• Keine Ergebnisse gefunden

Arbeitsmarktintegration im Kontext des Migrationsgeschehens

4 Politikfelder der Einwanderungs gesellschaft

4.3 Teilhabe an Arbeit und Auswirkungen der Migration auf Sozialstaat

4.3.1 Arbeitsmarktintegration im Kontext des Migrationsgeschehens

Arbeit ist der Dreh- und Angelpunkt gelingender In te-gration – für die Zugewanderten selbst ebenso wie für die gesamte Gesellschaft. Ob die Integration in den Arbeits-markt gelingt, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Eine gute Migrations- und Integrationspolitik kann zwar nicht alle, jedoch viele dieser Faktoren beeinflussen und damit Integration und Teilhabe am Arbeitsmarkt fördern.

Erfolg auf dem Arbeitsmarkt ist eine wichtige Voraus-setzung für gesellschaftliche Teilhabe. Ob, was und wie jemand arbeitet, bestimmt nicht nur das Einkommen, sondern auch den sozialen Status und damit eine Reihe weiterer wichtiger Faktoren wie etwa die Wohnsituation, die Bildung der Kinder, soziale Beziehungen, kulturelle Teilhabe und vieles mehr. Arbeit hat deswegen im Leben der meisten Menschen einen wichtigen Stellenwert; das gilt auch für Zugewanderte. Allein in der Gruppe der noch nicht erwerbstätigen Schutzsuchenden gaben in einer Umfrage 97 Prozent der Männer und 88 Prozent der Frau-en an, dass sie „sicher“ oder „wahrscheinlich“ arbeitFrau-en wol-len (Brenzel u. a. 2019, S. 103). In der Phase des Deutschler-nens ist der Arbeitsplatz zudem ein wichtiger Ort, um die Sprache anzuwenden und zu perfektionieren.

Doch die Integration in den Arbeitsmarkt prägt nicht nur die individuelle Existenz. Sie ist zugleich eine Voraus-setzung dafür, dass Migration einen positiven Beitrag zur Entwicklung der Herkunftsländer leisten kann. Und sie ist auch eine wichtige Voraussetzung dafür, dass unsere Gesellschaft Migration akzeptiert. Darüber hinaus ist sie unabdingbar, wenn das Potenzial von Migration für den Arbeitsmarkt, die Volkswirtschaft und die sozialen Sicherungssysteme genutzt werden soll. In diesem Kontext stellt sich natürlich auch die Frage, ob und ggf. wie die COVID-19-Pandemie diese Zusammenhänge beeinflusst.

Sie wird sich voraussichtlich auf viele Integrationsbereiche auswirken (vgl. Kap. 1, 3.8 und 4.6), doch der Arbeitsmarkt und damit die Arbeitsmarktintegration dürfte besonders stark betroffen sein (vgl. Kasten).

Folgen der COVID-19-Pandemie für die Arbeitsmarktlage von Migrantinnen und Migranten

Zu dem Zeitpunkt, als dieser Bericht verfasst wurde, waren umfassende Daten über die Arbeitsmarktlage von Eingewanderten nach dem Ausbruch der COVID-19-Pandemie noch nicht verfügbar. Erste Daten der Arbeitslosenstatistik zeigen aber, dass bei den auslän-dischen Staatsangehörigen und insbesondere jenen der Hauptherkunftsländer von Asylsuchenden die Arbeits-losenzahlen weit überdurchschnittlich gestiegen sind.

Daten zur Kurzarbeit und zum Bezug von Grundsiche-rung nach dem SGB II, die nach Staatsangehörigkeit und Migrationsstatus differenzieren, liegen noch nicht vor.

Aus strukturellen Gründen ist aber davon auszugehen, dass Eingewanderte von dem wirtschaftlichen Schock überdurchschnittlich betroffen sind: Sie sind weit über-durchschnittlich in Wirtschaftszweigen und Tätigkeiten beschäftigt, die physische Präsenz erfordern und nicht ins Homeoffice verlagert werden können, z. B. im Hotel- und Gastgewerbe, im Einzelhandel und in wirtschafts-nahen Dienstleistungen wie dem Reinigungsgewerbe und den Sicherheitsdiensten. Diese Wirtschaftszweige und Tätigkeiten sind besonders stark vom „Lockdown“

betroffen. Eingewanderte sind zwar auch in den soge-nannten systemrelevanten Berufen überdurchschnitt-lich vertreten, aber dies kann die Beschäftigungsrück-gänge in anderen Berufen nicht kompensieren. Zudem haben sie häufiger befristete Arbeitsverträge oder eine kürzere Betriebszugehörigkeit und sind überdurch-schnittlich in kleinen Unternehmen sowie Unterneh-men der Arbeitnehmerüberlassung beschäftigt, weshalb sie weniger gut vor Entlassung geschützt sind.

Die mittel- und langfristigen Auswirkungen der COVID-19- Pandemie lassen sich derzeit noch nicht seriös ab-schätzen, weil offen ist, wie schnell und wie umfassend sich die Wirtschaft von dem Schock erholen wird. Er-kennbar ist aber schon jetzt, dass sich die gegenwärtige Krise von früheren unterscheidet, etwa der Finanzkrise 2008/09. Damals war neben dem Finanzsektor von dem globalen Exportnachfrageschock vor allem das produ-zierende Gewerbe betroffen und dieses hat sich – auch durch den wachsenden Handel mit China – schnell von der Krise erholt. Die exportierenden Unternehmen ver-fügten über große finanzielle Reserven und verzichteten weitgehend auf Entlassungen. Den Dienstleistungs-sektor mit seinen vielen kleinen und mittleren Unter-nehmen berührte die Krise kaum. Diesmal ist zwar auch das produzierende Gewerbe betroffen, der Schwerpunkt des Schocks liegt aber auf dem Dienstleistungssektor, auch wenn dort in einzelnen Zweigen durch die Krise die Nachfrage gestiegen ist (u. a.

Lebensmitteleinzel-4 Politikfelder der Einwanderungs gesellschaft | 119 handel, Versandhandel). Zudem sind im

Dienstleistungs-sektor die Betriebe im Durchschnitt kleiner und haben weniger finanzielle Reserven; das wird neben Kurzarbeit zu mehr Entlassungen führen. Genau in diesen Zweigen gab es im zurückliegenden Aufschwung ein erhebliches Be schäftigungswachstum und hier sind Eingewanderte und ihre Nachkommen weit überdurchschnittlich be-schäftigt.

Die mittelfristigen Folgen der Krise werden davon ab hän-gen, ob die Konjunktur v-förmig verlaufen, also schnell zum Vorkrisenniveau zurückkehren wird, oder ob sie u- oder gar l-förmig verläuft, also mit einer längeren Bodenbildung. In diesem Fall dürften Überbrückungs-maßnahmen wie Kurzarbeitergeld irgendwann nicht mehr ausreichen und die Arbeitslosigkeit steigen, und davon werden Migrantinnen und Migranten überdurch-schnittlich betroffen sein.

Migration wirkt in einer solchen Krise als „Puffer“:

Rückkehrmigration und sinkende Zuzugszahlen tragen dazu bei, dass sich das Arbeitsangebot dem Nachfrage-schock anpasst. Davon profitieren die anderen Beschäf-tigten in Form einer höheren Beschäftigungsstabilität.

Allerdings werden die ökonomischen und sozialen Folgen des wirtschaftlichen Schocks damit auch zum Teil ins Ausland verlagert. Der Corona-Schock wird sich auf die einzelnen Länder mittel- und langfristig unter-schiedlich auswirken. Es ist also denkbar, dass ähnlich wie damals bei der Finanzkrise die Erwerbsmigration in diejenigen Länder umgelenkt wird, die sich schneller als andere von den Folgen des Schocks erholen. Insofern könnte die Arbeitsmigration, nachdem sie im Zuge der Krise zunächst stark eingebrochen ist, mit der Erholung im gemeinsamen Binnenmarkt und in den angrenzen-den Ländern steigen. Insgesamt kann sie dazu beitragen, die Folgen des Schocks zu bewältigen.

Von den kurz- und mittelfristigen Folgen des Schocks zu unterscheiden sind die längerfristigen Entwicklungen und Strukturverschiebungen im Arbeitsmarkt. Ange-sichts der langfristigen demografischen Entwicklungen (siehe Kap. 2.4) geht die Fachkommission davon aus, dass in Deutschland auch künftig ein erheblicher Bedarf an Arbeitskräften aus dem Ausland bestehen wird. Die Geburtenrate geht zurück, auch in der Bevölkerung der Eingewanderten selbst, und die Lebenserwartung steigt (vgl. Kap. 2.3). Der demografische Wandel hat bereits

be-112 Wenn die Lebensarbeitszeit auf 67 Jahre verlängert wird und die Erwerbsbeteiligung von Frauen und Älteren in einem realistischen Maß steigt, könnte sich nach den Schätzungen von Fuchs u. a. (2017) das Erwerbspersonenpotenzial bis zum Jahr 2060 gegenüber dem demografischen Basisszenario (also ohne Wanderung) um rund 2 Millionen Personen erhöhen. Dennoch würde in diesem Fall das Erwerbspersonenpotenzial gegenüber dem Basisjahr 2015 um gut 15 Millionen Personen oder 33 Prozent sinken.

gonnen: Von 2009 bis zum Jahresende 2019 ist die Zahl der deutschen Einwohnerinnen und Einwohner im erwerbsfä-higen Alter um rund 2,2 Millionen gesunken, allein im Jahr 2018 um 340.000 Personen. Dieser Rückgang wird sich, wenn die Generation der „Babyboomer“ das Rentenalter erreicht, beschleunigen. Dadurch werden in Deutschland zukünftig weniger Personen im erwerbsfähigen Alter sein, und ihnen steht ein immer größerer Teil gegenüber, der nicht mehr erwerbstätig ist. Dies birgt erhebliche Risiken für den Arbeitsmarkt und die Sozialversicherungssysteme.

In welchem Umfang das Erwerbspersonenpotenzial – also die Gesamtheit aller Menschen, die in Deutschland arbei-ten können und wollen – künftig zurückgehen wird, hängt wesentlich von der Migration ab (vgl. Kap. 2.4.1).

Natürlich sollten Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik zunächst einmal versuchen, die Arbeitspotenziale der inländischen Bevölkerung (inklusive der bereits hier lebenden Eingewan-derten) zu nutzen. Dazu gehört, die Erwerbsbeteiligung von Frauen und älteren Arbeitnehmern und Arbeitneh-merinnen zu steigern, vor allem bei teilzeitbeschäftigten Frauen die Wochenarbeitszeit auszuweiten und insgesamt die Lebensarbeitszeit zu verlängern. Diesen Maßnahmen sind allerdings Grenzen gesetzt. Die Erwerbsbeteiligung von Frauen und von über 55-Jährigen ist in den letzten 15 Jahren bereits erheblich gestiegen und die Lebens-arbeitszeit wird schon schrittweise verlängert. Bis zum Beginn der COVID-19-Pandemie war auch die Zahl der Arbeitslosen deutlich gesunken, ebenso die der Personen, die an arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen teilnehmen.

Dies hat sich seit dem Ausbruch der Pandemie und der damit verbundenen Wirtschaftskrise zwar verändert, es ist aber bei einer Erholung der Wirtschaft davon auszu-gehen, dass sich diese Trends fortsetzen. Langfristig ist auch bei optimistischen Annahmen über den Rückgang der Erwerbslosigkeit, den Anstieg der Erwerbsbeteiligung der inländischen Bevölkerung und die Ausweitung der Wochen- und Lebensarbeitszeiten davon auszugehen, dass die Folgen des demografischen Wandels ohne Migration deutlich spürbar werden.112

Deshalb muss neben der Mobilisierung der inländischen Potenziale das Arbeitsangebot mittel- und langfristig auch durch Einwanderung erhöht werden. Allerdings kann Einwanderung allein diese demografischen Heraus-forderungen auch nicht dauerhaft lösen. Denn auch die Migrationsbevölkerung altert, ihre Geburtenrate passt sich derjenigen der Bevölkerung ohne Wanderungsgeschich-te an. Zudem betrifft der GeburWanderungsgeschich-tenrückgang nicht nur

Deutschland, sondern ist ein globales Phänomen. Und der Wettbewerb um qualifizierte Arbeitskräfte steigt weltweit.

Insofern lassen sich Engpässe auf den deutschen Arbeits-märkten nicht ohne Weiteres und unbegrenzt durch Mi-gration überwinden. Dennoch kann MiMi-gration zur Lösung der demografischen Probleme beitragen, aber nur dann, wenn es gelingt, die Eingewanderten erfolgreich in den Arbeitsmarkt zu integrieren.

Bei der Arbeitsmarktintegration von Migrantinnen und Migranten sind zwar im letzten Jahrzehnt erhebliche Erfol-ge zu verzeichnen, aber es besteht immer noch ein erheb-liches Gefälle in der Erwerbsbeteiligung von Deutschen und Ausländern und Ausländerinnen bzw. zwischen Personen mit und ohne Migrationshintergrund: So lag die Beschäfti-gungsquote bei den im Ausland geborenen Personen Ende 2019 nach der Europäischen Arbeitskräfteerhebung rund 7,5 Prozentpunkte niedriger als bei den in Deutschland Geborenen. Auch ihre Verdienste liegen niedriger, selbst bei gleichem Qualifikationsniveau. Allerdings haben sich ab der Arbeitsmarktreform von 2005 bis zum Ausbruch der COVID-19-Pandemie die Erwerbstätigenquoten von Migrantinnen und Migranten dem Bevölkerungsdurch-schnitt immer mehr angenähert. Das gilt vor allem für die neu Zugezogenen;113 zudem steigen bei diesen die Erwerbs-tätigenquoten mit zunehmender Aufenthaltsdauer. Daten des Mikrozensus zeigen zudem, dass sich zwischen den in Deutschland geborenen Menschen mit und ohne einge-wanderte Eltern die Erwerbstätigenquoten sehr viel weniger unterscheiden als zwischen Eingewanderten und Men-schen, deren Eltern bereits in Deutschland geboren sind.114 Die Unterschiede in den Erwerbstätigenquoten haben vielfältige Ursachen. So sind bei Migrantinnen und Migranten, die Arbeitnehmerfreizügigkeit genießen oder die Zugangswege für Erwerbsmigration nutzen konnten, die Erwerbstätigenquoten deutlich höher als bei anderen Gruppen. Ein weiterer Faktor sind die Bildungsvoraus-setzungen. In der Vergangenheit hatten Eingewanderte und ihre Nachkommen in Deutschland, gemessen an den Bildungs- und Ausbildungsabschlüssen, im Durchschnitt eine geringere Qualifikation als Personen ohne eigene oder familiäre Migrationsgeschichte. Dies ist zu wesent-lichen Teilen darauf zurückzuführen, dass in der Phase der sogenannten Gastarbeiteranwerbung gezielt manuelle Arbeitskräfte angeworben wurden und nach dem An-werbestopp vor allem Familien zu diesen Arbeitskräften nachzogen (vgl. Kap. 2.2.1). Spätestens ab Anfang der

113 Schutzsuchende stehen bei der Arbeitsmarktintegration allerdings vor besonderen Problemen (siehe hierzu Kap. 4.3.8).

114 So beträgt nach den Angaben des Mikrozensus die Erwerbstätigenquote der 25- bis 65-Jährigen bei den in Deutschland geborenen Personen mit Migra-tionshintergrund 82 Prozent und bei den Personen ohne MigraMigra-tionshintergrund 84 Prozent. Bei den Personen, die selbst eingewandert sind, liegt sie bei 74 Prozent (DESTATIS 2020b).

2000er-Jahre hat sich hier aber eine Trendwende vollzogen:

Bei den neu Zugewanderten ist der Anteil derjenigen mit einem Universitäts- oder Hochschulabschluss deutlich höher als im Durchschnitt der schon im Land lebenden Bevölkerung; allerdings gilt das auch für den Anteil der Personen ohne abgeschlossene Berufsausbildung, die einer deutschen Berufsausbildung entspricht. Der starke Zuzug von Schutzsuchenden im Jahr 2015 hat kurzfristig dazu geführt, dass der Anteil der Personen mit einem Hoch-schulabschluss bei den neu Zugewanderten gesunken und der Anteil derer ohne berufliche Abschlüsse gestiegen ist.

Schon im Folgejahr hat sich jedoch der alte Trend fort-gesetzt (vgl. Kap. 2.3). Sollte dies so bleiben, wird sich die Qualifikationsstruktur der Migrationsbevölkerung in den kommenden Jahrzehnten deutlich verändern. Es geht dann nicht mehr primär darum, eher gering qualifizierte Migrantinnen und Migranten zu integrieren, sondern eine Migrationsbevölkerung mit einer sehr heterogenen Quali-fikationsstruktur. Schon heute kann die Bildungsstruktur der Bevölkerung mit eigener Migrationsgeschichte als polarisiert beschrieben werden: Sie hat einen leicht höhe-ren Anteil von Personen mit akademischen Abschlüssen, aber einen deutlich höheren Anteil von Personen ohne abgeschlossene Berufsausbildung (DESTATIS 2020b).

Dieser polarisierten Qualifikationsstruktur der Migra-tionsbevölkerung entspricht eine Polarisierung im Tä tigkeitsspektrum, die gegenwärtig am Arbeitsmarkt zu beobachten ist: Anders als häufig vermutet haben nicht nur die Tätigkeiten am oberen Ende des Qualifikations-spektrums, sondern auch die am unteren Ende weit überdurchschnittlich zugenommen. So ist der Bereich der Helfertätigkeiten in Deutschland seit 2012 fast doppelt so stark gewachsen wie die Beschäftigung insgesamt;

Gleiches gilt für Experten- und Spezialistentätigkeiten. Das Wachstum bei den Helfertätigkeiten geht nicht allein auf Eingewanderte und ihre Nachkommen zurück, sondern rund zur Hälfte auch auf Arbeitskräfte ohne Migrations-geschichte. Gemessen an ihrem Anteil an der Bevölkerung sind Erstere in diesem Bereich jedoch stärker vertreten.

Eine ähnliche Polarisierung bei den Tätigkeiten ist in der OECD insgesamt zu beobachten. Offen ist, ob dieser Trend durch die Digitalisierung unterstützt wird oder die Helfer-tätigkeiten zurückgehen, weil dort die Rationalisierungs-potenziale häufig besonders hoch sind.

Hinter dieser offenen Frage steht ein grundsätzliches Phä-nomen: Migration und damit die Integration von

Arbeits-4 Politikfelder der Einwanderungs gesellschaft | 121 kräften passt sich nicht nur den bestehenden Tätigkeits-

und Produktionsstrukturen an, sondern verändert diese auch fortlaufend durch neue Güter und Dienstleistungen, Arbeitsformen und Technologien. Insofern ist Integration auch im wirtschaftlichen Bereich ein zweiseitiger und dynamischer Prozess. Migration kann die Strukturen etwa dadurch beeinflussen, dass der Anteil der Hochschulab-solventen und -absolventinnen steigt oder auch der von Personen ohne vergleichbaren beruflichen Bildungsab-schluss und dass Personen aus anderen Bildungssystemen kommen, die über andere Qualifikationen verfügen. Damit wird sich auch die Bedeutung des klassischen Facharbeiter-modells wandeln, das die Struktur der Beschäftigung in Deutschland bis heute dominiert. Diese Entwicklungen bergen allerdings auch soziale und ökonomische Risiken;

so könnten diese Tendenzen die Einkommensungleichheit und die Beschäftigungsrisiken bestimmter Gruppen erhö-hen. Eine vorausschauende Integrationspolitik muss diesen Veränderungen der Arbeitswelt Rechnung tragen. Sie muss die Teilhabe am Arbeitsmarkt und damit den gesellschaftli-chen Zusammenhalt unterstützen, indem sie z. B. Sprachför-derung anbietet und Wege für Bildung und Weiterbildung eröffnet, um Arbeitsmarktrisiken zu begrenzen.

Neben unterschiedlichen Bildungsvoraussetzungen sind weitere Gründe für die geringeren Erwerbstätigenquoten und Verdienste von Eingewanderten und ihren Nachkom-men fehlende oder unzureichende Kenntnis der deutschen Sprache (vgl. hierzu Kap. 4.2), aber auch die Entwertung des Humankapitals, das sie in den Heimat- oder anderen Ländern erworben haben. Außerdem unterscheiden sich bei Eingewanderten die Erwerbstätigenquoten von Männern und Frauen stärker als in der übrigen Bevölkerung; dieses Gefälle ist eng verbunden mit der Familiensituation (vgl.

Kap. 4.3.9). Schließlich belegen zahlreiche experimentelle und andere Studien, dass auch Diskriminierung am Arbeits-markt die Erwerbschancen und Verdienste von Eingewan-derten und ihren Nachkommen mindert (vgl. Kap. 4.5).

Die Einwanderungs-, Integrations- und Arbeitsmarkt-politik kann diese Faktoren beeinflussen und mithin dazu beitragen, dass Eingewanderte und ihre Nachkommen die gleichen Chancen auf Teilhabe am Arbeitsmarkt haben.

Dabei sollte nicht übersehen werden, dass die Arbeits-marktintegration zunächst ein Marktprozess ist, der erhebliche Anstrengungen von den Migrantinnen und Migranten selbst, aber auch von den Unternehmen und anderen Akteuren wie den Tarifparteien, Wirtschafts-verbänden und Kammern, Gewerkschaften etc. verlangt.

In den meisten Fällen bedarf es gar keiner staatlichen Intervention, sondern die Migrantinnen und Migranten inte grieren sich häufig auch so erfolgreich in den Arbeits-markt, sofern die notwendigen institutionellen und sons-tigen Rahmenbedingungen gegeben sind.

Allerdings kann die Arbeitsmarkt- und Integrations-politik die Arbeitsmarktintegration von Migrantinnen und Migranten fördern und unterstützen. Dabei sind drei Politikfelder zu unterscheiden: Erstens benötigt Deutsch-land eine zielgerichtete und ganzheitliche Arbeitsmi gra-tionspolitik. Diese sollte durch die Weiterentwicklung der notwendigen Rahmenbedingungen und gezielte Fördermaßnahmen dazu beitragen, dass Menschen, die zum Arbeiten nach Deutschland kommen, und auch ihre Familienangehörigen bessere Chancen haben, sich schnell und nachhaltig in den Arbeitsmarkt zu integrieren.

Zweitens sollte auch systematisch die Arbeitsmarkt-integration von Migrantinnen und Migranten gefördert werden, die aus anderen Gründen nach Deutschland kom-men, etwa zu Bildungszwecken, aus familiären Gründen oder weil sie hier Schutz vor Krieg und Verfolgung finden.

Hier sind erhebliche Potenziale noch ungenutzt, die durch Fördermaßnahmen und gezielte Vermittlungsaktivitäten besser ausgeschöpft werden können.

Drittens schließlich können gezielte Förder- und Vermitt-lungsaktivitäten dazu beitragen, die Arbeitsmarktintegra-tion von vielen Eingewanderten und ihren Nachkommen, die bereits länger in Deutschland leben, zu fördern und ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu erhöhen. Solche Fördermaßnahmen können von gezielten Maßnahmen der Arbeitsvermittlung, der Sprachförderung und arbeits-marktpolitischen Maßnahmen über die Anerkennung ausländischer Abschlüsse und die Förderung des Erwerbs von Ausbildungs- und Studienabschlüssen bis zur Unter-stützung der sozialen und kulturellen Integration reichen.

Die umfassenden Arbeitsmarktreformen der rot-grünen Regierung im Jahr 2004 haben auch die Arbeitsmarktchan-cen von Migrantinnen und Migranten beeinflusst. Die Be-schäftigungs- und Erwerbstätigenquoten der Bevölkerung mit eigener Migrationserfahrung und ihrer Nachkommen sind seit 2005 noch stärker als in der Gesamtbevölkerung gestiegen. Auch wenn daraus keine kausalen Schlussfolge-rungen gezogen werden können, spricht doch viel dafür, dass die neuen Strukturen der Leistungsgewährung und die Einführung zahlreicher neuer Förderinstrumente auch wesentlich zur Verbesserung der Arbeitsmarktintegration von Migrantinnen und Migranten beigetragen haben.

Teil der Arbeitsmarktreformen des Jahres 2004 ist der Grundsatz des „Förderns und Forderns“, zu dem auch gehört, Meldeauflagen, die Teilnahme an Maßnahmen der Arbeitsvermittlung und ggf. die an arbeitsmarktpoliti-schen Maßnahmen mit Sanktionen durchzusetzen. Diese Sanktionen werden überwiegend aufgrund der Verletzung von Meldeauflagen verhängt, in sehr viel geringerem Um-fang aufgrund anderer Pflichtverletzungen. Jüngere

Men-schen sind sehr viel häufiger von Sanktionen betroffen;

nach unserer Kenntnis liegen hier keine Informationen über Migrantinnen und Migranten vor. Diese Sanktionen sind besonders bei erwerbsfähigen Personen umstritten, die Leistungen der Grundsicherung beziehen, weil durch die Sanktionen das Niveau eines existenzsichernden Haushaltseinkommens unterschritten wird. Empirische Untersuchungen zeigen, dass sanktionierte Personen häufiger eine Arbeit aufnehmen als nicht sanktionierte Personen mit vergleichbaren Merkmalen (vgl. z. B. van den Berg u. a. 2017). Es zeigt sich aber auch, dass Sanktionen unerwünschte Folgen wie den Rückzug aus dem Arbeits-markt haben können (ebd.). Auch können sie erhebliche Einschränkungen der materiellen Lebensbedingungen bis hin zum Verlust der Unterkunft nach sich ziehen, was wiederum die Arbeitsaufnahme erschwert (Götz u. a. 2010;

Schreyer u. a. 2012). Umgekehrt zeigen andere Studien, dass bereits vergleichsweise milde Sanktionen zu einem starken Anstieg der Arbeitsaufnahme führen (van den Berg u. a. 2014). Viele Arbeitsmarktforscher und -forscherinnen kommen deshalb zu der Schlussfolgerung, dass sich das Grundprinzip des „Förderns und Forderns“ zwar bewährt hat, aber das bestehende Sanktionsprinzip zu überprüfen ist und unbillige Härten, die erhebliche soziale Kosten nach sich ziehen und nicht die beabsichtigten Wirkungen erzielen, vermieden werden müssen (Wolff 2019). Dieser Auffassung hat sich auch die Rechtsprechung des

Schreyer u. a. 2012). Umgekehrt zeigen andere Studien, dass bereits vergleichsweise milde Sanktionen zu einem starken Anstieg der Arbeitsaufnahme führen (van den Berg u. a. 2014). Viele Arbeitsmarktforscher und -forscherinnen kommen deshalb zu der Schlussfolgerung, dass sich das Grundprinzip des „Förderns und Forderns“ zwar bewährt hat, aber das bestehende Sanktionsprinzip zu überprüfen ist und unbillige Härten, die erhebliche soziale Kosten nach sich ziehen und nicht die beabsichtigten Wirkungen erzielen, vermieden werden müssen (Wolff 2019). Dieser Auffassung hat sich auch die Rechtsprechung des