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Bewertungen und Lösungsansätze

Im Dokument 60 01 (Seite 157-163)

Gutachterliche Stellungnahme für das Umweltbundesamt (April 2001)

4. Bewertungen und Lösungsansätze

Der in Kapitel 3. vorgenommene Vergleich der programmatischen Ansätze führt zu einer ersten differenzierten Bewertung:

Der „ökologisch begründete“ Ansatz weist nicht nur ein Defizit an Theorie auf, welches den Er-kenntnisstand in der experimentellen und theoretischen Ökologie widerspiegelt, sondern auch an konkreten Bewertungsmaßstäben und Erfahrungen aus der Praxis: Eine ökologische Dauerbeo-bachtung steht erst am Anfang, verglichen mit den Erfahrungswerten der Landwirtschaft.

Der „ertragsorientierte“ Ansatz vermeidet diese Probleme, indem er sich auf das in der konventio-nellen landwirtschaftlichen Praxis Erprobte beschränkt. Dieser – unstrittige – Vorteil wird jedoch dadurch relativiert, dass auf diejenigen Instrumente zurückgegriffen werden soll, die im Rahmen der Überwachung durch den amtlichen Pflanzenschutzdienst und die Saatgutverkehrskontrolle bereits etabliert sind. Die Reduzierung der Überwachung auf Pflanzenkrankheiten, Schaderreger, Kennzeichnung und Verpackung von Saatgut mögen für die tägliche Praxis des Pflanzen- und Sor-tenschutzes ausreichend sein, eine systematische Beobachtung der Freisetzung in das Aufnah-memilieu, insbesondere die Berücksichtigung umfassenderer ökologischer Kriterien ist damit noch nicht verbunden.

Positiv hervorzuheben ist, dass dieser Ansatz von konkreten Erfahrungen und Randbedingungen ausgeht, die kurzfristig ein pragmatisches Herangehen ermöglichen.

Demgegenüber steht der „ökologisch begründete“ Ansatz im Rechtfertigungszwang, die Erkennt-nislücken der Ökologie als die eigenen ausgeben zu müssen.

Der Sachverständigenrat für Umweltfragen hat zusätzlich darauf aufmerksam gemacht: „Im Hin-blick auf den möglichen massenweisen Einsatz eines gentechnisch veränderten Organismus ist es denkbar, dass die Auswirkungen nicht mehr mit natürlichen Prozessen vergleichbar sind. Die Prob-lematik solcher Bewertungen liegt in dem weiten, zu beurteilenden Zeithorizont“. 9)

Dies Argument trifft beide Ansätze gleichermaßen, dürfte aber im „ökologisch begründeten“ Ansatz eher aufgenommen werden können, da hier das methodische Vorgehen grundsätzlich auch auf das Erfassen langfristiger Effekte ausgerichtet ist.

Der vom SRU empfohlenen „Beschränkung auf wesentliche Organismen und wesentliche Umwelt-faktoren“ kommen beide Ansätze nach. Strittig dürfte hierbei das Kriterium „wesentlich“ sein, da z.B. eine Ertragsminderung oder zu geringe Wirkung eines Pflanzenschutzmittels eine Erhöhung der Artenvielfalt bedingen kann.

Wie kommt man bei der Entwicklung von Konzepten für den Überwachungsplan der EU-Novelle weiter, solange die grundsätzlichen politischen Entscheidungen für ein Leitbild nicht hinreichend klar sind?

Ich verweise auf die kürzlich veröffentlichten „Indikatoren für die Integration von Umweltbelangen in die Gemeinsame Agrarpolitik“ der EU-Kommission10), die von einem Wandel des agrarpoliti-schen Leitbildes auf Kommissionsebene ausgehen. Hier wird, abhängig von der Bedeutung der jeweiligen Standorte, dem Nutzungsgrad, ihrer unterschiedlichen Bedrohung und Empfindlichkeit, eine Charakterisierung von Landschaftstypen vorgeschlagen, die sich für unsere Fragestellung nutzen ließe:

• Kulturlandschaften mit hohem ökologischen Wert, die von der Intensivierung der Landwirt-schaft bedroht sind und in denen die Umweltqualität in hohem Maße davon abhängt, dass die landwirtschaftliche Tätigkeit strengen Auflagen unterworfen wird,

• Von der Landwirtschaft abhängige Kulturlandschaften mit hohem ökologischen Wert, die von der Marginalisierung der Landwirtschaft bedroht sind und in denen die Landwirtschaft für die Umweltqualität von besonderer Bedeutung ist,

• Landschaften, die durch eine Landwirtschaft mit geringem Betriebsmittelaufwand, durch geringen Ressourcenverbrauch sowie durch Verbesserung der Habitate und der Biodiversi-tät gekennzeichnet sind,

• Landschaften, die durch intensive oder extensive gute landwirtschaftliche Praxis gekenn-zeichnet sind, die mit der bewirtschafteten Fläche harmoniert und die Erhaltung der natürli-chen Ressourcen, der Biodiversität und der naturnahen Ökosysteme ermöglicht,

• Landschaften, die durch Raubbau, Verschmutzung und Ressourcenerschöpfung gekenn-zeichnet sind, was zur Schädigung der natürlichen Ressourcen, der Biodiversität und der naturnahen Ökosysteme führt.

Diese Typisierung von Landschaften harmonisiert mit der im Gentechnikrecht geforderten Berück-sichtigung der Standortabhängigkeit bei der Beurteilung der Auswirkungen von gentechnisch ver-änderten Organismen in der Umwelt. Sie bietet zugleich eine Grundlage, landwirtschaftliche und ökologische Kriterien durch gemeinsame Kategorisierung zu erfassen, da auch in der

landwirt-schaftlichen Praxis die regionalspezifische Betrachtung (wie bei der Sortenempfehlung) eine we-sentliche Rolle spielt.

Die Probleme in der theoretischen Risikobewertung, wie sie der Wissenschaftliche Beirat Globale Umweltveränderungen für die Gentechnik beispielhaft skizziert hat 11), lassen sich hierdurch mögli-cherweise verringern.

Die Bewertung der Funktion eines speziellen Standortes innerhalb eines gegebenen Land-schaftstyps nach Kriterien des Naturschutzes erleichtert die Festlegung von „Schadens-kategorien“, auch wenn es die bisher ergebnislose Debatte um eine Definition des „ökologischen Schadens“ nicht vermeiden hilft und die naturschutzfachliche Diskussion vor vergleichbaren Be-wertungsproblemen steht.

Die Aktualisierung des Naturschutzrechts verdeutlicht den sich abzeichnenden Trend zur Verdrän-gung des traditionellen Leitbilds der konventionellen Landwirtschaft :

Mit der Novelle zum Bundesnaturschutzgesetz 12) werden Nachhaltigkeits-Aspekte mit dem neu-formulierten § 1 ebenso verstärkt wie mit § 5 Abs. 3 und der Forderung nach einer stand-ortangepassten Bewirtschaftung, die den interessanten Topos des „nachhaltigen Ertrags“ einbe-zieht. Der § 12 versteht unter Umweltbeobachtung ausschließlich eine „ökologische Umweltbeo-bachtung“, deren Zweck u.a. darin besteht, „den Zustand des Naturhaushalts und seine Verände-rungen, die Folgen solcher VerändeVerände-rungen, die Einwirkungen auf den Naturhaushalt, ... zu ermit-teln, auszuwerten und zu bewerten“.

Neben dem von der Landwirtschaft (durch die BBA-AG) bereits angebotenen Beitrag, vorhandene Überwachungssysteme für ein „anbaubegleitendes Monitoring“ zur Verfügung zu stellen, erschließt sich somit ein weiterer möglicher Kooperationspartner, der mit einem dem „ökologischen“ Monito-ring ähnlichen Methodeninventar eine vergleichbare Aufgabe verfolgt.

Was könnte die naturschutzfachliche Praxis für die Konzeptentwicklung von Überwachungsplänen im Sinne der EU –Novelle beitragen?

- Der Naturschutz betrachtet im Rahmen seiner landschaftsplanerischen Gestaltung übergeord-nete räumliche und funktionelle Zusammenhänge und kompensiert so ein wesentliches Manko der bestehenden landwirtschaftlichen Überwachungssysteme.

- Der Naturschutz entwickelt Zielhierarchien der Naturnutzung, die wesentlich längere Zeiträume als eine oder mehrere Vegetationsperioden umfassen.

- Der Naturschutz umfasst selbsterhaltungsfähige („natürliche“) Systeme genauso wie agrarisch geprägte Systeme bzw. Kulturlandschaften.

- Der Naturschutz erfasst neben dem raumbezogenen Arteninventar abiotische Parameter der Standortqualität und entwickelt hieraus Kriterien für die Zuordnung von Lebensraumtypen.

Für ein künftiges Monitoring zugelassener gentechnisch veränderter Pflanzen ließen sich so - ide-altypisch - zwei Bausteine des Systems bereits beschreiben:

Baustein Landwirtschaft

- Untersuchung der Auswirkungen des Einsatzes von GVP im Vergleich zu konventionel-len Sorten und Anbausystemen

- Beobachtung landwirtschaftlicher Nutzflächen und hiervon beeinflusster Randstrukturen - kurz- und mittelfristig, vegetationsperiodenorientiert

- Bewertungsziel: Vor- und Nachteile für die landwirtschaftliche Praxis

Baustein Naturschutz

- Untersuchung der Auswirkungen von GVP-Sorten und Anbausystemen - Beobachtung von Landschafts- und Lebensraumtypen

- mittel- und langfristig, jahreszeitenorientiert

- Bewertungsziel: Vor- und Nachteile für die Entwicklung des Naturhaushalts

Ein erster praktischer Ansatz könnte z.B. darin bestehen, bei der Erfassung und luftbild-gestützten Zuordnung von Lebensraumtypen Anbauflächen von GVP im Rahmen ihrer Einbettung in vorhan-dene räumliche und funktionelle Zusammenhänge zu kartieren.

Da die EU-Novelle ohnedies eine Art „Anbauregister“ vorsieht, wären neben geografischen auch ökologische Kriterien anwendbar, die zu einer vorläufigen Kategorisierung im Sinne der von der EU vorgeschlagenen Landschaftstypen führen würden.

Dies hätte auch den Vorteil, dass der bestehende Grad der Naturnutzung und möglichen Vorschä-digung ein höheres Gewicht erhält, wenn es um die Bewertung der möglichen Auswirkungen geht:

Ein abgestuftes System erwünschter, geduldeter bis zu nicht erwünschten oder auch nicht beein-flussbaren Parametern für die Naturnutzung sollte aus naturschutzfachlicher wie aus landwirt-schaftlicher Sicht gegenübergestellt werden, um Zielkonflikte erkennen und politisch entscheiden zu können.

Dass Theorie und Praxis beim Naturschutz noch weit auseinanderliegen, soll dabei nicht unter-schlagen werden. 13)

Der Einsatz gentechnisch veränderter Pflanzen in der Landwirtschaft stellt in dieser Diskussion nur einen Randaspekt dar. In der gesellschaftspolitischen Auseinandersetzung um die Priorität der verschiedenen Leitbilder könnte ihm jedoch eine stärkere Bedeutung zukommen, da die Folgen der Gentechnik stellvertretend für Prognose- und Risikomodelle mit einem hohen Ungewissheits-grad behandelt werden.

Risikomodelle erfordern Bewertungskonzepte. In der Toxikologie wie in der Ökotoxikologie gibt es Erfahrungen und konkrete Vorschläge, die es erlauben, Konzentrationsbereiche (hier: von chemi-schen Stoffen) abzuleiten, die z.B. in einem Umweltmedium oder Zielorganismus nicht erreicht werden sollen. Zu fragen ist, ob sich erfolgreiche Lösungsansätze zu den wissenschaftstheoreti-schen und experimentellen Problemen der Ökotoxikologie nutzen lassen, da der Erkenntnisge-genstand, nämlich die Umwelt, die Lebewesen und ihre Beziehungen untereinander, identisch ist.

14)

Hierbei ist jedoch zu berücksichtigen, dass im Unterschied zu „klassischen“ Bewertungs-verfahren zu den Auswirkungen von Stoffen und Zubereitungen in der Umwelt eine neue Qualität hinzu-kommt.

Eine wesentliche Eigenschaft der Lebewesen besteht in ihrem Informationsgehalt und dem Ver-mögen, Informationen auszutauschen und auf ihre Nachkommen weiterzugeben. Gegenstand der Gentechnik ist die gezielte Manipulation dieser Informationen. Gegenstand der Untersuchung gen-technisch veränderter Organismen ist somit eine von anderen Faktoren unabhängige Eigenschaft der Objekte (ihr Informationsgehalt), der zum einen nur in einem raumzeitlichen Kontext als phäno-typische Ausprägung zugänglich und zum anderen nur unter hohem Aufwand mit der zugrundelie-genden molekularbiologischen Veränderung korrelierbar ist.

Bei der Bewertung von Stoffen werden im Labor unter genau definierten Umweltbedingungen die Antworten der biologischen Testsysteme auf den Stoff im Vergleich zu einer Kontrolle ermittelt.

Auch unter Berücksichtigung der vorhandenen genetischen Variabilität und der Schwankungsbrei-ten des Testdesigns lassen sich biologische Reaktionen in der Regel statistisch absichern.

Für Untersuchungen von Stoffen im Freiland gibt es dagegen noch keine anerkannten methodi-schen Standards, da die natürlichen Schwankungen der Umweltbedingungen häufig stoffinduzierte Effekte überlagern.

Freilandversuche mit gentechnisch veränderten Pflanzen haben bisher zu keinen absicherbaren schädigenden Effekten geführt – was vor diesem Hintergrund, wie auch vor dem des bisher ver-wendeten Leitbildes, nicht verwundert: Ein Großteil der begleitenden Sicherheitsforschung hat sich auf das Problem des Ausbreitungsverhaltens konzentriert und den Vergleichsmaßstab im konven-tionellen, zudem kleinflächigen Anbau gesucht .

Hieraus die Forderung nach einem Verzicht auf Freilandversuche abzuleiten, wäre nicht sachge-recht. Es geht vielmehr darum, Fallstudien, wie sie auch der SRU für notwendig hält, zu intensivie-ren. In der Praxis bedeutet dies die Entwicklung einer Hierarchie von Testverfahren unter experi-mentell einstellbaren Bedingungen, d.h.

- als (artifizieller) Labortest,

- im Labor bzw. Gewächshaus unter seminatürlichen Bedingungen, - in Modellökosystemen.

Diese Verfahren dienen der Ermittlung derjenigen Parameter, die im Rahmen von Über-wachungsplänen für gentechnisch veränderte Organismen sinnvoll, d.h. ihrer biologischen Bedeu-tung entsprechend, untersucht und bewertet werden sollen.

Damit bietet sich ein weiterer Baustein eines künftigen Monitoring an, der sich die Erfahrungen aus der Entwicklung ökotoxikologischer Test- und entsprechender Bewertungs-verfahren zunutze ma-chen kann:

Baustein Ökotoxikologie

- Entwicklung von Test- und Bewertungsverfahren, einschließlich Rückverfolgbarkeit - Evaluierung von Labor- und Freilanduntersuchungen

- modell- und nachweisorientiert

- Bewertungsziel: Ermittlung von Parametern, die in der Überwachungspraxis als nachteilig zu beurteilen sind

Dieser Baustein ist nicht nur für den künftigen Vollzug des Gentechnikrechts durch die Länderbe-hörden zwingende Voraussetzung. Auch für den Anmelder/Genehmigungsinhaber muss der Auf-wand für die neuen Überwachungssysteme hinreichend einschätzbar sein.

Mit der Genehmigung des Überwachungsplans durch die zuständig Behörde muss für alle Beteilig-ten klar sein,

- welche Parameter können/müssen überprüft werden - mit welchem methodischen Instrumenten

- mit welcher zeitlicher Intensität - mit welchem Aufwand an Personal

- mit welchen Folgen bei bestimmten Ergebnissen ?

Zu Recht kommentiert das Scientific Steering Committee: „As in other cases, post marketing sur-veillance is no substitute for proper pre-marketing evaluation. Both approaches are needed in an integrated manner to encompass the effects of gene interactions and the long-term impact of their extensive use, e.g. in GMPs.“15)

Einen - nicht nur in diesem Zusammenhang wichtigen – Faktor stellt die „Rückverfolgbarkeit“ der gentechnischen Veränderung von der Erzeugung bis zum Endverbraucher bzw. aufnehmenden Medium dar. Wie die EU-Kommission die Begriffe „surveillance“ und „traceability“ in vergleichba-rem Zusammenhang verwendet, ist im Anhang kurz dargestellt.

Ein vierter Baustein sollte sich aus den Vorhaben zur „ökologischen“/Umwelt-Dauerbeobachtung und vergleichbaren Ansätzen ableiten lassen. Die UBA-AG hat die vorliegenden Programme, die sich in unterschiedlichen Anwendungsstadien befinden, untersucht und auf ihre Eignung hin be-wertet. Dies braucht an dieser Stelle nicht wiederholt zu werden.

Erforderlich ist jedoch m.E. eine stärkere Verknüpfung mit den drei übrigen Bausteinen, um eine Reduzierung der möglichen Beobachtungsparameter auf relevante Fragestellungen und Bewer-tungsverfahren zu erreichen.

Baustein Ökologische Beobachtungsprogramme

- Einbeziehung vorhandener Programme der Umweltbeobachtung - Definition und Einrichtung von Referenzflächen (mit/ohne Gentechnik) - langfristig, ökosystemorientiert

- Bewertungsziel: Analyse von Umweltveränderungen

Die in diesem Beitrag entwickelten vier Bausteine zur Konzipierung künftiger Überwachungspläne für zugelassene gentechnisch veränderte Pflanzen sehen ein arbeitsteiliges Vorgehen vor, wel-ches eine angemessene Beteiligung der unterschiedlichen gesellschaftlichen Interessengruppen ermöglicht.

Dies bedarf eines organisatorischen Rahmens und bestimmter politischer Entscheidungen, welche die künftigen Aufgaben der Anmelder/Genehmigungsinhaber ebenso definieren müssen wie die konkrete Rolle der Länderbehörden beim Vollzug der novellierten Freisetzungs-Richtlinie.

Im Dokument 60 01 (Seite 157-163)