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Begründung des qualitativen Forschungsansatzes und

2. Theoretische Grundlagen

2.1 Begründung des qualitativen Forschungsansatzes und

Im Zentrum dieser Arbeit stehen die Deutungsleistungen von angehenden Erziehern und Erzieherinnen bezüglich ihres pädagogischen Handelns in der stationären Jugendhilfe und ihr Einfluss auf die pädagogischen Handlungs-orientierungen der Studierenden. Die zentrale Frage meines Forschungsvor-habens zielt darauf ab, herauszufinden, mit welchen Deutungsmustern Stu-dierende an der Fachschule für Sozialpädagogik die in der Praxis auftreten-den pädagogischen Herausforderungen in ihren Facharbeiten interpretieren und welche pädagogischen Handlungsorientierungen sie dazu entwickeln.

Außerdem besteht die Erwartung, dass sich aus den Ergebnissen der Deu-tungsmusteranalysen Hinweise für die didaktisch-methodische Strukturie-rung des fallbasierten bzw. handlungsorientierten Unterrichts in sozialpäda-gogischen Bildungsgängen an der Fachschule für Sozialpädagogik generie-ren lassen.

Für die Analyse der Deutungsleistungen wird ein qualitativer Forschungs-ansatz mit einem interpretativ-hermeneutischen Vorgehen gewählt, der den Zugang für die Rekonstruktion sozialer Interaktionsprozesse liefert, um die subjektiven Faktoren, die den Deutungsleistungen der Studierenden inne-wohnen, aufzuspüren und sichtbar zu machen. „Qualitative Forschung hat den Anspruch, Lebenswelten ‚von innen heraus‘ aus der Sicht der handeln-den Menschen zu beschreiben. Damit will sie zu einem besseren Verständnis sozialer Wirklichkeit(en) beitragen und auf Abläufe, Deutungsmuster und Strukturmerkmale aufmerksam machen“ (Flick, Kardorff & Steinke, 2000, S. 14).

Eine allgemeingültige Definition von qualitativer Forschung gibt es nicht.

Es handelt sich hierbei mehr um einen Sammelbegriff für verschiedene Me-thoden und Ansätze, die je nach Forschungsgegenstand unterschiedliche Zie-le verfolgen und von unterschiedlichen Bedingungen ausgehen (vgl. Steinke, 1999, S. 15). Allen Auffassungen gemeinsam ist aber ein Grundgedanke, den Chevron, Köpl, Payrhuber und Reinprecht folgendermaßen charakterisieren:

Die Qualitative Forschungslogik steht für den Versuch eines vorrangig deu-tenden und sinnverstehenden Zugangs zur sozialen Welt. Die soziale Wirk-lichkeit wird in dieser Grundposition als das Ergebnis menschlicher Interakti-onen gedacht. Repräsentiert und vermittelt wird die soziale Wirklichkeit über sprachliche und nicht sprachliche Symbole. (Chevron et al., o. J., o. S.; Her-vorhebung im Original)

Da mit der Arbeit Neuland betreten wird, bietet sich ein offener, also explo-rativer Zugang an. Dieser beinhaltet die Option, dass das Methodeninventar, das für die Analyse der Facharbeiten konstruiert wird (s. hierzu den Algo-rithmus für die Auswertung; Kap. 4.3), während des Forschungsprozesses reflektiert und bei Bedarf korrigiert und modifiziert werden kann. Die quali-tative Zugangsweise ist gerade bei explorativen Studien geeignet, um den Forschungsprozess als kontinuierlichen Lernprozess zu begreifen.

Zu Beginn des Forschungsvorhabens wurde überlegt, die Daten in den Facharbeiten quantitativ forschend, also nach bestimmten Häufigkeiten in Bezug auf verwendete Theorien, Dauer des durchschnittlichen Aufenthaltes in der Jugendhilfeeinrichtung, Qualifikation des Personals usw. zu untersu-chen. Solche quantitativen Erhebungen mögen zum Beispiel für die Bereiche der Jugendhilfeplanung und der Rekrutierung von Fachpersonal relevant sein, sie ermöglichen es aber nicht, auf die differenzierten subjektiven Vor-stellungen, die die Studierenden in ihren Facharbeiten zu einer pädagogi-schen Problemlage publizieren, zuzugreifen, weil die Sichtweisen und die Erfahrungen der pädagogischen Akteure in einem solchen quantitativ ausge-richteten Forschungsansatz kaum zu erfassen sind. Mit einem qualitativen Zugang wird an die lebensnahen und alltäglichen Situationen, also an die Lebenswelt in der stationären Jugendhilfe angeknüpft. Diese Lebenswelt tritt beispielsweise beim Umgang mit traumatisierten, auffälligen oder entwick-lungsverzögerten Jugendlichen zutage und erfordert von den pädagogischen Akteuren ein permanentes situatives Handeln. Im Gegensatz zu klassischen Experimenten, bei denen künstlich konstruierte Situationen zugrunde liegen, wird bei der qualitativen Forschung an authentische Alltagssituationen und ihre subjektive Ausdeutung durch die Beteiligten angeknüpft. Qualitative Forschung hat den Anspruch, diesen subjektiv gedeuteten Alltag zum Ge-genstand der Untersuchungen zu machen und dabei die „Erfahrungsgebun-denheit“ (vgl. Husserl, 2003) der jeweiligen Akteure in den Forschungsfokus zu nehmen. Diese Erfahrungsgebundenheit findet statt, wenn die Studieren-den auf die Lebenswelt ihrer Klientel treffen, die sie in ihren Facharbeiten

beschreiben und interpretieren. Somit handelt es sich bei den Facharbeiten um subjektiv geprägte Beschreibungen und Ausdeutungen von Ausschnitten aus der sozialen Wirklichkeit bzw. der Lebenswelt der Klientel. Der Arbeit liegt die Annahme zugrunde, dass sich in den Deutungsmustern die Parame-ter aufspüren lassen, die die pädagogischen Handlungsorientierungen steu-ern. Um den Zugang zu diesen Kognitionen zu eröffnen, gilt es, die Deu-tungsmuster in den Arbeiten auf deren subjektiven Sinn hin zu analysieren.

Diese Intention korrespondiert mit dem qualitativen Ansatz, der menschliche Wirklichkeit prinzipiell als subjektiv erlebte und gedeutete Wirklichkeit ver-steht (vgl. Porzelt, 2000, S. 64). Das qualitative Vorgehen trägt nach Ansicht Lamneks dazu bei, dass die Erforschung der subjektiven Wirklichkeitskon-struktionen nicht durch objektive Zahlenreihen und Mittelwertanalysen an Aussagefähigkeit einbüßt. Lamnek schreibt in diesem Zusammenhang, dass Objektivität „nicht durch Ausblendung der Subjektivität, sondern durch de-ren Berücksichtigung“ entsteht (Lamnek, 1988, S. 211).

In den Facharbeiten analysieren die Studierenden Einzelfälle, an denen exemplarisch theoriegeleitetes pädagogisches Handeln beschrieben wird, das heißt, es finden bewusst keine großflächigen Datenerhebungen statt. Es wird davon ausgegangen, dass in erster Linie die Erhebung nichtstandardi-sierter Daten und ihre hermeneutische Auslegung imstande sind, die Grund-lage für die Analyse der Deutungsmuster zu liefern. Somit bezieht sich die Qualität und damit die Gültigkeit der Analyse der Facharbeiten nicht auf Sig-nifikanzprüfungen und die Berechnung von Varianzen, sondern resultiert aus der Kunst der Auslegung, also der Hermeneutik.

Generell betreiben Hermeneuten nur Einzelfallanalysen. Standardisierte und großflächige Erhebungen werden aus methodologischen Gründen abgelehnt, denn nur die Erhebung nichtstandardisierter Daten und ihre hermeneutische Auslegung bringen verlässliche Ergebnisse. Die Gültigkeit der Analyse leitet sich vor allem aus der richtigen Anwendung der hermeneutischen Kunstlehre ab. (Reichertz, 2011, S. 27 f.)

Das heißt aber nicht, so Reichertz, dass es Hermeneuten nicht möglich ist, von der singulären (Einzelfallstrukturrekonstruktion) zu einer allgemeinen Aussage (Strukturgeneralisierung) zu gelangen. Ein wichtiger Teilaspekt im hermeneutischen Verfahren ist das Falsifikationsprinzip. Dazu werden die ermittelten Sinnfiguren oder auch Sinnstrukturen und die jeweilige Genera-lisierung als äußerste Pole eines gerichteten Forschungsprozesses aufgefasst,

in dem sich die Ergebnisse mehrerer Einzelfallstudien zu einem allgemeinen Muster verdichten. Ziel der Generalisierung ist immer die Entdeckung und Beschreibung allgemeiner und einzelfallspezifischer Muster und Regelmä-ßigkeiten (Strukturgesetzlichkeiten). Mithilfe dieses positiven Wissens über das Allgemeine und den Einzelfall sollen vage Prognosen für die Zukunft eines Handlungssystems aufgestellt werden können. Genaue, deterministi-sche Aussagen sind jedoch nicht möglich, sondern allein die Angabe von Transformationsspielräumen (vgl. Reichertz, 2011).

Bei qualitativen Forschungsvorhaben stößt man unter anderem auf die Problematik, dass mit den klassischen Gütekriterien aus der quantitativen Forschung, also Objektivität, Reliabilität und Validität (vgl. Hobmair, 2008), die subjektiven Dimensionen und Erfahrungsgebundenheiten kaum zu erfas-sen sind. Für Steinke ist es selbstverständlich, dass „keine universellen, all-gemein verbindlichen Kriterien für qualitative Forschung formulierbar sind, schon allein deshalb, weil das methodische Vorgehen nicht standardisierbar, sondern gegenstands-, situations- und milieuabhängig ist“ (Steinke, 1999, S.

205). Steinke betont, dass „eine abschließende Kriteriendiskussion sich nur unter Berücksichtigung der jeweiligen Fragestellung, Methode, Spezifik des Forschungsfelds und des Untersuchungsgegenstands führen lässt“ (Steinke, 2000, S. 323).

In Bezug auf die Forschungslogik und das methodische Vorgehen in die-ser Arbeit rücken vor allem zwei Gütekriterien in den Vordergrund, auf die hier besonders eingegangen werden soll: die intersubjektive Überprüfbarkeit und die Interpretation in Gruppen.

 Intersubjektive Überprüfbarkeit

Steinke (2000) vertritt die Ansicht, dass es im Gegensatz zur quantitativen Forschung nicht um Überprüfbarkeit gehen kann, da die Replikation auf-grund der begrenzten Standardisierbarkeit zum Beispiel von Einzelfallstu-dien nicht möglich ist. Die intersubjektive Nachvollziehbarkeit kann je-doch nach ihrer Ansicht auch durch die Dokumentation des Forschungs-prozesses erfolgen. Damit wird der Öffentlichkeit die Möglichkeit gege-ben, den Forschungsprozess nachzuvollziehen und die entstandenen Er-gebnisse entsprechend (auch nach eigenen Maßstäben) beurteilen zu kön-nen.

 Interpretation in Gruppen

Steinke nennt als weiteres Kriterium für die Güte einer qualitativen Studie ausdrücklich die Interpretation in Gruppen als ein wesentliches Merkmal qualitativer Forschung. Dabei geht es ihr um das Beharren auf einer wis-senschaftstheoretischen, methodologischen und methodischen Besonder-heit von qualitativer Forschung und der sich daraus ableitenden Kriterien.

„Interpretationen in Gruppen sind eine diskursive Form der Herstellung von Intersubjektivität und Nachvollziehbarkeit durch expliziten Umgang mit Daten und deren Interpretationen“ (Steinke, 2000, S. 326). Diese kom-munikative Validierung hat für Steinke das Ziel, die im Forschungspro-zess entwickelte Theorie an die Untersuchten zurückzubinden.