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Das Anfertigen von Facharbeiten als sinnkonstruierende

3. Berufliche Bildung und die Lebenswelt der Heimerziehung als

3.1 Berufliche Bildung

3.1.3 Das Anfertigen von Facharbeiten als sinnkonstruierende

Die Anfertigung einer Facharbeit ist nach § 7 Abs. 2 der Ausbildungs- und Prüfungsordnung der Fachschule für Sozialpädagogik und der Fachschule für Heilerziehungspflege (APO-FSH) vom 16. Juli 2002 ein Prüfungsteil der Abschlussprüfung. Dort wird ausgeführt:

Mit der Facharbeit weist der Prüfling nach, dass er unter Verwendung der fachspezifischen Arbeitsmethoden eine sozialpädagogische oder heilpädago-gische Aufgabenstellung selbstständig bearbeiten und darstellen kann.

Im Rahmen der Bildungsgangdidaktik an der Fachschule für Sozialpädago-gik stellt die Facharbeit insofern eine Entwicklungsaufgabe dar, indem sie dazu beiträgt, die Studierenden zu befähigen, eine wissenschaftliche Arbeit zu verfassen, bei der es darum geht, einen schriftlichen Diskurs zu einer so-zialpädagogischen Problemstellung aus der Praxis zu führen. Dazu greifen die Studierenden auf Wissensbestände, die ihnen im Unterricht vermittelt worden sind, zurück. Dazu nehmen sie Bezug auf eine sozialpädagogische Problemstellung (Lernsituation) und legen zu dieser theoriegeleitete Hand-lungsoptionen dar. Das betrifft die Auswahl des Themas, die Literaturrecher-che und das Verfassen der Arbeit selbst. Unabhängig von dem Thema soll

die Facharbeit einen Beitrag dazu leisten, dass die Studierenden in einem vorgegebenen Zeitfenster in der Lage sind, zu einer wissenschaftlichen und beruflich bedeutsamen Fragestellung

 ein Konzept und eine Gliederung zu erstellen,

 eine Forschungsfrage strukturiert zu bearbeiten,

 ein Thema (selbstständig) zu formulieren,

 Informationen zu ermitteln und eine Literaturrecherche zu betreiben,

 einen Diskurs zu führen und

 die verwendete Literatur korrekt zu zitieren und in einem Literaturver-zeichnis aufzulisten.

In den Facharbeiten formulieren die Studierenden Ziele für ihre Klientel, lo-ten deren Ressourcen aus, zeigen Perspektiven für die Zukunft auf, tätigen Aussagen zum Entwicklungsstand, stellen Überlegungen zu einem mögli-chen Scheitern an, zeigen Alternativen auf und bilden Hypothesen in Bezug auf sozialpädagogische Kausalanalysen. Es ist vorgesehen, dass die Studie-renden ihre Klientel, über die sie in ihren Facharbeiten schreibt, einbezieht und mit ihr gemeinsam die Hilfeplanung entwickelt – soweit dies möglich und realistisch ist. In den Facharbeiten analysieren sie, welche Mechanismen dazu führen, dass ihre Klientel ein bestimmtes Verhalten zeigt. Bei den Hil-feplangesprächen werden die Arbeiten bzw. deren Ergebnisse häufig als Ent-scheidungsvorlage nach § 36 Abs. 2 SGB VIII hinzugezogen.

Die Sinnkonstruktion bei den sozialpädagogischen Aufgabenstellungen bezieht sich vor allem darauf, dass die Studierenden ihre konkreten berufli-chen Handlungszusammenhänge in den Blick nehmen, also Situationen, die für sie selbst beruflich bedeutsam sind. Diese können sich auf den pädago-gischen Umgang, die Kooperation mit Eltern, die Kommunikation im Team oder die Auseinandersetzung mit institutionellen Rahmenbedingungen, Fra-gen der Organisation und der Finanzierung und anderes mehr beziehen. In den Facharbeiten knüpfen die Studierenden an die subjektiven Bedeutungen und die subjektiven Sinnhaftigkeiten, die den Handlungen ihrer Klientel zu-grunde liegen, an. Da es sich hier um einen Teilaspekt subjektiver Theorien handelt, wird der Begriff „subjektiv“ nicht im Sinne der alltagssprachlichen Verwendung, sondern in der Bedeutung von „individuell“ verwendet (vgl.

Luchte & König, 2008, S. 146). Dadurch verleihen die Studierenden den im

Unterricht vermittelten Inhalten eine persönliche Bedeutung und einen sub-jektiven Sinn (vgl. Xuping, 2017, S. 80). „Das Erkenntnisinteresse richtet sich dabei auf die lebensweltlichen Deutungen, Interpretationen und Hand-lungen von Heranwachsenden“ (Krisch, 2002, S. 87). Neben den Interpreta-tionen und Deutungen erfolgen fallbezogene Erklärungen, Veranschauli-chungen und Illustrationen, um dem Leser insbesondere das pädagogische Handeln deutlicher und klarer werden zu lassen. Das heißt, in den Fachar-beiten geht es in erster Linie um die Bearbeitung und Auseinandersetzung mit einer beruflichen Handlungsanforderung und weniger um eine allge-meine theoretische Abhandlung zu einem Thema.

Die in der Ausbildungs- und Prüfungsordnung geforderte Aufgabenstel-lung beinhaltet, dass fachliche Inhalte und Erkenntnisse aus verschiedenen Handlungsfeldern bearbeitet werden, die nach dem Prinzip der vollständigen sozialpädagogischen Handlung zu gestalten sind. Die Prozessschritte päda-gogischen Handelns sind dabei: Wissen und Verstehen, Analyse und Bewer-tung, Planung und Konzeption, Durchführung, Reflexion und Evaluation (vgl. auch KMK, 2017, S. 11).

Als geeignete Recherchemethoden für die Erstellung der Facharbeit gelten die Sichtung und Auswahl geeigneter Fachliteratur (z. B. Bücher, Fachzeit-schriften, Broschüren) oder anderer Informationsquellen (z. B. Internet, Ge-spräche mit Experten), das Herausfinden und Exzerpieren wesentlicher Text-stellen, die Verwendung bestimmter Zitierweisen sowie die Systematisie-rung der zusammengetragenen Informationen mit dem Ziel der wissen-schaftlichen Beantwortung einer sozialpädagogischen Aufgabenstellung.

Für die Anfertigung der Facharbeit steht den Studierenden ein Leitfaden zur Verfügung. Er enthält eine sinnvoll strukturierte Arbeitshilfe und be-schreibt die notwendigen formalen und inhaltlichen Anforderungen für die Erstellung der Facharbeit. Begleitend dazu finden drei Beratungsgespräche mit den Fachdozenten statt (vgl. Leitfaden für die Erstellung einer Facharbeit an der Bundeswehrfachschule Hamburg, 2015).

Für die Bewertung einer Facharbeit ist ausschlaggebend, wie es den Stu-dierenden gelingt, ihre pädagogischen Handlungsoptionen theoriegeleitet zu begründen, diese in der Fachsprache zu formulieren und anschließend zu re-flektieren. Entscheidend dafür ist die Qualität der Sinnkonstruktion. Diese bezieht sich auf folgende Bereiche:

 Dokumentation von Zielen und Zielerreichung, Vereinbarungen und Ab-sprachen

 Begründung, Auswahl und Darstellung der sozialpädagogischen Hand-lungsoptionen

 Verwendung sozialpädagogischer Kausalerklärungen

 mehrperspektivischer Blick

 Einbeziehung subjektiver Sichtweisen

 Evaluation der Ergebnisse.

Das Benennen von (Qualitäts-)Zielen korreliert mit den pädagogischen Ziel-setzungen von Merchel für die Hilfeplanung in den stationären Jugendhilfe-einrichtungen. Diese dienen laut Merchel

 der Herstellung von Transparenz für alle Beteiligten im Hinblick auf das, was mit einer Hilfeplanung erreicht werden soll;

 der Ermöglichung von Partizipation der Adressaten, denn nur bei transpa-renten Zielen und bei dem Erleben, dass ihre eigenen Vorstellungen und Ziele in das Aushandlungsergebnis eingehen, wird ihre Rolle als „Kopro-duzenten“ der Hilfe realisierbar (diese Sichtweise entspricht dem aktuel-len Leitbild der Jugendhilfe);

 der Steuerung des Ressourceneinsatzes, weil die Effektivität9 einer Hilfe-planung nur unter Bezugnahme auf ein Ziel kalkuliert werden kann;

 der Überprüfung des Hilfeverlaufs und seiner (Zwischen-)Ergebnisse (vgl. Merchel, 2006, S. 100).

Mit dem Abschluss der Facharbeit weisen Studierende nach, dass sie die er-forderlichen Kompetenzen erworben haben, um berufliche Handlungsanfor-derungen theoriegeleitet und sinnkonstruiert zu strukturieren und diese als Handlungen zu verschriftlichen. Sie zeigen damit, dass sie die für ihre spä-teren beruflichen Tätigkeiten erforderlichen Handlungskompetenzen erwor-ben haerwor-ben.

9 Mit Effektivität einer Hilfeplanung ist hier nicht die ökonomische Verwertbarkeit ge-meint, sondern die Wirkung einer „Intervention“ im Sinne der erreichten gewünschten Veränderung eines problematischen Zustandes oder Prozesses, die mit hinreichender Plausibilität auf diese „Intervention“ zurückzuführen ist (Zugriff am 07.08.2018 unter www.erev.de/auto/Downloads/Skripte_2011/Tornow_Wirkungsorientierung.pdf).

Hinweise zu den Bildungsbiografien der Verfasser

Angemerkt werden sei, dass offizielle Angaben zu den Bildungsbiografien der Verfasser der Facharbeiten nicht vorliegen. Etwaige Informationen ba-sieren auf persönlichen Äußerungen im Kontext des Unterrichtsgeschehens und auf informellen Gesprächen außerhalb des Unterrichts, die aber in keiner Weise dokumentiert sind. Allerdings dürften die folgenden übergreifenden Sozialisationsmerkmale vermutlich einen prägenden Einfluss auf die Bil-dungsbiografien gehabt haben. Es ist davon auszugehen, dass die in den Facharbeiten zutage tretenden Deutungsmuster der Studierenden nicht aus-schließlich in der dreijährigen Erzieherausbildung an der Bundeswehrfach-schule erworben worden sind, sondern ebenso aus den Sozialisationserfah-rungen bzw. LebenserfahSozialisationserfah-rungen als Zeitsoldaten bei der Bundeswehr ge-speist wurden. Prägend waren in diesem Zeitraum vor allem die strukturellen Bedingungen.

Die Studierenden haben vor ihrer Ausbildung zum Zeitsoldaten zwischen acht und zwölf Jahren bei der Bundeswehr – also in einem überwiegend hie-rarchisch geprägten System – Dienst geleistet. In der Ausbildung zum staat-lich anerkannten Erzieher wird nun erwartet, dass ihnen gleichsam die „Me-tamorphose“ von einem militärisch geprägten Führungsstil zu einem dialo-gisch und partizipativ ausgerichteten Erziehungsstil gelingt. Mit Blick auf die späteren beruflichen Anforderungen, vor allem in Bezug auf das pädago-gische Handeln, ist es notwendig, dass die Studierenden in der Erzieheraus-bildung neue pädagogische Deutungsmuster erwerben bzw. im Unterricht vermittelt bekommen. Das heißt aber nicht (und das belegen die Erfahrungen im Unterricht), dass Vorerfahrungen aus der Zeit bei der Bundeswehr völlig ausgeblendet werden. Für den Unterricht ergibt sich daraus, dass die Wider-sprüchlichkeiten zwischen den militärischen und den pädagogischen An-sprüchen, die an den pädagogischen Bezug (Freiwilligkeit, Beziehungsarbeit und anderes mehr), thematisiert und reflektiert werden müssen.

Die Überlegungen an dieser Stelle sind eher von theoretischer Art. In der Praxis hat sich gezeigt, dass die Studierenden schon während ihrer aktiven Dienstzeit bemerkt haben, dass ihnen als Ausbilder der pädagogische Um-gang mit jungen Menschen Freude bereitet, und die dabei gemachten positi-ven Erfahrungen oftmals als Begründung mithalfen, sich für einen pädago-gischen Beruf zu entscheiden.

3.1.4 Fallbasiertes Unterrichten an der Fachschule für