4.2 Vermittlungsansatz für schulische Wintersportveranstaltungen
4.2.1 Bewegungsbedeutungen exemplarisch vermitteln
In Kap. 2.2.1 wurde versucht, typische Bewegungsbedeutungen für vier winterli-che Bewegungsfelder zu beschreiben. Jedes Bewegungsfeld gründet dabei auf einem bestimmten Bewegungsproblem und einer daran anknüpfenden
109 In der Illustration seines Konzepts am Beispiel der Leichtathletik stellt KURZ (1995) neben der mehrperspektivischen Auslegung ganz besonders das (individuelle) Bewegungserleben als Grund-lage der Entwicklung von Handlungsfähigkeit heraus. Seltsamerweise fließt die zitierte Forderung von KURZ nicht ersichtlich in die weiteren Darlegungen seines Konzepts der Handlungsfähigkeit ein.
deutung: „Gleiten und Rutschen“ steht für das Erleben schwebenden Gleitens,
„Gehen und Laufen“ für die Raumeroberung durch rhythmisches Abstoßen vom Untergrund, „Springen“ für das Flugerlebnis und „Werfen, Schießen, Schlagen“ für das Fliegen-, Gleiten- oder Rollenlassen eines Objekts. Die beschriebenen Be-deutungen sind jedoch keineswegs untrennbar mit bestimmten wintersportlichen Bewegungshandlungen verbunden. Denn die persönliche Bedeutung dieser Handlungen konstituiert sich als Resultat der Auseinandersetzung des Sich-Bewegenden mit seiner Umwelt erst im Bewegen selbst. In Abhängigkeit von der jeweiligen Situation rücken andere Bedeutungen in den Vordergrund, etwa das Erleben des bedrohten Gleichgewichts oder außergewöhnlicher Kurvenlagen beim Snowboarden. Daher ist die persönliche Bedeutung wintersportlicher Aktivität als Ausdruck situativer Bewegungsdialoge eines Menschen mit seiner winterlichen Umwelt nicht lehrbar. Es gilt vielmehr, „zwischen den Kindern, die uns für eine Weile anvertraut sind, und der Sache, die wir aus eigener, dichter, freudvoller Er-fahrung heraus kennen und lieben, zu vermitteln“ (FUNKE-WIENEKE 1997b, 8).
Der selbsttätigen Auseinandersetzung mit der winterlichen Umwelt über Sich-Bewegen können Bewegungsarrangements dienen, die durch ihre Reize zur Su-che nach persönliSu-chen Bedeutungen wintersportliSu-chen Sich-Bewegens auffordern.
Will man einem sich bewegenden Schüler gewisse Bewegungsbedeutungen nahe bringen, dann gilt es Bewegungsarrangements herzustellen, die das Erkennen bzw. Zuschreiben dieser Bedeutungen provozieren. Solche Arrangements sollen den Schüler zu Bewegungshandlungen anregen, die ihm die gewünschte Bedeu-tungszuschreibung geradezu aufdrängen. Durch entsprechende Aufgabenstellun-gen kann das Begreifen von BewegungsbedeutunAufgabenstellun-gen unterstützt werden (vgl.
auch Kap. 4.3).
Verschiedene wintersportliche Bewegungstätigkeiten sind dazu in unterschiedli-chem Maße geeignet: Das intensive Erleben außergewöhnlich hoher Geschwin-digkeit wird sich beispielsweise beim alpinen Skilauf oder beim Rodeln weit eher einstellen als beim langsameren Eislaufen oder Skilanglaufen. Ein nicht zu steiler, sanft auslaufender Hang ohne störende Buckel kann auch weniger leistungsstarke Skifahrer zu einer Schussfahrt in stabiler Abfahrtshocke animieren, bei der das hohe Fahrtempo eine herausgehobene Bedeutung erlangt. Da beim Snowboar-den das Brett stets auf der Kante läuft, wird dort eher die rasante Kurvenfahrt als
das pure Geschwindigkeitserlebnis in den Vordergrund rücken. Ähnliches gilt für andere Bewegungsbedeutungen.
Es sollte folglich eine Tätigkeit ausgeführt werden, bei der das gewünschte Bewe-gungserlebnis besonders im Vordergrund steht und daher bewusst wahrgenom-men wird. Damit erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass das Sich-Bewegen die beabsichtigte Bedeutungszuschreibung erhält. Der Austausch von individuellen Erlebnissen und die Thematisierung typischer Bedeutungszuschreibungen im Ge-spräch sollte die wintersportliche Aktivität begleiten. Denn das Erleben wird zu einer bedeutsamen Erfahrung, „wenn wir es nicht nur in Erinnerung behalten, sondern eine allgemeine, bleibende Lehre daraus ziehen, die über das Beispiel hinaus Bedeutung hat“ (KURZ 1995, 48). Erst dann hat das wintersportliche Erle-ben exemplarischen Wert und trägt zur Entwicklung von begründeter Urteils- und Entscheidungsfähigkeit bei. Ziel des unterrichtlichen Vermittelns zwischen dem Schüler und der Vielfalt wintersportlicher Aktivität ist es, dass die ausgeführte Be-wegungstätigkeit mit seiner persönlichen Bedeutung im Bewusstsein des Schülers beispielhaft für eine Gruppe von Tätigkeiten mit ähnlichen typischen Bewegungs-bedeutungen steht.
Die Wahl der wintersportlichen Tätigkeit spielt also eine wichtige Rolle, wenn man bestimmte Bedeutungszuschreibungen ins Auge fasst. Die jeweilige Bedeutung einer Bewegungshandlung ist darüber hinaus entscheidend vom Sinnzusammen-hang des Sich-Bewegens bestimmt. Die nachfolgende Tabelle gibt Anregungen, bei welcher Bewegungstätigkeit und durch welche Arrangements und Aufgaben-stellungen sich typische Bewegungserlebnisse anregen lassen:
Bewegungsbedeutung „Schwebendes Gleiten“
Schussfahren auf nicht zu steilen Abfahrten Weitgleiten
Augen schließen während des Gleitens (z.B. als Hinter-mann beim Rodeln)
Kontrastierendes Gleiten auf wechselnder Unterlage Standwaage auf Schlittschuhen
„Flieger“ auf Ski (ohne Stöcke mit seitlich ausgebreiteten Armen)
Stehend auf dem Schlitten ziehen lassen Ästhetisch Hochschwingen auf Ski
Bewegungsbedeutung „Geschwindigkeit“
Steilere Abfahrten in Schussfahrt bewältigen Lange Schwünge mit hohem Tempo fahren Wettrennen
Lauf-, Fang- und Ballspiele (z.B.
Fußball) auf Schnee
Unbekannten, glatten Untergrund wintersportlich erkunden Über ständig wechselnden Untergrund gleiten oder laufen Geländeformationen erkunden
Vollbremsungen zielgenau durchführen Bewältigen einer Buckelpiste (auch auf Ski) Fakie-Fahren (rückwärts)
Bewegungsbedeutungen „Spiel mit den entfachten Kräften“ und „Kurvenlage“
Bewegungstätigkeiten Mögliche Aufgabenstellungen
Snowboarden Carven
Bigfoot/Skiboard-Fahren Eislaufen
Immer weiter in die Kurve legen
Bei der Kurvenfahrt mit den Händen in den Schnee greifen Bojenslalom mit stark versetzten Bojen
Kanadier-Achter (Eislauf) bzw. Kreis fahren (Bigfoot) Walzer (360°-Drehung) mit Ski und Boards aller Art
Bewegungsbedeutung „Bewegungsrhythmus“ Eine gleichmäßige Spur in den Schnee legen Schwingen im Atemrhythmus
Buckelpiste rhythmisch bewältigen (schwierig) Sich-Bewegen im Takt von Musik
Individuellen Rhythmus suchen
Aufmerksamkeitslenkung auf Atmung, auf Wechsel von Anspannung und Entspannung, Belastung und Entlastung etc.
Bewegungsbedeutung „Raumeroberung“
Schüler geben für Mitschüler den Weg (die Fahrspur) vor
Bewegungsbedeutung „Grenzsituation“
Bewegungstätigkeiten Mögliche Aufgabenstellungen
Schlittern
Bigfoot/Skiboard-Fahren Snowboarden
Kunststücke während des Schlitterns (Drehen, Hocken, Springen, auf einem Bein schlittern etc.)
Springen in der Halfpipe, über relativ große Schanzen, Kunststücke während des Flugs
Anspruchsvolles Gelände bewältigen (steile Abfahrt, Bu-ckelpiste, tiefer Schnee etc.)
Bewegungsbedeutungen „Fliegen“ und „Überwinden von Distanzen“
Bewegungstätigkeiten Mögliche Aufgabenstellungen oder Volleyball im Schnee, beim
„Schneetiger“
Sich aus größerer Höhe fallen lassen, sich mit geschlosse-nen Augen fallen lassen
Springen in der Halfpipe
An einer Schanze den Absprung intensivieren Weitsprungwettbewerbe über eine Schanze
„Beachvolleyball“ im Schnee Fallwurf im Schnee
Bewegungsbedeutung „Ein Objekt fliegen, gleiten oder rollen lassen“
Bewegungstätigkeiten Mögliche Aufgabenstellungen
Bewegungsbedeutungen „Zielen und Treffen“
Bewegungstätigkeiten Mögliche Aufgabenstellungen
Schneeballwerfen Schneegolfen Eiskegeln Eishockey
Zielwurfspiele und –wettbewerbe Biathlonwettbewerbe
Torschusswettbewerbe und –spiele