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Das gegenwärtige Bild der Migration nach Deutschland

2 Dynamiken der Einwanderungs gesellschaft

2.2 Historische Entwicklung von Migration, Integration und darauf bezogenen

2.2.2 Das gegenwärtige Bild der Migration nach Deutschland

Die Entwicklung der Migration nach Deutschland seit Beginn der 2000er-Jahre lässt sich in zwei Phasen unter-teilen: Die erste Phase, ab der Jahrtausendwende bis zum Ende der Finanzkrise im Jahr 2009, war geprägt durch rück-läufige Migrationszahlen und einen für die Bundesrepublik historisch niedrigen Wanderungssaldo. Dieser betrug im genannten Zeitraum durchschnittlich 85.000 Personen pro Jahr; im historischen Mittel waren es etwa 200.000 Personen.

Ausschlaggebend hierfür war, dass in dieser Periode die Arbeitslosigkeit in Deutschland im europäischen Vergleich überdurchschnittlich hoch und das Wirtschaftswachstum gering war. Dennoch zeichnete sich bei der Migration damals schon eine Strukturverschiebung in der Form ab, dass mehr Menschen aus anderen Mitgliedsstaaten der EU nach Deutschland kamen und das Qualifikationsniveau der Eingewanderten stieg (vgl. Kap. 2.4).

Einwanderung von EU-Staatsangehörigen seit Über-windung der Finanzkrise

Nach den 2005 in Kraft getretenen Arbeitsmarktreformen stieg in Deutschland das Wirtschaftswachstum und die Arbeitsmarktlage verbesserte sich schrittweise. Damit veränderten sich auch die Rahmenbedingungen für die Migration in Europa: Während sich Deutschland schnel-ler als andere EU-Staaten, nämlich bereits 2010, von der Finanzkrise erholte, leiden Spanien und Italien, vor der Finanzkrise die beiden wichtigsten Einwanderungslän-der in Einwanderungslän-der EU, bis heute unter hoher Arbeitslosigkeit und geringem Wachstum. Seit dem Brexit-Referendum 2016 gibt es zudem eine Nettorückwanderung von Migrantin-nen und Migranten aus den neuen Mitgliedsstaaten aus Großbritannien.

Parallel zu dieser asymmetrischen wirtschaftlichen Ent-wicklung in der EU liefen die Übergangsfristen für die Arbeitnehmerfreizügigkeit aus: für die Länder der ersten Osterweiterungsrunde zum 1. Mai 2011, für Bulgarien und Rumänien zum 1. Januar 2014 und für Kroatien zum 1. Juli 2015. Beides zusammen bewirkte, dass die Ein-wanderung von Unionsbürgerinnen und -bürgern nach Deutschland deutlich anstieg. Dies geht vor allem auf eine Umlenkung der Migration aus den neuen Mitgliedsstaa-ten zurück (vgl. Bertoli u. a. 2018): Vor der Krise waren für Staatsangehörige dieser Länder noch das Vereinigte König-reich, Irland, Spanien und Italien die wichtigsten Ziel-länder gewesen. Nun wurden sie als solche von Deutsch-land abgelöst, das sich zum mit Abstand bedeutendsten Zielland von Migration in der EU entwickelte. Aus den EU-Mitgliedsstaaten Griechenland, Italien und Spanien, die von der Krise besonders stark betroffen waren, wan-derten ebenfalls Menschen nach Deutschland; dies war aber quantitativ weitaus weniger bedeutsam.

Da Unionsbürgerinnen und -bürger Freizügigkeit genie-ßen, wird für sie anders als bei Drittstaatsangehörigen im Aus länderzentralregister kein Aufenthaltszweck erfasst.

Der überwiegende Anteil der Einwanderinnen und Ein-wanderer aus der EU ist jedoch im erwerbsfähigen Alter, also zwischen 15 und 64 Jahren. 2019 waren es 90 Pro-zent, fast die Hälfte war 18 bis unter 35 Jahre alt (Graf 2020a, S. 8). Dies lässt vermuten, dass Erwerbstätigkeit, aber auch Bildung, Ausbildung und familiäre Motive beim Zuzug eine wesentliche Rolle spielen. Nach dem Mikrozensus 2019 nennen 46 Prozent der aus der EU-28 zugewanderten Personen als Hauptmotiv der Migration nach Deutschland Familiengründung oder -zusammen-führung, 31 Prozent die Aufnahme einer Beschäftigung und 3 Prozent die Aufnahme eines Studiums bzw. einer Aus- oder Weiterbildung (DESTATIS 2020b). In den vergan-genen Jahren hat die EU-Binnenmigration das

Wande-rungsgeschehen in Deutschland quantitativ bestimmt, mehr sogar als die viel stärker diskutierte Fluchtmigration, wenn man diese an der Zahl der Asylerstanträge bemisst (vgl. BMI/BAMF 2020 sowie Kap. 2.3). Dies ist vor allem auf die Einkommensunterschiede zwischen den alten und den neuen Mitgliedsstaaten der EU zurückzuführen.

Einwanderung von Drittstaatsangehörigen: Überblick Gut die Hälfte (55 %) des Wanderungssaldos in Deutschland entfiel im Zeitraum von 2000 bis einschließlich 2018 mit knapp 3 Millionen Personen auf Drittstaatsangehörige. Auch hier erfolgte die Zuwanderung überwiegend in den Jahren 2010 bis 2018, der Wanderungssaldo beträgt für diesen Zeit-raum 2,4 Millionen Personen. Anders als bei der Migration aus der EU lässt sich bei den Zugezogenen aus Drittstaaten im Ausländerzentralregister der Aufenthaltszweck identi-fizieren. Ein erheblicher Teil der Einwanderung entfiel auf Asylsuchende. Insgesamt wurden ab dem Jahr 2000 bis einschließlich 2019 mehr als 2,5 Millionen Asylerstanträge gestellt (BAMF 2020). Das kann als An näherung an die tat-sächlichen Zuzüge von Schutzsuchenden aus dem Ausland verstanden werden; aufgrund von Doppelzählungen, Aus-

17 In den Jahren 2018 und 2019 entfielen 20 bzw. 22 Prozent der Asylerstanträge auf unter einjährige Kinder, die in Deutschland geboren wurden (BAMF 2019a; 2020). In den Vorjahren waren die Anteile geringer.

18 Aufgrund der unterschiedlichen Konzepte zur statistischen Erfassung von Asyl- und Gesamtzuwanderung ist dieser Anteil als Näherungsgröße zu verstehen, nicht als exakter Wert.

und Wiedereinreisen und Asylerstanträgen für in Deutsch-land geborene Nachkommen von Schutzsuchenden17 dürfte die tatsächliche Zahl etwas niedriger liegen. Insgesamt entfällt auf die Fluchtmigration ein vergleichsweise kleiner Anteil der gesamten Zuzüge nach Deutschland, auch wenn sie in der öffentlichen Diskussion im Mittelpunkt steht. Legt man die Asylerstanträge zugrunde – die den tatsächlichen Zuzug von Schutzsuchenden wie eben ausgeführt etwas überschätzen –, dann belief sich ihr Anteil in den Jahren 2000 bis 2019 auf 13 Prozent der gesamten Zuzüge von Ausländern und Ausländerinnen nach Deutschland.18 Die Fluchtmigration der letzten Jahre wird wegen ihrer beson-deren Bedeutung in Kapitel 2.3 eingehender behandelt.

Familiennachzug

Neben Asylsuche entfällt ein zweiter großer Block der Ein-wanderung von Drittstaatsangehörigen auf den Familien-nachzug. Die entsprechenden Regelungen des Aufent-haltsgesetzes unterscheiden nur zwischen dem Zuzug zu Deutschen und dem zu Drittstaatsangehörigen; für An-gehörige von EU-StaatsanAn-gehörigen gilt das Freizügigkeits-recht. Grundsätzlich ist der Familiennachzug begrenzt auf Abbildung 3: Zu- und Fortzüge von Staatsangehörigen der EU-28 (ohne deutsche Staatsangehörige) nach und

aus Deutschland, 1996–2019

Wanderungssaldo Zuzüge Fortzüge

–100.000 +100.000 0 +300.000 +500.000 +700.000 +900.000 +1.100.000

199619971998199920002001200220032004200520062007200820092010201120122013201420152016201720182019 Freizügigkeit

EU-8 Freizügigkeit Bulgarien und Rumänien EU-2

Quelle: DESTATIS, Bevölkerung und Erwerbstätigkeit, Fachserie 1.2 Wanderungen, Wiesbaden, verschiedene Jahrgänge, sowie GENESIS-Online (Daten für 2019), eigene Auswertung und Darstellung.

2 Dynamiken der Einwanderungs gesellschaft | 29 die sogenannte Kernfamilie, d. h., Ehe- oder

Lebenspartne-rinnen und -partner und gemeinsame minderjährige Kinder bzw. bei minderjährigen Kindern die Eltern. Sonstige Fami-lienangehörige können nur in Ausnahmefällen nachziehen.

Die Regelung des Familiennachzugs wurde in den 1980er-Jahren viel und kontrovers diskutiert, so mit Blick auf Warte-fristen in einigen Bundesländern (vgl. u. a. Hailbronner 1983).

Heute besteht in Deutschland aber weitgehend Konsens darüber, dass zu einer umfassenden Migrationspolitik auch der Nachzug von Angehörigen der Kernfamilie gehört. Um-stritten waren zuletzt das 2007 eingeführte Erfordernis, dem zufolge Ehe- oder Lebenspartnerinnen und -partner vor der Einreise nach Deutschland einfache deutsche Sprachkennt-nisse nachweisen müssen (vgl. BMI/BAMF 2020), und 2016 die Beschränkung des Familiennachzugs zu Personen mit subsidiärem Schutzstatus (vgl. Kap. 2.3 und 4.9.2).

Zwischen 2006 und 2013, also vor dem starken Anstieg der Fluchtmigration, belief sich die Zahl der Personen, die eine Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen erhielten, relativ konstant auf höchstens 56.000 jährlich. Infolge der Zunahme der Personen mit anerkanntem Schutzstatus stieg schrittweise auch die Zahl derjenigen, die mit einer Aufent-haltserlaubnis aus familiären Gründen nach Deutschland zugezogen sind, und erreichte 2017 mit 115.000 Personen ihren vorläufigen Höhepunkt. Im Jahr 2018 sank sie wieder auf 97.000 Personen (vgl. Abb. 4 und BMI/BAMF 2020).

Das Ausländerzentralregister enthält genauso wie die Visas-tatistik des Auswärtigen Amts – die zweite relevante

Daten-19 Syrien, Irak, Iran, Afghanistan, Pakistan, Nigeria, Somalia und Eritrea; diese Ländergruppe wird auch in den Statistiken der BA als Gruppe der

„acht nichteuropäischen Asylherkunftsländer“ ausgewertet.

quelle zum Familiennachzug – keine Informationen darüber, ob Familienangehörige zu Personen mit aner kanntem Schutzstatus nachziehen. Einen gewissen Aufschluss gibt hier die Struktur des Familiennachzugs nach der Staatsangehö-rigkeit der nachziehenden Personen: War vor dem Anstieg der Fluchtmigration noch die Türkei das Hauptherkunfts-land des Familiennachzugs, so kam – mit einer gewissen Ver-zögerung – im Jahr 2017 Syrien mit 33.000 Personen auf den ersten Rang. Insgesamt entfielen auf die Hauptherkunfts-länder19 der Fluchtmigration nach Deutschland von 2015 bis 2019 zwischen 21 und 41 Prozent des Familiennachzugs nach Deutschland; in der Summe waren es rund 157.000 Nach-züge von Familienangehörigen aus diesen Ländern. Fami-lienangehörige ziehen also nicht überwiegend zu Personen mit anerkanntem Schutzstatus nach, sondern – abgesehen von der besonderen Entwicklung in den Jahren 2016 und 2017 – mehrheitlich zu Migrantinnen und Migranten aus Herkunftsländern, die bei der Fluchtmigration keine oder eine geringe Rolle spielen.

Bildungsmigration

Seit den Reformen des Einwanderungsrechts besonders ab 2005 hat die Migration zu Zwecken der Bildung und Ausbildung in Deutschland erheblich zugenommen. Den größten Teil dieser Gruppe bilden Studierende, die an deutschen Hochschulen ein Studium aufnehmen (Graf 2020b, S. 15; zur Diversität an deutschen Hochschulen und von Studierenden aus dem Ausland siehe auch Kap. 4.2.3).

Die Zahl der Studienanfängerinnen und -anfänger, die ihre Abbildung 4: Zuzüge von Drittstaatsangehörigen nach Aufenthaltszwecken und Aufenthaltstiteln, 2010–2019

(in 1.000 Personen)

2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019

Erwerbstätigkeit 30 37 39 34 37 39 51 61 61 64

Bildung, Ausbildung, Sprachkurse 46 47 49 52 58 62 56 53 58 57

Familiäre Gründe 55 53 55 56 64 82 106 115 97 97

Humanitäre Gründe,

Aufenthalts gestattung, Duldung 120 43 48 104 192 419 216 118 107 96

EU-Aufenthaltsrecht,

Niederlassungserlaubnis 120 10 11 12 15 18 18 19 21 22

Sonstige 303 75 105 106 153 506 226 178 182 198

Quelle: BAMF, Das Bundesamt in Zahlen, Ausgaben 2010–2019, eigene Darstellung.

Hochschulzugangsberechtigung im Ausland erworben haben (sog. Bildungsausländerinnen und -ausländer), ist zwischen 2000 und 201920 erheblich gestiegen, von 45.000 auf 111.000 pro Jahr; seit 2006 ist sie stetig steigend. Die wichtigsten Herkunftsländer der Studienanfängerinnen und -anfänger aus dem Ausland waren 2016 und 2017 jeweils China, Indien, die Vereinigten Staaten, Italien und Frankreich; 2018 rückte anstelle von Frankreich Syrien unter die fünf wichtigsten Herkunftsländer vor. 2019 schlossen 49.000 Bildungsausländerinnen und -ausländer ihr Studium in Deutschland ab, 2017 waren es 44.000. Die meisten Abschlüsse entfielen auf die Ingenieurwissen-schaften sowie die Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissen-schaften (BMI/BAMF 2020).

Nach dem Aufenthaltsgesetz können ausländische Studienabsolventinnen und -absolventen eine Auf-enthaltserlaubnis erhalten, um einen ihrem Abschluss angemessenen Arbeitsplatz zu suchen. Diese gilt aktuell für 18 Monate im Anschluss an das Studium (§ 16 Abs. 5 AufenthG).21 2019 wurden 7.300 solcher Aufenthalts-erlaubnisse erteilt,22 das war gegenüber dem Vorjahr ein Anstieg von 15 Prozent (Graf 2020b, S. 16). In ähnlicher Größenordnung wurden 2019 Aufenthaltserlaubnisse für Sprachkurse oder einen Schulbesuch in Deutschland erteilt (7.000). Zum Zweck einer betrieblichen Ausbildung wurden 13.400 Aufenthaltserlaubnisse erteilt, für Maßnah-men zur Anerkennung ausländischer Berufsqualifikatio-nen 1.900 Aufenthaltserlaubnisse.

Mit 265.000 Bildungsausländerinnen und -ausländern an deutschen Hochschulen entfielen 2017 auf Deutschland 5 Prozent der internationalen Studierenden weltweit. Inner-halb der OECD liegt es damit auf dem vierten Platz nach den USA, Großbritannien und Australien (DAAD 2020). Dass zum Teil Länder mit kleinerer Bevölkerung und teilweise auch niedrigerem Pro-Kopf-Einkommen, wie Australien und Großbritannien, hier weiterhin vor Deutschland liegen, hat vielfältige Ursachen, die nicht oder nur am Rande zu beeinflussen sind, etwa die deutsche Landessprache oder koloniale Bindungen der anderen Länder. Im Zeitverlauf ist die Zahl der internationalen Studierenden in Deutschland jedoch deutlich gestiegen, im Wintersemester 2018/19 lag sie bereits bei 302.000 Personen (BMI/BAMF 2020).

20 Jeweils die Summe aus dem Sommersemester und dem darauffolgenden Wintersemester des betreffenden Jahres.

21 Das am 1. März 2020 in Kraft getretene Fachkräfteeinwanderungsgesetz hat die Systematik der Aufenthaltstitel verändert, auch im Bereich der Bildungs-migration. Die oben genannten Paragrafen beziehen sich auf die bis zu diesem Zeitpunkt geltenden Bezeichnungen, auf denen auch die

zitierten statistischen Auswertungen beruhen.

22 Bei diesem und den im Folgenden genannten Aufenthaltszwecken handelt es sich in unterschiedlichem Ausmaß um Personen, die 2019 oder schon früher nach Deutschland eingereist sind (Graf 2020b, S. 16). So wurden Aufenthaltserlaubnisse für die Arbeitsplatzsuche nach dem Studium ganz über-wiegend Personen erteilt, die sich bereits vor 2019 in Deutschland aufhielten (98 %); solche zum Zweck eines Sprachkurs- oder Schulbesuchs erhielten dagegen mehrheitlich Personen, die im selben Jahr eingereist waren (61 %).

23 Dabei handelt es sich jeweils um Personen, die im Berichtsjahr eingereist sind und im selben Jahr oder im ersten Quartal des Folgejahres den ent-sprechenden Aufenthaltstitel erhalten haben. Quelle: Das Bundesamt in Zahlen, verschiedene Jahrgänge.

Erwerbsmigration

Mit der Green-Card-Initiative für IT-Spezialisten und -spezialistinnen von Kanzler Gerhard Schröder und dem Zuwanderungsgesetz von 2005 und seinen Novellierungen verbanden die rot-grüne Bundesregierung und die nach-folgenden Regierungen die Hoffnung, dass deutlich mehr hoch qualifizierte und qualifizierte Arbeitskräfte nach Deutschland einwandern würden. Tatsächlich hat sich diese Erwartung nicht erfüllt. Dies lag auch daran, dass die End-fassung des Zuwanderungsgesetzes viele der ursprünglich geplanten Zugangsmöglichkeiten doch nicht enthielt, die dann erst in den folgenden 15 Jahren bis zum Fachkräfte-einwanderungsgesetz schrittweise eingeführt wurden. So kamen nach dem Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes im Jahr 2005 zunächst rund 18.000 Personen mit einer Auf-enthaltserlaubnis zu Erwerbszwecken nach Deutschland, im Jahr 2010 belief sich die Zahl auf 30.000 und bis 2019 war sie auf 64.000 Personen gestiegen.23 Der Anteil der Aufenthalts-erlaubnisse zu Erwerbszwecken an allen Zuzügen aus Dritt-staaten ist damit in diesem Zeitraum von zunächst rund 5 Prozent auf 12 Prozent gestiegen; bezogen auf alle Zuzüge nach Deutschland ist er etwa halb so hoch.

Von den im Jahr 2019 erteilten Aufenthaltserlaubnissen zu Erwerbszwecken entfielen 33 Prozent auf Aufenthalts-titel für qualifizierte Fachkräfte (§ 18 Abs. 4 AufenthG) und 20 Prozent auf die „Blaue Karte EU“. Insgesamt wurden 61 Prozent der Aufenthaltstitel qualifizierten Fachkräften und Hochqualifizierten erteilt. 39 Prozent bezogen sich auf Beschäftigungen ohne Qualifikationsanforderungen (§ 18 Abs. 3 AufenthG; BAMF 2020).

Dass bei Drittstaatsangehörigen der Anteil der Aufent-haltstitel zu Erwerbszwecken an der gesamten Einwande-rung so niedrig liegt, ist unter Integrationsgesichtspunk-ten problematisch. Denn bei Drittstaatsangehörigen, die über andere Visa und Aufenthaltstitel zugezogen sind, ist die Erwerbstätigenquote sehr viel geringer (vgl. Kap. 4.3).

Starkes West-Ost-Gefälle der Einwanderung

Die vorigen Abschnitte haben die Vielfalt der Migration nach Deutschland umrissen. Darüber hinaus wirkt sich

2 Dynamiken der Einwanderungs gesellschaft | 31 diese auch regional unterschiedlich aus. Eingewanderte

Menschen und ihre Nachkommen finden sich sehr viel häufiger in West- als in Ostdeutschland. So lebten nach Ergebnissen des Mikrozensus im Jahr 2019 95 Prozent der 21,2 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund in den alten Bundesländern inklusive Berlins (DESTATIS 2020a), nur etwa 1 Million in Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen.

Dies ist auch eine Folge historisch gewachsener Unter-schiede, denn in der DDR spielte Migration nur eine marginale Rolle (s. o. Kap. 2.2.1).

Nach der Wiedervereinigung 1990 kamen in die östlichen Bundesländer zunächst – und das gilt tendenziell immer noch – vor allem Migrantinnen und Migranten, die über landesweite Verteilmechanismen wie den Königsteiner Schlüssel „zugewiesen“ wurden: Asylsuchende, (Spät-) Aussiedlerinnen und (Spät-)Aussiedler sowie jüdische Zu-wanderinnen und Zuwanderer aus dem Gebiet der ehema-ligen Sowjetunion. Daneben spiel(t)en Polen als östliches Nachbarland und die verbliebene vietnamesische Com-munity eine wichtige Rolle. Die Hauptherkunftsländer von Migrantinnen und Migranten unterschieden sich in Ost- und Westdeutschland also mindestens bis zur starken Fluchtmigration ab 2015 (Weiss 2009, S. 137). Beispielsweise war und ist der Anteil von türkeistämmigen Menschen im Gebiet der früheren DDR wesentlich geringer, während sie in Gesamtdeutschland nach wie vor die größte einzelne Herkunftsgruppe stellen. Zugleich verlassen nicht wenige

„zugewiesene“ Migrantinnen und Migranten die neuen Bundesländer wieder in Richtung Westen, sobald dies möglich ist. Dabei spielen Faktoren in beiden Landesteilen eine Rolle: höhere Arbeitslosigkeit und geringere Verdienste in Ostdeutschland wie auch die dort vergleichsweise stär-ker verbreitete Ablehnung von Migration bzw. Eingewan-derten auf der einen Seite, bessere Arbeitsmarktchancen und die Aufnahme in besser ausgebaute migrantische Netzwerke auf der anderen (vgl. Perabo 2018, S. 16).

Weiss (2009) verweist jedoch auch auf besondere Potenziale der Einwanderung in Ostdeutschland. So bringt die spezi-fische Struktur der Herkunftsländer auch mit sich, dass die Eingewanderten dort im Durchschnitt vergleichsweise gut gebildet sind, hohe Bildungsaspirationen haben und die Kinder im Schulsystem sehr erfolgreich sind. Zudem haben sich „besondere Formen der Selbstorganisation entwickelt,

24 Das Statistische Bundesamt definiert als Schutzsuchende alle Ausländerinnen und Ausländer, die sich unter Berufung auf politische, völkerrechtliche oder humanitäre Gründe in Deutschland aufhalten. Dazu zählen Schutzsuchende mit offenem Schutzstatus, die sich zur Durchführung der Asylverfah-ren in Deutschland aufhalten, Schutzsuchende mit anerkanntem Schutzstatus, der zu einem befristeten oder unbefristeten Aufenthalt in Deutschland berechtigt, und Schutzsuchende, die sich nach Ablehnung ihres Asylantrags oder nach Verlust eines Schutzstatus als Ausreisepflichtige in Deutschland aufhalten (vgl. DESTATIS 2019f). Unter den Personen mit anerkanntem Schutzstatus befinden sich auch solche, die kein Asylverfahren durchlaufen haben, sondern z. B. über das Resettlement-Verfahren nach Deutschland gekommen sind.

25 Nicht alle Schutzsuchenden sind nach Deutschland eingereist: 9 Prozent waren zum Jahresende 2019 im Inland geboren. Dem entspricht, dass in den letzten Jahren der Anteil von Asylanträgen für in Deutschland geborene Kinder gestiegen ist.

die neue Wege der gemeinsamen Integrationsbestrebungen beschritten haben, ebenso wie die hohe Arbeitslosigkeit auch dazu geführt hat, dass Zuwanderer neue und kreative Wege in die Selbständigkeit gegangen sind“ (Weiss 2009, S. 146). Nicht zuletzt könnten die demografische Entwick-lung gerade in ländlichen Regionen Ostdeutschlands und der zunehmende Fachkräftemangel eine neue, positivere Sicht auf Migration fördern (vgl. Rösch u. a. 2020).

2.3 Fluchtmigration und Integration