• Keine Ergebnisse gefunden

Auswirkungen von Diskriminierung auf

4 Politikfelder der Einwanderungs gesellschaft

4.4 Einbürgerung, kulturelle Teilhabe und ehrenamtliches Engagement

4.5.5 Auswirkungen von Diskriminierung auf

Der Arbeitsmarkt ist – neben dem Bildungssektor und dem Wohnungsmarkt – ein zentraler Lebensbereich, der den sozioökonomischen Status entscheidend bestimmt.

Die zu beobachtenden Unterschiede in den Beschäf-tigungschancen und Verdiensten von Personen ohne Migrationsgeschichte und Eingewanderten und ihren Nachkommen können zu einem erheblichen Teil auf Unterschiede in Bildung und Ausbildung, Sprachkennt-nisse, Zugang zu sozialen Netzwerken oder auch institu-tionelle Ursachen zurückgeführt werden (vgl. Kap. 4.3).

Aber es verbleibt auch ein nicht unbedeutender Teil, der durch diese Faktoren nicht erklärt werden kann. Hier kann Arbeitsmarktdiskriminierung eine wichtige Rolle spielen.

Neben den unmittelbaren Wirkungen auf Beschäftigung, Verdienst und Aufstiegschancen kann sie die Integrations-chancen von Minderheiten auch dadurch nachhaltig verschlechtern, dass sich die Erträge von Bildung verrin-gern und deshalb weniger Migrantinnen und Migranten in Bildung und Ausbildung investieren. Sie kann auch zu verstärkter Segregation führen, wenn die

Diskriminie-rung in bestimmten Nischen des Arbeitsmarktes oder in Unternehmen mit einem hohen Migrantenanteil geringer ausfällt.

Arbeitsmarktdiskriminierung hat nicht nur negative Wirkungen für die Betroffenen, sondern für die Wirtschaft und die Gesellschaft insgesamt, weil sie das Einkommens-niveau verringert, die Ungleichverteilung von Beschäfti-gungschancen und Einkommen erhöht, die Arbeitsmoti-vation und Arbeitsproduktion der betroffenen Gruppen senkt und Segregation fördert. Die Wahrnehmung, dass Migrantinnen und Migranten in Deutschland diskrimi-niert werden, kann zudem die Attraktivität des Standorts für qualifizierte Arbeitskräfte aus dem Ausland senken (OECD 2019c).

Arbeitsmarktdiskriminierung – definiert als ungleiche Be handlung von Minderheiten oder anderen Gruppen (Mi granten und Migrantinnen, ethnischen Minderhei-ten, Frauen etc.) im Vergleich zur Mehrheit bei gleichen Merkmalen und unter sonst gleichen Bedingungen – kann weltweit beobachtet werden, wie zahlreiche ökonomische, soziologische, politikwissenschaftliche und psychologische Studien in den USA, Europa und Deutschland zeigen (vgl.

u. a. die Literaturübersichten und Metastudien Bertrand/

Duflo 2017; Lang/Lehmann 2012; Zschirnt/Ruedin 2016).

Die empirische Erforschung von Diskriminierung steht vor dem methodischen Problem, dass sie die Folgen der Dis kriminierung von den Wirkungen anderer Unterschiede trennen muss, etwa in Bezug auf Bildung und Ausbildung, Sprachkenntnissen und zahlreichen anderen beobachtba-ren und nicht beobachtbabeobachtba-ren Faktobeobachtba-ren, die ebenfalls den Ar beitsmarkterfolg beeinflussen. In der Literatur werden verschiedene Ansätze verfolgt, um diese methodischen Prob-leme zu lösen und kausale Schlussfolgerungen zu ziehen.

Weit verbreitet sind sogenannte Korrespondenzstudien (Bewerbungsstudien), in denen fiktive Bewerbungen ver-schickt werden, die bei gleichen Qualifikationen Merkmale variieren, die Gruppenzugehörigkeiten signalisieren, wie Namen und Vornamen, Geschlecht, Hautfarbe und andere phänotypische Merkmale, religiöse Symbole oder religiöse Kleidung wie Kopftücher etc. (Bertrand/Mullainathan 2004).

Diese Studien finden in der Regel erhebliche Unterschie-de in Unterschie-den Einladungsquoten zwischen Angehörigen Unterschie-der Mehrheits- und von Minderheitsgruppen, wobei die Unter-schiede je nach Minderheit, aber auch nach Beschäftigung deutlich variieren können (Bertrand/Duflo 2017; Zschirnt/

Ruedin 2016). So zeigen die Ergebnisse der Metastudie von Zschirnt und Ruedin (2016), dass im Mittel von 36 Studien die Angehörigen der untersuchten Minderheiten 50 Prozent mehr Bewerbungen versenden müssen, um eine Einladung zu einem Bewerbungsgespräch zu erhalten. In den deutsch-sprachigen Ländern ist die Quote mit 31 Prozent geringer.

Auch einige international vergleichend angelegte Studien kommen zu dem Ergebnis, dass die Unterschiede in den Einladungsquoten in Deutschland geringer ausfallen als in anderen Ländern wie Großbritannien, den Niederlanden und Norwegen (di Stasio u. a. 2019; Thijssen u. a. 2019).

Was die Differenzen im Hinblick auf verschiedene Grup-pen angeht, so hat eine umfassende Studie des Wissen-schaftszentrums Berlin gezeigt, dass die Einladungsquote von Personen mit Migrationshintergrund im Durchschnitt um 9 Prozentpunkte geringer ist als bei deutschstämmi-gen Bewerbern und Bewerberinnen (51 zu 60 %). Beson-ders ausgeprägt sind die Unterschiede bei Türkeistäm-migen (13 Prozentpunkte), Musliminnen und Muslimen (11 Prozentpunkte gegenüber Christinnen und Christen) und Personen mit schwarzer Hautfarbe (6 Prozentpunkte gegenüber Personen mit weißer Hautfarbe) (Koopmans u. a. 2018). Andere Studien ermitteln Unterschiede in einer ähnlichen Größenordnung (u. a. Kaas/Manger 2012). Eine Studie von Weichselbaumer (2016) findet dagegen im Durchschnitt etwas größere Unterschiede, bei Bewerberin-nen mit Kopftuch sogar sehr viel größere (s. o.). Studien wie diese liefern einen Hinweis darauf, dass für kopftuchtragen-de muslimische Frauen diskriminierenkopftuchtragen-de Barrieren beim Arbeitsmarktzugang existieren (vgl. auch Peucker 2010) Ein anderer Literaturzweig untersucht, wie sich die Einstel-lungen in der Bevölkerung auf die Arbeitsmarktchancen von Minderheiten oder Migrantinnen und Migranten auswirken.

So zeigen Keita und Valette (2019; 2020), dass in Deutschland bei sonst gleichen Bedingungen die Raten des Übergangs von Arbeitslosigkeit in Beschäftigung sehr stark mit dem Ver-trauen variieren, das die Bevölkerung bestimmten Migran-tengruppen entgegenbringt. Dabei wird für die Identifikation der Effekte der Umstand genutzt, dass die Einstellungen der Gesamtbevölkerung zu Minderheiten in Deutschland zeitlich und regional beträchtlich variieren. Andere Studien nutzen den Einstellungswandel in Bezug auf Minderheiten, der sich u. a. nach Terroranschlägen beobachten ließ. So zeigt eine Reihe von Studien, dass sich die Terroranschläge in den USA vom 11. September 2001 negativ auf die Löhne und/oder die Beschäftigungschancen von Muslimen und Musliminnen ausgewirkt haben (Davila/Mora 2005; Kaushal u. a. 2007). Die Wirkungen waren nicht nur kurzfristig, sondern zeigten sich auch mittel- oder langfristig (Gould/Klor 2016). Vergleichbare Studien in Europa kommen zu unterschiedlichen Ergeb-nissen: Keine Auswirkungen der Terroranschläge auf die Arbeitsmarktlage von Muslimen und Musliminnen zeigten Untersuchungen in Schweden (Åslund/Rooth 2005) und Großbritannien (Braakmann 2007). Dasselbe gilt für eine Stu-die zu Deutschland (Braakmann 2007), während eine andere zu dem Ergebnis kommt, dass die Anschläge negative Effekte für geringer qualifizierte Musliminnen und Muslime hatten (Cornelissen/Jirjahn 2012).

Eine Reihe von deskriptiven Studien hat untersucht, wie groß die verbleibenden Unterschiede in den Beschäfti-gungschancen und den Löhnen zwischen Deutschen ohne Migrationsgeschichte und verschiedenen Migrantengrup-pen und ihren Nachkommen sind, wenn für beobacht-bare Merkmale wie Bildung und Ausbildung, kulturelle Einstellungen oder Persönlichkeitsmerkmale kontrolliert wird. Dies ist insofern problematisch, als weiterhin Unter-schiede in nicht beobachteten Faktoren wie z. B. Sprach-kenntnissen oder anderen Fähigkeiten verbleiben können, die die Arbeitsproduktivität beeinflussen und deshalb die Ergebnisse in beide Richtungen verzerren können.

In vielen dieser Studien verbleiben auch nach Kontrolle für die beobachteten Faktoren noch Unterschiede in den Beschäftigungschancen oder Verdiensten (Brenzel/Laible 2016; Granato/Kalter 2001; Kalter 2006; Seibert/Solga 2005), in einigen allerdings auch nicht (Koopmans 2016).

Insgesamt zeigt sich, dass sich der größere Teil der Unter-schiede in Beschäftigungschancen und Verdiensten durch die beobachteten Faktoren wie Bildung und Ausbildung erklären lässt; der verbleibende Rest hat häufig eine ähn-liche Größenordnung wie z. B. die Verdienstdifferenzen zwischen Männern und Frauen bei Kontrolle für Bildung und Berufserfahrung.

Die Ursachen für die Diskriminierung im Arbeitsmarkt können vielfältig sein. Ein Teil der Literatur erklärt Dis-kriminierung mit der Präferenz bzw. Ablehnung bestimm-ter Minderheiten („taste­based“ Diskriminierung) durch Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber (Becker 1957), Konsu-mentinnen und Konsumenten (Borjas/Bronars 1989) und Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Unternehmen (Sasaki 1999), die bewirken, dass Eingewanderte und ihre Nachkommen seltener eingestellt werden und niedrigere Löhne erhalten. In diesem Zusammenhang spielt auch das gesellschaftliche Meinungsklima in Bezug auf Minder-heiten für die Diskriminierungsneigung eine Rolle (vgl.

auch Kap. 3.2): So kann es passieren, dass Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber wegen allgemeiner Vorbehalte gegen be-stimmte Gruppen davon ausgehen, dass es zu Konflikten in der Belegschaft oder zu finanziellen Einbußen aufgrund negativer Kundenreaktionen führen könnte, wenn sie eine Person aus dieser Gruppe einstellen. Präferenzbasierte Dis-kriminierung kann zumindest theoretisch nicht langfristig Bestand haben, weil diskriminierende Unternehmen die Produktivitätspotenziale des Arbeitsangebots nicht aus-schöpfen und deshalb unter Wettbewerbsbedingungen langfristig von nicht diskriminierenden Unternehmen aus dem Markt gedrängt würden (Becker 1957). Allerdings zeigen jüngere Forschungsansätze, die Informations- und Suchkosten im Arbeitsmarkt berücksichtigen, dass bei unvollständigen Informationen über die Produktivität der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen schon kleine Unterschiede in den Präferenzen der Unternehmen

4 Politikfelder der Einwanderungs gesellschaft | 165 ausreichen, um auch langfristig größere Differenzen in

den Verdiensten und Beschäftigungschancen zu bewir-ken (Lang/Lehmann 2012; Rosen 1997). Andere Modelle der statistischen Diskriminierung erklären Lohn- und Beschäftigungsdifferenzen damit, dass Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen Einstellungsentscheidungen danach treffen, welche durchschnittliche Produktivität sie von einer Gruppe erwarten, und nicht nach der individuellen Leistungsfähigkeit (Arrow 1972a; 1972b; Phelps 1972).

In diesem Fall kann es dazu kommen, dass bestimmte Gruppen im Arbeitsmarkt dauerhaft diskriminiert werden.

Jüngere Ansätze verbinden Theorien der Präferenzdis-kriminierung mit statistischer DisPräferenzdis-kriminierung: Sie argumentieren, dass ursprüngliche Differenzen in den Beschäftigungschancen und Verdiensten zu geringeren Investitionen in Bildung und Ausbildung führen und damit wiederum die durchschnittliche Produktivität der betroffenen Gruppe senken.

Schließlich kann die schlechtere Bewertung bestimmter Gruppen dazu führen, dass deren Leistungsfähigkeit sinkt.

So zeigt eine experimentelle Studie auf der Grundlage psy-chologischer Tests, dass die Einstellungen der Vorgesetzten zu Minderheiten die Leistungsfähigkeit dieser Gruppen und damit indirekt ihre Löhne und Beschäftigungschan cen beeinflussen (Glover u. a. 2017). Andere Modelle wiede rum zeigen, dass eine starke Marktstellung von Arbeitgebern und Arbeitgeberinnen z. B. auf lokalen Arbeitsmärkten dazu führen kann, dass sie unterschiedliche Verdienste für Minderheiten durchsetzen können, etwa wenn diese in stärkerem Maß als andere Gruppen auf eine Beschäftigung angewiesen sind. So zeigen Jahn und Hirsch (2015), dass auf regionalen Arbeitsmärkten, bei denen sich die Arbeits-nachfrage auf relativ wenige Arbeitgeber und Arbeitgebe-rinnen konzentriert, die Lohndiskriminierung zwischen deutschen Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen und Migrantinnen und Migranten zunimmt.

Zusammenfassend können aus der empirischen Literatur folgende Schlussfolgerungen gezogen werden: Erstens gibt es in zahlreichen Studien mit experimentellem Design und anderen kausalen Identifikationsstrategien eine starke Evidenz dafür, dass Arbeitsmarktdiskriminie-rung in vielen Ländern und auch in Deutschland auf-tritt. Allerdings sind die Effekte nicht überall gleich groß und auch nicht immer statistisch signifikant. Zweitens zeigen alle Studien, die zwischen einzelnen Gruppen differenzieren, dass nicht die Migrationsbevölkerung per se betroffen ist; vielmehr bestehen zwischen einzelnen Gruppen von Eingewanderten und ihren Nachkommen erhebliche Unterschiede. Überdurchschnittlich betroffen sind Angehörige der türkeistämmigen und muslimischen Minderheiten und Menschen mit schwarzer Hautfarbe.

Drittens zeigen Metastudien und einige Studien mit einem

international vergleichenden Design, dass diese Effekte in Deutschland etwas weniger stark ausgeprägt sind als in anderen Ländern wie den Niederlanden, Norwegen und Großbritannien. Viertens kann Diskriminierung natürlich nur einen Teil der Lohn- und Beschäftigungsdifferenzen erklären; andere Faktoren wie Bildung und Ausbildung oder Sprachkenntnisse dürften ein größeres Gewicht haben. Allerdings ist dabei zu berücksichtigen, dass Dis-kriminierung auch das Bildungs- und Ausbildungsniveau beeinflussen kann. Fünftens gibt es in der Literatur zwar zahlreiche Hinweise auf Wirkungszusammenhänge, die meisten Studien ermöglichen es aber nicht, zwischen den einzelnen Mechanismen und Ursachen der Diskriminie-rung zu differenzieren. Es ist wahrscheinlich, dass dabei verschiedene Mechanismen zusammenwirken: Präferenz-basierte und statistische Diskriminierung vonseiten der Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber, aber auch die Ein-stellung in der Bevölkerung, die sich wiederum auf das Konsumentenverhalten und das Verhalten der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen auswirkt, dürften hier eine Rolle spielen. Theoretische Argumente, die durch empirische Evidenz gestützt werden, sprechen dafür, dass Arbeits-marktdiskriminierung desto stärker abnimmt, je besser die Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen über die Arbeitskräfte bzw. die Bewerberinnen und Bewerber um Arbeitsplätze informiert sind und je größer der Wettbewerb um Arbeits-kräfte auf den jeweiligen Märkten ist.

Aus der Literatur können auch eine Reihe von Schlussfol-gerungen darüber gezogen werden, welche Maßnahmen Diskriminierung am Arbeitsmarkt entgegenwirken. So zeigt sich, dass bei Unternehmen, die sich an Antidiskriminie-rungsmaßnahmen, Gleichstellungsmaßnahmen oder ge-zielten Maßnahmen zur Förderung benachteiligter Gruppen beteiligen, die Unterschiede in den Einstellungschancen und Verdiensten zwischen Mehrheits- und Minderheitsgruppen deutlich geringer sind (Holzer/Neumark 2000; Kalev/Dob-bin/Kelly 2006). Zudem erhöht die Einstellung von Minder-heitenangehörigen in den Personalabteilungen die Gleich-stellungschancen (Stoll/Raphael/Holzer 2004; Guiliano/

Levine/Leonard 2009). Auch wenn die empirische Evidenz nicht eindeutig ist, spricht doch viel dafür, dass eine Ver-besserung der Informationslage über Bewerberinnen und Bewerber der Diskriminierung bei Einstellungen entgegen-wirkt. Die zum Teil gravierenden Unterschiede bei den Ein-ladungsquoten, die Korrespondenzstudien im Hinblick auf Namen, phänotypische Merkmale oder religiöse Kleidung feststellen, sprechen auf den ersten Blick für anonymisierte Bewerbungsverfahren. Allerdings ist offen, ob dies etwas be-wirken würde, weil Diskriminierungsverhalten sich dann auf die späteren Stufen im Einstellungsprozess verlagern würde.

Auf der anderen Seite gäben solche Verfahren den Einzel-nen die Chance, in einem direkten Gespräch die stereotypen Annahmen zu widerlegen. Vor diesem Hintergrund wäre es

wichtig, derartige Verfahren zu erproben, um die Effekte zu überprüfen. Schließlich sprechen die Einstellungsstudien, aber auch theoretische Argumente dafür, dass Arbeitsmarkt-diskriminierung nicht allein durch die Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen und das Management von Unternehmen, sondern auch durch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und die Bevölkerung insgesamt verursacht wird bzw. werden kann. Insofern handelt es sich um ein gesamtgesellschaftli-ches Phänomen, dem nur dadurch entgegengewirkt werden kann, dass ablehnende Einstel lungen zu Minderheiten in der Gesellschaft insgesamt zurückgehen.

4.5.6 (Unter-)Repräsentation von Eingewander-ten und ihren Nachkommen am Beispiel der öffentlichen Verwaltung

Neben der individuellen Ebene hat das Thema Diskrimi-nierung und Marginalisierung auch eine strukturelle Dimension. Diese drückt sich u. a. darin aus, dass bestimmte Gruppen systematisch von Benachteiligung in verschie-denen Kontexten betroffen sind. Eine Notwendigkeit für eine aktive Gleichstellungspolitik ergibt sich auch aus dem Umstand, dass sie in verschiedenen gesellschaftlichen Be-reichen unterrepräsentiert sind. Repräsentationslücken in den Institutionen, die das Gemeinwesen symbolisieren und vertreten, sind in Demokratien ein gesellschaftspolitisches Problem. Menschen mit eigener oder familiärer Einwande-rungsgeschichte sind in den allermeisten gesellschaftlichen Bereichen in Planungs- und Entscheidungsprozessen nicht oder unzureichend repräsentiert; das zeigt sich u. a. an der Zusammensetzung des Deutschen Bundestags und der Landesparlamente.158 Wenn also aktuell die Zukunft unserer Einwanderungsgesellschaft geplant wird, dann geschieht das größtenteils ohne die Eingewanderten und ihre Nachkommen – selbst dann, wenn diese deutsche Staatsangehörige sind.

Ein besonders wichtiger gesellschaftlicher Bereich für die Frage der (Unter-) Repräsentation ist die öffentliche Ver-waltung: Hier sind Menschen mit Migrationshintergrund im Alter von 25 bis 65 Jahren, gemessen an ihrem Anteil von ca. 22 Prozent an der Erwerbsbevölkerung, mit 6 Pro-zent deutlich unterproportional tätig (Baumann u. a. 2019, S. 11; Ette u. a. 2016). Auch im internationalen Vergleich ist die Unterrepräsentation stark ausgeprägt, selbst bei in Deutschland geborenen Nachkommen von Eingewander-ten (OECD/EU 2019). Eine 2019 durchgeführte Umfrage

158 Siehe dazu u. a. das Forschungsprojekt „Migranten als politische Akteure“ (2006–2015) am Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung, aus dem eine Vielzahl von Ergebnissen vorliegt, https://www.mzes.uni-mannheim.de/d7/de/projects/migranten-als-politische-akteure [31.08.2020].

159 Die Ergebnisse des Surveys „Diversität und Chancengleichheit“ wurden der Fachkommission noch vor Redaktionsschluss beider Projekte vorab zur Verfügung gestellt, die Veröffentlichung der Beschäftigtenbefragung ist für Dezember 2020 vorgesehen. Die Operationalisierung von „Migrationshin-tergrund“ entspricht nach Angaben der Autorinnen und Autoren weitgehend dem bisherigen Konzept des Statistischen Bundesamts im Rahmen des Mikrozensus.

zu „Kultureller Diversität und Chancengleichheit in der Bundesverwaltung“, an der über 47.000 Beschäftigte aus 55 Bundesbehörden teilgenommen haben, ergab einen Anteil von 12 Prozent Beschäftigten mit Migrationshintergrund.

Davon waren zwei Drittel bereits in Deutschland geboren und mehr als 90 Prozent deutsche Staatsangehörige.159 Im Vergleich zu den Daten für die Gesamtbevölkerung (DESTATIS 2020b) sind damit Menschen mit Migrations-hintergrund nach wie vor deutlich unterrepräsentiert, denn ihr Bevölkerungsanteil beträgt rund 26 Prozent.

Inwieweit diese Unterschiede auf Faktoren wie Diskrimi-nierung, aber auch auf als unzureichend erachtete Deutsch-kenntnisse, das Fehlen für den öffentlichen Dienst vor-gesehener formaler Bildungs- und Berufsabschlüsse oder mangelndes Interesse für bestimmte Berufsfelder zurück-zuführen ist, lässt sich aus der aktuellen Forschungslage nicht eindeutig ableiten. Hier bedarf es weiterer Studien, insbesondere aufgrund der symbolischen Bedeutung der Repräsentation aller Bevölkerungsgruppen in der öffentli-chen Verwaltung.

Viele Menschen sehen die Interaktion mit Beamtinnen und Beamten oder Angestellten in Bundes- und Landes-behörden als personifizierten Kontakt zum Staat: Dieser wird quasi verkörpert durch die betreffenden Personen und die hoheitlichen Aufgaben, mit denen sie betraut sind.

Es ist daher nicht unerheblich, ob die dort Beschäftigten – gerade auch auf den Leitungsebenen, wo wichtige Entschei-dungen über das Zusammenleben getroffen und beein-flusst werden – die Zusammensetzung der Bevölkerung widerspiegeln. Denn darin zeigt sich auch die symbolische Teilhabe an der Gestaltungsmacht in unserer Gesellschaft.

Die öffentliche Verwaltung – die größte Arbeitgeberin in Deutschland – hat damit eine Vorbildfunktion in Bezug auf interkulturelle Öffnung und Repräsentanz. Wenn dort alle Bevölkerungsgruppen vertreten sind, stärkt das die Identifikation mit dem Staat und seinen Institutionen.

Durch ausgleichende „positive Maßnahmen“, wie sie im angelsächsischen Raum eingesetzt werden, um Angehö-rige von Minderheiten zu rekrutieren (Deutschland nutzt sie bislang nur zur Verbesserung der Gleichstellung von Frauen), könnte der Staat als Arbeitgeber ein starkes Signal für mehr Vielfalt setzen. In der Fachdebatte darüber, wie strukturelle Barrieren für Zugehörigkeit und Teilhabe effektiv abgebaut werden können, wird daher seit einiger Zeit intensiv darüber diskutiert, Antidiskriminierungs- und Gleichstellungsdaten zu erheben.

4 Politikfelder der Einwanderungs gesellschaft | 167 Vor dem historischen Hintergrund des

Nationalsozialis-mus ist Deutschland bisher zurückhaltend damit, Daten zur ethnischen und kulturellen Zugehörigkeit zu erheben.160 Gleichzeitig ist die Kategorie „Migrationshintergrund“ nicht geeignet, um Marginalisierung und Diskriminierung ad äquat zu erfassen (vgl. hierzu Kap. 5.8). Denn bei Diskrimi-nierungserfahrungen spielen Aspekte wie die Hautfarbe und andere sichtbare Merkmale eine wichtige Rolle, und weiße Menschen mit Migrationshintergrund sind davon nicht im gleichen Maß betroffen wie nicht weiße, da sie nicht als fremd wahrgenommen werden. Zu gleich leben in Deutsch-land immer mehr Menschen, die nach der Definition des Statistischen Bundesamts keinen Migrationshintergrund mehr haben (oder noch nie einen hatten, wie deutsche Sinti) und die dennoch als nicht weiß und „nicht deutsch“ wahr-genommen werden und deshalb Diskriminierung erfahren.

Diese Gruppe wird künftig noch größer werden.

Über die Frage, wie die mangelnde Gleichstellung mi gran-tischer und/oder von Rassismus betroffener Gruppen wie auch Diskriminierung aufgrund der ethnischen Zuge-hörigkeit und der Religion in Deutschland adäquat erfasst werden kann, diskutieren bislang nur Fachkreise. Vor allem angesichts der politischen Rahmenbedingungen und der Verpflichtungen aus internationalen Abkommen sollte diese Debatte gesellschaftlich ausgeweitet und eine Position erarbeitet werden, die ein umfassendes Monitoring ermög-licht; nur dann können geeignete Maßnahmen ergriffen werden, um strukturelle Teilhabebarrieren abzubauen.

Bund und Länder hatten bereits im Nationalen Integra-tionsplan von 2007 unterstrichen, dass sie den Anteil der Beschäftigten mit Migrationshintergrund erhöhen wollten (Bundesregierung 2007, S. 17). Die Wirkung dieser Ab-sichtserklärung wurde bislang jedoch nicht evaluiert, weil keine verbindlichen Zielwerte oder -korridore formuliert wurden (Baumann u. a. 2019, S. 17). Dabei ist laut der Stu-die „Ein Zeitfenster für Vielfalt“ des Deutschen Zentrums für Integrations- und Migrationsforschung gerade jetzt ein günstiger Zeitpunkt, um Repräsentationslücken zu verkleinern und migrationsbedingte Vielfalt zu berück-sichtigen: Die ersten Babyboomer-Jahrgänge erreichen das reguläre Renten- bzw. Pensionseintrittsalter und bis 2036 wird das rund die Hälfte aller Personen betreffen, die ak-tuell in der öffentlichen Verwaltung beschäftigt sind (ebd.).

Die Menschen, die ihnen im Zuge der Neueinstellungen nachfolgen, werden das Gesicht der Bundes- und Landes-behörden auf viele Jahre hinaus prägen.

160 Vgl. hierzu neuerdings https://afrozensus.de/ [07.08.2020].

161 Instruktiv hierzu https://www.svr-migration.de/publikationen/integrationsgesetze/ [07.08.2020].

Die Datenlage zum Fortschritt in Bezug auf die interkultu-relle Öffnung der öffentlichen Verwaltung ist bislang sehr dünn und repräsentative Befragungen der Beschäftigten

Die Datenlage zum Fortschritt in Bezug auf die interkultu-relle Öffnung der öffentlichen Verwaltung ist bislang sehr dünn und repräsentative Befragungen der Beschäftigten