worden, das gemäß einem Konzept zum Programm- und Projektmanagement der Digitalen Verwaltung NRW (DVN) als erster Ansprech-partner für die Landesverwaltung bei Unterstützungs- und Beratungsbedarf zur Umsetzung des E-Government-Gesetzes NRW, des zugehörigen Masterplans41 und der Landtagsentschließung fungiert. Das CCD soll mit eigenem Personal, vermittels externer Beratungsunternehmen sowie mit dem Landesarchiv NRW speziell in den Bereichen Einführung der elektronischen Akte und Dokumentation, Analyse und Optimierung der Verwaltungsprozesse und Beratung von Behörden bei Projektentwicklung und -steuerung beraten.

Für das Landesarchiv ist es von zentraler Bedeutung, dass rund 600 Landesbehörden42 bis 2022 auf eine elektronische Aktenführung übergehen werden. Damit ist der archivgesetzliche Auftrag der Behördenberatung, für den das Landesarchiv schon 2011 ein strategisches Konzept

entwi-39 Vgl. derzeit noch die Darstellung des nordrhein-westfälischen Innenministeriums, http://www.mik.nrw.

de/cio-nrw/e-government/e-government-gesetz.html (aufgerufen am 14.08.2017).

40 Der CIO ressortierte bis Juni 2017 beim nordrhein-westfälischen Ministerium für Inneres und Kommu-nales, nach abgeschlossener Umbildung der Ressorts durch die neue Landesregierung dann beim Ministe-rium für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie.

41 Der Masterplan wurde zwar noch zwischen den Ressorts der alten Landesregierung abgestimmt, ist aber noch nicht veröffentlicht.

42 Gemäß § 1 Abs. 3–5 EGovG NRW sind neben einer Reihe von JPöR auch einige Behördenbereiche, darunter Gerichte und Justizverwaltungen sowie die Finanzverwaltung, von der Geltung des Gesetzes ausgenommen. Diese Verwaltungen entwickeln eigene E-Government-Strategien.

ckelt hat, unmittelbar betroffen.43 Im Rahmen einer proaktiven Vorfeldarbeit beteiligt sich das Landesarchiv an der Entwicklung der rechtlichen, organisatorischen und technischen Grundla-gen für eine funktionierende elektronische Schriftgutverwaltung und hat bereits die Beratungstä-tigkeit für die Einführung der E-Akte in obersten Landesbehörden aufgenommen. Vor allem hat das Landesarchiv durch die Einrichtung eines neuen Dezernats Elektronische Unterlagen inner-halb des Fachbereichs Grundsätze den organisatorischen und personellen Rahmen für diese zu-kunftsorientierte Aufgabe geformt und zugleich das IT-Zentrum des Landesarchivs im Hinblick auf die elektronische Archivierung verstärkt. Da zeitnah ein elektronisches Geheimschutzarchiv aufgebaut werden muss, um klassifizierte elektronische Unterlagen aus dem Vorgangsbearbei-tungs- und Dokumentenmanagementsystem des Verfassungsschutzes bis 2018/19 übernehmen zu können, wurden in dem für das Geheimschutzarchiv zuständigen Ministerialarchiv der Ab-teilung Rheinland ebenfalls personelle Ressourcen angesiedelt. Auch das Dezernat Organisation in der Abteilung Zentrale Dienste ist personell erweitert worden, da das Landesarchiv selbst das erste Pilotprojekt für die Einführung der elektronischen Akte innerhalb der Landesverwaltung durchführt: Das in der Abteilung Rheinland bereits betriebene System DOMEA wird umgestellt auf ein für die nordrhein-westfälischen Landesbehörden angepasstes DOMEA-Standardsystem (NRWDOS);44 unmittelbar anschließend wird in den anderen Abteilungen des Landesarchivs ebenfalls NRWDOS eingeführt.45

Das eigene Pilotprojekt hilft in verschiedener Hinsicht, weil es Vertrautheit mit dem System schafft, frühzeitig Möglichkeiten zum Kennenlernen und Austausch mit den Akteuren des

E-Go-43 Über Strategiefindung und Zielsetzung zur Behördenberatung im Landesarchiv Nordrhein-Westfalen zwischen 2009 und 2011 berichtet Guntermann, wie Anm. 20. Die Ergebnisse dieses Projekts sind in Form von Empfehlungen, Leitfäden, Richtlinien oder allgemeinen Informationen auf der Website des Landesarchivs unter der Rubrik Informationen für Behörden zugänglich, http://www.archive.nrw.de/lav/

informationen_fuer_behoerden/index.php (aufgerufen am 16.08.2017). Zu dem Strategieentwicklungs-prozess des Landesarchivs, seinen Hintergründen, der eingesetzten Methodik und den ergriffenen Maß-nahmen vgl. Martina Wiech: Strategisches Management für Archive. In: Archivmanagement in der Praxis.

Hg. von Mario Glauert und Hartwig Walberg (Veröffentlichungen der Landesfachstelle für Archive und öffentliche Bibliotheken im Brandenburgischen Landeshauptarchiv 9). Potsdam 2011. S. 13–35, bes. S. 20 ff. und 30 ff.

44 Vgl. dazu die Informationen des Landesbetriebs Information und Technik (IT.NRW) bei Stefanie Weinert und Klaus Trommer: NRWDOS. Ein DOMEA für alle? In: LDVZ-Nachrichten (1/2012) S. 14–17. https://www.it.nrw.de/informationstechnik/Services/IT_Veroeffentlichungen/Ausgabenarchiv/

ausgabe1_2012/schwerpunkte/z091201251_s5.pdf (aufgerufen am 14.08.2017).

45 Im Jahr 2007 wurde DOMEA in zwei Dezernaten der Abteilung Rheinland beschränkt auf den Standort Mauerstraße in Düsseldorf (damals noch Hauptstaatsarchiv) als Pilotanwendung eingeführt. Da sich die Arbeit mit dem System bewährt hatte, wurde es sukzessive auf weitere Standorte und Dezernate ausge-dehnt, 2010 auf den Standort Schloss Kalkum und 2011 auf alle Dezernate der Abteilung Rheinland am Standort Düsseldorf, bis es dann seit 2014 mit vollzogenem Umzug an den neuen Standort Duisburg in der gesamten Abteilung Rheinland betrieben wurde. Die Umstellung der Abt. Rheinland auf NRWDOS ist im August 2017 erfolgt, die Einführung des Systems in allen anderen Abteilungen des Landesarchivs soll bis Dezember 2017 vollzogen werden.

vernment-Projekts bietet, in die bestehenden oder sich entwickelnden Netzwerke einbindet46 und es gestattet, anhand der eigenen Behörde die Beratungsbedarfe zu ermitteln und die Konzepte und Beratungsangebote in der Praxis zu überprüfen und zu schärfen. Kernziel aber ist natürlich die Erarbeitung passender Beratungsangebote und Hilfsmittel, um die Einführungsprojekte bei 600 Landesbehörden erfolgreich zu begleiten.

Das Landesarchiv sieht seine besonderen Stärken in den Bereichen - Grundlagenplanung der digitalen Schriftgutverwaltung, - Aktenplan,

- Aktenordnung,

- Objektstruktur und Lebenszyklus der elektronischen Akte, - Scanprozesse,

- Anbindung von Fachverfahren an die elektronische Akte sowie - Aufbewahrung und Aussonderung.

Darüber hinaus kann auch Change-Management – ggf. in Gestalt von Aus- und Fortbildungs-angeboten – ein interessantes Thema für das Landesarchiv sein, sofern hier Fragen der digitalen Schriftgutverwaltung berührt sind. Das Landesarchiv sieht hingegen keine Beratungsschwer-punkte bei Fragen des Projektmanagements, der Prozessoptimierung oder der behördeninternen Organisation. Auch technische Aspekte der E-Akte oder Fragen der Systemanwendung sind kei-ne Aktionsbereiche des Landesarchivs.

Aktuell hat das Landesarchiv im Kontext der E-Government-Einführung bereits Beratungs-leistungen bei fünf Ministerien erbracht.47 Es beteiligt sich darüber hinaus an verschiedenen res-sortübergreifenden Grundlagenprojekten, in denen Standards definiert und Beratungsunterlagen und -konzepte erstellt werden. In dem Grundlagenprojekt E-Akte hat das Landesarchiv die Fe-derführung für die Arbeitspakete Aktenplan, Handreichungen, Musteraktenordnung sowie Ver-waltungsvorschrift E-Akte inne und ist am Arbeitspaket Landesstandard 1.0 beteiligt, in dem die Basis-Konfiguration des landesweit einzusetzenden E-Akten-Systems definiert wird. Ebenso be-steht eine Beteiligung beim Grundlagenprojekt E-Laufmappe sowie beim Ersetzenden Scannen, wobei hier das Arbeitspaket Scannen von Bestandsakten wieder federführend vom Landesarchiv

46 Auf die große Bedeutung der Kontakte und des Netzwerkens in der Umsetzung des E-Government-Ge-setzes haben jüngst auch Kathrin Pilger und Bastian Gillner: Von Erinnerungspolitik und E-Govern-ment – Archive in der Rolle als politische Berater. In: Kompetent! – Archive in der Wissensgesellschaft.

86. Deutscher Archivtag 2016 in Koblenz. Hg. von Monika Storm (Tagungsdokumentationen zum Deut-schen Archivtag 21). Fulda (im Druck) hingewiesen.

47 Die große Heterogenität der Behörden und ihrer (Schriftgut-)Verwaltungskultur heben Christine Frie-derich und Martin Schlemmer: Das E-Government-Gesetz NRW und die Praxis der Behördenberatung – ein Werkstattbericht aus dem Landesarchiv NRW. Vortrag auf der 21. Tagung des Arbeitskreises „Archi-vierung von Unterlagen aus digitalen Systemen“ am 28. Februar und 1. März 2017 in Basel, http://www.

staatsarchiv.sg.ch/home/auds/21.html, hervor. Die Veröffentlichung des Beitrags ist für die Open-Ac-cess-Zeitschrift Informationswissenschaft: Theorie, Methode und Praxis, https://bop.unibe.ch/iw/index (beide Links aufgerufen am 10.08.2017), noch für das Jahr 2017 angekündigt.

erarbeitet wird. Und auch beim E-Government-Grundlagenprojekt Veränderungsmanagement wird das Landesarchiv mitwirken.

Die Realisierung der E-Akte in den Landesbehörden soll im Rahmen von Rollout-Projekten erfolgen, die alle erforderlichen Maßnahmen von der Erstberatung bis zur Einführung an den Arbeitsplätzen umfassen, sowohl solche technischer, organisatorischer und rechtlicher Natur als auch auf die Akzeptanzförderung gerichtete Schritte eines Veränderungsmanagements. Das Lan-desarchiv sieht seinen Platz vor allem in der Vorbereitungsphase und in der Projektphase zu den Grundlagen, in der nochmals eine Optimierung und Anpassungen vorgenommen werden können („Readiness Check“), jedoch weniger in den späteren Phasen, die weitgehend durch Implemen-tierungs- und Anwendungsfragen geprägt sein werden.

Mögliche Beratungs- und Veranstaltungsformate können Handreichungen und Video-Tu-torials, Grundlagen-, Themen- sowie Fach- und Führungskräfte-Workshops oder auch die Einzelfallberatung sein. Letztere wird sich de facto auf die obersten Landesbehörden beschränken müssen, da mit den verfügbaren Ressourcen eine Einzelfallberatung bei jeder der zu beteiligenden 600 Landesbehörden bis zum 31.12.2021 kaum vorstellbar ist.

Die Definition der konkreten Maßnahmen und Schritte zur Umsetzung der Rollout-Projekte wird derzeit erarbeitet. Da die Autonomie der Ressorts in der nordrhein-westfälischen Landes-verwaltung traditionell groß ist, wird es um die Definition von Angeboten gehen, die von den Behörden abgerufen werden können, aber nicht müssen. Wer es vorzieht, einen externen Berater einzubinden, ist nicht verpflichtet, die Beratungsangebote des CCD oder des Landesarchivs zu nutzen. Es bleibt daher bei der eingangs schon getroffenen Feststellung, dass die dem Landes-archiv mit dem E-Government-Gesetz eröffneten Handlungsräume vor allem durch eine hohe Expertise und Vermittlungskompetenz auf den Beratungsfeldern in der Praxis gefüllt werden können.

Resümee

Das Landesarchiv Nordrhein-Westfalen zielt mit der Ausgestaltung der archivgesetzlich defi-nierten Aufgabe der Behördenberatung darauf ab, auch im Zeitalter der oft flüchtigen digitalen Kommunikation und Aufgabenerledigung in der öffentlichen Verwaltung aussagekräftige und archivfähige Unterlagen zu gewährleisten, die an das zuständige Archiv ausgesondert und hier dauerhaft überliefert und zur Benutzung bereitgestellt werden können. Die Erreichung dieses Zieles erfordert heute große Kompetenzen auf dem Gebiet des elektronischen Records Manage-ments, bei der Vermittlung dieses Wissens gegenüber allen Hierarchieebenen in den Verwaltun-gen, aber auch hinsichtlich der organisatorischen und technischen Grundlagen für eine effiziente und nachhaltige Sicherung der entstandenen und erst noch entstehenden Unterlagen. Gerade we-gen der hohen Komplexität der Anforderunwe-gen an die elektronische Vorgangsbearbeitung und Aktenführung müssen eine intensive Behördenberatung und eine kontinuierliche Auseinander-setzung mit Entwicklungen auf dem Gebiet des Records Managements integraler Bestandteil der gegenwärtigen und zukünftigen archivischen Praxis bleiben.

Im Zuge des Gesetzgebungsprozesses zum E-Government in Nordrhein-Westfalen wurde dem Landesarchiv die Möglichkeit geboten, seine Perspektive einzubringen und sich mit seinem Anspruch und seinen Beratungskompetenzen zu positionieren. Der Gesetzgeber hat Regelun-gen aufRegelun-genommen, die aus Sicht des Landesarchivs einen hohen Stellenwert haben und sich auf die zukünftige Bildung und Archivierung einer elektronischen Verwaltungsüberlieferung positiv auswirken werden. Jetzt geht es darum, den eingeschlagenen Weg auszubauen, zu stabilisieren und zu perpetuieren, damit aus einem erfolgreichen E-Government-Projekt der nordrhein-west-fälischen Landesverwaltung eine erfolgreiche elektronische Archivüberlieferung resultieren kann.

Vor diesem Hintergrund erscheinen heute viele Diskussionen der vergangenen 25 Jahre um das Berufsbild des Archivars obsolet. Archivare müssen ihre Kenntnisse der historischen Vor-gangsbearbeitung und Schriftgutverwaltung ausschöpfen und für das elektronische Records Management fruchtbar machen, damit sie das Ziel der Überlieferungsbildung und Bereitstellung aussagekräftiger Unterlagen für die Benutzung auch in Zukunft konstruktiv beeinflussen können.

Zugleich können sie nicht darauf verzichten, ihre organisatorischen und technischen Kompeten-zen auf dem Gebiet des Records Managements zu erweitern. Insofern gibt es kein entweder-oder:

Öffentliche Archive sind Teil und Partner der öffentlichen Verwaltung. Gleichermaßen sind sie Teil und Partner der historischen Forschung und kulturellen Bildung. Und zu beiden Richtungen hin sind sie auch Dienstleister. Diesem doppelten aber unteilbaren Anspruch gilt es gerecht zu werden.