• Keine Ergebnisse gefunden

Aufgabe: Wintersportliche Wagnisse bewältigen lernen

Im Dokument Schulsport im Winter (Seite 114-119)

3.4 Das Wagnis im Wintersport

3.4.3 Aufgabe: Wintersportliche Wagnisse bewältigen lernen

Aufgrund der winterlichen Bedingungen wird das wintersportliche Sich-Bewegen häufig zum Wagnis. Die erfolgreiche Bewältigung von Wagnissituationen ist dar-um nicht nur wegen der möglichen Lebensbereicherung und Selbsterfahrung be-deutsam, sondern auch für den Fortgang sportartspezifischer Lernprozesse. Für viele wintersportlich Aktive spielt die Suche nach Wagnissen sogar eine zentrale Rolle. Aus pädagogischer Sicht gilt es die Schüler daher zur individuell zufrieden-stellenden Bewältigung von wintersportlichen Wagnissen hinzuführen und die in-dividuelle Wagnissuche in verantwortbare Bahnen zu lenken. Die Heranwachsen-den sollen schließlich lernen, individuell passende Wagnisse als persönliche Her-ausforderungen zu interpretieren und sich zur Auseinandersetzung damit zu ü-berwinden.

98 Selbstwirksamkeitserwartungen und die Überzeugung, die Kontrolle über das eigene Leben be-halten zu können, werden im salutogenetischen Modell als Schutzfaktoren für die Gesundheit an-gesehen (vgl. Kap. 3.5.2). Durch Wagnisse wird demnach die Gesundheit nicht nur gefährdet, son-dern – bei erfolgreicher Bewältigung – unter Umständen auch gefördert. Die Auswirkungen auf das Selbstkonzept scheinen zudem – wie die Untersuchung von STELTER (1999) zeigt – die Lebens-führung der Heranwachsenden zu beeinflussen: „Kinder wählen den Sport, der ihnen ein selbstkon-firmierendes Feedback vermittelt“ (247).

NEUMANN (1999a) schlägt für das didaktische Vorgehen gemäß der „Struktur des Wagnisses ‘Aufsuchen – Aushalten – Auflösen’“ (146) folgenden Dreischritt vor:

1. Aufsuchen:

Wagnissituationen werden von Heranwachsenden auch beim schulischen Sporttreiben immer wieder aus eigenem Antrieb gesucht: Da schlagen Jugend-liche vor, über die Schanze am Pistenrand zu springen oder sich einmal an der Buckelpiste zu versuchen; Kinder werfen sich auf die Schlitterbahn und rut-schen bäuchlings mit dem Kopf voran über das Eis (vgl. MÜLLER 1999a, 40);

andere wollen vom Hüttendach in weichen Schnee springen. Solche Wagnisse sollten, sofern sie ökologisch verantwortbar sind und solange das Risiko über-schaubar erscheint, ruhig einmal zugelassen werden.

Häufig ergeben sich im Rahmen sportartspezifischer Lernprozesse Situati-onen, die viele Schüler als individuelles Wagnis empfinden: Bergab ins Gleiten zu kommen, in die Falllinie hinein zu drehen oder zu steuern, in einen steilen Hang oder eine Buckelpiste einzufahren, Schlepplift zu fahren oder auf einem Bein zu gleiten sind Beispiele für solche Situationen. Die Lehrperson sollte er-kennen, wann das Sich-Bewegen für einen Schüler zum Wagnis wird, um ihn in seinem Wagnis zu begleiten und ihm zu einer erfolgreichen Bewältigung zu verhelfen (s.u.).

Schüler können außerdem durch Bewegungsarrangements und durch verbale oder visuelle Bewegungsanregungen dazu animiert werden, sich einmal zu wagen. Damit sich jeder Schüler entsprechend seiner individuellen Fähigkeiten wagen kann, sind offene Aufgabenstellungen zu bevorzugen. Die Höhe der Anforderungen, die das Arrangement stellt, sollte variabel sein und dadurch unterschiedlichen individuellen Voraussetzungen und Anforderungsniveaus gerecht werden.

2. Aushalten:

Ausschlaggebend für die Bewältigung wintersportlicher Wagnisse sind zum ei-nen sportmotorische Kompetenzen und zum anderen psychische Fähigkeiten.

Zudem wird „die Bedrohung [...] erst dann lustvoll erlebt, wenn ein als ausrei-chend eingeschätztes Können vorliegt“ (NEUMANN 1999a, 148). Es gilt folg-lich das erforderfolg-liche Bewegungskönnen zu entwickeln und auf der Basis einer realistischen Selbsteinschätzung und Risikoabschätzung das Vertrauen in die

eigenen Fähigkeiten zu stärken. Dementsprechend sind die Schüler schrittwei-se an ihre Grenzen heranzuführen, um auf positiven Selbsterfahrungen auf-bauen zu können. Um Überschätzungen des eigenen Könnens vorzubeugen, sind ihnen gelegentlich auf gefahrlose Weise ihre Grenzen aufzuzeigen. Ent-scheidend im Hinblick auf die Erfahrung von Selbstwirksamkeit ist, dass jeder selbst bestimmen darf, ob und in welcher Form er sich wagt. „Die Lehrkraft sollte die Schülerinnen und Schüler ermutigen, jedoch nicht drängen und über-reden“ (ebd.). Zur Verringerung von unnötigem sozialem Druck können Eintei-lungen in leistungshomogene Kleingruppen, gewisse räumliche Trennungen der Schüler und thematische Differenzierungen beitragen.

3. Auflösen:

Wagnissituationen sind spannungsgeladene Situationen. Wenn die unsichere Situation überwunden ist, fällt die Spannung schlagartig ab. Wer sich gewagt hat, will das Erlebte meist anderen mitteilen (vgl. NEUMANN 1999a, 149).

Darum sollten wintersportliche Wagnisse mit Gesprächen abschließen, in de-nen das Erlebte, aber auch Bedenken und Ängste sowie Bedürfnisse und An-regungen zur Sprache gebracht und reflektiert werden können. Insbesondere gilt es „diejenigen aufzumuntern und zu Wort kommen zu lassen, die im Um-gang mit Wagnissen Schwierigkeiten haben“ (ebd., 149). Gespräche dienen ferner dazu, Wintersport als eine Gelegenheit, sich zu wagen, ins Bewusstsein zu rücken. Bedenkliche Verhaltensweisen, mögliche Folgen und Handlungsal-ternativen sind zu diskutieren. Die Entscheidungsfindung sollte auch den Ver-zicht auf unverantwortliche wintersportliche Wagnisse einschließen.

Der folgende Kasten beinhaltet exemplarische Anregungen für die Gestaltung win-tersportlicher Wagnissituationen:

Aufsuchen:

Bewegungsarrangements:

Eine Vielzahl winterlicher Bewegungslandschaften wurde bereits in Kap. 3.1.3 beschrieben. Viele dieser Bewegungslandschaften ermöglichen wintersportliche Wagnisse, vor allem wenn sie Gele-genheit bieten, abzuheben und zu fliegen oder schnell zu gleiten bzw. wenn das Gelände so an-spruchsvoll ist, dass die Schüler beim Befahren an die Grenzen des eigenen Könnens gelangen.

Beispielhaft seien die Schlitterbahn, die Schanze, die Geländekante, die Wellenbahn, die Halfpipe, der Boardercross-Parcours, die Buckelpiste, der Steilhang, die Eisplatte und der Tiefschneehang genannt. Die Höhe der Anforderungen, die das Arrangement stellt, lässt sich in vielen Fällen dem individuellen Anspruchniveau anpassen, indem die Anlauflänge, die Absprunghöhe, der Startpunkt

und die Fahrlinie verändert oder auf ein anderes Gleitgerät gewechselt wird.

Bewegungsanregungen:

- Veränderungen im Bewegungsarrangement schaffen neue Herausforderungen, etwa Erhöhen des Schanzentischs oder einer Steilkurve sowie das Platzieren von Hindernissen, die über-sprungen oder umfahren werden können.

- Visuelle Bewegungsanregungen: Die Beobachtung anderer Schüler oder des aktiv teilnehmen-den Lehrers, Demonstrationen und Präsentationen, die Beobachtung anderer Wintersportler, Videos, unter Umständen auch TV-Übertragungen von Wintersportwettbewerben (Halfpipe, Freestyle, Skispringen, Eiskunstlauf etc.) liefern mögliche Vorlagen und Anregungen für eigene Wagnisse.

- Verbale Bewegungsanregungen: Um dem Schüler die Entscheidung zu überlassen, ob und in welcher Form er sich wagt, sind gegenüber konkreten Aufgabenstellungen offene Anregungen folgender Art zu bevorzugen: „Versuche doch mal auf der Eisplatte eine Kurve zu fahren!“

„Schaffst du es, während des Schlitterns in die Hocke zu gehen?“ „Traust du dich mit einer Drehung von der Mauer in den tiefen Schnee zu springen?“ „Kannst du dich während des Glei-tens um 180° drehen?“ „Ist es dir möglich, das Hindernis zu überspringen?“ „Fällt dir ein Kunst-stück ein, das du während des Fluges ausführen kannst?“ „Ich habe einmal gesehen, wie eine Skifahrerin ohne Ski nur auf den Sohlen ihrer Skischuhe die Piste hinunterrutschte. Könnt ihr das auch?“

Aushalten:

Möglichkeiten der Ermutigung:

- Durch die erfolgreiche Bewältigung eines Wagnisses können Schüler und Lehrer auch eine Modellfunktion übernehmen, die manchem ängstlichen Schüler mehr Sicherheit vermittelt (vgl.

BALZ/NEUMANN 1994, 52).

- Eine ähnliche, weniger anspruchsvolle bzw. gefährliche Wagnissituation kann unter Umständen zu einem Erfolgserlebnis verhelfen, welches das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten stärkt:

Statt einer Buckelpiste wird nur ein kurzer buckliger Abschnitt mit unproblematischem Auslauf befahren; ein Steilhang wird zunächst mit Schwüngen bergwärts und Spitzkehren bewältigt usw.

- Durch Fallübungen lässt sich die Furcht vor dem drohenden Sturz reduzieren und ein kontrol-lierteres Hinfallen einüben.

Thematische Differenzierung:

- Schlitterbahn: Auf einer der vier Bahnen versucht eine Gruppe ein Hindernis in der Mitte der Bahn zu überwinden. Auf einer weiteren Bahn befindet sich ein Hindernis am Ende der An-laufstrecke. Mit dem Einsatz verschiedener Gleitgeräte beschäftigt sich eine dritte Gruppe. Auf der vierten Bahn geht es darum, möglichst weit und spektakulär zu schlittern.

- Schanze: Während auf einer Schanze Kunststücke im Flug gewagt werden und auf einer weite-ren möglichst weit gesprungen wird, versucht eine dritte Gruppe ihre Schanze mit zunehmen-dem Tempo ausgleichend zu überfahren, um das Abheben zu verhindern.

Auflösen:

- Unterrichtsgespräch: Manchmal genügt bereits eine kurze Pause, um einen spontanen Erfah-rungsaustausch entstehen zu lassen.

- Zwangloses Gespräch nach dem Sporttreiben.

- Dokumentation durch Foto oder Film als Gesprächsanlass.

- Erlebnisse niederschreiben und u.U. den anderen vortragen.

- Beobachtete oder dokumentierte Verhaltensweisen und deren Folgen zum Gesprächsthema machen.

Im Dokument Schulsport im Winter (Seite 114-119)